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BGH - Entscheidung vom 20.09.2005

3 StR 303/05

Normen:
StGB § 224 Abs. 1 Nr. 2, 5 § 46 Abs. 3

Fundstellen:
NStZ 2006, 96

BGH, Beschluß vom 20.09.2005 - Aktenzeichen 3 StR 303/05

DRsp Nr. 2005/17887

Strafschärfende Berücksichtigung der "erschreckenden Aggressionstat" und "massiven Tatausführung"

Belegen die Feststellungen kein überdurchschnittlich gefährliches oder brutales Geschehen, darf dem Angeklagten nicht angelastet werden, dass es sich um eine "erschreckende Aggressionstat" bei "massiver Tatausführung" handeln soll.

Normenkette:

StGB § 224 Abs. 1 Nr. 2 , 5 § 46 Abs. 3 ;

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Nach den Feststellungen hatte der Nebenkläger den Angeklagten aufgesucht, ihm Vorhalte gemacht und aufgefordert, aus der von ihm mitbenutzten Wohnung auszuziehen. "Aufgewühlt" durch das vorangegangene Gespräch entschloss sich der Angeklagte, ihm einen Denkzettel zu verpassen. Er holte ein Messer, folgte dem die Wohnung verlassenden Nebenkläger und stach ihm mit Wucht in den Oberbauch.

Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Auch der Strafausspruch kann im Ergebnis bestehen bleiben.

1. Allerdings begegnen die zu Lasten des Angeklagten angestellten Strafzumessungserwägungen in mehrfacher Hinsicht rechtlichen Bedenken:

Die Strafkammer hat auf UA S. 59 f. u. a. folgendes ausgeführt:

"Gegen den Angeklagten sprach weiter die massive Tatausführung. Es handelte sich um eine brutale, sinnlose und erschreckende Aggressionstat. ...handelte der Angeklagte beängstigend planvoll und kaltschnäuzig. ... Er versetzte ihm einen gezielten Stich genau zwischen die Rippen ... . Von Reue war auch in der Hauptverhandlung kaum etwas zu spüren."

a) Die Strafkammer hat eine gefährliche Körperverletzung in den Tatbestandsvarianten mittels eines gefährlichen Werkzeugs und einer das Leben gefährdenden Behandlung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB angenommen und bereits das Vorliegen der beiden Qualifikationsmerkmale straferschwerend gewertet. Anhaltspunkte für eine besondere, über ein durchschnittliches Geschehen eines das Leben gefährdenden Messerstiches hinausgehende Massivität, Brutalität und Sinnlosigkeit hat sie weder genannt, noch sind diese ersichtlich. Es ist daher zu besorgen, dass die Strafkammer entgegen § 46 Abs. 3 StGB dem Angeklagten gerade die Erfüllung des abgeurteilten Straftatbestandes erschwerend angelastet hat.

b) Ein besonders planvolles und "kaltschnäuziges" Verhalten des Angeklagten wird durch die Feststellungen nicht belegt. Gleiches gilt für einen "gezielten Stich genau zwischen die Rippen". Aus ihnen ergibt sich kein Anhalt, dass der Angeklagte nicht nur grob gezielt in den Oberbauch, sondern genau gezielt in einen Rippenzwischenraum gestochen haben könnte.

c) Fehlende Reue durfte dem Angeklagten nicht angelastet werden, da er ein strafbares Verhalten bestritten und sich auf Notwehr gegenüber einem vorausgegangenen Angriff des Nebenklägers berufen hat (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 52. Aufl. § 46 Rdn. 50 m. w. N.).

d) Im Übrigen gibt die Wortwahl ("erschreckende Aggressionstat", "beängstigend planvoll" u. ä.) Anlass zu dem Hinweis, dass moralisierende und persönliches Engagement vermittelnde Formulierungen vermieden werden sollten, da sie den Eindruck erwecken könnten, als sei das Gericht nicht unbefangen und wäge die für und gegen einen Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte nicht ruhig und sachlich gegeneinander ab (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 52. Aufl. § 46 Rdn. 106 a m. w. N.). Vielmehr kommt es bei der Strafzumessung darauf an, nicht allgemeine und wenig aussagekräftige Qualifizierungen anzustellen, sondern die Strafzumessungstatsachen im Sinne des § 46 Abs. 2 StGB konkret herauszuarbeiten, die das Geschehen, orientiert am regelmäßigen Erscheinungsbild des Delikts (vgl. BGH wistra 1987, 27), milder oder schwerer erscheinen lassen.

2. Gleichwohl kann von der Aufhebung des Strafausspruchs abgesehen werden, da die verhängte Freiheitsstrafe von sechs Jahren angemessen ist (§ 354 Abs. 1 a StPO ). Dabei ist neben den Folgen für das Tatopfer maßgeblich, dass sich die abgeurteilte Tat in eine ganze Reihe schwerer Angriffe des Angeklagten gegen Leben oder körperliche Unversehrtheit seiner Mitmenschen einreiht, die ihn in hohem Maße gefährlich erscheinen lassen und - zumindest bei erneuter einschlägiger Straffälligkeit - die Prüfung der Anordnung von Sicherungsverwahrung angezeigt erscheinen lassen.

Vorinstanz: LG Kiel, vom 28.04.2005
Fundstellen
NStZ 2006, 96