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BGH - Entscheidung vom 12.07.2005

VI ZB 72/03

Normen:
ZPO § 124 Nr. 4

Fundstellen:
BB 2005, 2435
BGHReport 2005, 1617
FamRZ 2005, 2063
MDR 2006, 225
NJW-RR 2006, 197
Rpfleger 2006, 23
VersR 2005, 1705

BGH, Beschluß vom 12.07.2005 - Aktenzeichen VI ZB 72/03

DRsp Nr. 2005/17871

Neubewilligung von Prozesskostenhilfe nach Entziehung wegen Nichtzahlung der Raten

»Wird die Prozeßkostenhilfe gemäß § 124 Nr. 4 ZPO wegen Nichtzahlung der festgesetzten Raten entzogen, so kommt für dieselbe Instanz gleichwohl eine Neubewilligung in Betracht, wenn sich die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Partei verschlechtert haben. Die Neubewilligung darf in diesem Fall nur dann abgelehnt werden, wenn greifbare Anhaltspunkte dafür sprechen, daß die Partei die Anordnung von Ratenzahlungen erneut mißachten wird.«

Normenkette:

ZPO § 124 Nr. 4 ;

Gründe:

I. Der Kläger nimmt den Beklagten mit der vorliegenden Klage auf Schadensersatz wegen eines behaupteten augenärztlichen Behandlungsfehlers in Anspruch. Auf seinen erstmaligen Antrag wurde ihm Prozeßkostenhilfe bewilligt gegen monatliche Ratenzahlung von 310,00 DM ab 1. September 2001. Diese Bewilligung der Prozeßkostenhilfe wurde widerrufen, weil der Kläger mit der Ratenzahlung länger als drei Monate in Rückstand geraten war und auf Mahnung hin nur unvollständig Raten erbracht hatte. Die hiergegen eingelegte Beschwerde wurde vom Oberlandesgericht zurückgewiesen.

Mit Verfügung vom 20. Februar 2003 setzte das Landgericht dem Kläger zur Zahlung eines Auslagenvorschusses von 1.200,00 EUR für die Einholung eines Sachverständigengutachtens eine Frist bis zum 17. März 2003.

In der Folge begehrte der Kläger erneut die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe für die Durchführung des Klageverfahrens und zwar unter Hinweis auf seine am 1. Januar 2003 eingetretene Arbeitslosigkeit. Das Landgericht hat diesen Antrag mit der Begründung zurückgewiesen, nach der Aufhebung der Bewilligung von Prozeßkostenhilfe gemäß § 124 Nr. 4 ZPO komme eine erneute Bewilligung von Prozeßkostenhilfe grundsätzlich nicht in Betracht. Die dagegen erhobene sofortige Beschwerde des Klägers hatte keinen Erfolg. Das Beschwerdegericht hat die Rechtsbeschwerde zugelassen hinsichtlich der Frage, ob eine erneute Bewilligung von Prozeßkostenhilfe auch bei einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse ausgeschlossen ist.

II. 1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, eine Neubewilligung von Prozeßkostenhilfe sei in Fällen der vorliegenden Art wegen des Sanktionscharakters des § 124 Nr. 4 ZPO auch dann ausgeschlossen, wenn das neue Prozeßkostenhilfegesuch auf die Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse gestützt werde. Die in § 124 Nr. 4 ZPO vorgesehene Aufhebung der Bewilligung stelle eine Sanktion dafür dar, daß der Hilfebedürftige anhaltend gegen seine Ratenzahlungspflicht verstoße. Würde man der betroffenen Partei trotz der vorangegangenen Aufhebung erneut Prozeßkostenhilfe bewilligen, würde der mit der Regelung des § 124 Nr. 4 ZPO verfolgte Zweck weitgehend verfehlt. Denn die Partei habe normalerweise durch die Aufhebung keine Nachteile zu befürchten. Zwar würde die Neubewilligung nur für die Zukunft wirken. Dennoch würde die Neubewilligung im Regelfall erneut alle Kosten der Partei abdecken, weil die Bewilligung auch rückständige Gerichtskosten erfasse (§ 122 Abs. 1 Nr. 1 a ZPO ) und weil ganz überwiegend die Auffassung vertreten werde, daß der beigeordnete Rechtsanwalt alle Gebühren gegen die Staatskasse geltend machen könne, die seit seiner Beiordnung erstmals oder auch nur wiederholt entstünden.

Eine andere Handhabung sei auch dann nicht gerechtfertigt, wenn der Antrag auf Neubewilligung - wie hier - darauf gestützt werde, daß sich die Einkommensverhältnisse nach der Aufhebung derart verschlechtert hätten, daß ratenfreie Prozeßkostenhilfe zu bewilligen wäre; denn die Bewilligung ratenfreier Prozeßkostenhilfe hätte dann sogar zur Folge, daß die Partei nachträglich von allen Kosten freigestellt werde, obwohl sie sich den ihr zumutbaren Ratenzahlungen in der Vergangenheit entzogen habe. Daß dies nicht mit der gesetzlichen Regelung in Einklang stünde und zu einer eindeutigen und ungerechtfertigten Bevorzugung gegenüber denjenigen Parteien führen würde, die den Ratenzahlungsanordnungen Folge leisteten, solange ihnen dies möglich sei, liege auf der Hand.

Aus dem Beschwerdevorbringen ergebe sich im übrigen auch nicht, daß die Nichteinhaltung der monatlichen Ratenzahlungsverpflichtung ab dem 1. September 2001 auf eine Verschlechterung der persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse zurückzuführen sei; denn die vom Kläger angeführte Arbeitslosigkeit sei erst zum 1. Januar 2003 eingetreten.

Die erneute Bewilligung von Prozeßkostenhilfe sei schließlich auch nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten. Soweit der Kläger befürchte, den Prozeß zu verlieren, weil er nicht in der Lage sei, den angeforderten Vorschuß für die angeordnete Einholung des Sachverständigengutachtens aufzubringen, sei zu berücksichtigen, daß das Landgericht im Rahmen seines Ermessens sorgfältig zu prüfen habe, ob die Einholung eines Sachverständigengutachtens hier trotz der Nichtzahlung des Auslagenvorschusses durch die Partei ausnahmsweise von Amts wegen nach § 144 ZPO erforderlich sei.

2. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft, weil das Beschwerdegericht sie in dem angefochtenen Beschluß zugelassen hat (§ 574 Abs. 1 Nr. 2 , Abs. 3 Satz 2 ZPO ), und auch sonst zulässig. Sie ist auch begründet.

a) Die Frage, ob trotz Aufhebung der Prozeßkostenhilfebewilligung nach § 124 Nr. 4 ZPO eine erneute Bewilligung von Prozeßkostenhilfe ab Antragstellung bei veränderten wirtschaftlichen Verhältnissen in Betracht kommt, wird unterschiedlich beantwortet.

Die vom Beschwerdegericht vertretene Auffassung, wonach eine erneute Bewilligung der Prozeßkostenhilfe für denselben Gegenstand und dieselbe Instanz grundsätzlich ausgeschlossen sei, wird auch anderweit vertreten (OLG Düsseldorf, FamRZ 1996, 617 f.; MünchKomm-ZPO/Wax, 2. Aufl., § 124, Rn. 14, 4, 3; Musielak/Fischer, 4. Aufl., § 124, Rn. 11; Schoreit/Dehn, BerH/PKH, 8. Aufl., § 124, Rn. 15). Teilweise wird diese Auffassung jedenfalls für den Fall vertreten, daß eine Verschlechterung der Vermögensverhältnisse nicht eingetreten ist (OLG Koblenz, FamRZ 1996, 1426 , 1427; OLG Naumburg, OLGR 1997, 72; OLG Nürnberg, FamRZ 2005, 531 f.) oder bei regelmäßiger Zahlung der auferlegten Raten im Zeitpunkt der erneuten Antragstellung sämtliche Kosten bezahlt gewesen wären (OLG Bremen, FamRZ 2001, 1534 , 1535).

Die Gegenmeinung nimmt an, daß eine Neubewilligung von Prozeßkostenhilfe zumindest dann in Betracht komme, wenn sich die wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse der Partei wesentlich verschlechtert haben, wobei dann allerdings die erneute Bewilligung von Prozeßkostenhilfe nur mit Wirkung ab Antragstellung erfolgen dürfe (OLG Zweibrücken, FamRZ 2002, 1418 , 1419; SchlHOLG , SchlHA 1984, 174 ; Zöller/Philippi, 24. Aufl., § 124, Rn. 26; Zimmermann, Prozeßkostenhilfe in Familiensachen, 2. Aufl., Rn. 496, 230a; vgl. auch Stein/Jonas/Bork, 22. Aufl., § 124, Rn. 30, § 117, Rn. 33).

b) Nach Ansicht des Senats ist bei einer wesentlichen Verschlechterung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse über ein Prozeßkostenhilfegesuch ab Antragstellung erneut zu entscheiden.

Zwar ist dem Beschwerdegericht dahin zu folgen, daß die in § 124 Nr. 4 ZPO angeordnete Sanktion nicht dadurch unterlaufen werden darf, daß nach der Aufhebung der Prozeßkostenhilfe wegen Nichtzahlung der Raten (bei unverändertem Sachstand) erneut Prozeßkostenhilfe bewilligt wird. Die Sanktion reicht aber nicht weiter, als es ihr Anlaß gebietet. § 124 Nr. 4 ZPO sanktioniert die Mißachtung der richterlichen Zahlungsanordnung (§ 120 Abs. 1 ZPO ) durch die Partei. Sie schließt die erneute Bewilligung von Prozeßkostenhilfe für dieselbe Instanz daher nur aus, wenn greifbare Anhaltspunkte eine erneute derartige Mißachtung als möglich erscheinen lassen. Ist dies nicht der Fall oder ist sogar aufgrund der geänderten Verhältnisse Prozeßkostenhilfe ohne die Anordnung einer Ratenzahlung zu bewilligen, kann der Sanktionszweck nicht greifen. Die Verweigerung der Prozeßkostenhilfe würde in diesem Fall ohne ausreichenden sachlichen Grund die bedürftige Partei gegenüber einer vormals nicht bedürftigen Partei unangemessen benachteiligen und ihr die Rechtsverfolgung oder -verteidigung unangemessen erschweren. Die Tatsache, daß infolge der erneuten Bewilligung möglicherweise Gebührentatbestände abgedeckt werden, die bereits früher entstanden waren, führt zu keiner anderen Beurteilung.

3. Die Sache ist demnach an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen. Dieses wird über die sofortige Beschwerde unter Beachtung der vorstehenden Grundsätze zu entscheiden haben.

Vorinstanz: OLG Düsseldorf, vom 08.10.2003
Vorinstanz: LG Mönchengladbach,
Fundstellen
BB 2005, 2435
BGHReport 2005, 1617
FamRZ 2005, 2063
MDR 2006, 225
NJW-RR 2006, 197
Rpfleger 2006, 23
VersR 2005, 1705