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BSG - Entscheidung vom 06.02.2008

B 6 KA 9/07 B

Normen:
GG Art. 103 Abs. 1
SGB V § 98 Abs. 1, 2 Nr. 3
SGB X § 24 Abs. 1
Ärzte-ZV § 37 Abs. 1 S. 1 § 45 Abs. 2, 3

BSG, Beschluss vom 06.02.2008 - Aktenzeichen B 6 KA 9/07 B

DRsp Nr. 2008/8651

Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör bei der Zurückweisung eines Widerspruchs gegen eine Zulassungsentziehung

1. Auch ohne vorherige Durchführung einer mündlichen Verhandlung kann der Widerspruch gegen eine Zulassungsentziehung bei einstimmiger Entscheidung des Berufungsausschusses zurückgewiesen werden. 2. Nur für Gerichtsverfahren gilt das Verfahrensgrundrecht auf rechtliches Gehör gem Art. 103 Abs. 1 GG . [Nicht amtlich veröffentlichte Entscheidung]

Normenkette:

GG Art. 103 Abs. 1 ; SGB V § 98 Abs. 1 , 2 Nr. 3 ; SGB X § 24 Abs. 1 ; Ärzte-ZV § 37 Abs. 1 S. 1 § 45 Abs. 2, 3 ;

Gründe:

I. Streitig ist die Rechtmäßigkeit einer Zulassungsentziehung wegen Nichtausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit.

Der 1957 geborene Kläger erhielt zum 30.9.1993 eine Zulassung als Arzt ohne Gebietsbezeichnung im Bezirk B.. Ab Januar 1996 reduzierte er seine angekündigten Sprechstundenzeiten auf 15 Stunden in der Woche und rechnete gegenüber der zu 1. beigeladenen Kassenärztlichen Vereinigung ab Herbst 1996 durchschnittlich nur noch ca 10 Behandlungsfälle je Quartal ab. Für den Zeitraum vom 24.4.1997 bis 30.9.1998 wurde ihm das Ruhen der Zulassung bewilligt. Anträge des Klägers auf eine Verlängerung des Ruhenszeitraums lehnten die Zulassungsgremien ab; die hiergegen erhobenen Rechtsbehelfe blieben erfolglos (s Senatsbeschluss vom 18.12.2002 - B 6 KA 45/02 B). Im Mai 2000 ermittelte die Beigeladene zu 1., dass der Kläger seine Praxisräume in dem wegen Überversorgung für Neuzulassungen gesperrten Planungsbereich bereits zum 30.4.1997 aufgegeben und seitdem keine Abrechnungen mehr eingereicht hatte. Daraufhin entzog ihm der Zulassungsausschuss im Rahmen der Verhandlung über einen weiteren Ruhensantrag von Amts wegen die Zulassung zur vertragsärztlichen Tätigkeit (Beschluss vom 14.6.2000/Bescheid vom 2.8.2000). Der beklagte Berufungsausschuss wies den mit Schriftsatz vom 27.8.2000 erhobenen und ausführlich begründeten Widerspruch des Klägers durch einstimmig gefassten Beschluss ohne mündliche Verhandlung zurück (Beschluss vom 25.10.2000/Bescheid vom 13.11.2000).

Klage und Berufung gegen die Zulassungsentziehung sind ohne Erfolg geblieben. Im Urteil des Landessozialgerichts (LSG) ist ausgeführt, der Berufungsausschuss, dessen Bescheid allein Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung sei, habe in verfahrensfehlerfreier Weise von seiner Befugnis gemäß § 45 Abs 2 Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) Gebrauch gemacht und den Widerspruch ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung zurückgewiesen. Die Zulassungsentziehung sei auch rechtmäßig, da der Kläger seit Mai 1997 - mithin mehr als neun Jahre - eine vertragsärztliche Tätigkeit nicht mehr ausgeübt habe und dies auch für die unmittelbare Zukunft nicht beabsichtige. Unerheblich sei, dass der Kläger derzeit ein Studium der Rechtswissenschaften absolviere, um eine medizinisch-juristische Doppelqualifikation zu erlangen.

Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG macht der Kläger eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG ).

II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Der Kläger hat zwar in einer den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG genügenden Weise Rechtsfragen als grundsätzlich bedeutsam geltend gemacht; seine Beschwerde ist mithin zulässig. Die Beschwerde ist aber unbegründet, denn eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist nicht gegeben.

Die Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung setzt eine Rechtsfrage voraus, die in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 3 RdNr 13, mwN). Die Klärungsbedürftigkeit fehlt, falls sich die Antwort auf die Rechtsfrage ohne Weiteres aus den Rechtsvorschriften und/oder der bisherigen Rechtsprechung ergibt, und ebenso dann, wenn zwar noch keine Rechtsprechung zu dieser Konstellation, aber Rechtsprechung bereits zu Teilaspekten vorliegt und sich hieraus ohne Weiteres die Beantwortung der Rechtsfrage ableiten lässt (zur Verneinung der Klärungsbedürftigkeit im Falle klarer Antwort siehe zB BSG SozR 3-1500 § 146 Nr 2 S 6; SozR 3-2500 § 75 Nr 8 S 34; SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; vgl auch BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2). Diese Anforderungen sind verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl BVerfG [Kammer], SozR 3-1500 § 160a Nr 6 S 10 f; Nr 7 S 14; SozR 4-1500 § 160a Nr 12 RdNr 3).

Die vom Kläger benannten Rechtsfragen erfüllen diese Voraussetzungen nicht.

Die beiden ersten Fragen sind - zusammengefasst - darauf gerichtet, ob der Berufungsausschuss befugt ist, den Widerspruch gegen eine Zulassungsentziehung gemäß § 45 Abs 2 Ärzte-ZV ohne mündliche Verhandlung zurückzuweisen, oder ob dem die Regelung in § 45 Abs 3 iVm § 37 Abs 1 Ärzte-ZV entgegensteht. Diese Frage bedarf keiner Klärung in einem Revisionsverfahren, weil sich die Antwort ohne Weiteres aus den genannten Rechtsvorschriften ergibt. Hiernach kann auch der Widerspruch gegen eine Zulassungsentziehung bei einstimmiger Entscheidung des Berufungsausschusses ohne vorherige Durchführung einer mündlichen Verhandlung zurückgewiesen werden.

Das von den Zulassungs- und Berufungsausschüssen anzuwendende Verfahren ist auf der Grundlage der Ermächtigungsnorm des § 98 Abs 1 , Abs 2 Nr 3 SGB V in Abschnitt XI (§§ 36 bis 45) der Ärzte-ZV näher geregelt. Davon befassen sich die §§ 36 bis 42 Ärzte-ZV mit dem Verfahren vor dem Zulassungsausschuss, während für das Verfahren vor dem Berufungsausschuss in § 44 und in § 45 Abs 1 und 2 Ärzte-ZV nur wenige Besonderheiten unmittelbar normiert sind und im Übrigen in § 45 Abs 3 Ärzte-ZV eine entsprechende Anwendung der für den Zulassungsausschuss geltenden Verfahrensvorschriften angeordnet ist. Aus diesem systematischen Aufbau ergibt sich ohne Weiteres, dass nach der speziell das Verfahren vor dem Berufungsausschuss regelnden Vorschrift in § 45 Abs 2 Ärzte-ZV in allen vom Berufungsausschuss in zweiter Verwaltungsinstanz zu entscheidenden Angelegenheiten - also auch in den in § 37 Abs 1 Satz 1 Ärzte-ZV bezeichneten Zulassungssachen - eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist, wenn der Widerspruch von den Mitgliedern des Ausschusses einstimmig zurückgewiesen wird (so ausdrücklich Schiller in Schnapp/Wigge, Handbuch des Vertragsarztrechts, 2. Aufl 2006, § 5 RdNr 106). Dies entspricht der vergleichbaren Regelung für das sozialgerichtliche Verfahren in § 153 Abs 4 Satz 2 SGG , die ebenfalls alle Verfahren erfasst und Zulassungsangelegenheiten iS von § 37 Abs 1 Satz 1 Ärzte-ZV nicht ausnimmt. Es spricht nichts dafür, dass die spezielle Vorschrift für das Verfahren vor dem Berufungsausschuss in § 45 Abs 2 Ärzte-ZV in Zulassungssachen - also dem wesentlichen Aufgabenbereich des Berufungsausschusses - generell keine Anwendung finden soll. Würde man dies annehmen, bestünde die Bedeutung des § 45 Abs 2 Ärzte-ZV lediglich darin, für die Nicht-Zulassungsangelegenheiten des § 37 Abs 1 Satz 2 Ärzte-ZV, deren mündliche Verhandlung bereits dem Zulassungsausschuss freigestellt ist, für das Verfahren vor dem Berufungsausschuss ein zusätzliches Erfordernis für ein Absehen von mündlicher Verhandlung - nämlich die Einstimmigkeit im Ausschuss - einzuführen. Für eine solche Regelungsabsicht bietet der Wortlaut des § 45 Abs 2 Ärzte-ZV keinerlei Anhaltspunkte. Demgegenüber zeigt die Praxis in Zulassungsentziehungssachen, dass es im Hinblick auf die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs (§ 96 Abs 4 Satz 2 SGB V ) geboten sein kann, in eindeutigen Konstellationen gegebenenfalls auch ohne mündliche Verhandlung zeitnah über einen Rechtsbehelf des betroffenen Arztes zu entscheiden. Die Möglichkeit zu einer solchen Verfahrensgestaltung eröffnet die Sondervorschrift des § 45 Abs 2 Ärzte-ZV.

Aus dem Umstand, dass das Verfahren vor dem Berufungsausschuss nicht nur der Rechtmäßigkeitskontrolle dient, sondern hier eine umfassende Prüfung der Angelegenheit stattzufinden hat und der Bescheid des Berufungsausschusses den alleinigen Gegenstand eines nachfolgenden Klageverfahrens bildet (vgl BSG SozR 3-2500 § 96 Nr 1 S 5 f), kann nicht abgeleitet werden, dass die Regelung des § 45 Abs 2 Ärzte-ZV in Zulassungssachen nicht anzuwenden wäre (vgl hierzu Schallen, Zulassungsverordnung für Vertragsärzte, Vertragszahnärzte, Medizinische Versorgungszentren, Psychotherapeuten, 5. Aufl 2007, RdNr 1459 f). Denn hinsichtlich Umfang und Intensität der Prüfung durch den Berufungsausschuss gibt es keine Unterschiede in Zulassungssachen und in sonstigen Angelegenheiten. Würde daher bereits die Notwendigkeit einer umfassenden Prüfung durch den Berufungsausschuss dazu führen, dass dieser stets - abweichend vom Grundsatz der Nichtförmlichkeit des Verwaltungsverfahrens (§ 9 SGB X ) - aufgrund mündlicher Verhandlung zu entscheiden hätte, wäre ein praktischer Anwendungsbereich für die Regelung in § 45 Abs 2 Ärzte-ZV nicht mehr gegeben.

Die weitere vom Kläger vorgebrachte - hier sinngemäß zusammengefasste - Rechtsfrage, ob eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör vorliegt, wenn der Berufungsausschuss eine Zulassungsentziehung ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung bestätigt, obwohl bereits vor dem Zulassungsausschuss keine mündliche Verhandlung im Beisein des Vertragsarztes stattfand, ist im vorliegenden Verfahren nicht entscheidungserheblich (klärungsfähig) und kann deshalb ebenfalls nicht zur Revisionszulassung führen.

An der Entscheidungserheblichkeit dieser Rechtsfrage mangelt es schon deshalb, weil das Verfahrensgrundrecht auf rechtliches Gehör gemäß Art 103 Abs 1 GG nach dessen eindeutigem Wortlaut nur für Gerichtsverfahren gilt, hingegen für die vom Kläger beanstandete Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens nicht einschlägig ist (BVerfGE 101, 397 , 404). Für das Verwaltungsverfahren ist vielmehr die Vorschrift zur Anhörung des Betroffenen vor dem Erlass eines belastenden Verwaltungsaktes (§ 24 SGB X ) maßgeblich. Danach muss dem Beteiligten, in dessen Rechte eingegriffen werden soll, Gelegenheit gegeben werden, sich zuvor zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern; eine bestimmte Form ist für diese Anhörung nicht vorgeschrieben (vgl BSG, Urteil vom 31.3.1982 - 4 RJ 21/81 - USK 8250). Diese Gelegenheit zur Äußerung stand dem Kläger jedenfalls im Widerspruchsverfahren vor dem Berufungsausschuss offen (vgl hierzu BSG SozR 4-1300 § 24 Nr 1 RdNr 20, mwN). Er machte von ihr auch Gebrauch, indem er in seinem Schreiben vom 27.8.2000 - berichtigt mit Schreiben vom 29.8.2000 - die aus seiner Sicht gegen die Zulassungsentziehung sprechenden Gründe ausführlich darstellte. Der Beklagte hat sich mit diesem Vorbringen in seinem Bescheid auch auseinandergesetzt, konnte ihm jedoch keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, ab wann der Kläger die Absicht habe, seine vertragsärztliche Tätigkeit wieder aufzunehmen. Damit wurde dem Anhörungserfordernis des § 24 SGB X Genüge getan. Die vom Kläger als rechtsgrundsätzlich bedeutsam geltend gemachte Rechtsfrage stellt sich mithin in der hier zu beurteilenden Fallgestaltung selbst dann nicht, wenn sie im Sinne einer Verletzung der Verpflichtung zu ausreichender Anhörung wohlwollend interpretiert wird. Im Hinblick auf die wirksame Heilung des ursprünglichen Anhörungsmangels durch das Widerspruchsverfahren kommt es zudem auf die vom Kläger im Schriftsatz vom 5.2.2008 erörterten Folgen einer bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens nicht nachgeholten Anhörung nicht an.

Soweit der Kläger im Schriftsatz vom 5.2.2008 erstmals den Zulassungsgrund einer Rechtsprechungsabweichung (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG ) geltend macht, ist die Rüge unzulässig. Zum einen können neue Zulassungsgründe, die erst nach Ablauf der Begründungsfrist des § 160a Abs 2 Satz 1 und 2 SGG vorgebracht werden, nicht mehr berücksichtigt werden (vgl Meyer-Ladewig in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG , 8. Aufl 2005, § 160a RdNr 13d). Zum anderen hat der Kläger keine divergierenden Rechtssätze aus der angefochtenen Entscheidung des LSG bzw aus einer Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) gegenübergestellt. Inwiefern das LSG mit seiner Auslegung des § 45 Abs 2 Ärzte-ZV von einem Rechtssatz des BSG zu den Folgen einer nicht wirksam nachgeholten Anhörung im Rahmen der Entziehung einer Entschädigungsrente für NS-Opfer (BSG SozR 3-1300 § 24 Nr 22) abgewichen sein könnte, wird aus seinen Ausführungen nicht deutlich. Der Hinweis, dass der Rechtsgedanke auf jeden Fall derselbe sei, genügt zur Darlegung einer Rechtsprechungsabweichung nicht.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 160a Abs 4 Satz 3 Halbsatz 2 SGG ab.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 und Abs 4 SGG in der bis zum 1.1.2002 geltenden und hier noch anwendbaren Fassung (vgl BSG SozR 3-2500 § 116 Nr 24 S 116 ff).

Vorinstanz: LSG Berlin-Brandenburg, vom 29.11.2006 - Vorinstanzaktenzeichen L 7 KA 38/04
Vorinstanz: SG Berlin, vom 30.06.2004 - Vorinstanzaktenzeichen S 71 KA 471/00