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BGH - Entscheidung vom 15.04.2008

VIII ZB 127/06

Normen:
ZPO § 520 Abs. 2 S. 1 § 233
GG Art. 103 Abs. 1

BGH, Beschluß vom 15.04.2008 - Aktenzeichen VIII ZB 127/06

DRsp Nr. 2008/11203

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist

Das rechtliche Gehör einer Partei ist verletzt, wenn die Berufung wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist als unzulässig verworfen wird, ohne dass ihr zuvor Gelegenheit zur Stellungnahme gewährt wird.

Normenkette:

ZPO § 520 Abs. 2 S. 1 § 233 ; GG Art. 103 Abs. 1 ;

Gründe:

I. Die Beklagten haben gegen das am 27. Juli 2006 verkündete und ihrem Prozessbevollmächtigten erster Instanz am 10. August 2006 zugestellte Urteil des Amtsgerichts am 18. August 2006 Berufung eingelegt. Eine Berufungsbegründung ist bis zum Ablauf der Berufungsbegründungsfrist nicht zu den Akten gelangt.

Das Landgericht hat die Berufung deshalb durch Beschluss vom 7. November 2006, den Beklagten zugestellt am 16. November 2006, verworfen. Dagegen wenden sich die Beklagten mit ihrer Rechtsbeschwerde. Außerdem haben sie am 20. November 2006 beim Berufungsgericht wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt, über den das Berufungsgericht noch nicht entschieden hat.

II. 1. Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 , § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 , § 575 ZPO ). Ihrer Zulässigkeit steht nicht entgegen, dass noch eine Entscheidung des Berufungsgerichts über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aussteht. Dem die Berufung verwerfenden Beschluss wird im Falle der Bewilligung der Wiedereinsetzung die Grundlage entzogen, damit wird er gegenstandslos. Das Berufungsgericht ist deshalb zwar nicht gehindert, über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu entscheiden. Das steht einem Rechtsschutzbedürfnis der Beklagten für die Rechtsbeschwerde jedoch nicht entgegen, weil dieses Rechtsmittel gegen die Verwerfung der Berufung unabhängig von der zu bewilligenden Wiedereinsetzung schon bei Verletzung eines Verfahrensgrundrechts Erfolg hat (BGH, Beschluss vom 15. August 2007 - XII ZB 101/07, NJW-RR 2007, 1718 , unter II 1).

2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Der angefochtene Beschluss ist rechtsfehlerhaft ergangen, weil das Berufungsgericht die Beklagten vor seiner Entscheidung nicht angehört und damit deren Verfahrensgrundrecht auf rechtliches Gehör verletzt hat.

Zwar sieht § 522 Abs. 1 ZPO im Gegensatz zu § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO für den Fall einer Verwerfung eines unzulässigen Rechtsmittels eine Anhörung der Partei nicht ausdrücklich vor. Die Pflicht zur Anhörung des Rechtsmittelführers folgt jedoch nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 15. August 2007, aaO., unter II 2 b m.w.N.) unmittelbar aus Art. 103 Abs. 1 GG . Danach haben die Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens ein Recht darauf, dass sie Gelegenheit erhalten, sich zu dem einer gerichtlichen Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt zu äußern.

Die Entscheidung des Berufungsgerichts beruht auch auf diesem Fehler, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass es nach Anhörung der Beklagten und einem gegebenenfalls von diesen daraufhin noch vor der Entscheidung gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist anders entschieden hätte.

3. Im Verfahren der Rechtsbeschwerde gegen einen das Rechtsmittel mangels rechtzeitig eingegangener Begründung verwerfenden Beschluss ist regelmäßig nicht zu prüfen, ob Wiedereinsetzungsgründe vorliegen, die der Rechtsmittelführer mit einem nach der Verwerfung seiner Berufung beim Berufungsgericht gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung geltend gemacht hat, solange das Berufungsgericht - wie hier - über das Wiedereinsetzungsgesuch noch nicht entschieden hat (Senatsbeschluss vom 19. September 2006 - VIII ZB 42/05, www.bundesgerichtshof.de, unter II 2; BGH, Beschluss vom 15. August 2007, aaO., unter II 2 a, jeweils m.w.N.). Eine Ausnahme gilt jedoch, wenn die Wiedereinsetzung nach dem Aktenstand ohne weiteres zu gewähren ist (BGH, Urteil vom 4. November 1981 - IVb ZR 625/80, NJW 1982, 1873 , unter II 1; Beschluss vom 12. Mai 1989 - IVb ZB 25/89, NJW-RR 1989, 962 , unter 3 a; Beschluss vom 12. Dezember 2000 - X ZB 17/00, www.bundesgerichtshof.de, unter II 2 b).

So liegt der Fall hier. Die Beklagten haben innerhalb der Frist des § 234 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 ZPO die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt und zugleich die versäumte Prozesshandlung nachgeholt. Sie haben dargelegt und durch eidesstattliche Versicherungen ihres zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten sowie von dessen Mitarbeiterinnen Z. und Sch. glaubhaft gemacht, dass weder sie selbst noch den Prozessbevollmächtigten ein Verschulden an der Fristversäumnis trifft (§§ 233 , 85 Abs. 2 ZPO ), sondern dass die Berufungsbegründungsschrift von diesem bereits am 29. August 2006 - also lange vor Ablauf der Frist des § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO am 10. Oktober 2006 - gefertigt und noch am selben Tag zur Post aufgegeben worden ist. Dass sie nicht zu den Akten der Berufungskammer gelangt ist, kann deshalb nur durch den Postlauf begründet sein oder auf einem Versehen des Gerichts beruhen.

III. Nach alledem ist der angefochtene Beschluss aufzuheben und den Beklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren. Die Sache ist zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO ).

Vorinstanz: LG Berlin, vom 07.11.2006 - Vorinstanzaktenzeichen 63 S 283/06
Vorinstanz: AG Berlin-Schöneberg, vom 27.07.2006 - Vorinstanzaktenzeichen 107 C 602/05