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BSG - Entscheidung vom 03.05.2006

B 12 P 1/06 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 § 160a Abs. 2 S. 3

BSG, Beschluß vom 03.05.2006 - Aktenzeichen B 12 P 1/06 B

DRsp Nr. 2006/20448

Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde

Die Feststellung der Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage erfordert die Darlegung, dass die aufgeworfenen Fragen durch einschlägige Entscheidungen des Senats noch nicht geklärt sind, dh diese keine ausreichenden Anhaltspunkte zur Beurteilung der von ihm als grundsätzlich herausgestellten Fragen geben, oder warum sie erneut klärungsbedürftig geworden sind. [Nicht amtlich veröffentlichte Entscheidung]

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 § 160a Abs. 2 S. 3 ;

Gründe:

I. Die Kläger streiten als Rechtsnachfolger mit der beklagten Pflegekasse darüber, ob die während des Berufungsverfahrens verstorbene M S (M.S.) durch Beitritt freiwilliges Mitglied der Beklagten geworden ist. Im Mai 2002 wandte das Sozialamt des beigeladenen Landkreises M.S. einen Betrag in Höhe von 10.000 EUR ohne Verpflichtung zur Rückzahlung zu und teilte ihr mit, dass es die bis dahin gewährten Leistungen im Rahmen der Hilfe zur Pflege bei stationärer Unterbringung zum Juni 2002 einstellen werde, weil M.S. nunmehr über Vermögen verfüge und nicht mehr sozialhilfebedürftig sei. Im Juni 2002 erklärte M.S. über ihren Betreuer gegenüber der Beklagten den Beitritt zur freiwilligen Pflegeversicherung. Mit Bescheid und Widerspruchsbescheid stellte die Beklagte daraufhin fest, dass ein Beitrittsrecht nicht bestehe, weil M.S. Sozialhilfebezieherin sei und die Zuwendung hieran nichts ändere. Klage und Berufung blieben erfolglos. Zur Begründung seines Urteils vom 16. Dezember 2005 hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg im Wesentlichen ausgeführt, dass die Geldzuwendung im Ergebnis nicht dazu geführt habe, dass M.S. zum Beitrittszeitpunkt nicht sozialhilfebedürftig gewesen sei und den Ausschließungstatbestand des § 26a Abs 1 Satz 2 des Elften Buches Sozialgesetzbuch - Soziale Pflegeversicherung ( SGB XI ) nicht erfüllt habe. Der Beigeladene habe eine dem Grunde nach bestehende Bedürftigkeit, die an sich zu einem dauerhaften Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt geführt habe, nur zu dem Zweck vorübergehend beseitigt wissen wollen, um M.S. eine Versicherung in der sozialen Pflegeversicherung zu verschaffen, um seine eigene Leistungsverpflichtung zu Lasten der Versichertengemeinschaft der Pflegeversicherten zu minimieren. Angesichts dessen stelle sich die Zuwendung als rechtsmissbräuchlich dar mit der Folge, dass die Zahlung rechtlich so zu behandeln sei, als sei sie nicht geleistet worden, und M.S. als fortlaufend sozialhilfebedürftig anzusehen sei.

Gegen die Nichtzulassung der Revision im genannten Urteil hat nur der Beigeladene Beschwerde eingelegt.

II. Die Beschwerde des Beigeladenen ist in entsprechender Anwendung von § 169 Satz 2 und 3 Sozialgerichtsgesetz ( SGG ) als unzulässig zu verwerfen.

Der Senat kann offen lassen, ob der Landkreis als iS von § 75 Abs 1 SGG einfach Beigeladener in einem Revisionsverfahren einwenden könnte, durch das ihm nachteilige Berufungsurteil in eigenen subjektiven Rechten verletzt zu sein, mithin in einem Revisionsverfahren überhaupt rechtsmittelbefugt wäre und seine Nichtzulassungsbeschwerde nicht schon aus diesem Grund erfolglos bleiben müsste. Denn jedenfalls hat der Beigeladene in der Begründung des Rechtsmittels entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.

Das Bundessozialgericht (BSG) darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn

- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder

- das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder

- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).

Den von ihm einzig in Betracht gezogenen Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) hat der Beigeladene nicht ausreichend dargelegt. Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache lässt sich nur darlegen, indem die Beschwerdebegründung ausführt, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 60 und 65; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 16 mwN - stRspr; BVerwG NJW 1999, 304 ; vgl auch BVerfG SozR 3-1500 § 160a Nr 7). Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne weiteres zu beantworten ist und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtslage im Allgemeininteresse vornehmen soll (BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 31). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.

Der Beigeladene hält folgende Fragen für grundsätzlich bedeutsam:

1. Ist § 26a Abs 1 Satz 2 SGB XI als Ausnahmevorschrift überhaupt einer den Anwendungsbereich erweiternden Rechtsfortbildung zugänglich?

2. Ist es prinzipiell möglich, dass ein objektives Nichtvorliegen des Ausschlusstatbestandes des § 26a Abs 1 Satz 2 SGB XI auf Grund äußerer, nicht vom Regelungsbereich der Norm umfasster Umstände als unerheblich angesehen wird?

3. Dürfen die Pflegeversicherungen den Beitritt von einer Bewertung abhängig machen, ob die Herkunft des den Ausschlusstatbestand des § 26a Abs 1 Satz 2 SGB XI ausschließenden Vermögens des Beitrittswilligen moralisch zu billigen ist?

4. Dürfen die Pflegeversicherungen, allgemeiner gesehen, den Beitritt von einer moralischen Einschätzung des Beitrittswilligen insgesamt abhängig machen?

5. Dürfen bei der Würdigung äußerer Umstände im Rahmen des § 26a Abs 1 Satz 2 SGB XI auch hypothetische Geschehensabläufe in die Bewertung einfließen?

6. Wo sind gegebenenfalls die Grenzen einer erst den Beitritt zur Pflegeversicherung ermöglichenden rechtlichen Gestaltung?

Der Beigeladene hält diese Fragen auch für klärungsbedürftig, weil bislang höchstrichterlich nicht entschieden sei, ob die vom LSG "über dessen Wortlaut hinaus vorgenommene Auslegung" des § 26a Abs 1 Satz 2 SGB XI zulässig sei bzw ob "es die Vorschrift des § 26a Abs 1 Satz 2 SGB XI prinzipiell zulasse, ihre Voraussetzungen auch bei deren objektiven Nichtvorliegen mit Blick auf äußere Umstände oder Absichten und Handlungen Dritter zu fingieren", bzw wie die "Reichweite" des § 26a Abs 1 Satz 2 SGB XI zu bestimmen sei.

Der Senat kann offen lassen, ob der Beigeladene damit hinreichend konkrete Rechtsfragen gestellt hat. Denn die Unzulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde folgt jedenfalls aus dem Fehlen ausreichender Darlegungen dazu, dass die angestrebte Revisionsentscheidung in rechtlicher Hinsicht über den Einzelfall hinausgehende allgemeine Bedeutung besitzt. Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht, ob das LSG den Rechtsstreit richtig entschieden hat. Gerade das macht aber der Beigeladene im Kern zum Gegenstand seiner Nichtzulassungsbeschwerde. Zwar hat er zur Frage der allgemeinen Bedeutung der Rechtssache Stellung genommen und hierzu Fragen formuliert. Jedoch läuft sein Vorbringen in der Beschwerdebegründung darauf hinaus, dass er die im konkreten Fall vom Berufungsgericht vorgenommene Würdigung, seine Zuwendung habe sich als rechtsmissbräuchlich dargestellt, durch seine eigene Würdigung, dass diese das Beitrittshindernis des § 26a Abs 1 Satz 2 SGB XI in zulässiger Weise beseitigt habe, ersetzt sehen will. Die Zulassung der Revision ist nicht eröffnet, wenn die Beurteilung einer Sache ausschlaggebend von der Würdigung der Umstände des konkreten Falls abhängt und sie infolgedessen gerade nicht auf eine Rechtsfrage führt, die sich in verallgemeinerungsfähiger Weise klären lässt (grundlegend BSG SozR 1500 § 160a Nr 7; BVerwG Buchholz 310 § 132 VwGO Nr 193).

Selbst wenn unterstellt wird, der Beigeladene habe mit den von ihm aufgeworfenen Fragen die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der Rechtssache in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG erforderlichen Weise dargelegt, ist die Nichtzulassungsbeschwerde deshalb unzulässig, weil er die Klärungsbedürftigkeit dieser Frage nicht dargetan hat. Der erkennende Senat hat sich im Jahre 2005 in zwei Entscheidungen - vom 18. Mai 2005 ( B 12 P 3/04 R - juris-Nr KSRE 020231514) und 21. September 2005 ( B 12 P 6/04 R - juris-Nr KSRE 020831514) - mit dem Ausschluss des Beitrittsrechts zur sozialen Pflegeversicherung nach § 26a Abs 1 Satz 2 SGB XI befasst. Im Urteil vom 18. Mai 2005 hat er entschieden, dass Personen, die Hilfe zum Lebensunterhalt im Rahmen der Gewährung von Hilfe zur Pflege bei stationärer Unterbringung erhalten, der sozialen Pflegeversicherung nicht beitreten können. Im Urteil vom 21. September 2005 hat er einen Ausschluss des Beitrittsrechts nach § 26a Abs 1 Satz 2 SGB XI auch für Personen angenommen, die Leistungen nach dem Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung beziehen. In der letztgenannten Entscheidung hat der Senat - zur Auslegung des Ausschlusstatbestandes des § 26a Abs 1 Satz 2, Regelung 2 SGB XI und dessen verfassungsrechtlicher Bewertung - darauf hingewiesen, dass das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seinem zur Einfügung des § 26a in das SGB XI führenden Urteil vom 3. April 2001 (BVerfGE 103, 225 = SozR 3-3300 § 20 Nr 6) die bisherige Abgrenzung des Zuständigkeitsbereichs der Träger der gesetzlichen Pflegeversicherung von dem der (übrigen) Sozialleistungsträger, insbesondere des Sozialhilfeträgers, nicht verändert wissen bzw den Auftrag zur Neuregelung des Zugangs zur Pflegeversicherung auf Personen begrenzen wollte, die nicht bereits "bei einem Sozialleistungsträger" erfasst sind. Er hat weiter ausgeführt, dass die zwischen den einzelnen Bereichen bestehende Systemabgrenzung ersichtlich auch durch § 26a SGB XI nicht angetastet werden sollte. Der Senat hat in dieser Entscheidung an einer anderen Stelle für die Beitrittsberechtigung abstrakt darauf abgestellt, ob ein Beitrittswilliger bereits dem Zuständigkeitsbereich eines anderen Sozialleistungsträgers "zugeordnet" ist, und unter Hínweis auf die Gesetzesmaterialien (BT-Drucks 14/7473 S 20) dargelegt, dass die zuständigen Sozialleistungsträger durch die Schaffung des Beitrittsrechts nach § 26a SGB XI nicht entlastet werden sollten. Schließlich hat der Senat in der genannten Entscheidung eine wirtschaftliche Betrachtungsweise zu Grunde gelegt und für unmaßgeblich gehalten, ob ein Beitrittswilliger durch Einschränkung seiner Lebensführung Beträge für Pflegeversicherungsbeiträge aus ihm gewährten Grundsicherungsleistungen abzweigen könnte, weil auch diese Zahlungen wirtschaftlich stets aus öffentlichen Zuwendungen erfolgten. Der Beigeladene hat sich - obwohl diese teilweise im Berufungsurteil benannt sind - weder mit den beiden Entscheidungen des BSG noch mit dem Urteil des BVerfG auseinander gesetzt. Er hat nicht dargetan, dass die aufgeworfenen Fragen zur Auslegung des § 26a Abs 1 Satz 2 SGB XI durch diese Entscheidungen noch nicht geklärt sind, dh diese keine ausreichenden Anhaltspunkte zur Beurteilung der von ihm als grundsätzlich herausgestellten Fragen geben, oder warum sie erneut klärungsbedürftig geworden sind.

Zur Frage 6. fehlten darüber hinaus Darlegungen des Beigeladenen dazu, dass eine solche Rechtsfrage klärungsfähig, dh sie im Falle der Zulassung der Revision entscheidungserheblich wäre. Die Frage, wo "die Grenzen der Vorschrift" oder "die Grenzen einer erst den Beitritt zur Pflegeversicherung ermöglichenden rechtlichen Gestaltung" liegen oder "wonach sich beurteilt, welche Umstände im Rahmen des § 26a Abs 1 Satz 2 SGB XI dazu führen können, dass die Ausschlussvoraussetzungen dennoch fingiert werden dürfen", wäre im zu entscheidenden Streitfall nicht rechtserheblich. Die Klärung abstrakter Rechtsfragen kann in einem Revisionsverfahren nicht erreicht werden.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 160a Abs 4 Satz 3 Halbsatz 2 SGG abgesehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG iVm § 154 der Verwaltungsgerichtsordnung .

Der Streitwert entspricht dem Regelstreitwert nach § 52 Abs 2 Gerichtskostengesetz .

Vorinstanz: LSG Baden-Württemberg, vom 16.12.2005 - Vorinstanzaktenzeichen L 4 P 4569/03
Vorinstanz: SG Reutlingen, vom 08.09.2003 - Vorinstanzaktenzeichen S 9 P 3158/02