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Nutzung als Fluchtweg ist wichtiger als Sondernutzungsrecht

Entscheidungsbesprechung mit Praxishinweis: Einschränkung des Sondernutzungsrechts an einer Gemeinschaftsfläche zur Nutzung als Fluchtweg.

OLG Hamm, Beschl. vom 03.08.2009 – I-15 Wx 288/08

Leitsatz:

Die Wohnungseigentümer können im Einzelfall durch Stimmenmehrheit eine Gebrauchsregelung treffen, nach der eine im Sondernutzungsrecht eines einzelnen Wohnungseigentümers stehende Gemeinschaftsfläche im Notfall als Fluchtweg genutzt werden kann.

Darum geht es:

In einer WEG- Anlage war dem Wohnungseigentümer einer Penthouse-Wohnung ein Sondernutzungsrecht an einer vor der Wohnung befindlichen Brücke eingeräumt worden. Durch diese Brücke wurden zwei Treppenhäuser miteinander verbunden. Die zur Brücke führenden Türen waren verschlossen, damit der Eigentümer nicht durch die Fenster beobachtet werden konnte. Die übrigen Eigentümer wollten auch einen Schlüssel für die Türen haben, um die Brücke im Notfall als Fluchtweg nutzen zu können. Sie beschlossen daher, dass sie mit einem Schließzylinder der vorhandenen Schließanlage ausgestattet werden sollen, zu denen jeder Eigentümer einen passenden Schlüssel hat. Hiermit war der Eigentümer der Penthouse Wohnung nicht einverstanden.

Wesentliche Entscheidungsgründe:

Das OLG Hamm entschied, dass die übrigen Wohnungseigentümer das Sondernutzungsrecht eines einzelnen Wohnungseigentümers an einer Gemeinschaftsfläche grundsätzlich durch eine Gebrauchsregelung im Sinne des § 15 Abs. 2 WEG einschränken dürfen, um diese im Notfall als Fluchtweg zu benutzen. Gleichwohl sah es den konkret gefassten Beschluss als unwirksam an.

Recht zur Mitnutzung von Sondereigentum an Gemeinschaftsflächen als Fluchtweg
Die generelle Befugnis der Eigentümergemeinschaft zu einer solchen Gebrauchsregelung ergibt sich aus Folgendem: zwar hat normalerweise der Rechtsinhaber aufgrund eines Sondernutzungsrechts die Befugnis, andere Eigentümer von dem Gebrauch auszuschließen. Diese dürfen aber den allgemeinen Gebrauch regeln, soweit es sich – wie im vorliegenden Fall- bei dem Gegenstand des Sondernutzungsrechts um Gemeinschaftseigentum handelt. Aus dem aus § 14 Nr. 1 WEG herzuleitenden Grundsatz der Rücksichtnahme kann sich unter Umständen ergeben, dass der Inhaber des Sondernutzungsrechts eine Mitnutzung hinnehmen muss. Hierzu bedarf es eine Abwägung der Interessen von den Beteiligten im jeweiligen Einzelfall.

Im zugrundeliegenden Sachverhalt sind die anderen Wohnungseigentümer im Notfall drauf angewiesen, dass sie die Brücke als Fluchtweg nutzen können. Dieses Interesse wiegt höher als das Recht des Penthouseeigentümers auf einen ungestörten und unbeobachteten Aufenthalt in seiner Wohnung.

Anforderungen an eine Gebrauchsregelung
Diese Gebrauchsregelung ist allerdings nur unter den folgenden beiden Voraussetzungen wirksam beschlossen worden:

  • der Regelungsgegenstand ist inhaltlich bestimmt genug
  • der Eigentümerbeschluss muss dazu geeignet sein, die mit der Regelung verbundenen Absichten auch umzusetzen.

Der Regelungsgegenstand ist nur dann hinreichend bestimmt, wenn sich aus dem WEG- Beschluss genau ergibt, wann die übrigen Wohnungseigentümer die Brücke betreten und worin die dann erlaubte Art der Mitnutzung besteht. Dies ist im zugrundeliegenden Sachverhalt zu verneinen, weil der Eigentümerbeschluss hierzu keine Angaben enthält.

Eine hinreichende Eignung zur Nutzung als Fluchtweg liegt nur dann vor, wenn die Brücke aufgrund der vorgenommen Regelung auch im Ernstfall für alle Betroffenen zur Verfügung steht. Dieser Zweck wird nicht gewahrt, wenn die Türen nur durch die Eigentümer mittels eines mitgeführten Schlüssels geöffnet werden können. Dadurch können nämlich im Notfall nur die Personen flüchten, die dann einen Schlüssel bei sich tragen.

Folglich ist der konkret gefasste Beschluss der Wohnungseigentümer hier — trotz seiner generellen Berechtigung — unwirksam.

Praxishinweise:

WEG-Eigentümer sollten darauf aufmerksam gemacht werden, dass derartige Gebrauchsregelungen sehr sorgfältig verfasst werden müssen. Dabei müssen sie dem Bestimmtheitsgrundsatz sowie dem damit verfolgten Zweck hinreichend gerecht werden. Einerseits muss genau aufgezeigt werden, in welchen Situationen und zu welchem Zweck eine Mitnutzung erlaubt ist. Darüber hinaus muss bei der geplanten Nutzung als Fluchtweg auch gewährleistet sein, dass allen Betroffenen diese Nutzungsmöglichkeit offen steht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass bei der Umsetzung des gefassten Beschlusses nicht nur im Hause befindliche Fremde und Angehörige der Wohnungseigentümer über keine Fluchtmöglichkeit verfügen würden. Auch viele Wohnungseigentümer würden aufgrund der aufkommenden Panik — und der mit einem Brand verbundenen Rauchentwicklung — kaum ihren Schlüssel finden.

Ferner ist zu bedenken, dass der Fluchtweg nicht zwingend aufgrund von Brandschutzbestimmungen z.B. in der jeweiligen Landesbauordnung vorgeschrieben sein muss. Die Eignung als Fluchtweg reicht gewöhnlich aus. Zu bedenken ist, dass bei einem Brand schnell ein Treppenhaus versperrt sein kann. Hier ist es für die Betroffenen wichtig, dass sie in ein anderes Treppenhaus ausweichen können.

Schließlich ist zu berücksichtigen, dass die Unwirksamkeit des Beschlusses ärgerliche Konsequenzen hat: Die Eigentümerversammlung muss sich erneut mit der Materie beschäftigen und eine Mehrheitsentscheidung treffen - was eine sehr zeitraubende Angelegenheit ist.

WEG Eigentümerversammlungen ist daher in einem vergleichbaren Fall Folgendes anzuraten:
Entweder beschließen sie, dass die Türen zu der Brücke unverschlossen bleiben. Hierfür spricht, dass der betroffene Eigentümer dadurch nicht in seiner Sicherheit gefährdet wird, weil er ja über eine verschließbare Wohnungstüre verfügt.
Eine andere Möglichkeit besteht darin, dass die Türen mit einem Mechanismus versehen werden, durch den sie im Notfall durch alle im Haus befindlichen Personen geöffnet werden können.