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BGH - Entscheidung vom 17.01.2024

IV ZR 198/22

Normen:
VVG § 203 Abs. 2 S. 4
VAG § 155 Abs. 3 S. 2
BGB § 307 Abs. 1 S. 1

BGH, Urteil vom 17.01.2024 - Aktenzeichen IV ZR 198/22

DRsp Nr. 2024/1837

Wirksamkeit von Beitragserhöhungen in einer privaten Krankenversicherung

1. Die Regelungen in § 8b MB/KK 2009 zu den Voraussetzungen einer Prämienanpassung steheneiner Anwendung des niedrigeren Schwellenwertes für eine Prämienanpassung aus den Tarifbedingungen des Versicherers nicht entgegen. 2. Die Unwirksamkeit des § 8b Abs. 2 MB/KK 2009 lässt die Wirksamkeit von § 8b Abs. 1 MB/KK 2009 unberührt. 3. Eine Prämienanpassungsklausel, nach welcher der Versicherer die Beiträge bei einer Abweichung der erforderlichen von den kalkulierten Versicherungsleistungen um mehr als fünf Prozent überprüfen und anpassen kann, aber nicht muss, weicht nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers von § 203 Abs. 2 S. 4 VVG in Verbindung mit § 155 Abs. 3 S. 2 VAG ab und benachteiligt diesen auch nicht unangemessen gemäß § 307 Abs. 1 S. 1 BGB .

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 29. April 2022 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 3.000 € festgesetzt.

Normenkette:

VVG § 203 Abs. 2 S. 4; VAG § 155 Abs. 3 S. 2; BGB § 307 Abs. 1 S. 1;

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von Beitragserhöhungen in einer privaten Krankenversicherung.

Der Kläger hält eine Krankenversicherung bei der Beklagten. In den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (im Folgenden: AVB), die dem Vertrag zugrunde liegen, heißt es, wobei die Tarifbedingungen kursiv gedruckt sind:

"§ 8b Beitragsanpassung

1. Im Rahmen der vertraglichen Leistungszusage können sich die Leistungen des Versicherers z.B. wegen steigender Heilbehandlungskosten, einer häufigeren Inanspruchnahme medizinischer Leistungen oder aufgrund steigender Lebenserwartung ändern. Dementsprechend vergleicht der Versicherer zumindest jährlich für jeden Tarif die erforderlichen mit den in den technischen Berechnungsgrundlagen kalkulierten Versicherungsleistungen und Sterbewahrscheinlichkeiten. Ergibt diese Gegenüberstellung für eine Beobachtungseinheit eines Tarifs eine Abweichung von mehr als dem gesetzlich oder tariflich festgelegten Vomhundertsatz, werden alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit vom Versicherer überprüft und, soweit erforderlich, mit Zustimmung des Treuhänders angepasst. [...]

2. Von einer Beitragsanpassung kann abgesehen werden, wenn nach übereinstimmender Beurteilung durch den Versicherer und den Treuhänder die Veränderung der Versicherungsleistungen als vorübergehend anzusehen ist.

[...]

4. Ergibt die Gegenüberstellung nach Absatz 1 Satz 2 bei den Versicherungsleistungen eine Abweichung von mehr als 10 %, werden alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit vom Versicherer überprüft und, soweit erforderlich, mit Zustimmung des Treuhänders angepasst; bei einer Abweichung von mehr als 5 % können alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit vom Versicherer überprüft und, soweit erforderlich, mit Zustimmung des Treuhänders angepasst werden. Ergibt die Gegenüberstellung nach Absatz 1 Satz 2 bei der Sterbewahrscheinlichkeit eine Abweichung von mehr als 5 %, werden alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit vom Versicherer überprüft und mit Zustimmung des Treuhänders angepasst."

Die Beklagte teilte dem Kläger unter anderem Beitragserhöhungen zum 1. April 2017 im Tarif Z um 4,12 € und im Tarif A um 17,12 € sowie zum 1. April 2018 im Tarif S um 38,56 € mit.

Soweit für die Revision noch von Interesse, hat der Kläger mit seiner Klage die Rückzahlung der auf die genannten sowie weitere E rhöhungen entfallenden Prämienanteile in Höhe von zuletzt 3.193,69 € nebst Zinsen sowie die Feststellung begehrt, dass die Beklagte die Nutzungen, die sie aus den auf die Beitragserhöhungen gezahlten Prämienanteilen gezogen hat, herauszugeben und zu verzinsen hat. Außerdem hat er die Feststellung beantragt, dass die Beitragserhöhungen unwirksam sind und er nicht zur Zahlung des jeweiligen Erhöhungsbetrages verpflichtet ist.

Das Landgericht hat die Beklagte unter Abweisung der weitergehenden Klage zur Zahlung von 2.854,05 € nebst Zinsen ab dem 15. Januar 2021 verurteilt. Weiter hat es festgestellt, dass unter anderem die oben genannten Beitragserhöhungen unwirksam sind und der Kläger nicht zur Zahlung des jeweiligen Erhöhungsbetrages verpflichtet ist. Außerdem hat es festgestellt, dass die Beklagte dem Kläger zur Herausgabe der Nutzungen verpflichtet ist, die sie bis zum 14. Januar 2021 aus den Prämienanteilen gezogen hat, die der Kläger auf die unwirksamen Beitragserhöhungen gezahlt hat. Auf die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht, soweit für die Revision noch von Interesse, das Urteil unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels dahingehend abgeändert, dass die Unwirksamkeit der Erhöhung im Tarif S zum 1. April 2018 und die fehlende Verpflichtung zur Zahlung des Erhöhungsbetrages nur bis zum 31. März 2019 festgestellt worden ist und die Beklagte zur Zahlung von 1.376,04 € nebst Zinsen ab dem 15. Januar 2021 verurteilt worden ist.

Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf vollständige Klageabweisung weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I. Das Berufungsgericht ist der Ansicht, dass die Beitragserhöhungen zum 1. April 2017 und 1. April 2018 unwirksam seien. Da die Veränderung der Rechnungsgrundlage Versicherungsleistungen bei diesen Beitragsanpassungen über 5 %, aber unter dem gesetzlichen Schwellenwert von 10 % liege, wären diese nur dann wirksam, wenn sie auf der Grundlage von § 8b AVB hätten erfolgen können. Dessen Unwirksamkeit ergebe sich daraus, dass nach den gesetzlichen Vorschriften eine Beitragsanpassung nur zulässig sei, wenn die Veränderung nicht nur vorübergehender Art sei. Unabhängig davon räume die Klausel bei einer Abweichung im Bereich zwischen "mehr als 5 %" und bis zu 10 % dem Versicherer ein Ermessen in Bezug auf die Überprüfung und Anpassung der Beiträge ein, was der geltenden gesetzlichen Regelung widerspreche und die Vertragspartner der Beklagten im Sinne des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unangemessen benachteilige. Aus der Unwirksamkeit der Erhöhungen folge die Verpflichtung zur Rückzahlung der darauf gezahlten Beiträge sowie zur Herausgabe der hieraus gezogenen Nutzungen im zugesprochenen Umfang.

II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat zu Unrecht die Prämienerhöhungen mit der Begründung für unwirksam gehalten, dass es für diese an einer wirksamen Prämienanpassungsklausel fehle.

1. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils mit Urteil vom 22. Juni 2022 ( IV ZR 253/20, VersR 2022, 1078 ) entschieden und im Einzelnen begründet hat, stehen die - insoweit den hier zugrundeliegenden Versicherungsbedingungen vergleichbaren - Regelungen in § 8b MB/KK 2009 zu den Voraussetzungen einer Prämienanpassung einer Anwendung des niedrigeren Schwellenwertes für eine Prämienanpassung aus den Tarifbedingungen des Versicherers nicht entgegen. Zwar ist § 8b Abs. 2 MB/KK 2009, der inhaltlich § 8b Abs. 2 AVB entspricht, unwirksam, aber dies lässt die Wirksamkeit von § 8b Abs. 1 MB/KK 2009 - und ebenso von Absatz 1 der hier zugrundeliegenden Klausel - unberührt (vgl. Senatsurteil vom 22. Juni 2022 aaO Rn. 31 ff.).

2. Der Senat hat außerdem mit Urteil vom 12. Juli 2023 ( IV ZR 347/22, VersR 2023, 1222 ) entschieden und im Einzelnen begründet, dass eine Prämienanpassungsklausel, - wie hier § 8b Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 2 AVB - nach welcher der Versicherer die Beiträge bei einer Abweichung der erforderlichen von den kalkulierten Versicherungsleistungen um mehr als fünf Prozent überprüfen und anpassen kann, aber nicht muss, nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers von § 203 Abs. 2 Satz 4 VVG in Verbindung mit § 155 Abs. 3 Satz 2 VAG abweicht und diesen auch nicht gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unangemessen benachteiligt (vgl. Senatsurteil vom 12. Juli 2023 aaO Rn. 16, 20).

III. Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück zuverweisen, weil sich dieses - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - nicht mit der Frage der formellen Rechtmäßigkeit der Prämienanpassungen befasst hat. Das wird nachzuholen sein.

Von Rechts wegen

Verkündet am: 17. Januar 2024

Vorinstanz: LG Aachen, vom 22.10.2021 - Vorinstanzaktenzeichen 9 O 431/20
Vorinstanz: OLG Köln, vom 29.04.2022 - Vorinstanzaktenzeichen 20 U 248/21