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BGH - Entscheidung vom 29.02.2024

VII ZR 729/21

Normen:
BGB § 823 Abs. 2
BGB § 826
EG-FGV § 6 Abs. 1
EG-FGV § 27 Abs. 1

BGH, Urteil vom 29.02.2024 - Aktenzeichen VII ZR 729/21

DRsp Nr. 2024/5543

Schadensersatzanspruch eines Käufers eines Gebrauchtfahrzeugs gegen den Hersteller wegen Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen; Haftung des Herstellers auf Ersatz des Differenzschadens

Die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV stellen Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB dar, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist. Einem betroffenen Fahrzeugkäufer kann deshalb nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 24. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 10. Juni 2021 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Klage betreffend eine deliktische Schädigung des Klägers durch das Inverkehrbringen des in seinen Klageanträgen näher bezeichneten Fahrzeugs abgewiesen worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis zu 22.000 € festgesetzt.

Normenkette:

BGB § 823 Abs. 2 ; BGB § 826 ; EG-FGV § 6 Abs. 1; EG-FGV § 27 Abs. 1;

Tatbestand

Der Kläger nimmt die Beklagte hinsichtlich eines von ihm im Juni 2018 von der Beklagten als Gebrauchtwagen erworbenen und von ihr hergestellten Fahrzeugs Mercedes Benz GLK 200 CDI in Anspruch. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs OM 651 (Euro 5) ausgestattet. Die Abgasrückführung erfolgt unter anderem temperaturgesteuert mittels eines sogenannten Thermofensters.

Der Kläger ist der Auffassung, die Beklagte habe ihn im Wege des Schadensersatzes so zu stellen, als habe er den Kaufvertrag für das Fahrzeug nicht abgeschlossen. Mit der Klage hat er zuletzt die Rückzahlung des um eine Nutzungsentschädigung reduzierten Kaufpreises nebst Prozesszinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs, die Feststellung, dass sich die Beklagte im Annahmeverzug befinde, und die Feststellung der Erledigung des Rechtsstreits im Übrigen verlangt.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen eingelegte Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg. Mit der vom Kläger auf deliktsrechtliche Ansprüche beschränkten und vom Senat im Umfang der Anfechtung zugelassenen Revision verfolgt er seine Klageanträge weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision hat Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung, wie folgt begründet:

Deliktsrechtliche Ansprüche auf Rückabwicklung des Kaufvertrags stünden dem Kläger nicht zu. Eine Haftung der Beklagten aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 scheide mangels Schutzgesetzeigenschaft der Normen aus. Es könne offenbleiben, ob es sich bei der temperaturabhängigen Steuerung der Abgasrückführung (Thermofenster) um eine unzulässige Abschalteinrichtung handele. Eine Inanspruchnahme gemäß § 826 BGB scheitere daran, dass das Inverkehrbringen des damit ausgestatteten Klägerfahrzeugs nicht sittenwidrig gewesen sei. Dies gelte auch hinsichtlich der erstmals mit der Berufung aufgestellten Behauptung, das Klägerfahrzeug verfüge über eine unzulässige Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR). Der Klägervortrag sei insoweit schon widersprüchlich und zudem gemäß § 531 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt im Umfang der Anfechtung zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

1. Allerdings begegnet es auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen keinen revisionsrechtlichen Zweifeln, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten gemäß §§ 826 , 31 BGB und gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB mangels vorsätzlichen (und sittenwidrigen) Verhaltens verneint hat. Hieran ist das Revisionsgericht gemäß § 559 Abs. 2 ZPO in Ermangelung eines zulässigen und begründeten Revisionsangriffs gebunden. Die Revision zeigt nicht auf, dass dem Berufungsgericht bei der Würdigung der von ihm festgestellten Tatsachen und des von ihm als zutreffend unterstellten Sachvortrags des Klägers ein Rechtsfehler unterlaufen wäre (vgl. zur eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfung BGH, Urteil vom 25. November 2021 - VII ZR 257/20 Rn. 32 m.w.N., WM 2022, 87 ). Sie legt auch nicht dar, dass das Berufungsgericht relevanten Sachvortrag oder Beweisantritte des darlegungs- und beweisbelasteten Klägers (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juli 2021 - VI ZR 128/20 Rn. 14, VersR 2021, 1252 ; Beschluss vom 19. Januar 2021 - VI ZR 433/19 Rn. 19, NJW 2021, 921 ; Beschluss vom 9. März 2021 - VI ZR 889/20 Rn. 29, NJW 2021, 1814 ; Beschluss vom 14. März 2022 - VIa ZR 51/21 Rn. 21, juris) übergangen hätte.

2. Im Lichte der nach Erlass der Entscheidung des Berufungsgerichts ergangenen neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann allerdings eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV auf Ersatz des Differenzschadens nicht ausgeschlossen werden (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 ).

Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26. Juni 2023 entschieden, dass von § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nach der gebotenen unionsrechtlichen Lesart das Interesse des Käufers geschützt ist, durch den Abschluss eines Kaufvertrags über ein Kraftfahrzeug nicht wegen eines Verstoßes des Fahrzeugherstellers gegen das europäische Abgasrecht eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden. Der Gerichtshof der Europäischen Union habe in seinem Urteil vom 21. März 2023 (Az. C-100/21) Art. 3 Nr. 36, Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46/EG im Sinne des Schutzes auch der individuellen Interessen des Käufers eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) Nr. 715/2007 ausgerüsteten Kraftfahrzeugs gegenüber dem Fahrzeughersteller ausgelegt. Den Schutz der individuellen Interessen des Fahrzeugkäufers im Verhältnis zum Hersteller habe er dabei aus der in Art. 26 Abs. 1 der Richtlinie 2007/46/EG vorgesehenen Beifügung einer Übereinstimmungsbescheinigung für die Zulassung, den Verkauf oder die Inbetriebnahme des Fahrzeugs abgeleitet. Der Gerichtshof der Europäischen Union habe das auf der Übereinstimmungsbescheinigung beruhende und unionsrechtlich geschützte Vertrauen des Käufers mit dessen Kaufentscheidung verknüpft und dem Unionsrecht auf diesem Weg einen von einer vertraglichen Sonderverbindung unabhängigen Anspruch des Fahrzeugkäufers gegen den Fahrzeughersteller auf Schadensersatz "wegen des Erwerbs" eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs entnommen. Das trage dem engen tatsächlichen Zusammenhang zwischen dem Vertrauen des Käufers auf die Ordnungsmäßigkeit des erworbenen Kraftfahrzeugs einerseits und der Kaufentscheidung andererseits Rechnung. Dieser Zusammenhang wiederum liege der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu dem Erfahrungssatz zugrunde, dass ein Käufer, der ein Fahrzeug zur eigenen Nutzung erwerbe, in Kenntnis der Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung von dem Erwerb des Fahrzeugs abgesehen hätte. Dementsprechend könne der vom Gerichtshof geforderte Schutz des Käufervertrauens im Verhältnis zum Fahrzeughersteller, sollten Wertungswidersprüche vermieden werden, nur unter einer Einbeziehung auch der Kaufentscheidung gewährleistet werden (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 ; Urteil vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20 Rn. 22, ZIP 2023, 1903 ). Der erkennende Senat hat sich dieser Rechtsprechung angeschlossen (vgl. Urteile vom 26. Oktober 2023 - VII ZR 306/21 und VII ZR 619/21, juris).

III.

Danach ist das angefochtene Urteil im tenorierten Umfang aufzuheben und die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1 , § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO ). Eine Entscheidung in der Sache durch den Senat kommt nicht in Betracht, weil der Rechtsstreit nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO ).

Von Rechts wegen

Verkündet am: 29. Februar 2024

Vorinstanz: LG Bonn, vom 26.08.2020 - Vorinstanzaktenzeichen 1 O 10/20
Vorinstanz: OLG Köln, vom 10.06.2021 - Vorinstanzaktenzeichen 24 U 112/20