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BVerwG - Entscheidung vom 04.10.2022

20 F 15.22

Normen:
VwGO § 55a Abs. 2 S. 1, 2
VwGO § 55a Abs. 6 S. 1, 2
§ 2 Abs. 1 S. 1, 2, 3 ERVV i.d.F.v. 01.01.2022
BGB § 188 Abs. 2
ERVV § 2 Abs. 1 S. 1-3
ERVV § 2 Abs. 2
ERVV § 2 Abs. 3
ERVV § 5 Abs. 1 Nr. 1
VwGO § 55a Abs. 2 S. 1-2
VwGO § 55a Abs. 4 Nr. 2
VwGO § 55a Abs. 6 S. 1-2
VwGO § 55d S. 1 und S. 3-4
VwGO § 55a Abs. 3 S. 1 Alt. 2
VwGO § 57 Abs. 2
VwGO § 99 Abs. 2 S. 12-13
VwGO § 147 Abs. 1 S. 1
VwGO § 147 Abs. 2
ZPO § 222 Abs. 1

Fundstellen:
NVwZ 2023, 1823

BVerwG, Beschluss vom 04.10.2022 - Aktenzeichen 20 F 15.22

DRsp Nr. 2023/14135

Einlegung einer Beschwerde über das besondere elektronische Anwaltspostfach im docx-Format; Vorlage der Verwaltungsvorgänge über gespeicherte Daten einer betroffenen Person ohne Schwärzungen

Eine über das besondere elektronische Anwaltspostfach im docx-Format eingelegte Beschwerde verstößt gegen § 55a Abs. 2 VwGO i. V. m. § 2 Abs. 1 Satz 1 ERVV in den seit dem 1. Januar 2022 geltenden Fassungen und ist vorbehaltlich einer Heilung nach § 55a Abs. 6 VwGO unwirksam.

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Fachsenats des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 29. Juni 2022 wird verworfen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Normenkette:

VwGO § 55a Abs. 2 S. 1, 2; VwGO § 55a Abs. 6 S. 1, 2; § 2 Abs. 1 S. 1, 2, 3 ERVV i.d.F.v. 01.01.2022;

Gründe

I

Mit Beschluss vom 29. Juni 2022 hat der Fachsenat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts festgestellt, dass die Weigerung des Beklagten, dem Verwaltungsgericht Dresden im zugrundeliegenden Hauptsacheverfahren Verwaltungsvorgänge über gespeicherte Daten des Klägers ohne Schwärzungen vorzulegen, rechtmäßig ist.

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat gegen den ihm am 30. Juni 2022 zugestellten Beschluss für den Kläger am 1. Juli 2022 beim Sächsischen Oberverwaltungsgericht Beschwerde durch Übermittlung eines maschinenschriftlich signierten Beschwerdeschriftsatzes im Dateiformat "docx" über das besondere Anwaltspostfach eingelegt. Ein weiteres, handschriftlich unterzeichnetes Exemplar der Beschwerdeschrift ist postalisch am 4. Juli 2022 beim Sächsischen Oberverwaltungsgericht eingegangen.

Der Fachsenat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts hat die Beschwerde am 13. Juli 2022 dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt. Der dort zuständige Berichterstatter hat den Prozessbevollmächtigten des Klägers unter dem 28. Juli 2022 darauf hingewiesen, dass die Beschwerde unwirksam eingegangen sei, weil sie im docx-Format und damit nicht in dem nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 ERVV vorgesehenen Format übermittelt worden sei, das Dokument aber als zum Zeitpunkt der früheren Einreichung eingegangen gelte, sofern der Absender es unverzüglich in einer für das Gericht zur Bearbeitung geeigneten Form nachreiche und glaubhaft mache, dass es mit dem zuerst eingereichten Dokument inhaltlich übereinstimme. Darauf hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers nicht reagiert.

II

Die nach § 99 Abs. 2 Satz 12 VwGO statthafte Beschwerde ist unzulässig, weil sie innerhalb der Beschwerdefrist nicht formgerecht eingereicht worden ist.

Die Beschwerdefrist beträgt gemäß § 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO zwei Wochen ab Bekanntgabe der angefochtenen Entscheidung. Da der angefochtene Beschluss dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 30. Juni 2022 bekannt gegeben worden ist, endete die Beschwerdefrist gemäß § 57 Abs. 2 VwGO i. V. m. § 222 Abs. 1 ZPO , § 188 Abs. 2 BGB mit Ablauf des 14. Juli 2022.

Bis dahin ist die Beschwerde entgegen § 147 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO weder beim Sächsischen Oberverwaltungsgericht, dessen Entscheidung angefochten wird, noch beim Bundesverwaltungsgericht als zuständigem Beschwerdegericht (§ 99 Abs. 2 Satz 13 VwGO ) formgerecht eingereicht worden.

Die postalische Einlegung der Beschwerde durch den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 4. Juli 2022 ist unwirksam. Denn nach dem am 1. Januar 2022 in Kraft getretenen § 55d Satz 1 VwGO sind vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt eingereicht werden, als elektronisches Dokument zu übermitteln. Diese Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs für Rechtsanwälte betrifft grundsätzlich alle anwaltlichen schriftlichen Anträge und Erklärungen nach der betreffenden Prozessordnung (vgl. BT-Drs. 17/12634 S. 28 zu § 130d ZPO ). Bei Nichteinhaltung ist die Prozesserklärung nicht wirksam (vgl. BT-Drs. 17/12634 S. 27 § 130d ZPO ). Nur wenn - was vorliegend nicht i. S. d. § 55d Abs. 1 Satz 4 VwGO glaubhaft gemacht worden ist - eine Übermittlung aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist, bleibt gemäß § 55d Abs. 1 Satz 3 VwGO die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig.

Auch die elektronische Einreichung der Beschwerdeschrift beim Sächsischen Oberverwaltungsgericht durch den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 1. Juli 2022 entspricht nicht den Formvorgaben. Zwar wurden die Vorgaben des § 55a Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 VwGO gewahrt. Denn die Beschwerdeschrift war mit dem maschinenschriftlichen Namenszug (einfach) signiert (vgl. BAG, Beschluss vom 14. September 2020 - 5 AZB 23/20 - juris Rn. 15 m. w. N.) und wurde vom besonderen elektronischen Anwaltspostfach (§ 31a BRAO ) und damit auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 55a Abs. 4 Nr. 2 VwGO an die elektronische Poststelle des Gerichts gesandt. Jedoch ist der elektronisch übermittelte Beschwerdeschriftsatz nicht zur Bearbeitung durch das Gericht geeignet, weil er im falschen Dateiformat eingereicht wurde.

Nach § 55a Abs. 2 Satz 1 VwGO muss das elektronische Dokument zur Bearbeitung durch das Gericht geeignet sein. Die Bundesregierung bestimmt gemäß § 55a Abs. 2 Satz 2 VwGO durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates technische Rahmenbedingungen für die Übermittlung und die Eignung zur Bearbeitung durch das Gericht.

Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach - Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung - ERVV - in der seit dem 1. Januar 2022 geltenden Fassung vom 5. Oktober 2021 (BGBl. I S. 4607 ) ist das elektronische Dokument im Dateiformat PDF zu übermitteln. Grund hierfür ist, dass sich dieses Dateiformat im Rahmen des elektronischen Rechts- und Geschäftsverkehrs zum Standardformat entwickelt hat und für die Kommunikation im elektronischen Rechtsverkehr besonders geeignet ist. Die Festlegung eines einheitlichen Dateiformates ermöglicht die reibungslose Weiterverarbeitung und elektronische Aktenführung durch die Gerichte, Behörden und anderen Teilnehmer am elektronischen Rechtsverkehr (vgl. BR-Drs. 645/17 S. 12). Wenn bildliche Darstellungen im Dateiformat PDF nicht verlustfrei wiedergegeben werden können, darf das elektronische Dokument zusätzlich im Dateiformat TIFF übermittelt werden (§ 2 Abs. 1 Satz 2 ERVV). § 2 Abs. 1 Satz 1 und 2 ERVV benennen die zulässigen Dateiformate abschließend (vgl. BR-Drs. 645/17 S. 12). Die Dateiformate PDF und TIFF müssen den von der Bundesregierung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 ERVV bekannt gemachten Versionen dieser Dateiformate entsprechen (§ 2 Abs. 1 Satz 3 ERVV).

Nach dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 Satz 1 ERVV ist die Übermittlung des elektronischen Dokuments im Dateiformat PDF zwingend. Dies folgt auch aus einem Vergleich der "Muss"-Vorschriften des § 2 Abs. 1 ERVV mit den weiteren "Soll" - Bestimmungen für elektronische Dokumente in § 2 Abs. 2 und 3 ERVV. Die Gesetzes- und Verordnungshistorie bestätigt dies. Durch die Neufassung des § 55a Abs. 2 Satz 2 VwGO und des § 2 Abs. 1 Satz 1 ERVV zum 1. Januar 2022 sollte die Maßgeblichkeit der Eignung zur gerichtlichen Bearbeitung klargestellt werden. Formunwirksamkeit soll im Grundsatz nur eintreten, wenn der Verstoß dazu führt, dass im konkreten Fall eine Bearbeitung durch das Gericht nicht möglich ist. Demgegenüber sollen rein formale Verstöße gegen die ERVV dann nicht zur Formunwirksamkeit des Eingangs führen, wenn das Gericht das elektronische Dokument gleichwohl bearbeiten kann. Die technischen Rahmenbedingungen sollen "nur noch" insoweit verbindlich vorgegeben werden, als dies für die Bearbeitung durch das Gericht notwendig ist. Zwingend ist danach "nur noch" die Übermittlung im Format PDF (vgl. BT-Drs. 19/28399 S. 40 und 48; vgl. auch BAG, Beschluss vom 25. April 2022 - 3 AZB 2.22 - juris Rn. 23; BGH, Beschluss vom 3. Mai 2022 - 3 StR 89/22 - juris Rn. 12; OLG Koblenz, Beschluss vom 7. Juni 2022 - 4 OLG 4 Ss 67/22 - juris Rn. 14; Ulrich in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, VwGO , Stand: Februar 2022, § 55a Rn. 118).

Der Formmangel ist auch nicht nach § 55a Abs. 6 VwGO geheilt worden. Ist ein elektronisches Dokument für das Gericht zur Bearbeitung nicht geeignet, ist dies dem Absender unter Hinweis auf die Unwirksamkeit des Eingangs unverzüglich mitzuteilen (§ 55a Abs. 6 Satz 1 VwGO ). Das Dokument gilt als zum Zeitpunkt der früheren Einreichung eingegangen, sofern der Absender es unverzüglich in einer für das Gericht zur Bearbeitung geeigneten Form nachreicht und glaubhaft macht, dass es mit dem zuerst eingereichten Dokument inhaltlich übereinstimmt (§ 55a Abs. 6 Satz 2 VwGO ). Der Prozessbevollmächtigte des Klägers ist mit Schreiben vom 28. Juli 2022 darauf hingewiesen worden, dass die Beschwerde unwirksam eingegangen ist, weil sie im docx-Format und damit nicht in dem nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 ERVV vorgesehenen Format übermittelt wurde, dass aber das Dokument als zum Zeitpunkt der früheren Einreichung eingegangen gilt, sofern der Absender es unverzüglich in einer für das Gericht zur Bearbeitung geeigneten Form nachreicht und glaubhaft macht, dass es mit dem zuerst eingereichten Dokument inhaltlich übereinstimmt. Dies ist indes nicht geschehen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO .

Vorinstanz: VG Dresden, vom 08.11.2021 - Vorinstanzaktenzeichen 6 K 849/19
Vorinstanz: OVG Sachsen, vom 29.06.2022 - Vorinstanzaktenzeichen 10 F 25/21
Fundstellen
NVwZ 2023, 1823