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BVerwG - Entscheidung vom 15.02.2022

2 B 27.21

Normen:
VwGO § 133 Abs. 3 S. 3
LDG NRW § 13 Abs. 2 S. 1
LDG NRW § 33 Abs. 3 S. 1
LDG NRW § 67 S. 1
StGB § 184b

BVerwG, Beschluss vom 15.02.2022 - Aktenzeichen 2 B 27.21

DRsp Nr. 2022/5868

Anforderungen an eine die Revision eröffnende Divergenz; Erhebung der Disziplinarklage durch die höhere dienstvorgesetzte Stelle oder die oberste Dienstbehörde wegen desselben Sachverhalts innerhalb einer Dreimonatsfrist ungeachtet der Einstellung des Disziplinarverfahrens

Tenor

Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 14. April 2021 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Normenkette:

VwGO § 133 Abs. 3 S. 3; LDG NRW § 13 Abs. 2 S. 1; LDG NRW § 33 Abs. 3 S. 1; LDG NRW § 67 S. 1; StGB § 184b;

Gründe

1. Der 1954 geborene Beklagte war zuletzt als Regierungsamtmann (Besoldungsgruppe A 11) Beamter im gehobenen Vollzugs- und Verwaltungsdienst des klagenden Landes. Er war zuletzt als Leiter der Wirtschaftsverwaltung in einer Justizvollzugsanstalt eingesetzt. Ende April 2017 trat der Beklagte nach Vollendung seines 63. Lebensjahres in den Ruhestand. Er ist unverheiratet sowie kinderlos und disziplinarrechtlich nicht vorbelastet.

Im November 2015 leitete der Kläger gegen den Beklagten ein Disziplinarverfahren ein und setzte es zugleich bis zum Abschluss des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens aus. Mit rechtskräftig gewordenem Strafbefehl vom Februar 2016 wurde gegen den Beklagten wegen des Besitzes kinderpornographischer Schriften eine Geldstrafe in Höhe von 90 Tagessätzen festgesetzt. In dem Strafbefehl wird ihm zur Last gelegt, dass er in seiner Wohnung auf verschiedenen Medien - etwa VHS-Videokassetten, DVDs oder ausgeschnittenen Fotos - offenkundig bereits seit langer Zeit über eine Vielzahl von Abbildungen nackter Kinder im Alter unter 14 Jahren verfügt habe. Zum Teil sei der sexuelle Missbrauch der Kinder durch erwachsene Männer mittels Vaginal-, Anal- oder Oralverkehr zu sehen.

Nach dem Eintritt des Beklagten in den Ruhestand stellte die Leiterin der Justizvollzugsanstalt im Juli 2017 das Disziplinarverfahren gegen den Beklagten ein. Im Oktober 2017 hob das Justizministerium als oberste Dienstbehörde die Einstellungsverfügung auf und hat Disziplinarklage erhoben. Das Verwaltungsgericht hat die Disziplinarklage abgewiesen.

Auf die Berufung des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht dem Beklagten das Ruhegehalt aberkannt. Der Beklagte habe sich des vorsätzlichen außerdienstlichen Besitzes kinderpornographischer Schriften schuldig gemacht. Er habe insbesondere weitaus mehr als 1 291 kinderpornographische Schriften in Form von Bildern in seiner Wohnung aufbewahrt, die zum Teil den sexuellen Missbrauch von Kindern durch Erwachsene mittels Vaginal-, Anal- oder Oralverkehr und damit den schweren sexuellen Missbrauch von Kindern im Sinne des § 176a StGB darstellten. Damit habe er schuldhaft gegen seine beamtenrechtliche Pflicht zum achtungs- und vertrauensgerechten Verhalten verstoßen. Bei ihm als Justizvollzugsbeamten trete ein mittelbarer Amtsbezug hinzu. Nach einer Gesamtwürdigung sämtlicher zu berücksichtigender Gesichtspunkte habe der Beklagte durch das Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit endgültig verloren. Der Orientierungsrahmen bis zur Höchstmaßnahme sei schon wegen des erhöhten Strafrahmens des § 184b StGB auf drei Jahre im Zeitpunkt des fortdauernden Besitzes des kinderpornographischen Materials im November 2015 eröffnet. Dieser Orientierungsrahmen sei mit Blick auf die in der Anzahl und dem Inhalt der Abbildungen zum Ausdruck kommende Schwere des Dienstvergehens (jedenfalls in 197 Fällen sei schwerer sexueller Missbrauch von Kindern durch Erwachsene abgebildet), die Vielzahl der Bilder sowie die Dauer des einheitlichen Dienstvergehens auch nach oben auszuschöpfen. Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild des Beklagten und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung fielen nicht derart ins Gewicht, dass eine andere als die durch die Schwere indizierte Maßnahme geboten sei.

2. Die Revision ist nicht wegen Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO , § 67 Satz 1 LDG NRW) zuzulassen.

Die Rüge der Divergenz ist unzulässig, weil sie nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO und § 67 Satz 1 LDG NRW genügt.

Eine die Revision eröffnende Divergenz ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 12. Juli 2018 - 2 B 17.18 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 118 Rn. 7 und vom 21. Juli 2021 - 2 B 30.21 - Rn. 3 f., stRspr). Diese Voraussetzungen erfüllt die Beschwerdebegründung nicht.

a) Die Beschwerde sieht die Divergenz zum einen darin, dass sich die vorherige Unbescholtenheit des Beklagten, seine Leistungen und die eigenständig aufgenommene Therapie nicht ausschlaggebend positiv ausgewirkt hätten. Das stehe im Widerspruch zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Juni 2020 - 2 C 12.19 - (BVerwGE 168, 254 Rn. 42), in dem das Bundesverwaltungsgericht zu dem Ergebnis gekommen sei, dass eine auf Eigeninitiative begonnene Therapie berücksichtigungsfähig und als entlastender Umstand zu gewichten sei.

Damit werden nicht divergierende abstrakte Rechtssätze benannt, sondern es wird lediglich eine vermeintlich unrichtige Rechtsanwendung - von § 13 Abs. 2 Satz 1 LDG NRW - im konkreten Fall beanstandet. Im Übrigen hat das Bundesverwaltungsgericht in der von der Beschwerde angeführten Entscheidung nicht nur ausgeführt, dass es ein im Rahmen der Maßnahmebemessung berücksichtigungsfähiger entlastender Umstand von einigem Gewicht ist, wenn sich der Beamte eigeninitiativ einer Therapie unterzogen hat. Es hat vielmehr - im Rahmen seiner eigenen Bemessungsentscheidung - auch ausgeführt, dass diesem Umstand dann keine die Maßnahmebemessung entscheidend beeinflussende Bedeutung zukommt, wenn dem erheblich belastende Umstände gegenüberstehen; als solche Umstände sind ausdrücklich die große Anzahl und der Inhalt des kinderpornographischen Materials, insbesondere der vaginale, orale und anale Missbrauch von Kindern, genannt (BVerwG, Urteil vom 16. Juni 2020 - 2 C 12.19 - BVerwGE 168, 254 Rn. 43). Der von der Beschwerde angenommene Widerspruch besteht also auch deshalb nicht, weil das Bundesverwaltungsgericht keineswegs ausgesprochen hat, dass eine aufgenommene Therapie ausschlaggebende Bedeutung in dem von der Beschwerde angenommenen Sinne haben müsste, dass sie der Höchstmaßnahme entgegenstünde. Die Berufungsentscheidung hält sich ersichtlich in dem Rahmen des von der Beschwerde angeführten Urteils des Bundesverwaltungsgerichts.

b) Die Beschwerde sieht die Divergenz zum anderen darin, dass das Oberverwaltungsgericht - anders als vom Bundesverwaltungsgericht gefordert - nicht sämtliche für die Frage des endgültigen Vertrauensverlustes des Dienstherrn entscheidenden Aspekte berücksichtigt habe. Unberücksichtigt geblieben seien die Aspekte, dass der Beklagte auf Wunsch seines Dienstherrn und mit der Folge erheblicher Pensionseinbußen vorzeitig in Pension gegangen und dass er nach Bekanntwerden der Straftat nicht vom Dienst suspendiert worden sei, sondern seine Tätigkeit bis zur Pensionierung weiter ausgeübt habe, wobei die Pensionierung sogar wegen Personalmangels auf Wunsch der Justizvollzugsanstalt noch um einen Monat verschoben worden sei.

Auch damit werden nicht divergierende abstrakte Rechtssätze benannt, sondern es wird lediglich eine vermeintlich unrichtige Rechtsanwendung im konkreten Fall beanstandet. Im Übrigen ist im Berufungsurteil zum einen nicht festgestellt, dass der Beklagte - wie von der Beschwerde vorgetragen - "auf Wunsch seines Dienstherrn" vorzeitig - und damit auf seinen Antrag hin - in Pension gegangen ist, ohne dass die Beschwerde dem mit einer (durchgreifenden) Verfahrensrüge entgegengetreten ist. Zum anderen war der Umstand, dass der Beklagte nach Bekanntwerden der Vorwürfe nicht vom Dienst suspendiert worden ist, von vornherein nicht relevant für die Maßnahmebemessung. Denn dieser Umstand führt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht zu einer geringeren Schwere des Dienstvergehens. Über die Frage des Verbleibs des Beamten im Beamtenverhältnis nach einem vorangegangenen Dienstvergehen ist nicht von seinem Dienstvorgesetzten, sondern von den Gerichten zu entscheiden. Deren Aufgabe ist es zu beurteilen, ob aufgrund des Dienstvergehens ein endgültiger Vertrauensverlust eingetreten ist. Ist das der Fall, so vermag daran auch eine vorherige Weiterverwendung im Dienst nichts zu ändern (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschlüsse vom 1. März 2012 - 2 B 140.11 - juris Rn. 7 m.w.N. und vom 17. April 2020 - 2 B 3.20 - Buchholz 235.2 LandesdisziplinarG Nr. 73 Rn. 26 m.w.N.).

3. Die Revision ist auch nicht wegen eines Verfahrensfehlers (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO , § 67 Satz 1 LDG NRW) zuzulassen.

Die Beschwerde rügt als Verfahrensfehler, dass das Oberverwaltungsgericht die Disziplinarklage nicht als unzulässig abgewiesen habe, obwohl diese zu einem Zeitpunkt erhoben worden sei, zu dem die Einstellungsverfügung noch nicht zurückgenommen gewesen sei. Damit kann sie nicht durchdringen.

Der geltend gemachte Mangel liegt nicht vor. Denn nach § 33 Abs. 3 Satz 1 LDG NRW können ungeachtet der Einstellung des Disziplinarverfahrens die höhere dienstvorgesetzte Stelle oder die oberste Dienstbehörde wegen desselben Sachverhalts innerhalb einer Dreimonatsfrist u.a. Disziplinarklage erheben. Wenn somit trotz einer fortbestehenden Einstellung des Disziplinarverfahrens eine Disziplinarklage erhoben werden kann, dann ist es insoweit ohne Belang, ob die Einstellungsverfügung überhaupt aufgehoben wird und erst recht, wann sie aufgehoben wird.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 74 Abs. 1 LDG NRW i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO . Einer Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes bedarf es nicht, weil für das Beschwerdeverfahren Festgebühren nach dem Gebührenverzeichnis der Anlage zu § 75 LDG NRW erhoben werden.

Vorinstanz: OVG Nordrhein-Westfalen, vom 14.04.2021 - Vorinstanzaktenzeichen A 4517/19