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BVerwG - Entscheidung vom 24.10.2022

2 WDB 9.22

Normen:
WDO § 83 Abs. 1 S. 1
WDO § 91 Abs. 1 S. 1
StPO § 33a

BVerwG, Beschluss vom 24.10.2022 - Aktenzeichen 2 WDB 9.22

DRsp Nr. 2023/896

Ablehnung des Antrags des Soldaten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

Tenor

Der Antrag des Soldaten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgelehnt.

Der Soldat trägt die Kosten des Wiedereinsetzungsverfahrens einschließlich der ihm darin erwachsenen notwendigen Auslagen.

Normenkette:

WDO § 83 Abs. 1 S. 1; WDO § 91 Abs. 1 S. 1; StPO § 33a;

Gründe

I

Mit Beschluss vom 3. September 2021 (BVerwG 2 WDB 4.21) hat der Senat die Beschwerde des Soldaten gegen den Beschluss des Vorsitzenden der Truppendienstkammer vom 4. Mai 2021 zurückgewiesen, mit dem dieser das gegen den Soldaten anhängige gerichtliche Disziplinarverfahren gemäß § 83 Abs. 1 Satz 1 WDO ausgesetzt hat, weil wegen eines Teils des Sachverhalts, der dem gerichtlichen Disziplinarverfahren zu Grunde liegt, im diesbezüglichen Strafverfahren Anklage erhoben worden war.

Der Soldat hat beim Bundesverwaltungsgericht mit einem am 13. September 2022 eingegangenen Schriftsatz "Beschwerde wegen unterlassener Anhörung" erhoben und unter dem 6. Oktober 2022 eine "Ergänzung zur Anhörungsrüge" eingereicht. Er habe aufgrund seiner Auseinandersetzung mit aktuellen Beschwerdeverfahren um den 10. September 2022 herum Kenntnis von einer Gehörsverletzung erhalten. So werde in truppendienstlichen bzw. disziplinaren Beschwerdeverfahren regelmäßig das rechtliche Gehör verletzt, weil die Beschwerdeführer vor der Entscheidung nicht zum Ergebnis der Sachverhaltsaufklärung angehört würden. Ihm sei keine Gelegenheit gegeben worden, auf die Feststellungen des Senats zu reagieren. Der Senat habe die Bereichsvorschrift C1-2161/0-9600, insbesondere deren Ziffer 606, nicht berücksichtigt. Danach hätte das gerichtliche Disziplinarverfahren nicht ausgesetzt werden dürfen, weil alle erforderlichen Beweismittel innerhalb der Bundeswehr zur Verfügung gestanden hätten. Die Anschuldigungspunkte 1 und 2 beträfen Fragen, hinsichtlich derer eine korrekte Beantwortung eher durch die Truppendienstgerichte als durch die Strafgerichte zu erwarten sei. Eine Aussetzung sei auch nicht zu seinem Schutz geboten gewesen, weil er eine Fortsetzung des Verfahrens gewünscht habe. Vielmehr habe die Aussetzung einer erfolgreichen Verteidigung im Wege gestanden. Daher hätte der Senat seiner Beschwerde gegen den Aussetzungsbeschluss stattgeben müssen.

Der Bundeswehrdisziplinaranwalt hat Zweifel an der fristgerechten Einlegung des Rechtsbehelfs. Jedenfalls sei er unbegründet, weil der Senat den Anspruch des Soldaten auf rechtliches Gehör nicht in entscheidungserheblicher Weise verletzt habe. Der Soldat habe nur seine bereits im Beschwerdeverfahren vorgetragene Rechtsauffassung wiederholt.

II

Der Rechtsbehelf des Soldaten bleibt ohne Erfolg.

1. Die vom Soldaten erhobene "Beschwerde wegen unterlassener Anhörung" ist unter Berücksichtigung seines ergänzenden Schriftsatzes vom 6. Oktober 2021, bei sachgerechter Auslegung seines Begehrens, als Wiedereinsetzungsantrag nach § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i. V. m. § 33a StPO auszulegen. Diese Vorschriften sind auf Beschlüsse des Bundesverwaltungsgerichts in Beschwerdeverfahren nach § 114 WDO anwendbar (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Dezember 2021 - 2 WDB 15.21 - juris Rn. 5 m. w. N.).

Hat das Wehrdienstgericht in einem Beschluss den Anspruch eines Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt und steht diesem gegen den Beschluss - wie es bei Beschlüssen des Bundesverwaltungsgerichts nach § 114 Abs. 1 WDO der Fall ist - keine Beschwerde und kein anderer Rechtsbehelf zu, versetzt es nach § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i. V. m. § 33a Satz 1 StPO das Verfahren durch Beschluss in die Lage zurück, die vor dem Erlass der Entscheidung bestand. Dieser nicht an eine Frist gebundene Rechtsbehelf erfasst jeden Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG im Beschlussverfahren (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 8. November 2001 - 2 BvR 1242/01 - juris Rn. 3 m. w. N.).

2. Es kann dahinstehen, ob der Wiedereinsetzungsantrag verwirkt (dazu Graalmann-Scheerer in Löwe-Rosenberg, StPO , 27. Aufl. 2016, § 33a Rn. 20 m. w. N.) und damit bereits unzulässig ist. Jedenfalls ist er unbegründet, weil der Senat den Anspruch des Soldaten auf rechtliches Gehör im Beschwerdeverfahren 2 WDB 4.21 nicht in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.

Das Gebot des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG ) verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133 Rn. 39). Der Senat hat das gesamte Beschwerdevorbringen zur Kenntnis genommen und erwogen. Dies gilt insbesondere für den Einwand, die Sachaufklärung sei seinerzeit gesichert gewesen. Insoweit hat der Senat im Beschluss vom 3. September 2021 ausführlich erläutert, weshalb er dieser Auffassung nicht gefolgt ist. An Ziffer 606 der Bereichsvorschrift C1-2161/0-9600 war er dabei nicht gebunden. Aus Art. 103 Abs. 1 GG ergibt sich keine Pflicht des Gerichts, der gegenteiligen Auffassung eines Beteiligten zu folgen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. Oktober 2022 - 1 WB 61.22, 1 W-VR 21.22 - Rn. 19).

Der Senat war auch nicht verpflichtet, dem Soldaten die Entscheidungsgründe vor Erlass des Beschlusses zur Stellungnahme zu übermitteln. Ein Gericht ist grundsätzlich weder zu einem Rechtsgespräch noch zu einem Hinweis auf seine Rechtsauffassung verpflichtet. Selbst wenn die Rechtslage umstritten oder problematisch ist, muss ein Verfahrensbeteiligter grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und seinen Vortrag darauf einstellen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133 Rn. 36 m. w. N.). Zwar kann eine Gehörsverletzung ausnahmsweise vorliegen, wenn ein Gericht ohne vorherigen Hinweis auf einen bestimmten rechtlichen Gesichtspunkt abstellt, mit dem ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 5. März 2018 - 1 BvR 1011/17 - juris Rn. 16 m. w. N.). Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor. Dass es für die Rechtmäßigkeit der Aussetzung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens darauf ankommt, ob die Sachaufklärung gesichert ist, folgt unmittelbar aus § 83 Abs. 1 Satz 2 WDO . Der Soldat hat zu dieser Frage im Beschwerdeverfahren uneingeschränkt vortragen können. Sein diesbezüglicher Vortrag wurde - wie ausgeführt - zur Kenntnis genommen und erwogen.

3. Da das teilweise sachgleiche Strafverfahren inzwischen rechtskräftig abgeschlossen worden ist, ist das gerichtliche Disziplinarverfahren nach § 83 Abs. 2 WDO fortzusetzen.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 141 Abs. 1 und 2 WDO .