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BVerfG - Entscheidung vom 23.11.2011

1 BvR 2682/11

Normen:
GG Art. 2 Abs. 1
BGB § 490 Abs. 1
BVerfGG § 23 Abs. 1 S. 2
BVerfGG § 92
Art. 6 Abs. 1 EGV 659/99
GG Art. 2 Abs. 1
BGB § 490 Abs. 1
BVerfGG § 23 Abs. 1 S. 2
BVerfGG § 92
VO (EG) 659/1999 Art. 6 Abs. 1
VO (EG) 659/99 Art. 6 Abs. 1

BVerfG, Beschluss vom 23.11.2011 - Aktenzeichen 1 BvR 2682/11

DRsp Nr. 2022/8215

Darlegung der Beteiligung eines Unternehmens in einem unionsrechtlichen vorläufigen Beihilfeprüfverfahren

Verfassungsbeschwerden, die eine Verletzung von Grundrechten bei Anwendung von Gemeinschaftsrecht durch die nationale öffentlichen Gewalt geltend machen, sind von vornherein unzulässig, wenn ihre Begründung nicht darlegt, dass die europäische Rechtsentwicklung einschließlich der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nach der sogenannten Solange-II-Entscheidung unter den erforderlichen Grundrechtsstandard abgesunken sei.

Normenkette:

VO (EG) 659/99 Art. 6 Abs. 1;

[Gründe]

I.

Die Beschwerdeführerin, deren Begünstigung durch eine staatliche Beihilfe von der Europäischen Kommission untersucht wird,erstrebt ihre Beteiligung in einem vorläufigen Beihilfeprüfverfahren, bevor die Bundesrepublik Deutschland auf Anfrage derKommission dieser gegenüber eine abschließende Stellungnahme abgibt. Die Beschwerdeführerin hat vergeblich versucht, im Verwaltungsverfahrenund mit Eilanträgen vor den Verwaltungsgerichten Rechte auf Akteneinsicht und Anhörung geltend zu machen. Die Verfassungsbeschwerderichtet sich gegen den abschlägigen Bescheid und den Widerspruchsbescheid des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologiesowie gegen einen Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin und einen Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg.Die Verfassungsbeschwerde und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sind darauf gerichtet, dem Bundesministeriumfür Wirtschaft und Technologie aufzugeben, gegenüber der Europäischen Kommission in dem vorläufigen Beihilfeprüfverfahrennur nach Beteiligung der Beschwerdeführerin abschließend Stellung zu nehmen.

Die Beschwerdeführerin macht eine Verletzung von Grundrechten, insbesondere von aus Art. 2 Abs. 1 GG hergeleiteten Verfahrensrechtengeltend.

II.

1. Die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde liegen nicht vor. Sie hat keine grundsätzliche verfassungsrechtlicheBedeutung () und ihre Annahme erscheint auch nicht zur Durchsetzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten der Beschwerdeführerinangezeigt (). Denn die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg, ihre Begründung zeigt die Möglichkeit einer Verletzung derBeschwerdeführerin in ihren verfassungsmäßigen Rechten nicht hinreichend substantiiert auf.

a) Soweit die Beschwerdeführerin ihre Grundrechte als verletzt betrachtet, weil durch die angegriffenen Entscheidungen eineSchutzlücke nicht geschlossen worden sei, weshalb europäisches Verfahrensrecht hinter dem erforderlichen Grundrechtsstandardzurückbleibe, genügt sie nicht den in diesem Zusammenhang durch das Bundesverfassungsgericht entwickelten hohen Zulässigkeitsanforderungen.Danach sind Verfassungsbeschwerden, die eine derartige Verletzung von Grundrechten bei Anwendung von Gemeinschaftsrecht durchdie nationale öffentlichen Gewalt geltend machen, von vornherein unzulässig, wenn ihre Begründung nicht darlegt, dass dieeuropäische Rechtsentwicklung einschließlich der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nach der sogenannten SolangeII-Entscheidung (vgl. BVerfGE 73, 339 <378 - 381>) unter den erforderlichen Grundrechtsstandard abgesunken sei. Deshalb mussdie Begründung der Verfassungsbeschwerde im Einzelnen darlegen, dass der jeweils als unabdingbar gebotene Grundrechtsschutzgenerell nicht gewährleistet ist. Dazu bedarf es einer Gegenüberstellung des Grundrechtsschutzes auf nationaler und auf Gemeinschaftsebenein der Art und Weise, wie das Bundesverfassungsgericht sie in der Solange II-Entscheidung dargelegt hat (vgl. BVerfGE 102,147 <164>). Dem genügt die vorliegende Verfassungsbeschwerde nicht.

b) Soweit die Verfassungsbeschwerde darauf zielt, eine Verletzung von Grundrechten und hier des Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzesim Umgang des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie mit dem Auskunftsersuchen der Europäischen Kommission in einemvorläufigen Beihilfeprüfverfahren geltend zu machen, kann offen bleiben, inwiefern hier neben den europarechtlichen Regelnzum Beihilfeprüfverfahren, in dem sich auch Regeln über die Beteiligung im förmlichen Prüfverfahren derjenigen finden, dievon staatlichen Beihilfen profitieren (vgl. Art. 6 Abs. 1 Beihilfeverfahrensverordnung (EG) Nr. 659/1999, Abl. EG Nr. L 83,S. 1), der eigenständige Anwendungsbereich der Grundrechte eröffnet ist. Denn eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG ist vorliegendjedenfalls nicht hinreichend substantiiert dargetan und daher nicht ersichtlich.

c) Ob bereits die Abgabe einer Stellungnahme durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie ohne vorherige Anhörungder Beschwerdeführerin ihre aus Art. 2 Abs. 1 GG abgeleitete Grundrechtsposition entwertet, erschließt sich aus dem Vorbringender Beschwerdeführerin nicht.

(1) Die Grundrechte beeinflussen nicht nur die Ausgestaltung des materiellen Rechts, sondern setzen zugleich Maßstäbe füreine den Grundrechtsschutz effektuierende Organisations- und Verfahrensgestaltung (vgl. BVerfGE 69, 315 <355>; stRspr). Inihrer Verfahrensdimension können Grundrechte also auch durch eine fehlende Beteiligung im Verwaltungsverfahren verletzt werden.Doch setzt dies voraus, dass es in dem jeweiligen Verfahren um Handlungen geht, die Grundrechte auch tatsächlich beinträchtigenkönnen.

(2) Dass in der Stellungnahme des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie selbst ein Grundrechtseingriff liegenkann, ist jedoch nicht erkennbar. Es handelt sich um eine Informationsvermittlung des Mitgliedstaates an die Kommission ohneunmittelbare Rechtswirkung. Zwar hat eine Stellungnahme des von der Kommission um Auskunft ersuchten Mitgliedstaates Einflussauf die das vorläufige Prüfverfahren beendende Entscheidung, doch geht von ihr keine Bindungswirkung aus. Desgleichen wirddie mögliche Entscheidung der Europäischen Kommission über die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens zwar veröffentlicht,doch hat sie ebenfalls keine Dritte bindende Kraft, denn es handelt sich um eine vorläufige Würdigung des Sachverhaltes. Konkretegrundrechtsrelevante Wirkungen hat die Beschwerdeführerin nicht dargelegt. Soweit die Beschwerdeführerin darauf verweist,dass die nationalen Gerichte Schlüsse aus der Eröffnung des förmlichen Verfahrens ziehen könnten, geht sie daran vorbei, dassdie nationalen Gerichte an eine vorläufige Würdigung eines Vorgangs durch die Europäische Kommission als unionsrechtswidrigeBeihilfe nicht gebunden sind, sondern bis zum Abschluss des förmlichen Beihilfeprüfverfahrens das Vorliegen einer Beihilfeselbst zu prüfen haben (vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 2011 - I ZR 136/09 -, EuZW 2011, S. 440 ). Konkreter Vortrag dazu,dass die Kreditgeberin der Beschwerdeführerin eine Kündigung der Kredite im Fall der Eröffnung des förmlichen Verfahrens tatsächlichbeabsichtigt, fehlt. Auch der Hinweis auf § 490 Abs. 1 BGB genügt hier nicht, da sich daraus lediglich ergibt, dass der Kreditgeberim Falle einer Kreditgefährdung kündigen kann. Zudem ist die allgemeine Behauptung einer dann bevorstehenden Insolvenz nichtgeeignet, um die Möglichkeit einer Beeinträchtigung von Grundrechten substantiiert darzulegen.

d) Von einer weiteren Begründung sieht die Kammer nachab.

2. Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos(vgl. § 40 Abs. 3 GOBVerfG).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Vorinstanz: VG Berlin, vom 01.06.2011 - Vorinstanzaktenzeichen 20 L 151.11
Vorinstanz: OVG Berlin-Brandenburg, vom 17.10.2011 - Vorinstanzaktenzeichen 10 S. 22.11