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BFH - Entscheidung vom 09.06.2005

VII B 47/04

Normen:
KN Pos. 5801
KN Pos. 5906

Fundstellen:
BFH/NV 2005, 1895

BFH, Beschluss vom 09.06.2005 - Aktenzeichen VII B 47/04

DRsp Nr. 2005/12273

Tarifierung: Möbelstoff als Samt

1. Das entscheidende Kriterium für die zollrechtliche Tarifierung von Waren ist allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen, wie sie im Wortlaut der Positionen und Unterpositionen und in den Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln des Gemeinsamen Zolltarifs festgelegt sind.2. Ein Gewebe, das neben den beiden Grundfadensystemen (Grundkette und Grundschuss) über ein drittes (Kett-)Fadensystem verfügt, das aufgeschnitten wurde und den Pol (Flor) bildet, ist auch dann als Samt/Plüsch der Pos. 5801 KN einzureihen, wenn der Stoff auf der Rückseite dünn mit einer Latexschicht bestrichen ist.

Normenkette:

KN Pos. 5801; KN Pos. 5906;

Gründe:

I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) beantragte die Erteilung einer verbindlichen Zolltarifauskunft (vZTA) über eine von ihr als Möbelstoff bezeichnete Ware mit dem Vorschlag, die Ware in die Unterpos. 5906 99 90 (kautschutiertes Gewebe) der Kombinierten Nomenklatur (KN) einzureihen. Bei dem streitgegenständlichen, als Meterware vorliegenden Stoff handelt es sich um ein Grundgewebe aus Baumwolle (Kette) und synthetischer Chemiefaser (Schuss) sowie einem zusätzlichen, den Flor bildenden Kettfadensystem aus synthetischer Chemiefaser (Polyacryl). Die durch dieses Kettfadensystem gebildeten Schlingen sind aufgeschnitten. Der weitmaschig und lose gewebte Stoff ist auf der Rückseite dünn mit einer Latexschicht bestrichen, ohne die sich der Flor leicht aus dem Grundgewebe entfernen lässt.

Die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Oberfinanzdirektion --OFD--) erteilte am ... eine vZTA, mit der die Ware in die Unterpos. 5801 35 00 (Kettsamt und Kettplüsch, aufgeschnitten) KN eingereiht wurde. Der hiergegen eingelegte Einspruch blieb ebenso erfolglos wie die anschließend von der Klägerin erhobene Klage. Einen in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag der Klägerin auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis dafür, "dass die Latexschicht objektiv der wesentliche Bestandteil des Gewebes ist und insoweit erst die aufgebrachte Schicht dem Gewebe seine Eigenschaft als Stoff verleiht", lehnte das Finanzgericht (FG) ab.

Das FG urteilte, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Erteilung der begehrten vZTA. Die OFD habe die Ware zu Recht als Kettsamt qualifiziert und zutreffend der Unterpos. 5801 35 00 KN zugewiesen. Der Stoff entspreche der Beschreibung von Kettsamt bzw. Kettplüsch in den Erläuterungen zum Harmonisierten System (ErlHS) Pos. 5801 Rz. 02.0 und 03.0. Soweit diese darauf abstellten, dass bei Kettsamt oder Kettplüsch die Schlingen bzw. der Flor durch den Grundschuss gehalten werden, so meine dies ausschließlich die Herstellungsart des Gewebes, d.h. die Art der Verankerung der Schlingen oder des Flors, nicht aber die Festigkeit der hierdurch bewirkten Verankerung. Auf die Poldichte des Gewebes komme es bei der zolltariflichen Einreihung des Stoffes nicht an, da sie in den ErlHS nicht als Einreihungskriterium genannt werde. Das Gewebe könne auch nicht als kautschutiertes Gewebe der Pos. 5906 KN zugewiesen werden, weil die Ware aufgrund der Anm. 1 zu Kap. 59 KN nicht zu den von Kap. 59 erfassten Geweben gehöre. Der Beweisantrag der Klägerin sei abzulehnen, weil Aufbau und Zusammensetzung des Gewebes unstreitig seien und es insoweit keines Sachverständigengutachtens bedürfe. Die Frage, wie dieses Gewebe in den Zolltarif (ZT) einzureihen sei, sei eine Rechtsfrage, die allein das Gericht zu entscheiden habe.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde, die sie auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung und der Fortbildung des Rechts stützt. Ihrer Auffassung nach wird der Flor nicht durch den Grundschuss, sondern durch die auf der Rückseite des Gewebes aufgebrachte Latexschicht gehalten, was eine Einreihung des Gewebes als Kettsamt oder Kettplüsch ausschließe. Bei der zolltariflichen Einreihung sei auch die fachspezifische Bedeutung der Begriffe "Samt" oder "Plüsch" zu berücksichtigen. Danach handele es sich bei dem streitgegenständlichen Gewebe keinesfalls um Samt oder Plüsch. Andere Zollbehörden reihten vergleichbare Gewebe deshalb in das Kap. 59 KN ein. In der Ablehnung des in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrages liege ferner ein Verfahrensmangel mangelnder Sachaufklärung.

Die OFD ist der Beschwerde entgegengetreten.

II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Der Senat lässt offen, ob die Klägerin Gründe für eine Zulassung der Revision in der von § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung ( FGO ) gebotenen Weise dargelegt hat. Jedenfalls liegen sie nicht vor.

1. Eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO ) oder zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alternative FGO ) kommt nur wegen einer klärungsbedürftigen und in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähigen Rechtsfrage in Betracht (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 25. April 2002 II B 24/01, BFH/NV 2002, 1311 , 1312; Senatsbeschluss vom 28. August 2003 VII B 71/03, BFH/NV 2004, 493 , 494). Die Frage, ob die Einreihung eines Gewebes der streitgegenständlichen Art in die Unterpos. 5801 35 00 KN zutreffend ist, ist nicht klärungsbedürftig, weil sie offensichtlich nur so beantwortet werden kann, wie das FG es getan hat.

a) Das entscheidende Kriterium für die zollrechtliche Tarifierung von Waren ist allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen, wie sie im Wortlaut der Positionen und Unterpositionen und in den Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln des Gemeinsamen Zolltarifs festgelegt sind (vgl. Allgemeine Vorschriften 1 und 6 für die Auslegung der KN --AV--). Dazu gibt es nach dem Übereinkommen zum HS Erläuterungen und Einreihungsavise (Tarifavise), die ebenso wie die Erläuterungen zur KN ein wichtiges, wenn auch nicht verbindliches Erkenntnismittel für die Auslegung der einzelnen Tarifpositionen darstellen (ständige Rechtsprechung, vgl. Urteile des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften -- EuGH -- vom 7. Februar 2002 Rs. C-276/00, EuGHE 2002, I-1389 Rz. 21 f.; vom 7. Oktober 2002 Rs. C-379/02, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern --ZfZ-- 2004, 409; Senatsurteil vom 3. Februar 2004 VII R 33/03, BFH/NV 2004, 849 , jeweils m.w.N.). Auf den sich aus den objektiven Merkmalen und Eigenschaften ergebenden Verwendungszweck einer Ware darf nur dann abgestellt werden, wenn im Wortlaut der Bestimmungen oder in den Erläuterungen dazu ausdrücklich auf dieses Kriterium Bezug genommen wird (vgl. Senatsurteil vom 5. Oktober 1999 VII R 42/98, BFHE 190, 501 , m.w.N.).

b) In Anwendung dieser Grundsätze ist das FG zu dem zutreffenden Ergebnis gekommen, dass das streitgegenständliche Gewebe zolltarifrechtlich als Kettsamt bzw. Kettplüsch der Unterpos. 5801 35 00 KN anzusprechen ist.

(1) Der Stoff entspricht der Beschreibung von Kettsamt bzw. Kettplüsch in den ErlHS Pos. 5801 Rz. 02.0 und 03.0. Es handelt sich nach den Feststellungen des FG um ein Gewebe, das neben den beiden Grundfadensystemen (Grundkette und Grundschuss) über ein drittes (Kett-)Fadensystem verfügt, das aufgeschnitten wurde und den Pol (Flor) bildet. Soweit die ErlHS darauf abstellen, dass bei Kettsamt oder Kettplüsch die Schlingen bzw. der Flor durch den Grundschuss gehalten werden, meint dies ausschließlich die Herstellungsart des Gewebes, d.h. die Art der Verankerung der Schlingen oder des Flors, nicht aber die Festigkeit der dadurch bewirkten Verankerung. Dieses als Herstellungsart bezeichnete Merkmal ist, anders als die Klägerin meint, ein objektives Merkmal, das der Ware innewohnt und anhand einer Stoffprobe ermittelt werden kann. Eines Rückgriffs auf das Herstellungsverfahren bedarf es dafür nicht. Dass die zusätzlich aufgebrachte Latexschicht dem Flor eine größere Festigkeit verleiht, schadet nicht, gibt dem Gewebe aber kein wesentlich anderes Gepräge.

Der Einwand der Klägerin, der Flor werde nicht durch den Grundschuss, sondern durch die Latexschicht gehalten, trifft nicht zu, denn die Verankerung des Flors in dem Grundgewebe ist durch die Art der Einbindung der Polnoppen in das Grundgewebe bereits angelegt, und der Halt des Flors wird, wie das FG zutreffend erkannt hat, durch die Latexschicht lediglich verstärkt. Auf die Poldichte oder die Florfestigkeit des Gewebes kommt es bei der zolltariflichen Einreihung des Stoffes nicht an, da sie in den ErlHS nicht als Einreihungskriterium genannt wird. Die Anwendung eines solchen Kriteriums wäre mit den Grundsätzen der Rechtssicherheit und der leichten Nachprüfbarkeit (vgl. hierzu EuGH -Urteil in EuGHE 2002, I-1389) bei der Einreihung in den Gemeinsamen Zolltarif (GZT) auch nicht zu vereinbaren. Selbst ein weitmaschig und lose gewebtes Gewebe ist mithin als Kettsamt im zolltariflichen Sinne anzusprechen.

Der textilfachlichen Literatur sind keine Hinweise zu entnehmen, dass im Textilfach von einem anderen Begriff des Samtes auszugehen ist und von daher unter Umständen Zweifel an der Richtigkeit der zolltariflichen Definition veranlasst sein könnten. Die gegenteiligen Ausführungen der Klägerin erschöpfen sich in bloßen Behauptungen, ohne hierfür einen nachprüfbaren Beleg anzugeben. Die den ErlHS Kap. 58 Rz. 02.0 und 03.0 entnommene Definition von Kettsamt bzw. Kettplüsch deckt sich mit der textilfachlichen Beschreibung in der Literatur (Hofer, Textil- und Modelexikon, 7. Aufl., Stichworte "Florgewebe", "Samt"; Koch/Satlow, Großes Textillexikon, Stichwort "Samt"; Meyer zur Capellen, Lexikon der Gewebe, Stichwort "Samt"). Plüsch unterscheidet sich von Samt lediglich durch die Höhe der Flordecke --Polhöhe-- (Hofer, aaO.; Meyer zur Capellen, aaO.). Eine bestimmte Poldichte oder Florfestigkeit wird, anders als die Klägerin meint, auch in der textilfachlichen Literatur nicht gefordert. Hofer (aaO.) weist zwar darauf hin, dass die Florfestigkeit den Gebrauchswert des Samtes bestimme. Koch/Satlow (aaO., Stichworte "Samt" und "florfest") stellen dar, dass die Florfestigkeit u.a. von der Art der Einbindung der Noppen abhänge und beispielsweise durch besonders dichte Gewebeeinstellungen oder durch linksseitige Appreturen, Gummierungen etc. erhöht werden könne, wodurch der Gebrauchswert des Samtes gesteigert werde. Gerade Letzteres deutet darauf hin, dass auch im Textilfach durchaus Samte unterschiedlicher Florfestigkeit und Gebrauchstauglichkeit bekannt sind und dass Gewebe, die eine besondere Behandlung zur Verbesserung dieser Eigenschaften erfahren haben, weiterhin als Samt angesehen werden.

(2) Das Gewebe ist nicht als kautschutiertes Gewebe der Pos. 5906 KN einzureihen, weil die Ware aufgrund der Anm. 1 zu Kap. 59 KN nicht zu den von Kap. 59 erfassten Geweben gehört. Als Gewebe i.S. des Kap. 59 KN gelten danach, wenn nichts anderes bestimmt ist, die Gewebe der Kap. 50 bis 55 und der Pos. 5803 und 5806, Geflechte, Posamentierwaren und ähnliche Zierwaren, als Meterware, der Pos. 5808 sowie Gewirke und Gestricke der Pos. 6002 bis 6006. Bei der streitgegenständlichen Ware handelt es sich nicht um ein Gewebe der Kap. 50 bis 55 KN, sondern um ein Gewebe der Pos. 5801 KN, weil diese Position insoweit die genauere Warenbeschreibung enthält (AV Nr. 3 Buchst. a). Dies schließt eine Zuweisung zum Kap. 59 KN aus. Ein Widerspruch zur Anm. 1 zu Kap. 58 KN liegt darin --anders als die Klägerin meint-- nicht.

Das von der Klägerin vorgebrachte Argument, man müsse die beiden Anmerkungen lediglich in anderer Reihenfolge anwenden, um zu einem gegenteiligen Ergebnis zu kommen, geht fehl. Die Klägerin übersieht, dass der Anm. 1 zu Kap. 59 ein logischer Vorrang zukommt, wenn es darum geht festzustellen, ob eine Ware die Voraussetzungen dieses Kapitels erfüllt. Erst wenn hiernach die Möglichkeit einer Zuordnung zum Kap. 59 KN besteht, gibt es einen Anlass, die ausweisende Anm. 1 zu Kap. 58 KN zu prüfen, was im Streitfall, wie ausgeführt, jedoch nicht zum Tragen kommt. Kettsamt oder Kettplüsch, der in die Pos. 5801 KN einzureihen ist, wird daher selbst dann nicht aus Kap. 58 KN ausgeschlossen, wenn er --wie hier-- getränkt, bestrichen, überzogen oder mit Lagen versehen ist (vgl. ErlHS Kap. 58 Rz. 02.0).

c) Schließlich ist eine abweichende internationale Tarifierungspraxis, die Zweifel an dem gefundenen Ergebnis wecken könnte, nicht zu erkennen. Die Klägerin hat dergleichen zwar wiederholt behauptet, doch ist es ihr nicht gelungen, dies durch aussagekräftige Unterlagen zu belegen. Im Rechtsbehelfsverfahren legte die Klägerin zwar einen sog. "Testbericht" des South African Bureau of Standards (SABS) vor, der einen gewebten Florstoff der Pos. 5903 des Zolltarifs zuwies. Abgesehen davon, dass nicht geklärt ist, ob es sich bei der dort eingereihten Ware um die gleiche Ware handelt wie diejenige, die Gegenstand der angefochtenen vZTA ist, wurde bei der Einreihung des SABS die Anm. 1 zu Kap. 59 offensichtlich übersehen. Sie wird bei der Begründung der Einreihung mit keinem Wort erwähnt. Dies deutet auf einen schlichten Arbeitsfehler und nicht auf eine bewusst abweichende Tarifauffassung hin. Jedenfalls vermag dieser Testbericht deshalb keine Zweifel an der von vom Senat für zutreffend gehaltenen Rechtsauffassung zu wecken. Entsprechendes gilt für die vorgelegte E-Mail einer belgischen Spedition und die übersandte vZTA der niederländischen Zollbehörden. Die E-Mail der ausländischen Spedition ist zu wenig aussagekräftig, um eine abweichende Tarifierungspraxis der belgischen Zollbehörden zu belegen, da offensichtlich entsprechende Verzollungen noch gar nicht stattgefunden hatten und die Information nur auf Vorabkonsultationen mit den Zollbehörden beruht. Die niederländischen Zollbehörden haben ihre vZTA zwischenzeitlich zurückgenommen, so dass eine abweichende Tarifauffassung nicht besteht.

d) Der Senat hält die von ihm vorgenommene Auslegung des einschlägigen Gemeinschaftsrechts für eindeutig, so dass die Revision auch nicht deshalb zuzulassen ist, weil sich im Revisionsverfahren voraussichtlich eine Frage stellen würde, die eine Vorlage an den EuGH erfordert. Ein Anlass zur Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH besteht in solchen Fällen nämlich nicht (vgl. EuGH -Urteil vom 6. Oktober 1982 Rs. 283/81 --C.I.L.F.I.T.--, EuGHE 1982, 3415 Rdnr. 16).

2. Der geltend gemachte Verfahrensmangel liegt nicht vor. Die Pflicht des FG zur Sachaufklärung (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO ) wird durch die Vorentscheidung nicht verletzt. Das FG hat den Beweisantrag der Klägerin aus den von ihm angegebenen Gründen zu Recht abgelehnt.

Vorinstanz: FG Rheinland-Pfalz, vom 13.01.2004 - Vorinstanzaktenzeichen 6 K 3116/00
Fundstellen
BFH/NV 2005, 1895