Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0

Verkehrsdelikte: EuGH erleichtert Vollstreckung von Geldbußen

Gerichte und Behörden müssen nach Verkehrsdelikten im EU-Ausland die von den dortigen Institutionen verhängten Geldstrafen grundsätzlich anerkennen und vollstrecken. Das hat der EuGH entschieden. Nur wenn einer der im EU-Rahmenbeschluss vorgesehenen Gründe dagegen spricht, kann hiervon abgewichen werden. Im Streitfall ging es um eine Geldstrafe infolge einer verweigerten Fahreridentifizierung.

Darum geht es

Im Juni 2018 verhängten die österreichischen Behörden gegen LU, eine ungarische Staatsangehörige, eine Geldstrafe in Höhe von 80 €, weil sie als Zulassungslenkerin eines an der Begehung eines Straßenverkehrsdelikts im Gebiet der Gemeinde Gleisdorf (Österreich) beteiligten Kraftfahrzeugs eine Verwaltungsübertretung begangen habe, indem sie auf das behördliche Verlangen, den Namen der Person anzugeben, die dieses Fahrzeug gelenkt habe, nicht geantwortet habe.

Anschließend übermittelten die österreichischen Behörden die Entscheidung, mit der diese Geldstrafe verhängt wurde, dem Zalaegerszegi Járásbíróság (Kreisgericht Zalaegerszeg, Ungarn) zur Vollstreckung (gemäß dem Rahmenbeschluss 2005/214/JI des Rates vom 24.02.2005 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen, ABl. 2005, L 76, S. 16).

In diesem Zusammenhang teilten die österreichischen Behörden diesem Gericht mit, dass die Verwaltungsübertretung, die ihrer Strafverfügung zugrunde liege, in die Kategorie der „gegen die den Straßenverkehr regelnden Vorschriften verstoßenden Verhaltensweise“ im Sinne des Rahmenbeschlusses über die gegenseitige Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen falle.

Letzterer sieht die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Bezug auf diese Zuwiderhandlungen ohne Überprüfung des Vorliegens der beiderseitigen Strafbarkeit vor, das heißt unabhängig von der Frage, ob die diesen Zuwiderhandlungen zugrundeliegenden Verhaltensweisen auch nach dem Recht des Vollstreckungsstaats eine Zuwiderhandlung sind.

Das Zalaegerszegi Járásbíróság (Kreisgericht Zalaegerszeg) hat Zweifel daran, dass die österreichischen Behörden die unterlassene Identifizierung der Person, die das in Rede stehende Straßenverkehrsdelikt begangen hat, durch den Fahrzeugeigentümer richtig eingeordnet haben.

Obwohl diese Behörden angegeben hätten, die begangene Zuwiderhandlung sei eine „gegen die den Straßenverkehr regelnden Vorschriften verstoßende Verhaltensweise“ gewesen, würde die Verhaltensweise von LU eher eine Weigerung darstellen, einer Anordnung einer Behörde nachzukommen.

Das Zalaegerszegi Járásbíróság (Kreisgericht Zalaegerszeg) ersucht daher den Gerichtshof um Klarstellung, ob der Rahmenbeschluss ihm gestattet, die von den österreichischen Behörden vorgenommene Einordnung des in Rede stehenden Unterlassens in Frage zu stellen.

Wesentliche Entscheidungsgründe

In seinem Urteil hat der EuGH zunächst darauf hingewiesen, dass der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung, der der Systematik des Rahmenbeschlusses zugrunde liegt, insbesondere bedeutet, dass die Gründe, die Anerkennung oder Vollstreckung zu verweigern, eng auszulegen sind.

Die zuständige Behörde des Vollstreckungsmitgliedstaats ist demnach grundsätzlich verpflichtet, die übermittelte Entscheidung anzuerkennen und zu vollstrecken, und kann dies - abweichend von der allgemeinen Regel - nur dann verweigern, wenn einer der im Rahmenbeschluss ausdrücklich vorgesehenen Gründe für die Versagung der Anerkennung oder der Vollstreckung vorliegt.

Sodann hat der Gerichtshof ausgeführt, dass der Rahmenbeschluss die Straftaten und Verwaltungsübertretungen (Ordnungswidrigkeiten), einschließlich der „gegen die den Straßenverkehr regelnden Vorschriften verstoßenden Verhaltensweise“, benennt, die ohne Überprüfung des Vorliegens der beiderseitigen Strafbarkeit zur Anerkennung und Vollstreckung von übermittelten Entscheidungen führen, wenn sie im Entscheidungsstaat strafbar sind und „so wie sie in dessen Recht definiert sind“.

Folglich sei die Behörde des Vollstreckungsstaats grundsätzlich an die Beurteilung der in Rede stehenden Zuwiderhandlung durch die Behörde des Entscheidungsstaats gebunden, insbesondere hinsichtlich der Frage, ob diese Zuwiderhandlung unter eine der Kategorien von Straftaten und Verwaltungsübertretungen (Ordnungswidrigkeiten) ohne Überprüfung des Vorliegens der beiderseitigen Strafbarkeit fällt.

Wenn also die Behörde des Entscheidungsstaats eine Zuwiderhandlung als unter eine dieser Kategorien fallend einordnet, sei die Behörde des Vollstreckungsstaats grundsätzlich verpflichtet, die Entscheidung, mit der diese Zuwiderhandlung sanktioniert wird, anzuerkennen und zu vollstrecken.

Unter diesen Umständen hat der EuGH entschieden, dass das Zalaegerszegi Járásbíróság (Kreisgericht Zalaegerszeg) die Anerkennung und Vollstreckung der ihm von den österreichischen Behörden übermittelten Sanktionsentscheidung nicht verweigern darf.

EuGH, Urt. v. 06.10.2021 – C-136/20