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Keine Staatshaftung im Abgasskandal

Haftet der Staat für unzureichende Kontrollen oder Sanktionen im Abgasskandal? Das OLG Koblenz hat das verneint. Demnach hat die Bundesrepublik bei der Umsetzung der Richtlinie 2007/46/EG ihr Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt. Auch sei es bei der Erteilung und Überwachung der Typgenehmigungen zu keinem die Haftung auslösenden Versäumnis des Kraftfahrt-Bundesamts gekommen.

Darum geht es

Die Klägerin erwarb im September 2013 ein Gebrauchtfahrzeug des Typs VW Polo, in das ein von der Volkswagen AG hergestellter Motor des Typs EA 189 verbaut ist, der mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehen war.

Die Klägerin hat die Bundesrepublik Deutschland in diesem Zusammenhang aus unionsrechtlicher Staatshaftung in Anspruch genommen, weil die Beklagte in „qualifizierter“ Weise gegen Normen des Unionsrechts, und zwar der Richtlinie 2007/46/EG verstoßen habe.

Konkret habe die Beklagte versäumt, für Verstöße der Hersteller wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen vorzusehen. Zudem habe das Kraftfahrt-Bundesamt für den verfahrensgegenständlichen Fahrzeugtyp rechtswidrig eine Typgenehmigung erteilt.

Das Landgericht Koblenz hat die Klage abgewiesen, weil die Vorschriften der Richtlinie 2007/46/EG, auf die die Klägerin ihren Anspruch stützt, dem einzelnen Käufer kein subjektives Recht verliehen und er folglich aus diesen keinen individuellen Anspruch ableiten könne. Das hat die Klägerin anders gesehen und gegen das Urteil Berufung eingelegt.

Wesentliche Entscheidungsgründe

Das OLG Koblenz hat die Rechtsauffassung des Landgerichts Koblenz bestätigt.

Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs setze die Haftung eines Mitgliedsstaates der EU unter anderem voraus, dass einerseits gegen eine unionsrechtliche Norm verstoßen wurde, die dem Einzelnen Rechte verleiht, und dass andererseits der Verstoß „hinreichend qualifiziert“ ist. Beides sei hier nicht erfüllt.

Wortlaut, Sinn und Zweck der einschlägigen Bestimmungen wie auch die der Richtlinie vorangestellten Erwägungen des Unionsgesetzgebers zeigten, dass die Richtlinie 2007/46/EG der Harmonisierung des Binnenmarktes diene.

Sie ziele dagegen nicht auf den Schutz der von der Klägerin angeführten individuellen Interessen, insbesondere nicht auf den Schutz des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts.

Zudem fehle es an einem „hinreichend qualifizierten“ Verstoß gegen Unionsrecht. Ein solcher sei gegeben, wenn die Grenzen, die das Gemeinschaftsrecht bei der Umsetzung einer Richtlinie dem Ermessen des Mitgliedsstaates oder des für ihn handelnden Organs setze, offenkundig und erheblich überschritten werden.

Das sei hier nicht der Fall. Soweit die Richtlinie 2007/46/EG in Art. 46 fordere, dass wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen für Verstöße festzulegen sind, habe der Bundesgesetzgeber dies mit den in § 37 EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung normierten Ordnungswidrigkeiten und mit der nach § 25 EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung geschaffenen Möglichkeit zum (Teil-)Widerruf oder zur Rücknahme der Typgenehmigung hinreichend umgesetzt.

Auch treffe das Kraftfahrt-Bundesamt bei der Ausübung der ihm zufallenden Kontrollpflichten kein Versäumnis, für das die Beklagte haften könnte.

Soweit das Kraftfahrt-Bundesamt bei der ihm obliegenden Pflicht, die Angaben der Hersteller auf Vollständigkeit und Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht zu prüfen, nicht über die europarechtlich vorgeschriebenen Prüfungen hinaus nach verbotenen Abschalteinrichtungen geforscht und offenbar auf die Herstellerangaben vertraut habe, begründe dies keinen „qualifizierten“ Verstoß gegen die unionsrechtlichen Vorgaben.

Die Entscheidung ist rechtskräftig. Eine Nichtzulassungsbeschwerde zum BGH war im entschiedenen Fall nicht zulässig.

OLG Koblenz, Urt. v. 27.05.2021 – 1 U 1685/20