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Haftungsverteilung bei Unfällen mit Radfahrern

Die Neufassung des § 7 Abs. 2 StVG hat zur Folge, dass bei einem Unfall zwischen einem Kraftfahrzeug und einem erwachsenen Radfahrer ein vollständiger Haftungsausschluss nur in besonderen Einzelfällen möglich ist. Dafür muss der einfachen Betriebsgefahr des Kraftfahrzeug ein grob verkehrswidriges Verhalten des Radfahrers gegenüberstehen.

Darum geht es

Die Klägerin befuhr einen Radweg und bog nach links in eine Landstraße ein. Auf der Landstraße kam es zu einer Kollision mit einem Lkw Modell Ford Transit. Die Klägerin erlitt zahlreiche gravierende Verletzungen an Becken, Beinen, Torso und auch am Kopf, musste infolge des Unfalls auf der Intensivstation behandelt werden und trug bleibende körperliche Schäden davon.

Beklagte sind der Halter des Lkw und die Haftpflichtversicherung, bei welcher das Fahrzeug versichert war.

Die Beweiserhebung in der Vorinstanz ergab, dass die Klägerin vor dem Einbiegen in die Landstraße möglicherweise kurz stoppte, dann jedoch die Vorfahrt des mit korrekter Geschwindigkeit fahrenden Lkw missachtete und noch vor Abschluss des Einbiegevorgangs von diesem erfasst wurde. Dabei sei der Lkw weder zu weit links gefahren, noch habe der Fahrer verzögert reagiert.

Die Klägerin verlangte ein angemessenes Schmerzensgeld, die Übernahme von Gutachter- und Anwaltskosten sowie die Feststellung, dass die Beklagten zum Ersatz aller materiellen und immateriellen Schäden verpflichtet seien. Das Landgericht wies die Klage ab und führte zur Begründung aus, es sei kein Nachweis über ein verkehrswidriges Verhalten des Führers des Lkw erbracht worden, demgegenüber stehe fest, dass die Klägerin die Vorfahrt missachtet habe. Ihr Verschulden überwiege daher so stark, dass die grundsätzlich anzurechnende Betriebsgefahr auf Seiten der Beklagten vollständig zurücktrete.

Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt.

Wesentliche Entscheidungsgründe

Die Berufung hat teilweise Erfolg.

Aus dem Unfallhergang ergebe sich grundsätzlich eine Haftung der Klägerin zu 2/3 und der Beklagten zu 1/3. Den Ausführungen des Landgerichts, wonach das Verschulden der Klägerin am Unfall die Betriebsgefahr derart überwiege, dass letztere vollständig zurücktrete, könne nicht gefolgt werden.

Den Gesetzesmaterialien zur Reform des § 7 Abs. 2 StVG sei zu entnehmen, dass jedenfalls im Hinblick auf Verkehrsunfälle mit Beteiligung von Kraftfahrzeugen und erwachsenen, nicht hilfsbedürftigen Radfahrern ein vollständiger Haftungsausschluss nur noch in besonderen Einzelfällen möglich sein sollte, insbesondere dann, wenn der einfachen Betriebsgefahr des Kraftfahrzeughalters ein grob verkehrswidriges Verhalten des Radfahrers gegenübersteht. Dies sei ohne Weiteres gegeben, wenn ein wartepflichtiger Radfahrer blindlings und ohne Halt aus einem Feldweg auf eine Landstraße einbiegt. Ein solches Verhalten sei jedoch weder vom Landgericht festgestellt noch im Rahmen des § 529 ZPO als bewiesen anzusehen. Selbst der Führer des Lkw habe es für möglich gehalten, dass die Klägerin an der Einmündung kurz gestoppt habe.

In Anbetracht dieser Umstände komme ein vollständiger Haftungsausschluss zugunsten der Beklagten nicht in Betracht. Aufgrund der erheblichen Betriebsgefahr des Lkw (ausweislich der Verletzungen) und dem schuldhaften Vorfahrtsverstoß der Klägerin ergebe sich die gesamtschuldnerische Haftung der Beklagten zu 1/3 und die Mithaftung der Klägerin von 2/3.

Urteil im Volltext: OLG Saarbrücken, Urt. v. 04.07.2013 - 4 U 65/12 - 19, DRsp-Nr. 2013/17770

Lesen Sie hierzu auch: Schadenersatzklage bei unbeziffertem Schmerzensgeldanspruch