Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0

Berücksichtigung des Mitverschuldens eines Kindes beim Verkehrsunfall

Das Mitverschulden eines Kindes an einem Unfall ist geringer zu bewerten als bei einem Erwachsenen. Die Haftung für die Betriebsgefahr des Fahrzeugs muss das bei Kindern erhöhte Risiko auffangen.

Im Rahmen der Abwägung gemäß § 9 StVG müssen bei der Bewertung des Verschuldens eines Kindes “altersgemäße Maßstäbe” berücksichtigt werden, so dass das Verschulden eines Kindes dem eines Erwachsenen grundsätzlich nicht gleich gesetzt werden kann, sondern geringer zu bewerten ist.

Zwar ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass ausnahmsweise bei der Unfallbeteiligung eines Minderjährigen die Betriebsgefahr des Fahrzeugs hinter das Verschulden des Kindes tritt, wenn ein „altersspezifisch auch subjektiv besonders vorwerfbarer“ Sorgfaltsverstoß des Kindes bzw. Jugendlichen vorliegt (BGH, Urt. v. 13.02.1990   VI ZR 128/89, NJW 1990, 1483),

Grundsätzlich ist aber im Rahmen der Abwägung der Zweck der Gefährdungshaftung zu berücksichtigen. Sinn der Haftung aus Betriebsgefahr ist es, die besonderen Gefahren des Straßenverkehrs auszugleichen. So weist der BGH in der zitierten Entscheidung vom 13.2.1990 darauf hin: „Kinder sind durch den Betrieb von Kraftfahrzeugen wegen der fehlenden Eingewöhnung und Erfahrung im Straßenverkehr erheblich stärker gefährdet als Erwachsene. Entsprechend dem Haftungszweck der Gefährdungshaftung muss daher die Haftung für die Betriebsgefahr auch dieses bei Kindern erhöhte Risiko auffangen. In diesem Sinn ist der Umstand, dass ein Kind durch sein verkehrswidriges Verhalten mit zu dem Unfall beigetragen hat, haftungsrechtlich der Betriebsgefahr des Kraftfahrzeugs zuzuordnen, wenn und soweit sich darin altersgemäß der Lern- und Eingewöhnungsprozess in die Gefahren des Straßenverkehrs niederschlägt […].“

Auch wenn die Geschädigte vorliegend die Altersgrenze des § 828 Abs. 2 BGB von 10 Jahren bereits überschritten hatte, ist zu berücksichtigen, dass die kindlichen Eigenheiten – Impulsivität, mangelnde Konzentrationsfähigkeit und gruppendynamisches Verhalten, die ein Kind an der hinreichenden Einschätzung der Gefahren des Straßenverkehrs hindern, „nicht gewissermaßen punktuell mit dem Erreichen des zehnten Lebensjahres abgestellt werden“. Daher ist bei der Bewertung von Verkehrsverstößen die altersbedingte Entwicklung des Kindes oder Jugendlichen in die Bewertung einzubeziehen und vorliegend insbesondere zu berücksichtigen, dass das verletzte Kind im Zeitpunkt des Unfalls die Altersgrenze des § 828 Abs. 2 BGB erst um 9 Monate überschritten hatte und der konkrete Sachverhalt ein alterstypisches Fehlverhalten erkennen lässt.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze stellt sich das Verschulden der Geschädigten im Rahmen der Abwägung nicht als subjektiv so vorwerfbar dar, dass es die Betriebsgefahr des Fahrzeugs des Beklagten vollständig zurücktreten lässt.

OLG Karlsruhe, Urteil vom 20. Juni 2012 – 13 U 42/12, DRsp Nr. 2012/14234