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BVerfG - Entscheidung vom 07.08.2021

2 BvQ 80/21

Normen:
BVerfGG § 23 Abs. 1 S. 2
BVerfGG § 32 Abs. 1
BVerfGG § 92
BVerfGG § 23 Abs. 1 S. 2
BVerfGG § 32 Abs. 1
BVerfGG § 92
BVerfGG § 32 Abs. 1

BVerfG, Beschluss vom 07.08.2021 - Aktenzeichen 2 BvQ 80/21

DRsp Nr. 2021/13077

Zulässigkeit eines Antrags auf Eilentscheidung vor Erschöpfung des Rechtswegs nur in eng begrenzten Ausnahmefällen (hier: Einreiseverweigerung und Zurückschiebung nach Katar)

Für eine einstweilige Anordnung ist kein Raum, wenn sich der Antrag in der Hauptsache als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet erweist. So verhält es sich auch, wenn der Antragsteller - wie hier - zu den Erfolgsaussichten einer noch zu erhebenden Verfassungsbeschwerde nicht hinreichend substantiiert vorgetragen hat.

Tenor

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Normenkette:

BVerfGG § 32 Abs. 1 ;

[Gründe]

Der Antragsteller befindet sich derzeit im Transitbereich des Flughafens Frankfurt am Main; ihm wurde die Einreise verwehrt. Er begehrt, einstweilig nicht nach Doha, Katar, zurückgeschoben zu werden. Die Kammer hat die Begründung ihrer Entscheidung gemäß § 32 Abs. 5 BVerfGG nach Bekanntgabe des Beschlusstenors schriftlich abgefasst.

1. Der Antrag ist zulässig.

Auch im vorgelagerten verfassungsgerichtlichen Eilrechtsschutzverfahren gilt der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde (vgl. § 90 Abs. 2 BVerfGG ). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kommt daher nur in Betracht, wenn der Antragsteller bestehende Möglichkeiten, fachgerichtlichen Eilrechtsschutz zu erlangen, ausgeschöpft hat (vgl. BVerfG, Beschluss der2. Kammer des Zweiten Senats vom 22. September 2016 - 2 BvQ 52/16 -, Rn. 2; Beschluss der 1. Kammer des Erstens Senats vom 13. August 2019 - 1 BvQ 66/19 -, Rn. 2; stRspr). Ein Antrag auf Eilentscheidung durch das Bundesverfassungsgericht ist vor Erschöpfung des Rechtswegs nur in eng begrenzten Ausnahmefällen zulässig (vgl. BVerfGE 68, 376 <380>). Dies kommt gemäß § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG in Betracht, wenn ein Zuwarten bis zu einer (verwaltungs-)gerichtlichen Entscheidung unzumutbar wäre, weil ein schwerer und unabwendbarer Nachteil entstünde. Dabei ist im Verfahren nach § 32 Abs. 1 BVerfGG ein strenger Maßstab zugrunde zu legen (vgl. BVerfGE 87, 107 <111>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. März 2014 - 1 BvQ 9/14 -, Rn. 3; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 23. Oktober 2020 - 1 BvQ 120/20 -, Rn. 7 f.).

Ein solcher Ausnahmefall liegt hier vor. Die Bundespolizei verweigerte dem Antragsteller am 6. August 2021, einem Freitag, um 15.04 Uhr an der Grenzübergangsstelle Flughafen Frankfurt am Main die Einreise. Die Gründe hierfür wurden ihm gegen 19.22 Uhr mitgeteilt. Gegen die Einreiseverweigerung hat der Antragsteller Widerspruch erhoben. Durch seine Bevollmächtigte hat er den fachgerichtlichen Rechtsweg beschritten, indem er mit Fax vom gleichen Tag um 22.10 Uhr beim Verwaltungsgericht Frankfurt am Main beantragt hat, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs anzuordnen, die Bundespolizei anzuweisen, die für den 7. August 2021 um 10.15 Uhr (später verschoben auf 16.50 Uhr) geplante Zurückschiebung nicht durchzuführen und den Antragsteller in die Bundesrepublik Deutschland einreisen zu lassen. Am 7. August 2021 um 9.35 Uhr hat der Antragsteller durch seine Bevollmächtigte den Antrag auf einstweilige Anordnung beim Bundesverfassungsgericht gestellt. Ausweislich der Internetseite des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main endet dessen Sprechzeit freitags um 14.30 Uhr. Wörtlich heißt es dort weiter: "Bei kurzfristigem Eilrechtsschutz wird um Vorankündigung während der Sprechzeiten gebeten!" Diese Vorankündigung war dem Antragsteller ersichtlich unmöglich. Jedenfalls zum Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts um 15.48 Uhr war eine fachgerichtliche Entscheidung nicht mehr zu erwarten und dem Antragsteller das weitere Zuwarten mit Blick auf die nahende Zurückschiebung daher nicht (mehr) zumutbar. Ob das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main mit Blick auf die Rechtsschutzgarantie gehalten ist, einen Bereitschaftsdienst für Fälle wie den vorliegenden einzurichten, ob also hierfür ein praktischer Bedarf besteht, der über den Ausnahmefall hinausgeht (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Dezember 2003 - 2 BvR 1481/02 -, Rn. 13 f. in Bezug auf den Richtervorbehalt bei Durchsuchungsanordnungen; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 13. Dezember 2005 - 2 BvR 447/05 -, Rn. 36 in Bezug auf den Richtervorbehalt bei Freiheitsentziehungen), kann hier offenbleiben.

2. Der Antrag ist jedoch unbegründet.

Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Bei der Prüfung dieser Voraussetzungen ist ein strenger Maßstab anzulegen. Dabei müssen die Gründe, welche für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme sprechen, außer Betracht bleiben. Für eine einstweilige Anordnung ist allerdings kein Raum, wenn sich der Antrag in der Hauptsache als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet erweist (vgl. BVerfGE 89, 344 <345>; 92, 130 <133>; 118, 111 <122>; 143, 65 <87>; 145, 348 <356 Rn. 28>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 1. Oktober 2018 - 2 BvR 1845/18 -, Rn. 19; Beschluss des Zweiten Senats vom 30. Oktober 2018 - 2 BvQ 90/18 -, Rn. 9; stRspr).

Dies ist hier der Fall. Eine Verfassungsbeschwerde wäre auf der Grundlage des Vortrags des Antragstellers nicht zur Entscheidung anzunehmen. In der Sache wendet sich der Antragsteller gegen die Einreiseverweigerung und Zurückschiebung. Zu den Erfolgsaussichten einer noch zu erhebenden Verfassungsbeschwerde hat er jedoch - auch unter Berücksichtigung reduzierter Anforderungen in extremen Eilfällen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 2. März 2017 - 2 BvQ 7/17 -, Rn. 3) - nicht hinreichend substantiiert vorgetragen. Die Bundespolizei hat die Einreiseverweigerung unter anderem darauf gestützt, dass die Niederlassungserlaubnis des Antragstellers seit dem 15. Februar 2019 erloschen sei. Der Antragsteller trägt hierzu vor, das Erlöschen sei ihm nicht bekannt gemacht worden. Nach seiner eigenen Darstellung hat die deutsche Botschaft ihn jedoch auf das Visumverfahren zum Zwecke der Familienzusammenführung verwiesen, nachdem ihm zu einem früheren Zeitpunkt am Flughafen Ben Gurion in Tel Aviv nicht gestattet worden war, ein Flugzeug nach Deutschland zu betreten. Diese Auskunft habe er nicht nachvollziehen können. Es hätte näheren Vortrags bedurft, warum er dem Hinweis der Botschaft, der auf eine Schwierigkeit mit seiner Niederlassungserlaubnis hindeutete, nicht nachgegangen ist. Der Vortrag des Antragstellers, er sei aufgrund dessen anwaltlich vertreten gewesen und im Rahmen einer Akteneinsicht im November 2019 sei kein Erlöschen der Niederlassungserlaubnis bekannt geworden, lässt im Unklaren, ob und welche anderen Erkenntnisse der Antragsteller zur Notwendigkeit eines Visumverfahrens in diesem Zusammenhang gewonnen hat. Soweit er die fehlende Zustellung eines rechtsmittelfähigen Bescheids rügt, berücksichtigt der Antragsteller nicht, dass er sich zu dem Zeitpunkt, als die Niederlassungserlaubnis erloschen sein soll, im Ausland befand. Es ist nicht mitgeteilt, ob er trotzdem für die zuständige Behörde erreichbar war. Der vage Hinweis, er sei im Jahr 2019 anwaltlich vertreten gewesen, genügt den Begründungsanforderungen nicht, da die Zustellung an einen Anwalt nur möglich ist, wenn dieser als Bevollmächtigter bei der zuständigen Behörde bestellt, der Behörde also bekannt ist.

Für eine Folgenabwägung im Rahmen der Entscheidung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG ist daher kein Raum.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.