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BVerfG - Entscheidung vom 05.03.2021

2 BvR 2454/18

Normen:
BVerfGG § 23 Abs. 1 S. 2
BVerfGG § 90 Abs. 1
BVerfGG § 92
EuGHSa Art. 18 Abs. 2
EuGHSa Art. 19 Abs. 3
EuGHSa Art. 42
EuGHSaProt
Art. 20 Abs. 1 EuGHVfO 2012
Art. 37 EuGHVfO 2012
Art. 181 EuGHVfO 2012
EuGVfO Art. 25 § 1
EuGVfO Art. 51
BVerfGG § 23 Abs. 1 S. 2
BVerfGG § 90 Abs. 1
BVerfGG § 92
Satzung EuGH Art. 18 Abs. 2
Satzung EuGH Art. 19 Abs. 3
Satzung EuGH Art. 42
Satzung EuGH Protokoll
VerfO EuGH (2012) Art. 20 Abs. 1
VerfO EuGH (2012) Art. 37
VerfO EuGH (2012) Art. 181
VerfO EuG Art. 25 § 1
VerfO EuG Art. 51
BVerfGG § 90 Abs. 1
VerfO EuGH Art. 25 § 1

BVerfG, Beschluss vom 05.03.2021 - Aktenzeichen 2 BvR 2454/18

DRsp Nr. 2021/5490

Widerruf der eingetragenen Wortmarke "bittorrent" durch das Amt der Europäischen Union für Geistiges Eigentum (EUIPO) als Maßnahme; Anforderungen an die Begründung einer Verfassungsbeschwerde

Tenor

1.

Die Verfahren 2 BvR 2454/18, 2 BvR 227/19 und 2 BvR 339/19 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

2.

Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen.

Normenkette:

BVerfGG § 90 Abs. 1 ; VerfO EuGH Art. 25 § 1;

[Gründe]

I.

Das Amt der Europäischen Union für Geistiges Eigentum (EUIPO) widerrief die Wortmarke "bittorrent", die für die Rechtsvorgängerin der Beschwerdeführerin zu II. und III. eingetragen war und deren Alleingesellschafter und Geschäftsführer der Beschwerdeführer zu I.1. ist. Gegen den Widerruf klagte die Beschwerdeführerin zu II. und III. vor dem Gericht der Europäischen Union erfolglos. Das daraufhin eingelegte Rechtsmittel wies der Gerichtshof der Europäischen Union mit Beschluss vom 28. Juni 2018 zurück.

1. Mit Schreiben vom 28. August 2018 legten der Beschwerdeführer zu I.1. und die Beschwerdeführerin zu I.2. dagegen Drittwiderspruch ein. Diesen verwarf der Gerichtshof mit Beschluss vom 11. Oktober 2018, gegen den sich die Verfassungsbeschwerde im Verfahren 2 BvR 2454/18 richtet, als unzulässig, weil ein Drittwiderspruch gemäß Art. 42 der Satzung des Gerichtshofs nur von Personen eingelegt werden könne, die durch die angegriffene Entscheidung in eigenen Rechten verletzt seien. Die wirtschaftlichen Interessen des Beschwerdeführers zu I.1. als Alleingesellschafter und der Beschwerdeführerin zu I.2. als Darlehensgeberin der Beschwerdeführerin zu II. und III. würden für das nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs erforderliche unmittelbare rechtliche Interesse am Ausgang des Verfahrens nicht ausreichen.

2. Ebenfalls mit Schreiben vom 28. August 2018 forderte die Beschwerdeführerin zu II. den Rat der Europäischen Union zur Abänderung von Art. 181 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs auf, damit der Gerichtshof Rechtsmittel erst nach (nochmaliger) Anhörung der Parteien zurückweisen dürfe. Dies lehnte der Rat wegen fehlender Kompetenz ab. Hiergegen erhob die Beschwerdeführerin zu II. mit anwaltlichem Schriftsatz vom 3. November 2018 Nichtigkeitsklage zum Gericht der Europäischen Union.

Im Laufe des Klageverfahrens reichte die Beschwerdeführerin zu II. ein Ablehnungsgesuch gegen den Präsidenten der über die Nichtigkeitsklage entscheidenden Kammer ein, ohne sich hierbei anwaltlich vertreten zu lassen. Mit Schreiben vom 7. Dezember 2018 teilte die Kanzlei des Gerichts der Europäischen Union mit, dass das Ablehnungsgesuch nicht bearbeitet werden könne, weil es entgegen Art. 51 der Verfahrensordnung des Gerichts nicht durch einen Rechtsanwalt eingereicht worden sei.

3. Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 27. September 2018 in englischer Sprache beantragte die Beschwerdeführerin zu III. beim Gerichtshof zum einen ein Auslegungsurteil nach Art. 43 des Protokolls über die Satzung des Gerichtshofs (EuGH-Satzung) sowie zum anderen die Wiedereröffnung des Verfahrens.

Die Beschwerdeführerin zu III. stellte sodann, ohne sich hierbei von einem Rechtsanwalt vertreten zu lassen, ein Ablehnungsgesuch in deutscher Sprache. Nachdem der Gerichtshof mit Beschluss vom 13. Dezember 2018 seinen Beschluss vom 28. Juni 2018 wegen einer offensichtlichen Unrichtigkeit nach Art. 154 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs korrigierte, ergänzte die Beschwerdeführerin zu III. ihr Ablehnungsgesuch, wiederum ohne Zuziehung eines Rechtsanwalts und in deutscher Sprache.

Der Gerichtshof verwarf den Antrag auf Urteilsauslegung als offensichtlich unzulässig. Mit Schreiben vom 21. Dezember 2018 teilte die Kanzlei des Gerichtshofs mit, dass das Ablehnungsgesuch und dessen Ergänzung nicht bearbeitet werden könnten, weil diese entgegen Art. 19 der Satzung des Gerichtshofs nicht durch einen Rechtsanwalt und nicht in der Verfahrenssprache Englisch eingereicht worden seien.

II.

1. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer zu I. eine Verletzung ihrer Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3, Art. 23 Abs. 1 Satz 3, Art. 79 Abs. 3 , Art. 101 Abs. 1 Satz 2 sowie Art. 103 Abs. 1 GG .

Die Anforderungen an die Zulässigkeit eines Drittwiderspruchs seien praktisch nicht erfüllbar und würden den Grundsatz der Waffengleichheit verletzen. Ohne Beschwerdemöglichkeit gegen Entscheidungen des Gerichtshofs bestehe kein "Rechtsschutzsystem". Es liege eine Grundrechtslücke im Unionsrecht vor. Daher werde die Reservekompetenz aus der Lissabon-Entscheidung aktiviert. Die Europäische Union müsse zudem (zumindest teilweise) der EMRK beitreten.

2. Die Beschwerdeführerin zu II. rügt ebenfalls eine Verletzung der vorgenannten Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte sowie des Art. 5 Abs. 1 GG . Ergänzend macht sie geltend, dass die Kanzlei des Gerichts nicht selbst über das Ablehnungsgesuch habe entscheiden dürfen. Ablehnungsgesuche nur mit anwaltlichem Beistand einreichen zu können, verletze den Anspruch auf rechtliches Gehör und den Justizgewährungsanspruch; zudem sei Art. 6 EMRK in seinem Wesensgehalt betroffen. Mittelbar werden Art. 19 Abs. 3 EuGH-Satzung sowie Art. 51 der Verfahrensordnung des Gerichts der Europäischen Union angegriffen.

3. Die Beschwerdeführerin zu III. rügt alle vorgenannten Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte. Ergänzend macht sie geltend, dass die Entscheidung der Kanzlei willkürlich sei, da Art. 37 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs keine Regelung für die Verfahrenssprache bei Ablehnungsgesuchen treffe. Mittelbar wendet sich die Beschwerdeführerin zudem gegen Art. 18 Abs. 2 EuGH-Satzung und Art. 37 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs.

III.

Die Verfassungsbeschwerden sind nicht zur Entscheidung anzunehmen (§ 93a Abs. 2 BVerfGG ), weil sie unzulässig sind. Sie bezeichnen schon keinen konkreten Hoheitsakt im Sinne des § 90 Abs. 1 BVerfGG . Auch genügen sie offensichtlich nicht den Anforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 BVerfGG . Ihre Begründungen lassen eine Verletzung von Rechten im Sinne des § 90 Abs. 1 BVerfGG inhaltlich nachvollziehbar nicht erkennen.

1. Die Rügen der Beschwerdeführer, ihre Grundrechte würden unmittelbar durch den Beschluss des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 11. Oktober 2018, die Schreiben der Kanzlei des Gerichts der Europäischen Union vom 7. Dezember 2018 oder der Kanzlei des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 21. Dezember 2018 verletzt, sind unzulässig, weil ihnen kein tauglicher Beschwerdegegenstand zugrunde liegt. Bei den angegriffenen Akten handelt es sich nicht um Hoheitsakte deutscher öffentlicher Gewalt im Sinne von Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG und § 90 Abs. 1 BVerfGG .

a) Maßnahmen dieser Art können zwar - als Vorfrage - Gegenstand der Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht sein, soweit sie die Grundrechtsberechtigten in Deutschland betreffen. Eine solche Prüfungsbefugnis besteht aber nur, soweit diese Maßnahmen entweder Grundlage von Handlungen deutscher Staatsorgane sind (vgl. BVerfGE 134, 366 <382 Rn. 23>) oder aus der Integrationsverantwortung folgende Reaktionspflichten deutscher Verfassungsorgane auslösen (vgl. BVerfGE 134, 366 <394 ff. Rn. 44 ff.>; 135, 317 <393 f. Rn. 146>; 142, 123 <180 Rn. 99>). Insofern prüft das Bundesverfassungsgericht mittelbar auch Maßnahmen von Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union daraufhin, ob sie durch das auf der Grundlage von Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG durch das Zustimmungsgesetz gebilligte Integrationsprogramm gedeckt sind oder gegen die der europäischen Integration durch das Grundgesetz sonst gezogenen Grenzen verstoßen (vgl. BVerfGE 73, 339 <374 ff.>; 102, 147 <161 ff.>; 118, 79 <95 ff.>; 123, 267 <354>; 126, 286 <298 ff.>; 140, 317 <334 ff. Rn. 36 ff.>; 142, 123 <180 Rn. 98 f.>; BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 28. Juni 2016 - 2 BvR 322/13 -, Rn. 9 und vom 19. Juli 2016 - 2 BvR 2752/11 -, Rn. 17).

b) Die Verfassungsbeschwerden sind unzulässig, weil sie sich gegen Maßnahmen des Gerichtshofs und des Gerichts der Europäischen Union wenden. Die Beschwerdeführer greifen allein den Beschluss des Gerichtshofs beziehungsweise die Schreiben der Kanzlei des Gerichtshofs und des Gerichts an. Diese Maßnahmen bedürfen nicht der Umsetzung oder des Vollzugs durch deutsche Staatsorgane oder deren sonstiger Mitwirkung.

c) Die Beschwerdeführer machen auch nicht substantiiert geltend und es ist auch nicht ersichtlich, dass es sich bei den angegriffenen Maßnahmen um Ultra-vires-Akte oder Berührungen der Verfassungsidentität gemäß Art. 79 Abs. 3 GG handelt.

Es ist nicht ersichtlich, dass die durch Art. 79 Abs. 3 GG für unantastbar erklärten Grundsätze berührt werden. Zwar können Befangenheits- und Sprachregelungen durchaus das Recht auf ein faires Verfahren oder den Anspruch auf effektiven Rechtsschutz beeinträchtigen. Die Beschwerdeführer haben jedoch nicht ansatzweise dargetan, dass dies vorliegend in einer Art. 1 Abs. 1 GG berührenden Weise geschehen wäre.

Die Kanzlei des Gerichts ist nach Art. 20 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs beziehungsweise Art. 25 § 1 der Verfahrensordnung des Gerichts mit der Entgegennahme und Übermittlung aller Schriftstücke betraut. Dass sie in diesem Zusammenhang ein Ablehnungsgesuch mit der Begründung zurückweist, dieses sei entgegen Art. 19 EuGH-Satzung, Art. 51 der Verfahrensordnung des Gerichts nicht durch einen Rechtsanwalt oder nicht in der Verfahrenssprache nach Art. 37 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs eingereicht worden, lässt einen Bezug zu Art. 1 Abs. 1 GG nicht erkennen.

2. Soweit sich die Beschwerdeführer mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen ein vermeintliches Unterlassen der deutschen Mitglieder der EU-Kommission, des Rates und des Europäischen Parlaments wenden, ist die Verfassungsbeschwerde ebenfalls unzulässig. Gleiches gilt, soweit sie ein Unterlassen der Mitglieder des Bundesrats, des Bundestags und der Bundesregierung rügen. Ein Unterlassen des Gesetzgebers kann Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde nur sein, wenn sich der Beschwerdeführer auf einen ausdrücklichen Auftrag des Grundgesetzes berufen kann, der Inhalt und Umfang der Gesetzgebungspflicht im Wesentlichen umgrenzt hat (vgl. BVerfGE 6, 257 <264>; 23, 242 <259>; 56, 54 <70 f.>; 129, 124 <176>). Grundlagen, die die Annahme einer solchen Handlungspflicht der deutschen Verfassungsorgane begründen könnten, haben die Beschwerdeführer weder substantiiert vorgetragen, noch sind sie sonst ersichtlich.

3. Soweit sich die Verfassungsbeschwerden mittelbar gegen Art. 18 Abs. 2 und Art. 19 Abs. 3 EuGH-Satzung, Art. 37 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs und Art. 51 der Verfahrensordnung des Gerichts der Europäischen Union wenden, kommt eine Verletzung der Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte der Beschwerdeführerin ebenfalls nicht in Betracht. Auch bei diesen Vorschriften handelt es sich nicht um Akte der deutschen öffentlichen Gewalt im Sinne von Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG und § 90 Abs. 1 BVerfGG (vgl. BVerfGE 22, 293 <295 ff.>; 37, 271 <281 f.>; 118, 79 <95>). Dass deutsche Verfassungsorgane bei ihrem Zustandekommen oder später ihrer Integrationsverantwortung nicht nachgekommen wären, wird nicht substantiiert geltend gemacht.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Vorinstanz: EuGH, vom 11.10.2018 - Vorinstanzaktenzeichen C-118/18