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BVerfG - Entscheidung vom 08.08.2021

2 BvR 171/20

Normen:
BVerfGG § 23 Abs. 1 S. 2
BVerfGG § 92
BVerfGG § 93 Abs. 1 S. 1
BVerfGG § 23 Abs. 1 S. 2
BVerfGG § 92
BVerfGG § 93 Abs. 1 S. 1
BVerfGG § 23 Abs. 1 S. 2
BVerfGG § 93 Abs. 1 S. 1-2

BVerfG, Beschluss vom 08.08.2021 - Aktenzeichen 2 BvR 171/20

DRsp Nr. 2021/14180

Einlegung und Begründung der Verfassungsbeschwerde innerhalb der Monatsfrist; Erfolgen der fristauslösenden Zustellung oder formlosen Mitteilung im Strafverfahren an einen durch Rechtsgeschäft bestellten oder kraft Gesetzes ermächtigten Zustellungsbevollmächtigten

Angesichts dessen, dass im Falle mehrfacher Bekanntmachung einer strafgerichtlichen Entscheidung der Lauf der Frist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG bereits mit der zuerst bewirkten Zustellung oder formlosen Mitteilung der den Rechtsweg beendenden Entscheidung beginnt, ist im Verfassungsbeschwerdeverfahren die Angabe aller Zugangszeitpunkte - also sowohl des Zugangs bei dem oder den Verteidiger(n) als auch beim Beschuldigten - oder die Klarstellung, dass nur eine einzige (gegebenenfalls formlose) Bekanntgabe erfolgt ist, jedenfalls dann erforderlich, wenn sich die Einhaltung der Monatsfrist nicht ohne Weiteres aus den Unterlagen ergibt. Ein differenzierter Vortrag zu den jeweiligen Zugangszeitpunkten wird insbesondere dann notwendig, wenn die Verfassungsbeschwerde über einen Monat nach dem Entscheidungsdatum der angegriffenen letztinstanzlichen Entscheidung beim Bundesverfassungsgericht eingeht und der Verteidiger einen Zugangszeitpunkt bei sich selbst angibt, nach dem die Verfassungsbeschwerde nur einen Tag vor Ablauf der Monatsfrist gemäß § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG erhoben wurde. Andernfalls kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Beschuldigte die Entscheidung bereits zu einem früheren Zeitpunkt erhalten hat.

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Normenkette:

BVerfGG § 23 Abs. 1 S. 2; BVerfGG § 93 Abs. 1 S. 1-2;

[Gründe]

I.

1. Der Beschwerdeführer ist syrischer Staatsangehöriger.Er reiste am 24. September 2018 aus Athen kommend über den Flughafen Dresden in das Bundesgebiet ein. Im Zuge seiner Einreise ergab sich der Verdacht einer Straftat.

Unter dem 25. September 2018 erteilte der Beschwerdeführer in dem gegen ihn eingeleiteten Ermittlungsverfahren eine Zustellungsvollmacht an eine Mitarbeiterin (nachfolgend: die Zustellungsbevollmächtigte) des Amtsgerichts Dresden (nachfolgend: das Amtsgericht).

2. Das Amtsgericht erließ am 29. März 2019 einen Strafbefehl gegen den Beschwerdeführer, in dem es gegen ihn eine Geldstrafe in Höhe von 30 Tagessätzen zu je 10,00 EUR wegen einer Straftat nach § 95 Abs. 1 Nr. 3, § 4 Abs. 1 Satz 1, § 14 Abs. 1 Nr. 2 des Aufenthaltsgesetzes ( AufenthG ), § 267 Abs. 1 , § 52 des Strafgesetzbuches ( StGB ) verhängte. Diesen Strafbefehl stellte das Amtsgericht der Zustellungsbevollmächtigten zu, die den Erhalt am 3. Juli 2019 per Empfangsbekenntnis bestätigte. Dem Beschwerdeführer selbst wurde der Strafbefehl ausweislich der vorliegenden Zustellungsurkunde am 8. August 2019 zugestellt.

3. Mit Schriftsatz vom 15. August 2019, bei dem Amtsgericht am selben Tag eingegangen, legte der durch einen Rechtsanwalt vertretene Beschwerdeführer Einspruch gegen den Strafbefehl ein. Hilfsweise beantragte er die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zur Begründung führte er insbesondere aus, mit Blick auf das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 22. März 2017 (Az. C-124/16, C-188/16, C-213/16, EU:C:2017:228) müsse ihm ab tatsächlicher Kenntniserlangung von dem Strafbefehl die volle Einspruchsfrist zur Verfügung stehen. Der Wiedereinsetzung stehe auch die mögliche Zustellung an einen Zustellungsbevollmächtigten nicht entgegen.

4. a) Mit angegriffenem Beschluss vom 29. September 2019 verwarf das Amtsgericht den Einspruch als unzulässig und den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als unbegründet. Es sei Aufgabe des Verurteilten, nach Vollmachterteilung die Zustellung zu gewährleisten.

b) Gegen diese Entscheidung erhob der Beschwerdeführer das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde. Darin wies er insbesondere erneut auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Zustellung an einen Zustellungsbevollmächtigten hin. Danach müsse der Verurteilte ab tatsächlicher Kenntnisnahme von einem Strafbefehl über die volle Einspruchsfrist verfügen. Dies müsse auch hier gelten, da die Zustellungsbevollmächtigte den Strafbefehl so spät an den Beschwerdeführer weitergeleitet habe, dass ein fristgerechter Einspruch nicht mehr möglich gewesen sei. Dies sei mit dem Grundsatz des "fair trial" aus Art. 6 EMRK unvereinbar.

Das Landgericht Dresden (nachfolgend: das Landgericht) wies die sofortige Beschwerde mit angegriffenem Beschluss vom 18. November 2019, dem Bevollmächtigten zugestellt am 3. Dezember 2019, als unbegründet zurück. Der Beschwerdeführer habe die Einspruchsfrist schuldhaft versäumt. Er sei dahingehend belehrt worden, dass er sich wöchentlich bei dem Zustellungsbevollmächtigten erkundigen müsse, ob Schriftstücke für ihn eingegangen seien. Dies habe er nicht getan. Die Übersendung des Strafbefehls an die behördlich bekannt gewordene Adresse sei "überobligatorisch" erfolgt. Damit habe der Beschwerdeführer die Möglichkeit zur Kenntnisnahme von dem Strafbefehl trotz vorheriger Belehrung verstreichen lassen, sodass auch keine Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens gegeben sei.

c) Hinsichtlich dieser Entscheidung des Landgerichts erhob der Beschwerdeführer Anhörungsrüge nach § 33a StPO und hilfsweise Gegenvorstellung. Das Landgericht habe die von ihm zitierte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs "außer Betracht gelassen". Wenn das Gericht der Ansicht sei, die hiesige Konstellation entspreche nicht der vom Gerichtshof entschiedenen Frage, rege man ein Vorabentscheidungsverfahren an. Hierzu sei das Landgericht nach Art. 267 Abs. 2 AEUV verpflichtet.

Mit angegriffenem Beschluss vom 20. Dezember 2019, dem Bevollmächtigten zugestellt am 2. Januar 2020, wies das Landgericht den Rechtsbehelf zurück. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sei berücksichtigt, aber nicht als einschlägig erachtet worden.

II.

Mit seiner am 3. Februar 2020, einem Montag, vorab per Fax einschließlich aller Anlagen eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführereine Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG , Art. 103 Abs. 1 GG und Art. 101 Abs. 1 GG .

Der Antrag nach § 33a StPO sei nicht aussichtslos gewesen. Das Landgericht sei von einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs abgewichen, womit der Beschwerdeführer nicht habe rechnen müssen. Hierzu habe rechtliches Gehör gewährt werden müssen.

Die Verfassungsverletzung ergebe sich daraus, dass sich der Beschwerdeführer gegen den Strafbefehl nicht in der Sache habe verteidigen können. Zudem sei ihm der gesetzliche Richter entzogen worden, weil die Fachgerichte das Verfahren nicht dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt hätten.

III.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen (§ 93a Abs. 2 BVerfGG ), da sie unzulässig ist. Ihre Begründung wird den gesetzlichen Anforderungen (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG ) nicht gerecht.

1. Eine Verfassungsbeschwerde ist innerhalb der Monatsfrist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG nicht nur einzulegen, sondern auch zu begründen (vgl. BVerfGK 3, 207 <207 f.>; stRspr). Die allgemeine Begründungslast des § 23 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG verlangt grundsätzlich auch, dass der Beschwerdeführer innerhalb der Monatsfrist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG zu den Sachentscheidungsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde vorträgt, soweit deren Vorliegen nicht aus sich heraus erkennbar ist. Hierzu gehört im Zweifelsfall auch die schlüssige Darlegung, dass die Frist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG eingehalten ist, sofern sich dies nicht ohne Weiteres aus den Unterlagen ergibt (vgl. BVerfGK 14, 468 <469>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 30. Mai 2013 - 2 BvR 885/13 -, juris, Rn. 2; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 12. Juni 2014 - 2 BvR 1004/13 -, Rn. 3; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Juli 2018 - 2 BvR 1548/14 -, Rn. 15).

2. Gemäß § 93 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG beginnt die Monatsfrist mit der Zustellung oder formlosen Mitteilung der in vollständiger Form abgefassten Entscheidung, wenn diese nach den maßgebenden verfahrensrechtlichen Vorschriften von Amts wegen vorzunehmen ist. Im Falle mehrfacher Bekanntmachung einer strafgerichtlichen Entscheidung beginnt der Lauf der Frist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG bereits mit der zuerst bewirkten Zustellung oder formlosen Mitteilung der den Rechtsweg beendenden Entscheidung (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 6. April 1999 - 2 BvR 299/94 -, Rn. 4; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 12. Juni 2014 - 2 BvR 1004/13 -, Rn. 5).

a) Im Strafprozess erfolgt die Bekanntmachung von Entscheidungen von Amts wegen wahlweise durch Zustellung oder formlose Mitteilung, wenn die Entscheidungen - wie hier - nicht in Anwesenheit der betroffenen Person ergehen und keine strafprozessuale Frist in Gang setzen (vgl. § 35 Abs. 2 Satz 2 StPO ).

Die fristauslösende Zustellung oder formlose Mitteilung im Strafverfahren kann dabei nicht nur an die von der Entscheidung betroffene Person, sondern auch an einen durch Rechtsgeschäft bestellten oder kraft Gesetzes ermächtigten Zustellungsbevollmächtigten erfolgen (vgl. Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO , 64. Aufl. 2021, § 37 Rn. 3). Gemäß § 145a Abs. 1 StPO gelten der gewählte Verteidiger, dessen Vollmacht sich bei den Akten befindet, sowie der bestellte Verteidiger kraft Gesetzes als ermächtigt, Zustellungen und sonstige Mitteilungen für den Beschuldigten in Empfang zu nehmen (vgl. hierzu auch BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Juli 2006 - 2 BvR 386/06 -, Rn. 7).

Entscheidet sich das Strafgericht gemäß § 145a Abs. 1 StPO für eine Zustellung an den Wahl- oder Pflichtverteidiger, so wird der Beschuldigte hiervon unterrichtet und erhält gemäß § 145a Abs. 3 Satz 1 StPO zugleich formlos eine Abschrift der Entscheidung (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 20. März 2001 - 2 BvR 2058/00 -, Rn. 4). Hierin liegt eine formlose Mitteilung der in vollständiger Form abgefassten Entscheidung im Sinne des § 93 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 12. Juni 2014 - 2 BvR 1004/13 -, Rn. 10; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 24. Februar 2021 - 2 BvR 428/18 -, Rn. 6).

Da § 145a Abs. 1 StPO nicht zur Zustellung oder sonstigen Mitteilung an den Wahl- oder Pflichtverteidigerverpflichtet und § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO keine Anwendung findet, kann umgekehrt ebenso eine Zustellung nur an den Beschuldigten erfolgen; in diesem Fall ist aber dem Verteidiger nach § 145a Abs. 3 Satz 2 StPO eine Abschrift zu übermitteln (siehe auch Nr. 108 RiStBV ; vgl. Valerius, in: Münchener Kommentar zur StPO , 1. Aufl. 2014, § 37 Rn. 13; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO , 64. Aufl. 2021, § 145a Rn. 6). Auch dies stellt eine formlose Mitteilung der in vollständiger Form abgefassten Entscheidung im Sinne des § 93 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG dar und ist daher geeignet, die Frist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG auszulösen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 14. November 1990 - 2 BvR 1378/90 -, juris, Rn. 1; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 9. Oktober 2003 - 2 BvR 1351/03 -, Rn. 2; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Juli 2006 - 2 BvR 386/06 -, Rn. 7; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 12. Juni 2014 - 2 BvR 1004/13 -, Rn. 9; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 24. Februar 2021 - 2 BvR 428/18 -, Rn. 7).

b) Angesichts dessen ist im Verfassungsbeschwerdeverfahren die Angabe aller Zugangszeitpunkte - also sowohl des Zugangs bei dem oder den Verteidiger(n) als auch beim Beschuldigten - oder die Klarstellung, dass nur eine einzige (gegebenenfalls formlose) Bekanntgabe erfolgt ist, jedenfalls dann erforderlich, wenn sich die Einhaltung der Monatsfrist nicht ohne Weiteres aus den Unterlagen ergibt. Ein differenzierter Vortrag zu den jeweiligen Zugangszeitpunkten wird insbesondere dann notwendig, wenn die Verfassungsbeschwerde über einen Monat nach dem Entscheidungsdatum der angegriffenen letztinstanzlichen Entscheidung beim Bundesverfassungsgericht eingeht und der Verteidiger einen Zugangszeitpunkt bei sich selbst angibt, nach dem die Verfassungsbeschwerde nur einen Tag vor Ablauf der Monatsfrist gemäß § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG erhoben wurde. Andernfalls kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Beschuldigte die Entscheidung bereits zu einem früheren Zeitpunkt erhalten hat (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 12. Juni 2014 - 2 BvR 1004/13 -, Rn. 12 f.; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 24. Februar 2021 - 2 BvR 428/18 -, Rn. 8).

c) Eine eigenverantwortliche Feststellung des Fristbeginns ist dem Bevollmächtigen im Verfassungsbeschwerdeverfahren auch zumutbar, da er diesen in aller Regel durch Austausch mit dem Beschwerdeführer oder durch Einsicht in die Gerichtsakte unproblematisch ermitteln kann (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 12. Juni 2014 - 2 BvR 1004/13 -, Rn. 15; vgl. auch VerfGH Leipzig, Beschluss vom 30. November 2017 - Vf. 122-IV-17 u.a. -, juris, Rn. 19; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 24. Februar 2021 - 2 BvR 428/18 -, Rn. 9).

3. Hiervon ausgehend kann im vorliegenden Verfahren auf Grundlage des Beschwerdevortrags nicht zuverlässig beurteilt werden, ob die Verfassungsbeschwerde die Frist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG wahrt. In der Verfassungsbeschwerdeschrift teilt der Bevollmächtigte des Beschwerdeführerslediglich mit, dass der Beschluss vom 20. Dezember 2019 ihm am 2. Januar 2020 zugestellt worden sei. Zu einer Übermittlung der Entscheidung an den Beschwerdeführer verhält sich der Bevollmächtigte indessen nicht ausdrücklich.

Ein Vortrag zur Zustellung der Entscheidung an den Beschwerdeführer war hier aber erforderlich. Die Entscheidung des Landgerichts ist bereits am 20. Dezember 2019 ergangen. Wenn es für die Fristberechnung auf den Tag der Zustellung bei dem Bevollmächtigten ankäme, ist die Verfassungsbeschwerde erst am letzten Tag der Einlegungsfrist eingegangen. Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass die Entscheidung dem Beschwerdeführer selbst in der Zeit zwischen dem 20. Dezember 2019 und dem 1. Januar 2020 zugestellt oder formlos mitgeteilt wurde. Für die Berechnung der Einlegungsfrist käme es dann auf diesen Zeitpunkt an, mit der Folge, dass die Verfassungsbeschwerde das Bundesverfassungsgericht nicht mehr rechtzeitig erreicht hätte.

4. Es kann somit dahinstehen, ob die vom Beschwerdeführer erhobenen Rügen in der Sache durchgreifen. Zu bemerken ist insoweit allerdings, dass sich die Fachgerichte mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Zustellung an einen Zustellungsbevollmächtigten nicht im Einzelnen auseinandergesetzt haben, obwohl der Beschwerdeführer ausdrücklich auf diese Rechtsprechung hingewiesen hatte. Das Landgericht hat in seiner Entscheidung vom 18. November 2019 zwar ausgeführt, dass der Beschwerdeführer die Möglichkeit zur Kenntnisnahme von dem Strafbefehl trotz vorheriger Belehrung habe verstreichen lassen, sodass auch keine Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens gegeben sei. Dass das Landgericht mit dieser knappen Feststellung unter die vom Gerichtshof aufgestellten Maßstäbe hätte subsumieren wollen, erschließt sich aber nicht ohne Weiteres.

In seiner Entscheidung vom 20. Dezember 2019 hat das Landgericht bemerkt, dass die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union berücksichtigt, aber nicht als einschlägig erachtet worden sei. Diese Rechtsauffassung begründet es nicht, obwohl sie sich nicht ohne Weiteres erschließt. So hatte der Gerichtshof bereits in einer Entscheidung aus dem Jahr 2017 - auf die der Beschwerdeführer im fachgerichtlichen Verfahren hingewiesen hatte - ausgeführt, dass ein Beschuldigter, sobald er von einer an ihn gerichteten strafrechtlichen Entscheidung tatsächlich Kenntnis erlangt habe, in die gleiche Lage zu versetzen sei, als sei ihm diese Entscheidung persönlich zugestellt worden. Er müsse insbesondere über die volle Einspruchsfrist verfügen (vgl. EuGH, Urteil vom 22. März 2017, Tranca u.a. - C-124/16, C-188/16, C-213/16 -, EU:C:2017:228 Rn. 47). Es liegt daher nicht fern, dass das Landgericht eine von der Rechtsprechung des Gerichtshofs abweichende Entscheidung getroffen haben könnte. Eine Vorlage des Verfahrens nach Art. 267 AEUV wäre daher möglicherweise geboten gewesen (vgl. Ehricke, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018, Art. 267 AEUV Rn. 72; Karpenstein, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 267 AEUV Rn. 104 f. (Februar 2021)). Das gilt jedenfalls dann, wenn das Landgericht an seiner Rechtsauffassung auch dann festhielte, nachdem es sich des etwaigen Widerspruchs zur Rechtsprechung des Gerichtshofs vergegenwärtigt hätte. Für einen solchen Widerspruch spricht auch, dass der Gerichtshof zwischenzeitlich - nach den hier ergangenen fachgerichtlichen Entscheidungen - seine Rechtsprechung spezifiziert und ausgeführt hat, dass der Adressat eines Strafbefehls nicht dartun müsse, sich zeitnah bei dem Zustellungsbevollmächtigten nach der Existenz des Strafbefehls erkundigt zu haben (vgl. EuGH, Urteil vom 14. Mai 2020, UY - C-615/18 -, EU:C:2020:376 Rn. 60 a.E.).

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Vorinstanz: LG Dresden, vom 20.12.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 14 Qs 49/19
Vorinstanz: LG Dresden, vom 18.11.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 14 Qs 49/19
Vorinstanz: AG Dresden, vom 29.09.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 303 Js 653/19