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BVerfG - Entscheidung vom 29.04.2021

2 BvR 1651/15

Normen:
BVerfGG § 35
GG Art. 20 Abs. 2 S. 2

Fundstellen:
BVerfGE 158, 89
DÖV 2021, 798
NVwZ 2021, 1056
WM 2021, 1042

BVerfG, Beschluss vom 29.04.2021 - Aktenzeichen 2 BvR 1651/15

DRsp Nr. 2021/7981

Möglichkeit einer Vollstreckungsanordnung gegen Bundesregierung und Bundestag zur Verhinderung des Public Sector Purchase Programme (PSPP)

1. Die Grenzen einer zulässigen Vollstreckungsanordnung gemäß § 35 BVerfGG ergeben sich aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG ) und der notwendigen Anknüpfung des Verfassungsprozessrechts an den Verfahrens- beziehungsweise Streitgegenstand und stellen insoweit verallgemeinerungsfähige Anforderungen dar, die für die verfassungsgerichtliche Kontrolle aller Verfassungsorgane und Handlungsformen gelten.2. Nach Erlass der Sachentscheidung ergangene Maßnahmen sind kein tauglicher Gegenstand von Vollstreckungsanordnungen nach § 35 BVerfGG . Andernfalls würde die ursprüngliche Sachentscheidung ergänzt und erweitert, weil auch die neue rechtliche Situation analysiert und verfassungsrechtlich gewürdigt werden müsste.

Tenor

Die Anträge auf Erlass einer Vollstreckungsanordnung werden verworfen.

Normenkette:

BVerfGG § 35 ; GG Art. 20 Abs. 2 S. 2;

Gründe

A.

Die Antragsteller begehren jeweils den Erlass einer Vollstreckungsanordnung (§ 35 BVerfGG ).

I.

Mit Urteil vom 5. Mai 2020 (BVerfGE 154, 17 ) hat der Senat in Ziffer 3 des Tenors festgestellt, dass die Bundesregierung - hinsichtlich der Antragsteller zu I. auch der Deutsche Bundestag - die Antragsteller zu I. und den Antragsteller zu II. in ihrem Recht aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG verletzt haben. Wörtlich heißt es (BVerfGE 154, 17 <22 f.>):

3. Bundesregierung und - hinsichtlich der Beschwerdeführer zu I. und II. - auch der Deutsche Bundestag haben die Beschwerdeführer zu I., II. und III. in ihrem Recht aus Artikel 38 Absatz 1 Satz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 1 und Absatz 2 in Verbindung mit Artikel 79 Absatz 3 des Grundgesetzes verletzt, da sie es unterlassen haben, geeignete Maßnahmen dagegen zu ergreifen, dass der Rat der Europäischen Zentralbank

a) im Beschluss (EU) 2015/774 der Europäischen Zentralbank vom 4. März 2015 über ein Programm zum Ankauf von Wertpapieren des öffentlichen Sektors an den Sekundärmärkten (Public Sector Asset Purchase Programme, EZB/2015/10, ABl EU Nr. L 121 vom 14. Mai 2015, S. 20),

b) geändert durch Beschluss (EU) 2015/2101 der Europäischen Zentralbank vom 5. November 2015 zur Änderung des Beschlusses (EU) 2015/774 über ein Programm zum Ankauf von Wertpapieren des öffentlichen Sektors an den Sekundärmärkten (EZB/2015/33, ABl EU Nr. L 303 vom 20. November 2015, S. 106), Beschluss (EU) 2015/2464 der Europäischen Zentralbank vom 16. Dezember 2015 zur Änderung des Beschlusses (EU) 2015/774 über ein Programm zum Ankauf von Wertpapieren des öffentlichen Sektors an den Sekundärmärkten (EZB/2015/48, ABl EU Nr. L 344 vom 30. Dezember 2015, S. 1), Beschluss (EU) 2016/702 der Europäischen Zentralbank vom 18. April 2016 zur Änderung des Beschlusses (EU) 2015/774 über ein Programm zum Ankauf von Wertpapieren des öffentlichen Sektors an den Sekundärmärkten (EZB/2016/8, ABl EU Nr. L 121 vom 11. Mai 2016, S. 24) und Beschluss (EU) 2017/100 der Europäischen Zentralbank vom 11. Januar 2017 zur Änderung des Beschlusses (EU) 2015/774 über ein Programm zum Ankauf von Wertpapieren des öffentlichen Sektors an den Sekundärmärkten (EZB/2017/1, ABl EU Nr. L 16 vom 20. Januar 2017, S. 51)

weder geprüft noch dargelegt hat, dass die beschlossenen Maßnahmen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen.

Das Urteil verpflichtet Bundesregierung und Bundestag, dem PSPP entgegenzutreten, soweit die Europäische Zentralbank (EZB) seine Verhältnismäßigkeit nicht dargelegt hat und es wegen der fehlenden Darlegung als Ultra-vires-Akt qualifiziert worden ist. Die beiden Verfassungsorgane sind demnach verpflichtet, auf eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durch die EZB hinzuwirken; hierbei müssen sie gegenüber der EZB ihre Rechtsauffassung deutlich machen oder auf sonstige geeignete Weise für die Wiederherstellung vertragskonformer Zustände sorgen. Diese Pflicht erstreckt das Urteil auf die am 1. Januar 2019 begonnene Reinvestitionsphase des PSPP und seine Wiederaufnahme zum 1. November 2019; insoweit stellt es fest, dass die Pflicht der Verfassungsorgane fortdauere, die Entscheidungen des Eurosystems über Ankäufe von Staatsanleihen unter dem PSPP zu beobachten und mit den ihnen zu Gebote stehenden Mitteln auf die Einhaltung des dem Europäischen System der Zentralbanken (ESZB) zugewiesenen Mandats hinzuwirken (vgl. BVerfGE 154, 17 <150 f. Rn. 229, 232 f.>).

Mit Blick auf die Bundesbank hat der Senat ausgesprochen, dass diese nach einer für die Abstimmung im ESZB notwendigen Übergangsfrist von höchstens drei Monaten an der Umsetzung und dem Vollzug des Beschlusses (EU) 2015/774 sowie der hierauf folgenden Beschlüsse (EU) 2015/2101, (EU) 2015/2464, (EU) 2016/702, (EU) 2017/100 und des Beschlusses vom 12. September 2019 nicht mehr mitwirken, keine bestandserweiternden Ankäufe von Anleihen tätigen oder sich an einer abermaligen Ausweitung des monatlichen Ankaufvolumens nicht mehr beteiligen darf, wenn nicht der EZB-Rat in einem neuen Beschluss nachvollziehbar darlegt, dass die mit dem PSPP angestrebten währungspolitischen Ziele nicht außer Verhältnis zu den damit verbundenen wirtschafts- und fiskalpolitischen Auswirkungen stehen. Unter derselben Voraussetzung ist die Bundesbank verpflichtet, mit Blick auf die unter dem PSPP getätigten Ankäufe für eine im Rahmen des ESZB abgestimmte - auch langfristig angelegte - Rückführung der Bestände an Staatsanleihen zu sorgen (vgl. BVerfGE 154, 17 <151 f. Rn. 235>).

II.

Am 3./4. Juni 2020 fand eine geldpolitische Sitzung des EZB-Rates statt, auf der nach Erörterung unterschiedlicher geldpolitischer Erwägungen (vgl. Zusammenfassung der geldpolitischen Sitzung des Rates der EZB vom 3.-4. Juni 2020, S. 17-20) sechs Beschlüsse gefasst wurden. Von diesen sind für den vorliegenden Zusammenhang die Beschlüsse Nr. 4 und Nr. 5 bedeutsam. Sie haben folgenden Wortlaut (vgl. Zusammenfassung der geldpolitischen Sitzung des Rates der Europäischen Zentralbank vom 3.-4. Juni 2020, S. 22):

(4) Darüber hinaus würden die Nettoankäufe im Rahmen des Programms zum Ankauf von Vermögenswerten (Asset Purchase Programme - APP) im Umfang von monatlich 20 Mrd. € zusammen mit den Ankäufen im Zuge des zusätzlichen vorübergehenden Rahmens in Höhe von 120 Mrd. € bis zum Ende des Jahres fortgesetzt. Der EZB-Rat gehe weiterhin davon aus, dass die monatlichen Nettoankäufe von Vermögenswerten im Rahmen des APP so lange fortgesetzt würden, wie dies für die Verstärkung der akkommodierenden Wirkung seiner Leitzinsen erforderlich sei, und dass sie beendet würden, kurz bevor er mit der Erhöhung der EZB-Leitzinsen beginne.

(5) Die Tilgungsbeiträge der im Rahmen des APP erworbenen Wertpapiere würden weiterhin bei Fälligkeit für längere Zeit über den Zeitpunkt hinaus, zu dem der EZB-Rat mit der Erhöhung der Leitzinsen beginne, vollumfänglich wieder angelegt und in jedem Fall so lange wie erforderlich, um günstige Liquiditätsbedingungen und eine umfangreiche geldpolitische Akkommodierung aufrechtzuerhalten.

III.

1. Am 26. Juni 2020 wurden dem Bundesministerium der Finanzen von der Deutschen Bundesbank verschiedene Dokumente der EZB übersandt. Diese leitete der Bundesminister der Finanzen mit Schreiben vom 26. Juni 2020 an den Präsidenten des Deutschen Bundestages weiter. In der Kopfzeile des Schreibens werden als Anlagen acht "ECB-confidential"-Dokumente und eine Anlagenübersicht benannt. In dem Schreiben wird unter anderem ausgeführt:

(...)

Da der EZB-Rat das PSPP von Beginn an regelmäßig im Rahmen seiner geldpolitischen Beratungen bewertete, hat er in einem weiteren Beschluss vom 24. Juni 2020 die Offenlegung der beigefügten Dokumente unter der Bedingung der Wahrung ihrer Vertraulichkeit gestattet. Der EZB-Rat hat ferner beschlossen, dass die Bundesregierung die Dokumente - soweit sie dies für erforderlich hält - auch dem Deutschen Bundestag zur Verfügung stellen darf, wenn und soweit das von der EZB vorgegebene Maß an Vertraulichkeit gewahrt wird. Die vereinzelten Schwärzungen sind von der EZB vorgenommen worden und dürften auch vom Bundesverfassungsgericht nicht beanstandet werden.

(...)

Die vom EZB-Rat vorgenommene Verhältnismäßigkeitsprüfung, die aus den nunmehr übersandten Unterlagen ersichtlich ist, legt diese Abwägung nach unserer Bewertung nachvollziehbar dar.

(...)

Aus unserer Sicht ist es der Bundesbank in der Folge gestattet, auch zukünftig an Umsetzung und Vollzug der streitgegenständlichen PSPP-Beschlüsse teilzunehmen.

(...)

2. Am Abend des 26. Juni 2020 wurde den Abgeordneten des Deutschen Bundestages mitgeteilt, dass die EZB-Dokumente ab dem 29. Juni 2020 in der Geheimschutzstelle des Bundestages eingesehen werden könnten. Kurz danach erfolgte die Vorverlegung des Zeitpunkts auf das Wochenende des 27./28. Juni 2020. Am 29. Juni 2020 wurde die Vertraulichkeit mehrerer Dokumente aufgehoben.

3. Am 30. Juni 2020 stellten die Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den mit "Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Anleihekaufprogramm PSPP der Europäischen Zentralbank" überschriebenen Antrag (BTDrucks 19/20621) mit dem Inhalt, dass der Bundestag beschließen möge:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die Bundesrepublik Deutschland ist fest in der Europäischen Union verankert. Die europäische Integration ist Auftrag unseres Grundgesetzes . Sie hat den Frieden in Europa gesichert, die staatliche Einheit ermöglicht und zu Wohlstand und sozialem Fortschritt beigetragen.

Ein zentraler Pfeiler der Europäischen Union ist die gemeinsame Währung. Deutschland hat ein überragendes Interesse an der Zukunft der gemeinsamen Währung. Die Europäische Zentralbank (EZB) genießt Unabhängigkeit (Artikel 130 und Artikel 282 Absatz 3 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union - AEUV ). Die EZB ist verpflichtet, das vorrangige Ziel der Preisstabilität zu verfolgen. Soweit dies ohne Beeinträchtigung des Zieles der Preisstabilität möglich ist, unterstützt sie die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Union (Artikel 127 AEUV ). Die Auslegung und Anwendung des Unionsrechts einschließlich der Bestimmung der dabei anzuwendenden Methode ist zuvörderst Aufgabe des (Europäischen) Gerichtshofs, dem es gemäß Artikel 19 Absatz 1 Satz 2 EUV obliegt, bei der Auslegung und Anwendung der Verträge das Recht zu wahren (Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 5. Mai 2020 - 2 BvR 859/15 u.a. -, Rn. 112). Die EZB ist gegenüber dem Europäischen Parlament rechenschaftspflichtig.

2. Mit Urteil vom 5. Mai 2020 - 2 BvR 859/15 u.a. - hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) festgestellt, dass die Bundesregierung und der Deutsche Bundestag verpflichtet sind, auf die EZB dergestalt hinzuwirken, dass sie ihre Prüfung darlegt, dass das Programm zum Ankauf von Wertpapieren des öffentlichen Sektors an den Sekundärmärkten (PSPP - Public Sector Purchase Programme) nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit abgewogen ist. Die Bundesregierung und der Deutsche Bundestag müssten ihre Rechtsauffassung gegenüber der EZB deutlich machen oder auf sonstige Weise für die Wiederherstellung vertragskonformer Zustände sorgen.

Nach einer Übergangsfrist von höchstens drei Monaten ist es der Bundesbank demnach untersagt, weiter an der Umsetzung und dem Vollzug des PSPP mitzuwirken, wenn nicht der EZB-Rat in einem neuen Beschluss nachvollziehbar darlegt, dass die mit dem PSPP angestrebten währungspolitischen Ziele nicht außer Verhältnis zu den damit verbundenen wirtschafts- und fiskalpolitischen Auswirkungen stünden. Unter derselben Voraussetzung ist die Bundesbank verpflichtet, mit Blick auf die unter dem PSPP getätigten Ankäufe für eine Rückführung der Bestände an Staatsanleihen Sorge zu tragen.

Ferner führt das Bundesverfassungsgericht aus, dass der Deutsche Bundestag im Rahmen der ihm als Verfassungsorgan zukommenden Integrationsverantwortung verpflichtet ist, geeignete Schritte für eine Einhaltung des Integrationsprogramms zu unternehmen und die weitere Durchführung des PSPP zu beobachten, um Risiken für die Einhaltung des Integrationsprogramms und/oder die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages frühzeitig entgegentreten zu können.

3. Der Deutsche Bundestag befasst sich in Wahrnehmung seiner Integrationsverantwortung über eine Vielzahl parlamentarischer Aktivitäten sowohl des Plenums als auch seiner Ausschüsse mit der Geldpolitik und insbesondere der Verhältnismäßigkeit der geldpolitischen Maßnahmen der EZB. Dabei wird die institutionelle Unabhängigkeit der EZB beachtet.

Zu den parlamentarischen Aktivitäten zählen Schriftliche und Mündliche Fragen von Abgeordneten an die Bundesregierung, Kleine Anfragen von Fraktionen an die Bundesregierung, Anträge von Fraktionen und regelmäßige Plenardebatten im Deutschen Bundestag. Von besonderer Bedeutung sind die regelmäßigen Gespräche mit dem EZB-Präsidenten (zuletzt im September 2016) und mit dem Bundesbankpräsidenten im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union, im Haushaltsausschuss und im Finanzausschuss (Januar 2017, November 2018, November 2019, Juni 2020). Es finden Anhörungen und Fachgespräche zu geldpolitischen Fragen statt, zuletzt im Mai und im Juni 2020 im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union und im Finanzausschuss zum Urteil des BVerfG vom 5. Mai 2020. Darüber hinaus informieren sich Mitglieder des Deutschen Bundestages im Rahmen von Ausschussreisen zur Zentrale der Deutschen Bundesbank über geldpolitische Fragen, zuletzt im Januar 2017 (Finanzausschuss), im März 2017 (Haushaltsausschuss) und im Juli 2019 (Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union). Schließlich sind stets auch Themen Gegenstand der regelmäßigen Unterrichtungen durch das Bundesministerium der Finanzen im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union und im Finanzausschuss, die in einem Zusammenhang mit der Geldpolitik stehen. Im Haushaltsausschuss war die anhaltende Niedrigzinsphase themenübergreifend, z.B. in ihrer Bedeutung für die Staatsverschuldung in Deutschland und anderen Mitgliedstaaten, relevant.

Die Bundestagsverwaltung erstellt zur Unterstützung der Abgeordneten in regelmäßigen Abständen EU-Sachstände zur aktuellen Geldpolitik der EZB und verfasst anlassbezogen Ausarbeitungen zu verschiedenen Teilbereichen. Die Wissenschaftlichen Dienste haben sich in unterschiedlichen Publikationen mit Maßnahmen der EZB befasst.

II. Der Deutsche Bundestag nimmt zur Kenntnis:

1. Die Bundesbank hat den EZB-Rat um Darlegung der Verhältnismäßigkeitsüberlegungen zum PSPP gebeten. Dieser hat in seiner Sitzung am 3./4. Juni 2020 im Rahmen der geldpolitischen Beratungen umfangreiche Erwägungen zur Verhältnismäßigkeit dargelegt und diese sowie den nachfolgend gefassten Beschluss am 25. Juni 2020 öffentlich gemacht. Zudem hat der EZB-Rat in seiner Sitzung am 24. Juni 2020 den Beschluss gefasst, der Deutschen Bundesbank zu gestatten, der Bundesregierung unter der Bedingung der Wahrung der Vertraulichkeit Dokumente zu übermitteln, aus denen weiterhin die Erwägungen des EZB-Rates zum PSPP seit dessen Start ersichtlich sind. Der EZB-Rat hat zudem beschlossen, dass die Bundesregierung die Dokumente - soweit sie dies für erforderlich hält - auch dem Deutschen Bundestag zur Verfügung stellen darf, wenn und soweit das von der EZB vorgegebene Maß an Vertraulichkeit für diese unterstützenden Dokumente gewahrt wird. Diese Dokumente wurden dem Deutschen Bundestag zwischenzeitlich übermittelt.

Mit den nach der Gerichtsentscheidung veröffentlichten Informationen aus EZB-Ratsbeschlüssen, Rechenschaftsberichten gegenüber dem Europäischen Parlament, Monats- und Jahresberichten und öffentlichen Äußerungen von Direktoriumsmitgliedern bzw. weiteren Mitgliedern des EZB-Rates dokumentiert der EZB-Rat, dass er bei geldpolitischen Entscheidungen systematisch die Verhältnismäßigkeit mit in Rechnung stellt. Es ist ersichtlich, dass im Zusammenhang mit dem PSPP eine Verhältnismäßigkeitsprüfung mit einer umfassenden Abwägung der betroffenen Belange und eine Gewichtung der berührten Interessen unter Einbeziehung der Gegenargumente stattgefunden hat.

Die "Zusammenfassung der geldpolitischen Sitzung des Rates der Europäischen Zentralbank" vom 3./4. Juni 2020 macht diese Verhältnismäßigkeitsprüfung nachvollziehbar. Darin wird ausgeführt, dass bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer geldpolitischen Maßnahme unter anderem berücksichtigt werden müsse, inwieweit die Maßnahme einerseits zum Erreichen des geldpolitischen Ziels beitrage, andererseits aber möglicherweise unerwünschte Nebenwirkungen mit sich bringe. Es müsse beurteilt werden, ob es alternative geldpolitische Maßnahmen gebe, die ebenso wirksam und effizient seien und zugleich ein ausgewogeneres Verhältnis zwischen beabsichtigten und unbeabsichtigten Effekten gewährleisteten. Zudem werden die Fokussierung des Mandats der EZB auf das Ziel der Preisstabilität sowie die ergriffenen Schutzmaßnahmen zur Beachtung des Verbots der monetären Staatsfinanzierung als essenziell angesehen.

Insbesondere auf die Risiken von Anleihekaufprogrammen in einem Niedrigzinsumfeld wurde hingewiesen, etwa der Anreiz für Marktteilnehmer, übermäßige Risiken einzugehen, was letztlich zu Finanzstabilitätsrisiken, der Schwächung der Ertragslage der Banken und damit ihrer Kapitalausstattung sowie der Begünstigung der Finanzierung unwirtschaftlicher Unternehmen durch die Banken führen könnte. Zudem wurde hervorgehoben, dass die niedrigen Zinsen auch für die Einkünfte auf Ersparnisse der privaten Haushalte und der Versicherungsgesellschaften, die bestimmte Nominalrenditen anstrebten, ein Problem darstellten. Diese Risiken wären gemäß den Erwägungen des EZB-Rates aber auch für alternative geldpolitische Maßnahmen, insbesondere Zinssenkungen, ebenso relevant. Gleichzeitig müssten auch die makroökonomischen Effekte auf höhere Löhne und höhere Beschäftigung, die auch das verfügbare Haushaltseinkommen und den Konsum positiv beeinflussen, berücksichtigt werden.

Im EZB-Rat habe Übereinstimmung geherrscht, dass die Vor- und Nachteile der Wertpapierankäufe zwar unterschiedlich gewichtet werden könnten, dass die positiven Auswirkungen auf die Wirtschaft im Streben nach Preisstabilität die negativen Effekte bislang aber klar übertroffen hätten. Allerdings, so wurde hinzugefügt, sei nicht auszuschließen, dass unerwünschte Effekte im Zeitverlauf zunehmen und letztlich die insgesamt positiven Effekte übersteigen könnten, weshalb ihre regelmäßige Überprüfung und Neubewertung erfolgen.

Der EZB-Rat hat am 23. Januar 2020 eine Überarbeitung seiner geldpolitischen Strategie angekündigt. Er hat hervorgehoben, dass er die Wirksamkeit und die möglichen Nebenwirkungen des in den vergangenen zehn Jahren entwickelten geldpolitischen Instrumentariums überprüfen wird.

2. Das Bundesministerium der Finanzen hat im Schreiben zur Übersendung der Dokumente an den Deutschen Bundestag dargelegt, dass es der Überzeugung sei, dass der EZB-Rat mit seinem Beschluss seine Verhältnismäßigkeitserwägungen im Hinblick auf das PSPP nachvollziehbar dargelegt habe. Der Beschluss des EZB-Rates in Verbindung mit den zur Verfügung gestellten Unterlagen genüge den Anforderungen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Mai 2020 in vollem Umfang.

III. Der Deutsche Bundestag kommt zu der Schlussfolgerung:

Der Deutsche Bundestag kommt auf Grundlage des Beschlusses des EZB-Rates und der erhaltenen Dokumente der EZB zu dem Ergebnis, dass den im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Mai 2020 - 2 BvR 859/15 u.a. - enthaltenen Anforderungen an das Durchführen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung im Zusammenhang mit dem PSPP entsprochen wird. Die EZB hat zu ihren Entscheidungen zum PSPP eine Prüfung der Geeignetheit, der Erforderlichkeit und der Angemessenheit der geldpolitischen Maßnahmen vorgenommen. Es sind dabei die wirtschaftspolitischen Auswirkungen des PSPP identifiziert und gewichtet und diese sind sodann mit den prognostizierten Vorteilen für die Erreichung des definierten währungspolitischen Ziels in Beziehung gesetzt und nach Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten abgewogen worden.

Der Deutsche Bundestag hält die Darlegung der EZB zur Durchführung einer Verhältnismäßigkeitsprüfung für nachvollziehbar und die Vorgaben des Urteils des BVerfG vom 5. Mai 2020 - 2 BvR 859/15 u.a. - somit für erfüllt. Unabhängig davon kommt der Deutsche Bundestag dauerhaft seiner Integrationsverantwortung hinsichtlich geldpolitischer Entscheidungen des EZB-Rates nach.

4. Der Antrag vom 30. Juni 2020 wurde in der 170. Sitzung des Deutschen Bundestages am 2. Juli 2020 gegen die Stimmen der AfD-Fraktion und bei Enthaltung der Fraktion DIE LINKE mit den Stimmen der übrigen Fraktionen angenommen (vgl. Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 19/170, S. 21283).

a) In der Plenardebatte gaben die Abgeordneten Frank Schäffler und Christian Sauter (jeweils FDP), der Abgeordnete Alexander Müller (FDP) und der Abgeordnete Hans-Jürgen Thies (CDU/CSU) gemäß § 31 GO-BT jeweils abweichende Erklärungen ab (vgl. Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 19/170, S. 21356-21358 - Anlagen 7 und 8). Darin wurde insbesondere gerügt, dass die von der EZB übersandten Dokumente zum Teil geheim gehalten würden, in englischer Sprache verfasst seien und nicht ausreichten, um den vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Anforderungen an eine Verhältnismäßigkeitsprüfung des PSPP zu genügen.

b) In derselben Plenarsitzung wurden ferner der Antrag der Fraktion DIE LINKE vom 30. Juni 2020 "Konflikt um die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank politisch lösen - EU-Verträge ändern und geldpolitischen Dialog mit der Bundesbank verankern" (BTDrucks 19/20552), der Antrag der FDP-Fraktion vom 30. Juni 2020 "Verhältnismäßigkeitsprüfung fristgerecht dargelegt - Kontrolle der Grenzen der Geldpolitik als Daueraufgabe ernstnehmen" (BTDrucks 19/20553) und der Antrag der AfD-Fraktion vom 26. Juni 2020 "Kritische und effektive Ausübung der sogenannten Integrationsverantwortung des Deutschen Bundestages im Zusammenhang mit Entscheidungen des Rates der Europäischen Zentralbank" (BTDrucks 19/20616) abgelehnt (vgl. Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 19/170, S. 21283).

IV.

1. Mit an den Bundesminister der Finanzen und den Präsidenten des Bundestages gerichtetem Schreiben vom 24. Juli 2020 ersuchten die Antragsteller zu I. darum, ihnen die EZB-Dokumente zugänglich zu machen, notfalls durch Einsicht in der Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestages. Der Präsident des Bundestages antwortete hierauf mit Schreiben vom 31. Juli 2020 unter Bezugnahme auf den Bundestagsbeschluss vom 2. Juli 2020. Für das Bundesministerium der Finanzen übermittelte Staatssekretär Dr. K. mit Schreiben vom 31. Juli 2020 das an den Senat gerichtete Schreiben des Bundesministers der Finanzen vom 10. Juli 2020, mit dem dieser den Senat über die vorgenommene Prüfung informiert hatte.

2. Mit Schriftsatz vom 5. August 2020 haben die Antragsteller zu I. den Erlass einer Vollstreckungsanordnung nach § 35 BVerfGG mit folgendem Inhalt beantragt:

Bundesregierung und Bundestag sind in der Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Mai 2020 verpflichtet, den Beschwerdeführern die Behebung der durch das Urteil festgestellten Verletzung ihrer Rechte darzulegen und ihnen dazu auch die Einsicht in die von der Europäischen Zentralbank übermittelten, nicht öffentlichen Dokumente zu ermöglichen, die nach ihrer Einschätzung unter anderem belegen würden, dass die Europäische Zentralbank hinreichend nachvollziehbar eine den Anforderungen des Urteils genügende Verhältnismäßigkeitsprüfung des Public Sector Purchase Programme (PSPP) nachgewiesen habe.

An der ausdrücklichen Bezeichnung der Anträge als "Antrag auf Erlass einer Anordnung nach § 35 BVerfGG " haben die Antragsteller zu I. im Schriftsatz vom 25. November 2020 festgehalten.

a) Nach Auffassung der Antragsteller zu I. ist der Antrag zulässig. Die Notwendigkeit zum Erlass der Vollstreckungsanordnung habe sich erst nachträglich ergeben, um sicherzustellen, dass Bundesregierung und Bundestag in Wahrnehmung ihrer Integrationsverantwortung darauf hinwirken, dass die EZB die Verhältnismäßigkeit des PSPP prüfe und darlege.

Der Erlass der beantragten Vollstreckungsanordnung diene der Verwirklichung des im Urteil vom 5. Mai 2020 gefundenen Rechts. Hierdurch könnten die Antragsteller zu I. und das Bundesverfassungsgericht fundiert beurteilen, ob Bundesregierung und Bundestag der festgestellten Rechtsverletzung abgeholfen hätten oder - falls nicht - ob hinsichtlich der weiteren Mitwirkung der Bundesbank am PSPP eine weitere Vollstreckungsanordnung in Betracht komme.

Die beantragte Anordnung ändere, modifiziere, ergänze oder erweitere die Sachentscheidung vom 5. Mai 2020 nicht. Zwar enthielte eine entsprechende Vollstreckungsanordnung die inzidente Feststellung, dass der EZB-Rat innerhalb der dreimonatigen Übergangsfrist keine den Anforderungen des Urteils genügende Verhältnismäßigkeitsprüfung nachgereicht habe, sodass Bundesregierung und Bundestag weiterhin ihrer Integrationsverantwortung nicht gerecht würden. Die der Feststellung vorausgehende Prüfung bezöge sich jedoch nicht auf eine neue Rechtslage, die nicht Gegenstand einer Vollstreckungsanordnung sein könne. Zwar seien die hierbei zu prüfenden Rechtstatsachen erst nach der Entscheidung in der Hauptsache eingetreten, sie seien allerdings zwangsläufige Folge des Umstandes, dass es vorliegend um die Erfüllung von Handlungspflichten gehe, deren Unterlassen die in der Hauptsacheentscheidung festgestellte Rechtsverletzung begründet habe.

Dem stehe der Beschluss des Senats vom 7. Juni 2016 (BVerfGE 142, 116 ) nicht entgegen. Anders als in diesem Verfahren bildeten die im Nachgang zum Urteil vom 5. Mai 2020 unterbreiteten Darlegungen der EZB zur Verhältnismäßigkeit des PSPP und die hierzu ergangenen Bewertungen von Bundesregierung und Bundestag keinen eigenständigen Handlungskomplex, der hinsichtlich der Integrationsverantwortung beider Verfassungsorgane selbständiger Kontrollgegenstand eines neuen Verfassungsbeschwerdeverfahrens sein könne. Das Urteil vom 5. Mai 2020 begründe nicht lediglich eine unspezifische Pflicht zu verfassungskonformem Handeln, sondern die definitive Pflicht, auf eine den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügende Verhältnismäßigkeitsprüfung des PSPP hinzuwirken.

Die inzidente Feststellung, dass der EZB-Rat keine den Anforderungen des Urteils genügende Verhältnismäßigkeitsprüfung nachgereicht habe, sodass Bundesregierung und Bundestag weiterhin ihrer Integrationsverantwortung nicht gerecht würden, ziele nicht auf eine inhaltliche Kontrolle demokratischer Entscheidungen, sondern auf die Durchsetzung des demokratischen Anspruchs, von Ultra-vires-Akten der Organe der Europäischen Union verschont zu bleiben.

b) Der Antrag sei auch begründet. Die beantragte Vollstreckungsanordnung diene der Schaffung von Tatsachen, die zur Verwirklichung des vom Bundesverfassungsgericht gefundenen Rechts notwendig seien.

Die im Urteil gesetzte dreimonatige Übergangsfrist sei abgelaufen, ohne dass die Erfüllung der diesbezüglichen Bedingung für die Antragsteller zu I. habe nachvollzogen werden können. Infolge der unvollständigen Kenntnis der Rechtstatsachen könnten die Antragsteller zu I. nicht abschließend beurteilen, ob die EZB hinreichend nachgewiesen habe, dass sie die wirtschaftspolitischen Nebenfolgen der Anleihekäufe des PSPP in der verfassungsrechtlich gebotenen Weise erfasst, gewichtet und gegen die erstrebten geldpolitischen Ziele abgewogen habe, und somit Bundesregierung und Bundestag ihrer diesbezüglichen Hinwirkungspflicht nachgekommen seien.

Zudem ergebe eine eingehende Analyse der öffentlich verfügbaren Dokumente, dass von einer hinlänglichen und nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung des PSPP keine Rede sein könne. Die inhaltlichen Anforderungen seien in den Randziffern 169 ff. des Urteils umfangreich dargelegt; diesen genügten die von der EZB zum Beleg hierfür unterbreiteten Dokumente weder einzeln noch in ihrer Gesamtheit. Eingehendere Erwägungen zur Verhältnismäßigkeitsprüfung des PSPP fänden sich (ausschließlich) in der Zusammenfassung der geldpolitischen Sitzung des Rates der EZB vom 3.-4. Juni 2020. Auf den einschlägigen Seiten 17 bis 20 werde jedoch lediglich eine Reihe allgemeiner (banaler und trivialer) Erwägungen wiedergegeben. Eine quantitative Abschätzung, die die zinssenkenden Effekte des PSPP spezifisch isoliere, gewichte und gegen die verschiedenen Auswirkungen abwäge, fehle vollständig. Der vom EZB-Rat "weitreichend geteilten" Einschätzung, dass das PSPP insgesamt in seiner geldpolitischen Zielsetzung nicht außer Verhältnis zu den hierdurch verursachten wirtschaftspolitischen Folgen stehe, fehle (weiterhin) eine hinreichend belastbare - gerichtlich kontrollierbare - Grundlage, die über bloße Behauptungen hinausgehe.

V.

1. Auf ein Schreiben des Antragstellers zu II. vom 27. Juli 2020 hat die Bundesbank - Zentralbereich Recht - mit Schreiben vom 3. August 2020 mitgeteilt, dass drei (näher benannte) Dokumente von der EZB als vertraulich eingestuft worden seien, sodass die Bundesbank diese weder herausgeben noch Zitate daraus an Dritte übermitteln dürfe. Der EZB-Rat habe am 3./4. Juni 2020 die Verhältnismäßigkeit des PSPP erörtert und festgestellt, dass das Programm mit Blick auf dessen wirtschaftspolitische Auswirkungen verhältnismäßig sei. Im Nachgang hierzu habe der EZB-Rat der Bundesregierung und dem Bundestag über die Bundesbank eine Reihe von Dokumenten bezüglich seiner Abwägungen zur Verfügung gestellt. Ebenso wie der Bundestag und die Bundesregierung sei der Vorstand der Bundesbank der Auffassung, dass hiermit die Anforderungen aus dem Urteil vom 5. Mai 2020 erfüllt seien. Die Bundesbank werde sich deshalb weiterhin an den Ankäufen im Rahmen des PSPP beteiligen.

2. Mit Schriftsatz vom 7. August 2020 hat der Antragsteller zu II. den Erlass einer Vollstreckungsanordnung folgenden Inhalts beantragt:

1.

Der Bundestag und die Bundesregierung sind weiterhin verpflichtet, auf die Europäische Zentralbank (EZB) einzuwirken, damit der EZB-Rat umgehend eine den Anforderungen des Urteils vom 5. Mai 2020 - 2 BvR 859/15, 2 BvR 1651/15, 2 BvR 2006/15, 2 BvR 980/16 - entsprechende substantiierte und nachvollziehbare Verhältnismäßigkeitsprüfung beschließt und den Beschluss öffentlich kommuniziert, oder auf sonstige Weise für die Wiederherstellung vertragskonformer Zustände zu sorgen.

2.

Die Bundesregierung hat in geeigneter Weise auf die Bundesbank einzuwirken, damit diese ihre sich aus dem Urteil vom 5. Mai 2020 ergebende Verpflichtung erfüllt, die weitere Beteiligung am Vollzug des PSPP zu unterlassen.

3.

Der Bundesbank ist es untersagt, an Umsetzung und Vollzug des Beschlusses (EU) 2015/774 sowie der hierauf folgenden Beschlüsse (EU) 2015/2101, (EU) 2015/2464, (EU) 2016/702, (EU) 2017/100 und des Beschlusses vom 12. September 2019 mitzuwirken, indem sie bestandserweiternde Ankäufe von Anleihen tätigt oder sich an einer abermaligen Ausweitung des monatlichen Ankaufvolumens beteiligt. Außerdem ist sie verpflichtet, mit Blick auf die unter dem PSPP getätigten Ankäufe für eine im Rahmen des ESZB abgestimmte - auch langfristig angelegte - Rückführung der Bestände an Staatsanleihen Sorge zu tragen.

Der Antragsteller zu II. widerspricht einer Umdeutung seiner Anträge gemäß § 35 BVerfGG in eine neue Verfassungsbeschwerde explizit.

a) Nach Ansicht des Antragstellers zu II. ist der Antrag zulässig. Das Urteil vom 5. Mai 2020 bedürfe - wie sich aus der Anordnung von Handlungs- beziehungsweise Unterlassungspflichten in den Randziffern 229, 232 f. und 235 ergebe, bei der es sich um eine Vollstreckungsregelung im Sinne von § 35 BVerfGG handele - des Vollzugs durch den Bundestag und die Bundesregierung, zudem mittelbar durch die EZB. Allein die Behauptung des verpflichteten Staatsorgans, dass ein Handeln der Umsetzung des Urteils gedient habe, schließe die Statthaftigkeit der Vollstreckungsanordnung nicht in jedem Fall aus.

Die beantragte Vollstreckungsanordnung diene der Durchsetzung der Sachentscheidung vom 5. Mai 2020, indem sie die hierin getroffenen Vollzugsregelungen situationsbezogen konkretisieren solle. Diese Konkretisierung sei notwendig, weil Bundesregierung und Bundestag - anders als der Antragsteller zu II. - der Auffassung seien, dass die im Urteil auferlegten Umsetzungspflichten erfüllt seien. In Bezug auf die Bundesbank sei die in Randziffer 235 formulierte Bedingung nicht eingetreten; die Bundesbank dürfe sich daher nicht weiter an der Durchführung des PSPP beteiligen. Gegenstand der nunmehrigen Anträge sei kein neuer Sachverhalt, sondern - aufgrund weiterhin fehlender ordnungsgemäßer Verhältnismäßigkeitsprüfung des EZB-Rates - exakt der Sachverhalt, über den der Senat bereits im Urteil zu entscheiden hatte. Es gehe nicht um die Frage, ob die EZB auch bei Fortsetzung des PSPP nach Erlass des Urteils wiederum ihre Kompetenzen überschritten habe und Bundesregierung und Bundestag hierauf nicht reagiert hätten.

b) Der Antrag sei auch begründet. Die beantragte Vollstreckungsanordnung sei zur Durchsetzung des Urteils vom 5. Mai 2020 geboten.

aa) Zwar stehe der Erlass einer Vollstreckungsanordnung grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen des Bundesverfassungsgerichts. Vorliegend habe der Antragsteller zu II. jedoch einen Anspruch auf Erlass, da er Beschwerdeführer im Hauptsacheverfahren gewesen sei und das Bundesverfassungsgericht eine Verletzung seiner Grundrechte festgestellt habe. Er werde weiterhin in seinen Grundrechten verletzt, indem es die zur Umsetzung des Urteils verpflichteten Verfassungsorgane unterließen, ihrer festgestellten Pflicht in ausreichendem Maße nachzukommen.

Ob die EZB die Anforderungen des Urteils erfüllt habe, prüfe das Bundesverfassungsgericht bei der Vollzugskontrolle zur Durchsetzung der bereits getroffenen Sachentscheidung uneingeschränkt nach. Zwar könne es im Hinblick auf den der EZB zustehenden Einschätzungs- und Prognosespielraum die (angeblich) vorgenommene Abwägung inhaltlich nur eingeschränkt kontrollieren; eine strukturelle Kontrolle, ob überhaupt eine nachvollziehbare Verhältnismäßigkeitsprüfung unter Beachtung aller vom Senat für relevant erachteten Aspekte stattgefunden habe, sei allerdings uneingeschränkt möglich. Die EZB habe - was auf simple Art und Weise selbst im Verfahren nach § 35 BVerfGG festgestellt werden könne, da dies keine inhaltliche Prüfung der vorgeblichen Verhältnismäßigkeitsprüfung erfordere - die Vorgaben des Urteils nicht erfüllt. Im Vollstreckungsverfahren müsse zudem implizit überprüft werden, ob die Rechtsauffassung von Bundesregierung und Bundestag, dass die EZB die Vorgaben des Urteils erfüllt habe, zutreffend sei oder ob sie weiterhin ihre Integrationsverantwortung verletzten. Handlungsspielräume von Bundesregierung oder Bundestag seien insofern nicht berührt, weil es nicht um die Art und Weise der Wahrnehmung der Integrationsverantwortung gehe, sondern allein darum, dass die EZB die klaren Anforderungen aus dem Urteil vom 5. Mai 2020 innerhalb der gesetzten Frist nicht erfüllt habe und Bundesregierung und Bundestag trotzdem völlig untätig blieben.

Als einziger Beschluss des EZB-Rates, der den Vorgaben der Randziffer 235 des Urteils genügen könnte, komme die Zusammenfassung der geldpolitischen Sitzung des Rates der EZB vom 3.-4. Juni 2020 in Betracht. Die hierin dokumentierten Beschlüsse Nr. 4 und Nr. 5 befassten sich aber allein mit dem Extended Assets Purchase Programme (APP) und damit nur implizit mit dem PSPP; die Verhältnismäßigkeit der Ankäufe im Rahmen des PSPP (oder des APP) sei nicht Gegenstand der Beschlüsse. Dem Protokoll könne nicht entnommen werden, welche der bei den Beschlüssen Nr. 4 und Nr. 5 angestellten Erwägungen sich der Rat zu eigen gemacht habe und welche nicht. Daher sei unklar, auf welcher Grundlage die implizite Behauptung des EZB-Rates, das PSPP sei verhältnismäßig, beruhe. Das Ergebnis der Diskussion im EZB-Rat, wonach unter den Sitzungsteilnehmern weitreichende Einigkeit bestanden habe, dass die positiven Auswirkungen der Wertpapierankäufe auf die Wirtschaft im Streben nach Preisstabilität die negativen Auswirkungen bislang klar übertroffen hätten, stelle eine bloße Aneinanderreihung unbelegter und unquantifizierter Verhältnismäßigkeitsbehauptungen dar. Die weiteren von der EZB vorgelegten Dokumente belegten die Durchführung einer Verhältnismäßigkeitsprüfung ebenfalls nicht.

Der Senat könne nicht allein auf die Aussage des Bundesministers der Finanzen im Schreiben vom 10. Juli 2020 vertrauen, wonach der Beschluss des EZB-Rates vom 3.-4. Juni 2020 in Verbindung mit den zur Verfügung gestellten - teilweise allerdings geheim gehaltenen - Unterlagen den Anforderungen des Urteils vom 5. Mai 2020 genüge. Die Bundesregierung könne das Bundesverfassungsgericht nicht von der Pflicht zur Prüfung entbinden, ob die Dokumentation der EZB eine Verhältnismäßigkeitsprüfung enthalte und eine Abwägung auf Basis einer Gewichtung der Vor- und Nachteile stattgefunden habe.

Bundesregierung und Bundestag verletzten weiterhin ihre Integrationsverantwortung, indem sie nichts mehr unternähmen, um die EZB zur Durchführung einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung zu bewegen.

bb) Die Bundesregierung habe zwar - ausweislich des Schreibens des Bundesministers der Finanzen vom 26. Juni 2020 - erreicht, dass sich der EZB-Rat in der Sitzung vom 3.-4. Juni 2020 zur Verhältnismäßigkeit geäußert und verschiedene Dokumente an die Bundesbank zur Weiterleitung an Bundesregierung und Bundestag übersandt habe. Allerdings habe die Bundesregierung die Dokumente nicht ausreichend oder jedenfalls mit einem evident falschen Ergebnis auf ihre Vereinbarkeit mit dem Urteil vom 5. Mai 2020 geprüft. Es werde nicht beachtet, dass eine einmalige Abwägung beim Start des Programms nicht genüge, vielmehr müsse die Abwägung im Zeitverlauf wiederholt und dokumentiert werden.

Der Antrag zu 1. ziele nicht auf die Überprüfung der von der Bundesregierung getroffenen Maßnahmen im Hinblick auf die Integrationsverantwortung, sondern richte sich gegen die Einstellung ihrer Bemühungen zur Wiederherstellung vertragskonformer Zustände nach der Vorlage verschiedener - aus Sicht des Antragstellers zu II. ungenügender - Dokumente durch die EZB im Juni 2020.

Der mit dem Antrag zu 2. begehrten Einwirkung auf die Bundesbank stehe deren Unabhängigkeit nicht entgegen. Auch die EZB sei unabhängig; dies habe den Senat im Urteil vom 5. Mai 2020 nicht davon abgehalten, eine Verpflichtung der Bundesregierung zur Einwirkung auf die EZB auszusprechen.

Der Bundestag sei ebenfalls nicht vollkommen untätig geblieben. In verschiedenen Ausschüssen habe es Anhörungen und Fachgespräche zum Urteil vom 5. Mai 2020 gegeben. Die bereits am 2. Juli 2020 beschlossene Stellungnahme lasse jedoch nicht ansatzweise eine Erfüllung der Verpflichtung aus dem Urteil erkennen. Die hierbei maßgeblich in Bezug genommene Zusammenfassung der Sitzung des EZB-Rates vom 3.-4. Juni 2020 belege die Durchführung einer Verhältnismäßigkeitsprüfung oder einer Abwägung der geldpolitisch mit dem PSPP angestrebten Effekte mit den wirtschaftspolitischen Nebenwirkungen gerade nicht. Der Bundestag prüfe nicht einmal, ob alle im Urteil vom 5. Mai 2020 als wesentlich benannten Nebenwirkungen in den EZB-Dokumenten zumindest thematisiert worden seien.

cc) Der gegen die Mitwirkung der Bundesbank am PSPP gerichtete Antrag zu 3. sei geboten, weil diese mit Schreiben vom 3. August 2020 erklärt habe, dass sie die Anforderungen des Urteils als erfüllt ansehe und sich daher weiterhin an der Durchführung des PSPP beteilige.

VI.

Mit Schriftsatz vom 30. September 2020 hat die Bundesregierung eine Stellungnahme zu den Anträgen abgegeben. Sie hält die Anträge für unzulässig (1.), jedenfalls aber für unbegründet, weil die Verpflichtungen aus dem Urteil vom 5. Mai 2020 vollständig erfüllt worden seien (2.).

1. Sämtliche Anträge seien unstatthaft, da die begehrten Anordnungen über die Vollstreckung des Urteils hinausgingen.

Eine Vollstreckungsanordnung könne nicht ergehen, wenn hierfür konkrete positive Maßnahmen verfassungsrechtlich gewürdigt werden müssten, die mit dem Ziel ergriffen worden seien, einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nachzukommen. Ein solcher Antrag stelle vielmehr eine "Vollstreckungsbeschwerde" dar, die nur in einem neuen verfassungsgerichtlichen Verfahren gegen die zur Umsetzung der Entscheidung ergriffenen Maßnahmen erhoben werden könne. Etwas anderes komme nur in Betracht, wenn der Adressat einer ausgesprochenen Verpflichtung gar nicht tätig geworden sei oder lediglich in einer Weise, die so offensichtlich hinter den sich aus der Sachentscheidung ergebenden Anforderungen zurückbleibe, dass dies materiell einer Untätigkeit gleichkomme. Seien Maßnahmen zur Umsetzung der verfassungsgerichtlichen Entscheidung ergriffen worden, müssten diese gewürdigt werden. Sie stellten nicht nur einen vom mit der Sachentscheidung abgeschlossenen Verfahren abweichenden Lebenssachverhalt dar, sondern erforderten daneben eine über die bisherige Sachentscheidung hinausgehende verfassungsrechtliche Prüfung.

a) An diesen Anforderungen gemessen seien die Anträge der Antragsteller zu I. unzulässig. Soweit sie eine Darlegung durch die Bundesregierung begehrten, dass die Verletzung ihres Grundrechts auf Demokratie behoben worden sei, spreche das Urteil vom 5. Mai 2020 eine solche Darlegungspflicht nicht aus. Dort sei in den Randziffern 232 f. lediglich die Verpflichtung festgestellt worden, auf die EZB mit dem Ziel einzuwirken, die Verhältnismäßigkeit des PSPP darzulegen.

Daneben begehrten die Antragsteller zu I. die Herausgabe von Dokumenten, die die EZB als vertraulich eingestuft und übermittelt habe. Das Dokument "Excerpt from the ECB Policy Briefing Note of June 2020" enthalte zahlreiche Analysen, Bewertungen und Prognosen zum APP und PSPP, die sich der EZB-Rat in seiner Sitzung vom 3.-4. Juni 2020 zu eigen gemacht habe. Das Dokument "Excerpt of the minutes of the 506th meeting of the Governing Council of the ECB - Item 3(d): Monetary policy decisions" sei ein Protokollauszug zu den öffentlich dokumentierten Überlegungen, Beratungen und Beschlussfassungen des EZB-Rates am 3./4. Juni 2020. Das Dokument "TRIAL Account of the monetary policy meeting of the Governing Council of the ECB held in Frankfurt am Main on Thursday, 4 December 2014" gebe eine frühere Beratung des EZB-Rates vor der Beschlussfassung über das PSPP wieder und zeige, wie intensiv sich dieser mit den möglichen wirtschaftspolitischen Effekten geldpolitischer Handlungsoptionen und der Notwendigkeit einer stetigen Neujustierung der Geldpolitik mit Blick auf diese Effekte befasst habe.

Alle drei Dokumente beinhalteten zusätzliche Belege für die Verhältnismäßigkeit des PSPP. Das Urteil vom 5. Mai 2020 spreche jedoch keine Verpflichtung aus, den Antragstellern zu I. als seinerzeitigen Beschwerdeführern eine eigenhändige Überprüfung der Verhältnismäßigkeitsprüfung der EZB zu ermöglichen oder ihnen diese vollständig transparent zu machen. Dass die Geldpolitik nicht vollständig transparent und öffentlich sein könne, ergebe sich bereits aus Art. 132 Abs. 2 AEUV und Art. 10 .4 ESZB-Satzung. Daher seien die Verpflichtungen in den Randziffern 232 f. und 235 aus gutem Grund (lediglich und unmittelbar) an Bundesregierung, Bundestag und Bundesbank gerichtet worden.

b) Die Anträge des Antragstellers zu II. seien ebenfalls unzulässig. Das Begehren, die Bundesregierung zu einer Fortsetzung ihres Einwirkens auf die EZB zu verpflichten beziehungsweise eine entsprechende Verpflichtung festzustellen, stelle eine nach § 35 BVerfGG unstatthafte Vollstreckungsbeschwerde dar. Eine Überprüfung der durch die Maßnahmen erst geschaffenen neuen Rechtslage könne nicht im Verfahren nach § 35 BVerfGG erfolgen, zumal nach dem Urteil vom 5. Mai 2020 ein großer politischer Handlungsspielraum bei der Erfüllung der sich hieraus ergebenden Pflichten bestanden habe beziehungsweise bestehe.

Soweit der Antragsteller zu II. eine Einwirkung der Bundesregierung auf die Bundesbank dahingehend verlange, ihre Mitwirkung am PSPP einzustellen, sei das Begehren unzulässig, da nur in einem neuen Verfahren geprüft werden könne, ob die in Randziffer 235 des Urteils formulierte Bedingung eingetreten sei.

Soweit der Antragsteller zu II. schließlich begehre, dass die Bundesbank nicht weiter am PSPP mitwirken solle, könne über den Eintritt der in Randziffer 235 formulierten Bedingung wiederum nur aufgrund einer neuen verfassungsrechtlichen Prüfung entschieden werden. Die Bundesbank sei nicht untätig geblieben, sondern habe ihrer Auffassung nach die Vorgaben des Senats erfüllt. Der Streit, ob die Bedingung eingetreten ist oder nicht, könne nicht im Rahmen des § 35 BVerfGG entschieden werden.

2. Der Erlass der begehrten Vollstreckungsanordnungen scheide auch deshalb aus, weil die Vorgaben des Urteils vom 5. Mai 2020 vollständig erfüllt worden seien: In den Randziffern 232 f. habe der Senat bereits eine Vollstreckungsanordnung getroffen. Hierbei sei den verpflichteten Verfassungsorganen allerdings nicht die Vornahme einer konkreten Handlung oder der Erlass bestimmter Maßnahmen aufgegeben worden, sondern die Wahrnehmung ihrer Integrationsverantwortung.

a) Die Bundesregierung habe ihre in den Randziffern 232 f. formulierte Pflicht zur Einwirkung auf die EZB erfüllt. Da der EZB-Rat aufgrund der Einwirkung der Bundesregierung die vom Senat vermisste Prüfung vorgenommen und in weiten Teilen öffentlich dokumentiert habe, sei sie ihrer Pflicht zur Wahrnehmung der Integrationsverantwortung vollständig nachgekommen.

Hinsichtlich der Auswahl der Mittel und der Beurteilung ihrer Geeignetheit und Erforderlichkeit bestehe dabei ein weiter Einschätzungsspielraum. Wie der Senat mit der Parallele zur grundrechtlichen Schutzpflicht und seinem Hinweis auf außenpolitische Ermessensspielräume der Sache nach festgestellt habe, gelte für die gerichtliche Kontrolle insoweit (lediglich) das Untermaßverbot, das erst dann verletzt werde, wenn überhaupt keine Maßnahmen getroffen würden, die getroffenen Regelungen und Maßnahmen offensichtlich ungeeignet oder völlig unzulänglich seien oder erheblich hinter dem Schutzziel zurückblieben.

Ob eine Einwirkung durch die verpflichteten Verfassungsorgane - vorliegend ausweislich Randziffer 232 der Bundesregierung gegenüber der EZB - quantitativ oder qualitativ unzureichend sei, obliege zuvörderst der Einschätzung der die Integrationsverantwortung wahrnehmenden Verfassungsorgane. Ein Verstoß gegen das Untermaßverbot liege nur vor, wenn die Einschätzung, das betroffene Organ der Europäischen Union habe das Erforderliche getan, offensichtlich fehlerhaft sei, das heißt, wenn die Auffassung der Bundesregierung, der EZB-Rat habe die Verhältnismäßigkeit des PSPP nachvollziehbar dargelegt, unvertretbar sei. Das sei angesichts ihres weiten Einschätzungsspielraums jedoch nicht der Fall.

aa) Der EZB-Rat habe die Verhältnismäßigkeit des PSPP nachvollziehbar dargelegt. Seine Beratung über die Verhältnismäßigkeit des PSPP mit dem öffentlich dokumentierten - positiven - Ergebnis und die förmliche Beschlussfassung über die Fortsetzung des Programms griffen rechtlich ineinander. Das Ergebnis der Verhältnismäßigkeitsprüfung habe in der Sitzung vom 3.-4. Juni 2020 zu einer förmlichen Beschlussfassung geführt, dass die Nettoankäufe im Rahmen des APP bis zum Ende des Jahres fortzusetzen seien. Der Sache nach habe sich der EZB-Rat die Verhältnismäßigkeitserwägungen aus der Sitzung vom 3.-4. Juni 2020 (auch) mit dem Beschluss vom 24. Juni 2020 zu eigen gemacht.

Um die Darlegung der Verhältnismäßigkeit des PSPP nachvollziehen zu können, sei zudem auf das öffentliche Schreiben der EZB-Präsidentin vom 29. Juni 2020 Bezug zu nehmen, in welchem sie in Erfüllung der Rechenschaftspflicht aus Art. 284 Abs. 3 AEUV Fragen des Abgeordneten Prof. Dr. Simon, MdEP, beantwortet habe. In dem Schreiben weise die EZB-Präsidentin darauf hin, dass der EZB-Rat zuletzt in seiner Sitzung vom 3.-4. Juni 2020 die Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit des PSPP geprüft habe. Zudem habe sich der EZB-Rat seit Anfang des Jahres 2015 in jeder geldpolitischen Sitzung mit dem PSPP befasst und seine Vor- und Nachteile gegeneinander abgewogen.

bb) Jedenfalls habe die Bundesregierung die Darlegungen des EZB-Rates zur Verhältnismäßigkeit im Rahmen ihres Einschätzungsspielraums für ausreichend halten dürfen, um die Einhaltung der Kompetenzordnung wiederherzustellen.

cc) Soweit die Antragsteller mit Blick auf den knappen zeitlichen Ablauf eine unzureichende Befassung der Bundesregierung bemängelten, sei darauf hinzuweisen, dass es vor Abfassung des Schreibens des Bundesministers der Finanzen vom 26. Juni 2020 im Hintergrund bereits über einen längeren Zeitraum zahlreiche Gespräche, Beratungen und Prüfungen gegeben habe.

b) Die Bundesbank sei ihrer Verpflichtung aus Randziffer 235 des Urteils nachgekommen; eine nachvollziehbare Darlegung der Verhältnismäßigkeit des PSPP und eine darauf gestützte Beschlussfassung über seine Fortsetzung lägen vor.

VII.

Mit Schriftsatz vom 30. September 2020 hat der Deutsche Bundestag vorgetragen, dass die Anträge nach § 35 BVerfGG unzulässig (1.), jedenfalls aber offensichtlich unbegründet seien (2.).

1. Die Anträge auf Erlass nachträglicher Vollstreckungsanordnungen seien insgesamt unzulässig; sie seien weder statthaft (a) noch hinreichend substantiiert (b).

a) Die begehrten Anordnungen seien nicht statthaft, weil sie nicht auf die Vollstreckung des Urteils vom 5. Mai 2020 gerichtet seien.

aa) Gegenstand des Urteils vom 5. Mai 2020 sei die Feststellung einer Grundrechtsverletzung durch ein spezifisches Unterlassen von Bundesregierung und Bundestag, einem Darlegungsausfall in Beschlüssen der EZB mit geeigneten Mitteln entgegenzutreten. Dagegen gehörten Maßnahmen, die nach dem verfahrensabschließenden Urteil ergangen seien, nicht zu dessen Streitgegenstand. Sie könnten daher nicht Gegenstand von Vollstreckungsmaßnahmen zur Durchsetzung des Urteils sein.

Um über die Anträge entscheiden zu können, müsste das Bundesverfassungsgericht die von Bundesregierung und Bundestag ergriffenen Maßnahmen eigenständig überprüfen und zwar über den Zeitraum vom 5. Mai 2020 hinaus bis zum Erlass des begehrten Beschlusses. Es müsste die (veröffentlichten) Entscheidungen von Bundesregierung und Bundestag inzident für verfassungswidrig erklären, um eine Erfüllung der Pflichten aus dem Urteil vom 5. Mai 2020 auszuschließen. Gegenstand des Verfahrens wären nicht mehr - wie im Urteil vom 5. Mai 2020 - ein Unterlassen der Verfassungsorgane, sondern die getroffenen Maßnahmen, die auf ihre Vereinbarkeit mit der Integrationsverantwortung überprüft würden.

Dazu müsste der Senat das PSPP in seiner neuen Gestalt auf seine Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz prüfen und insoweit eine inzidente (abermalige) Ultra-vires-Kontrolle durchführen. Dabei müsste nunmehr geprüft werden, ob die Beschlüsse vom 3./4. Juni 2020 eine angemessene Prüfung und Darlegung der Verhältnismäßigkeit enthalten.

bb) Wollte der Senat über den Ultra-vires-Charakter der Beschlüsse des EZB-Rates vom 3./4. Juni 2020 befinden, wäre zudem eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union nach Art. 267 AEUV einzuholen.

cc) Der Antrag auf Einsichtnahme in nicht öffentliche Dokumente der EZB überschreite ebenfalls die Grenzen des § 35 BVerfGG . Dabei müsste nicht nur geklärt werden, ob die Einsichtnahme in die Dokumente zur Vollstreckung des Urteils überhaupt erforderlich sei, sondern inzident auch festgestellt werden, dass das Urteil noch nicht vollständig vollstreckt worden sei.

b) Die Anträge seien zudem nicht hinreichend substantiiert. So fehlten jegliche Ausführungen zu der zentralen Frage, ob die von Bundesregierung und Bundestag nach dem 5. Mai 2020 in Wahrnehmung ihrer Integrationsverantwortung getroffenen Maßnahmen als Vollziehung des Urteils anzusehen seien, und zwar unabhängig davon, ob die Antragsteller diese als ausreichend erachteten oder nicht. Es könnten nicht sämtliche nach dem 5. Mai 2020 von den verpflichteten Verfassungsorganen in Wahrnehmung ihrer - dauerhaften - Integrationsverantwortung ergriffenen Maßnahmen pauschal der Umsetzung des Urteils zugerechnet werden. Soweit Bundesregierung und Bundestag nach dem Urteil verpflichtet seien, "ihre Rechtsauffassung" gegenüber der EZB deutlich zu machen, sei dies vorliegend geschehen.

Die Antragsteller setzten sich nicht damit auseinander, ob eine abschließende, förmliche und veröffentlichte Rechtsauffassung, die sich ein Verfassungsorgan in Wahrnehmung seiner Integrationsverantwortung gebildet habe, nicht eine Zäsur darstelle, durch die die Reichweite einer möglichen Prüfung im Rahmen von § 35 BVerfGG begrenzt werde. Eine Verletzung der Integrationsverantwortung beziehungsweise grundrechtlicher Schutzpflichten komme nach den bislang geltenden Maßstäben nur dann in Betracht, wenn die Verfassungsorgane gänzlich untätig blieben oder Maßnahmen ergriffen, die einer Untätigkeit offensichtlich gleichkämen.

Die Antragsteller übersähen schließlich den norm- und verbundordnungsgeprägten Charakter der Integrationsverantwortung, der die verfassungsrechtliche Komplexität der Schutzpflichtdogmatik erhöhe. Daher hätten sie darauf eingehen müssen, dass mit den Maßnahmen von Bundesregierung und Bundestag sowie den Beschlüssen des EZB-Rates vom 3./4. Juni 2020 ein Übergang vom im Urteil vom 5. Mai 2020 festgestellten Unterlassen nebst Ultra-vires-Verstoß zu neuen - vom Bundesverfassungsgericht bislang nicht geprüften - staatlichen Maßnahmen nebst neuerlicher Handlungen des EZB-Rates stattgefunden habe. Die Antragsteller hätten nicht dargelegt, weshalb unionsrechtliche Maßnahmen, die vom Bundesverfassungsgericht bislang noch nicht als ultra vires qualifiziert worden seien, nicht am Anwendungsvorrang des Unionsrechts teilhaben sollten.

2. Die Anträge seien jedenfalls offensichtlich unbegründet. Bundesregierung und Bundestag hätten ihre Verpflichtungen aus dem Urteil erfüllt, indem sie auf eine Verhältnismäßigkeitsprüfung des PSPP durch die EZB hingewirkt und ihre diesbezügliche Rechtsauffassung gegenüber der EZB deutlich gemacht hätten.

Die von Bundesregierung und Bundestag konkret getroffenen Maßnahmen stellten eine Zäsur dar. Sie hätten das vom Bundesverfassungsgericht beanstandete Unterlassen beendet und seien als spezifische Maßnahmen zur Wahrnehmung der Integrationsverantwortung zu bewerten. Wären diese Maßnahmen ebenfalls verfassungswidrig, läge darin eine neue (Grund-)Rechtsverletzung.

Unter Berücksichtigung der besonderen Konkretisierungsbedingungen für norm- und verbundordnungsgeprägte grundrechtliche Schutzpflichten genügten die von Bundesregierung und Bundestag ergriffenen Maßnahmen den sich aus ihrer Integrationsverantwortung ergebenden Anforderungen. Solange das Bundesverfassungsgericht diese nicht als Ultra-vires-Akt qualifiziert habe, seien sie (lediglich) verpflichtet, sich im Rahmen der Integrationsverantwortung eine eigene Rechtsauffassung zu bilden.

B.

Die Anträge sind unzulässig. Vollstreckungsanordnungen nach § 35 BVerfGG sind strikt akzessorisch zu der getroffenen Sachentscheidung und dürfen diese weder ergänzen noch erweitern (I.). Dem genügen die gestellten Anträge nicht (II.).

I.

1. Eine Vollstreckungsanordnung nach § 35 BVerfGG dient der Verwirklichung des vom Bundesverfassungsgericht gefundenen Rechts und der Herbeiführung des von der Sachentscheidung ("Vollstreckungstitel") geforderten Zustands. Sie soll die Beachtung der getroffenen Sachentscheidung absichern und bietet dem Bundesverfassungsgericht ein Instrument zur umfassenden und einzelfalladäquaten Durchsetzung seiner Entscheidungen. Da § 35 BVerfGG sicherstellen will, dass dem Bundesverfassungsgericht alle dafür notwendigen Kompetenzen zur Verfügung stehen, ist er weit auszulegen (vgl. BVerfGE 6, 300 <303>; Burkiczak, in: ders./Dollinger/Schorkopf, BVerfGG , 2015, § 35 Rn. 1 f., 39).

Über den Erlass einer Vollstreckungsanordnung entscheidet das Bundesverfassungsgericht nach pflichtgemäßem Ermessen (vgl. Burkiczak, in: ders./ Dollinger/Schorkopf, BVerfGG , 2015, § 35 Rn. 32; Sauer, in: Walter/Grünewald, BeckOK BVerfGG , § 35 Rn. 11 <1. Juli 2020>). Eine vorherige Anhörung der Betroffenen ist nicht vorgesehen. Insoweit genügt das Äußerungsrecht aus dem zugrundeliegenden Verfahren der Sachentscheidung (vgl. BVerfGE 6, 300 <304 f.>; Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/ders., BVerfGG , § 35 Rn. 74a <Juni 2019>; Lechner/Zuck, BVerfGG , 8. Aufl. 2019, § 35 Rn. 17; kritisch hierzu bei einer nachträglichen Vollstreckungsanordnung Burkiczak, in: ders./Dollinger/ Schorkopf, BVerfGG , 2015, § 35 Rn. 33; Lenz/Hansel, BVerfGG , 3. Aufl. 2020, § 35 Rn. 21).

In der Sache ermächtigt § 35 BVerfGG das Bundesverfassungsgericht, die Anordnungen zu erlassen, die zur Durchsetzung seiner verfahrensabschließenden Entscheidungen erforderlich sind, um diesen Geltung zu verschaffen. Es kann insoweit bestimmen, wer seine Entscheidung vollstreckt, und im Einzelfall die Art und Weise der Vollstreckung regeln (vgl. BVerfGE 6, 300 <303>; 68, 132 <140>; 142, 116 <120 Rn. 7>; Gaier, JuS 2011, S. 961 <961>). Dabei kann es nicht nur allgemeine abstrakte Anordnungen für die Vollstreckung seiner Entscheidung erlassen, sondern auch konkrete Vollstreckungsaufträge für den Einzelfall erteilen (vgl. BVerfGE 2, 139 <142>). Die im Rahmen von § 35 BVerfGG zu treffenden Folgeregelungen sind dabei grundsätzlich auf das zur Durchsetzung der Entscheidung Unumgängliche zu beschränken (vgl. Lenz/Hansel, BVerfGG , 3. Aufl. 2020, § 35 Rn. 18 f.).

2. Die Vollstreckungsanordnung steht strikt im Dienst der Sachentscheidung und ihrer Durchsetzung (vgl. Lenz/Hansel, BVerfGG , 3. Aufl. 2020, § 35 Rn. 6; Sauer, in: Walter/Grünewald, BeckOK BVerfGG , § 35 Rn. 22 <1. Januar 2021>). Sie ist zu der Sachentscheidung akzessorisch und nur in den Grenzen des Tenors und der ihn tragenden Gründe zulässig (vgl. BVerfGE 68, 132 <140>); Letztere werden durch den Verfahrens- beziehungsweise Streitgegenstand der Sachentscheidung bestimmt (vgl. BVerfGE 100, 263 <265>; Bethge, in: Maunz/SchmidtBleibtreu/Klein/ders., BVerfGG , § 35 Rn. 47, 71 <Juli 2020>).

a) Der Inhalt der Vollstreckungsanordnung hängt daher zum einen vom Inhalt der zu vollstreckenden Sachentscheidung ab, zum anderen von den konkreten Verhältnissen, unter denen diese umzusetzen ist. Dazu gehört nicht zuletzt das Verhalten der Adressaten der Sachentscheidung (vgl. BVerfGE 6, 300 <303>; 68, 132 <140>). Eine Entscheidung über die Vollstreckungsanordnung kann daher - wenn sich die Notwendigkeit ergibt - auch nach Erlass der Sachentscheidung in einem gesonderten Beschluss ergehen.

Allerdings darf dieser (nachträgliche) Beschluss die Sachentscheidung, deren Vollstreckung er dient, nicht ändern, modifizieren, ergänzen oder erweitern (vgl. BVerfGE 6, 300 <304>; 68, 132 <140>; 100, 263 <265>; 142, 116 <120 Rn. 7>; Lenz/Hansel, BVerfGG , 3. Aufl. 2020, § 35 Rn. 6); er bleibt - wie eine Vollstreckungsanordnung, die zusammen mit der Hauptsacheentscheidung ergeht - ausschließlich auf die Durchsetzung der Hauptsachentscheidung ausgerichtet und begrenzt (vgl. BVerfGE 6, 300 <304>; Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/ Klein/ders., BVerfGG , § 35 Rn. 73 <Juli 2020>; Lechner/Zuck, BVerfGG , 8. Aufl. 2019, § 35 Rn. 1).

Gegenstand der Sachentscheidung ist die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bei Verkündung des Urteils. Nach Erlass der Sachentscheidung ergangene Maßnahmen sind daher kein tauglicher Gegenstand von Vollstreckungsanordnungen nach § 35 BVerfGG (vgl. BVerfGE 68, 132 <141>; Burkiczak, in: ders./ Dollinger/Schorkopf, BVerfGG , 2015, § 35 Rn. 42). Andernfalls würde die ursprüngliche Sachentscheidung ergänzt und erweitert, weil auch die neue rechtliche Situation analysiert und verfassungsrechtlich gewürdigt werden müsste (vgl. BVerfGE 68, 132 <141>; 142, 116 <121 Rn. 8>; Sachs, JuS 2016, S. 1151 <1152>). Da hierfür die Einleitung eines neuen Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht offensteht, muss dem Antragsteller in dem Verfahren, in dem bereits eine Sachentscheidung ergangen ist, kein zusätzlicher - gegebenenfalls einfacherer - Rechtsbehelf in Form der Vollstreckungsanordnung nach § 35 BVerfGG eröffnet werden (vgl. BVerfGE 68, 132 <141>; 142, 116 <121 Rn. 9>).

b) Vor diesem Hintergrund hat das Bundesverfassungsgericht für Gesetze festgestellt, dass Anträge nach § 35 BVerfGG unstatthaft sind, wenn der Vollzug der Sachentscheidung gerade im Erlass von Normen besteht. Sofern der Gesetzgeber ein (Änderungs-)Gesetz erlässt, welches seinerseits Gegenstand einer eigenständigen Prüfung in einem konkreten Normenkontroll- oder Verfassungsbeschwerdeverfahren sein kann, ist der Weg über § 35 BVerfGG versperrt. Etwas anderes dürfte allenfalls dann gelten, wenn der von der in der Sachentscheidung ausgesprochenen Gesetzgebungspflicht betroffene Gesetzgeber gar nicht tätig geworden ist oder nur in einer Weise, die so offensichtlich hinter den sich aus der Sachentscheidung ergebenden Anforderungen zurückbleibt, dass dies materiell einer Untätigkeit gleichkommt (vgl. BVerfGE 142, 116 <122 Rn. 11>; Sachs, JuS 2016, S. 1151 <1152>).

c) Dies gilt jedoch nicht nur für nach der Verkündung der Sachentscheidung in Reaktion auf diese erlassene Gesetze, sondern entsprechend auch für die nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage durch andere Hoheitsakte oder sonstige Maßnahmen der durch das Urteil verpflichteten Staatsorgane. Die Grenzen einer zulässigen Vollstreckungsanordnung ergeben sich aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG ) und der notwendigen Anknüpfung des Verfassungsprozessrechts an den Verfahrens- beziehungsweise Streitgegenstand und stellen insoweit verallgemeinerungsfähige Anforderungen dar, die für die verfassungsgerichtliche Kontrolle aller Verfassungsorgane und Handlungsformen gelten (vgl. allgemein hierzu BVerfGE 2, 139 <142 f.>; Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/ders., BVerfGG , § 35 Rn. 86 <Juni 2019>; Lechner/Zuck, BVerfGG , 8. Aufl. 2019, § 35 Rn. 18; Sauer, in: Walter/Grünewald, BeckOK BVerfGG , § 35 Rn. 8 <1. Januar 2021>).

d) Das Erfordernis, die Befugnisse des Bundesverfassungsgerichts bei der Sachentscheidung und der Vollstreckungsanordnung nach § 35 BVerfGG voneinander abzugrenzen, damit nach dem Abschluss des Hauptverfahrens nicht noch weitere Sachentscheidungen getroffen werden (vgl. Burkiczak, in: ders./Dollinger/ Schorkopf, BVerfGG , 2015, § 35 Rn. 43), gebietet es, Inhalt und Tragweite der zu vollstreckenden Sachentscheidung genau zu bestimmen (vgl. BVerfGE 6, 300 <305>).

II.

Die Anträge auf Erlass einer Vollstreckungsanordnung gehen über die dem Urteil vom 5. Mai 2020 zugrunde liegende Sach- und Rechtslage und damit über die Grenzen einer Vollstreckungsanordnung nach § 35 BVerfGG hinaus. Sie sind unstatthaft.

1. Die Anträge zielen auf die (inzidente) Feststellung, dass die nach dem 5. Mai 2020 von Bundesregierung und Bundestag in Vollzug des Urteils getroffenen Maßnahmen nicht verfassungsgemäß seien. Dies setzte eine verfassungsrechtliche Prüfung der nach dem Urteil getroffenen Maßnahmen und der durch sie veränderten Rechtslage voraus und erschöpfte sich nicht allein in der Durchsetzung des Urteils vom 5. Mai 2020. Die von den Antragstellern angegriffenen Maßnahmen sind erst nach der Verkündung des Urteils ergriffen worden und konnten in diesem folglich noch nicht berücksichtigt werden. Mit ihrer verfassungsgerichtlichen Überprüfung würde der ursprüngliche Streitgegenstand ergänzt beziehungsweise erweitert.

Die Antragsteller führen selbst aus, dass die von Bundesregierung und Bundestag getroffenen Maßnahmen zur Umsetzung des Urteils vom 5. Mai 2020 einer umfassenden und tiefgehenden verfassungsrechtlichen Würdigung bedürfen. Derart komplexe Beurteilungen können nicht im Rahmen einer Vollstreckungsanordnung vorgenommen werden (vgl. BVerfGE 142, 116 <121 f. Rn. 10>).

2. Das gilt auch, soweit der Antrag der Antragsteller zu I. darauf gerichtet ist, Bundesregierung und Bundestag (zunächst) zu der Darlegung zu verpflichten, dass die vom Senat festgestellte Verletzung ihrer Rechte behoben sei. Eine solche Verpflichtung ist nicht Gegenstand des Urteils vom 5. Mai 2020. Dieses spricht - unabhängig davon, ob es materiell-rechtlich überhaupt Sache der Beteiligten ist, sich nach dem Erlass einer gerichtlichen Entscheidung über deren Umsetzung zu verständigen - eine entsprechende Nachweispflicht von Bundesregierung und Bundestag nicht aus. Auch die von den Antragstellern zu I. begehrte Darlegung erforderte die verfassungsgerichtliche Überprüfung nachträglicher Maßnahmen der Bundesregierung und des Bundestages sowie eine inzidente verfassungsrechtliche Würdigung der von der EZB nach der Verkündung des Urteils in Bezug auf das PSPP getroffenen Maßnahmen. Dies geht über den Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens hinaus.

Gleiches gilt für den im Zusammenhang damit gestellten Antrag auf Einsicht in die nicht veröffentlichten, der Bundesregierung und dem Bundestag überlassenen Dokumente der EZB, der sich als Annex zu dem (unstatthaften) Antrag auf Darlegung der Behebung der Rechtsverletzung durch Bundesregierung und Bundestag darstellt. Das Urteil vom 5. Mai 2020 enthält keine Festlegungen dazu, dass die in der Randziffer 232 ausgesprochene Verpflichtung der Bundesregierung und des Bundestages, auf eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durch die EZB hinzuwirken und hierbei ihre Rechtsauffassung deutlich zu machen oder auf sonstige Weise für die Wiederherstellung vertragskonformer Zustände zu sorgen, auch die Offenlegung sämtlicher Unterlagen gegenüber den Antragstellern zu I. erforderte. Eine Sachentscheidung über die Verpflichtung von Bundesregierung und Bundestag - sowie mittelbar der EZB -, den Antragstellern zu I. Einsicht in die nicht öffentlichen Dokumente der EZB zu gewähren, die nach Einschätzung von Bundesregierung und Bundestag belegen, dass der Rat der EZB eine den Anforderungen des Urteils vom 5. Mai 2020 genügende Verhältnismäßigkeitsprüfung des PSPP hinreichend nachvollziehbar vorgenommen hat, erforderte die Prüfung entsprechender - bislang ungeklärter - Ansprüche aus dem Verfassungs- wie dem Unionsrecht und zudem gegebenenfalls ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 AEUV .

3. Soweit der Antragsteller zu II. mit dem Antrag zu 1. die Feststellung begehrt, dass Bundesregierung und Bundestag weiterhin verpflichtet seien, auf die EZB einzuwirken, damit deren Rat umgehend eine den Anforderungen des Urteils entsprechende substantiierte und nachvollziehbare Verhältnismäßigkeitsprüfung beschließe und den Beschluss öffentlich kommuniziere oder auf sonstige Weise für die Wiederherstellung vertragskonformer Zustände sorge, erforderte dies ebenfalls eine inzidente Überprüfung von Maßnahmen, die Bundesregierung und Bundestag sowie der EZB-Rat nach dem 5. Mai 2020 ergriffen und die die Rechtslage verändert haben. Das gilt gleichermaßen für die mit dem Antrag zu 2. begehrte Einwirkung der Bundesregierung auf die Bundesbank.

Dagegen ist die in Randziffer 235 des Urteils vom 5. Mai 2020 für den Fall eines erfolglosen Ablaufs der dreimonatigen Übergangsfrist ausgesprochene Verpflichtung der Bundesbank, die nach dem Vorbringen des Antragstellers zu II. mit seinem Antrag zu 3. lediglich wiederholt werde, von vornherein nicht geeignet, sein Recht auf demokratische Selbstbestimmung aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG zu beeinträchtigen. Dort wird lediglich die objektiv-rechtliche Bindung der Bundesbank näher konkretisiert, wie sie nach der Feststellung eines Ultra-vires-Aktes durch das Bundesverfassungsgericht für alle Organe, Behörden und Gerichte der Bundesrepublik Deutschland besteht (vgl. BVerfGE 142, 123 <207 Rn. 162>). Als Trägerin mittelbarer Staatsverwaltung trifft die Bundesbank insoweit keine eigenständige Integrationsverantwortung (vgl. BVerfGE 154, 17 <83 f. Rn. 95>). Die mit dem Antrag zu 3. begehrte Verpflichtung der Bundesbank lässt sich daher nicht auf verfassungsrechtlich geschützte Interessen des Antragstellers zu II. stützen. Eine entsprechende objektiv-rechtliche Verpflichtung der Bundesbank setzte wiederum die Feststellung des Senats voraus, dass die von Bundesregierung, Bundestag und EZB ergriffenen Maßnahmen zur Wiederherstellung eines verfassungsgemäßen Zustands nicht genügten, der im Urteil vom 5. Mai 2020 dargelegte Ultra-vires-Akt mithin fortbestehe. Dies ginge, wie bereits erläutert, über den Streitgegenstand des Urteils vom 5. Mai 2020 hinaus.

C.

Im Übrigen wären die Anträge, wenn man sie auch als auf die Feststellung gerichtet auslegen wollte, Bundesregierung und Bundestag seien den Anforderungen aus dem Urteil vom 5. Mai 2020 lediglich in einer Weise nachgekommen, die so offensichtlich hinter den sich aus der Sachentscheidung ergebenden Anforderungen zurückbleibt, dass dies materiell einer Untätigkeit gleichkomme (vgl. Rn. 78), jedenfalls unbegründet. Bundesregierung und Bundestag sind im Zusammenwirken mit der EZB nach dem 5. Mai 2020 in Wahrnehmung ihrer Integrationsverantwortung tätig geworden (I.). Dass dies offensichtlich unzulänglich und einer Untätigkeit gleichzuachten wäre, ist weder dargelegt noch sonst ersichtlich (II.).

I.

1. Bei der Wahrnehmung ihrer Integrationsverantwortung entscheiden die Verfassungsorgane grundsätzlich eigenverantwortlich darüber, wie sie den ihnen obliegenden Schutzauftrag erfüllen; sie verfügen insoweit über einen weiten Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum; vorhandene Risiken müssen sie erwägen und politisch verantworten (vgl. BVerfGE 125, 39 <78>; 142, 123 <210 Rn. 169>; 151, 202 <299 Rn. 148>; 154, 17 <89 f. Rn. 109>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 2. März 2021 - 2 BvE 4/16 -, Rn. 71 f.).

Zur Einhaltung des Integrationsprogramms können sie Ultra-vires-Akte von Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union nachträglich legitimieren, indem sie eine - die Grenzen von Art. 79 Abs. 3 GG wahrende - entsprechende Änderung des Primärrechts anstoßen und die in Anspruch genommenen Hoheitsrechte im Verfahren nach Art. 23 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 GG förmlich übertragen (vgl. BVerfGE 146, 216 <250 Rn. 48>; 151, 202 <299 Rn. 148>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 2. März 2021 - 2 BvE 4/16 -, Rn. 78). Soweit dies nicht möglich oder nicht gewollt ist, sind sie dagegen grundsätzlich verpflichtet, im Rahmen ihrer Kompetenzen mit rechtlichen oder mit politischen Mitteln auf die Aufhebung der vom Integrationsprogramm nicht gedeckten Maßnahmen hinzuwirken sowie - solange die Maßnahmen fortwirken - geeignete Vorkehrungen dafür zu treffen, dass ihre innerstaatlichen Auswirkungen so weit wie möglich begrenzt bleiben (vgl. BVerfGE 134, 366 <395 f. Rn. 49>; 142, 123 <209 f. Rn. 167, 211 Rn. 170>; 146, 216 <251 Rn. 49>; 151, 202 <297 Rn. 141>; 154, 17 <150 Rn. 231>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 2. März 2021 - 2 BvE 4/16 -, Rn. 78).

Hierzu verfügen Bundesregierung und Bundestag über eine Reihe von Mitteln, derer sie sich bedienen können (vgl. BVerfGE 142, 123 <211 f. Rn. 171>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 2. März 2021 - 2 BvE 4/16 -, Rn. 79). Dazu zählen eine Klage vor dem Gerichtshof der Europäischen Union (vgl. Art. 263 Abs. 1 AEUV ), die Beanstandung der fraglichen Maßnahme gegenüber den handelnden und den sie kontrollierenden Stellen, das Stimmverhalten in den Entscheidungsgremien der Europäischen Union einschließlich der Ausübung von Vetorechten, Vorstöße zu Vertragsänderungen (vgl. Art. 48 Abs. 2 , Art. 50 EUV ) sowie Weisungen an nachgeordnete Stellen, die in Rede stehende Maßnahme nicht anzuwenden.

Der Bundestag kann sich dabei seines Frage-, Debatten- und Entschließungsrechts bedienen, das ihm zur Kontrolle des Handelns der Bundesregierung in Angelegenheiten der Europäischen Union zusteht (vgl. Art. 23 Abs. 2 GG ). Er kann der Bundesregierung seine Auffassung jederzeit durch Beschluss mitteilen (vgl. Art. 40 Abs. 1 Satz 2 GG , § 75 Abs. 1 Buchstabe d, Abs. 2 Buchstabe c GO-BT ) oder - wie im Falle des SSM-VO-Gesetzes (vgl. BVerfGE 151, 202 <371 f. Rn. 311 f.>) - ein Gesetz erlassen. Im Übrigen kann er sich - je nach Bedeutung und Tragweite der Angelegenheit - der Subsidiaritätsklage (vgl. Art. 23 Abs. 1a GG i.V.m. Art. 12 Buchstabe b EUV und Art. 8 Subsidiaritätsprotokoll), des Enquêterechts (vgl. Art. 44 GG ) oder eines Misstrauensvotums (vgl. Art. 67 GG ) bedienen (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 2. März 2021 - 2 BvE 4/16 -, Rn. 79). Bei einem vom Bundesverfassungsgericht festgestellten Ultra-vires-Handeln oder einer Berührung der Verfassungsidentität bedarf es jedenfalls einer Plenardebatte, da der Bundestag seine Repräsentationsfunktion grundsätzlich in seiner Gesamtheit wahrnimmt. Entscheidungen von erheblicher Tragweite wie die Entschließung darüber, welche Wege zur Wiederherstellung der Kompetenzordnung beschritten werden sollen, hat grundsätzlich ein Verfahren vorauszugehen, das der Öffentlichkeit Gelegenheit bietet, ihre Auffassungen auszubilden und zu vertreten, und das die Volksvertretung dazu veranlasst, Notwendigkeit und Umfang der zu beschließenden Maßnahmen in öffentlicher Debatte zu klären (vgl. BVerfGE 142, 123 <212 f. Rn. 172 f.>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 2. März 2021 - 2 BvE 4/16 -, Rn. 80).

2. Eine Verletzung der unter anderem aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG abgeleiteten Integrationsverantwortung ist - ähnlich wie eine Verletzung (anderer) grundrechtlicher Schutzpflichten - erst gegeben, wenn es an jeglichen Schutzvorkehrungen fehlt, die getroffenen Regelungen und Maßnahmen offensichtlich ungeeignet oder völlig unzureichend sind oder wenn sie erheblich hinter dem Schutzziel zurückbleiben (vgl. BVerfGE 77, 170 <214 f.>; 85, 191 <212>; 88, 203 <254 f.>; 92, 26 <46>; 125, 39 <78 f.>; 142, 123 <210 f. Rn. 169>; 151, 202 <299 Rn. 148>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 2. März 2021 - 2 BvE 4/16 -, Rn. 73).

II.

Vor diesem Hintergrund ist nicht ersichtlich, dass die von Bundesregierung und Bundestag im Zusammenwirken mit dem EZB-Rat nach dem 5. Mai 2020 in Ansehung des Urteils des Senats getroffenen Maßnahmen der Sache nach einem Untätigbleiben gleichstehen.

1. Das Urteil vom 5. Mai 2020 gibt Bundesregierung und Bundestag auf, dem PSPP entgegenzutreten, soweit die EZB dessen Verhältnismäßigkeit nicht dargelegt hat und es daher als Ultra-vires-Akt qualifiziert worden ist. Bundesregierung und Bundestag werden verpflichtet, auf eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durch die EZB hinzuwirken, ihr gegenüber die eigene (verfassungsrechtlich gebundene) Rechtsauffassung deutlich zu machen oder auf sonstige Weise für die Wiederherstellung vertragskonformer Zustände zu sorgen. Diese Pflicht erstreckt sich auf die am 1. Januar 2019 begonnene Reinvestitionsphase des PSPP und seine Wiederaufnahme zum 1. November 2019. Ferner verpflichtet das Urteil Bundesregierung und Bundestag, die Entscheidungen des Eurosystems über Ankäufe von Staatsanleihen unter dem PSPP zu beobachten und mit den ihnen zu Gebote stehenden Mitteln auf die Einhaltung des dem ESZB zugewiesenen Mandats hinzuwirken (vgl. BVerfGE 154, 17 <150 f. Rn. 229, 232 f.>).

2. Zur Erfüllung der sich aus dem Urteil vom 5. Mai 2020 ergebenden Verpflichtungen haben Bundesregierung und Bundestag - im Zusammenwirken mit dem EZB-Rat und der Bundesbank - eine Reihe von Maßnahmen ergriffen.

a) Der Bundestag hat nach der Verkündung des Urteils mehrere Aktivitäten entfaltet: Bereits am 6. und 13. Mai 2020 gab das Referat PE 2 Kurzinformationen zum PSPP-Urteil heraus (vgl. Deutscher Bundestag, PE-Dokument 192/2020, S. 9). Ebenfalls am 6. Mai 2020 fand im Haushaltsausschuss des Bundestages eine Unterrichtung durch die Bundesregierung über die Konsequenzen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Anleihekaufprogramm der EZB statt, am 7. Mai 2020 eine Aktuelle Stunde im Plenum zu den "Auswirkungen des Verfassungsgerichtsurteils zu EZB-Anleihekäufen" (vgl. Deutscher Bundestag, PE-Dokument 192/2020, S. 3). Am 13. Mai 2020 unterrichtete die Bundesregierung den Haushaltsausschuss über die Umsetzung des Urteils vom 5. Mai 2020, zudem schlug die AG Haushalt der FDP-Fraktion vor, als Konsequenz aus dem Urteil einen Unterausschuss zu den Anleihekaufprogrammen der EZB einzusetzen. Am 15. Mai 2020 erstellten die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages eine Ausarbeitung zur Unionsrechtskonformität des PSPP (vgl. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, PE 6 - 3000 - 32/20). Am 25. Mai 2020 fand im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union eine öffentliche Anhörung zum Urteil vom 5. Mai 2020 statt. Am 28. Mai 2020 befassten sich das Plenum (vgl. Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 19/163, S. 20263-20277) und der Haushaltsausschuss (vgl. BTDrucks 19/22587) mit dem Antrag der Fraktion der AfD zum Thema "Rechtskonforme Zustände herstellen - PEPPAnleihekäufe sofort beenden" (vgl. BTDrucks 19/19516). Am 29. Mai 2020 brachte die FDP-Fraktion die Kleine Anfrage "Folgen des Bundesverfassungsgerichtsurteils zum Staatsanleihekaufprogramm der Europäischen Zentralbank" in den Bundestag ein (vgl. BTDrucks 19/19691; 19/19992).

Am 8. Juni 2020 gab das Referat PE 2 Kurzinformationen zu den geldpolitischen Entscheidungen des EZB-Rates vom 4. Juni 2020 heraus (vgl. Deutscher Bundestag, PE-Dokument 181/2020), am 17. Juni 2020 fand im Finanzausschuss ein nicht öffentliches Fachgespräch zum Urteil statt; im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union gab es am selben Tag ein Gespräch mit dem Präsidenten der Bundesbank zu den Folgen des Urteils vom 5. Mai 2020 (vgl. insgesamt zu den Ausschusssitzungen Deutscher Bundestag, PE-Dokument 192/2020, S. 6). Zudem erfolgte, ebenfalls im Juni 2020, im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union, im Haushaltsausschuss und im Finanzausschuss ein Austausch zum Thema Geldpolitik im Rahmen der (regelmäßigen) Gespräche mit dem Präsidenten der Bundesbank (vgl. Deutscher Bundestag, PE-Dokument 192/2020, S. 1).

b) Die Aktivitäten der Bundesregierung gegenüber dem EZB-Rat - auch unter Einschaltung der Bundesbank - sind nicht näher dokumentiert. Der EZB-Rat hat auf seiner Sitzung vom 3.-4. Juni 2020 aber insgesamt sechs geldpolitische Beschlüsse gefasst, von denen die Beschlüsse Nr. 4 und Nr. 5 die Verhältnismäßigkeit des PSPP zum Gegenstand haben. In der Zusammenfassung der in der Sitzung geäußerten geldpolitischen Erwägungen stellt der EZB-Rat unter anderem fest, dass die - näher bezeichnete - Gesamtevidenz die Ansicht stütze, dass sich das PSPP positiv auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung ausgewirkt habe. Zudem hat sich der EZB-Rat mit den verschiedenen "Herausforderungen" befasst, denen sich die Zentralbanken angesichts des Niedrigzinsumfelds gegenübersähen. Kosten und Nutzen von Wertpapierankäufen wurden erörtert. Die potentiellen Wechselwirkungen zwischen Geld- und Finanzpolitik wurden in der Sitzung ebenso behandelt wie die Sicherheitsvorkehrungen zur Schaffung von Anreizen für eine solide Finanzpolitik und die Gefahr einer fiskalischen Dominanz. Auf dieser Grundlage kam der EZB-Rat zu der Schlussfolgerung, dass die Wertpapierankäufe aus gesamtwirtschaftlicher Sicht einen sehr großen positiven Beitrag zum Wirtschaftswachstum und zur Inflation im Euroraum geleistet hätten. Insgesamt bestand danach weitreichende Einigkeit, dass die Vor- und Nachteile der Wertpapierankäufe unterschiedlich gewichtet werden könnten, die positiven Auswirkungen auf die Wirtschaft im Streben nach Preisstabilität die negativen Effekte bislang - unter Hervorhebung der Pflicht zur laufenden (Neu-)Bewertung - deutlich übertroffen hätten (vgl. dazu insgesamt Zusammenfassung der geldpolitischen Sitzung des Rates der EZB vom 3.-4. Juni 2020, S. 17-20). Damit hat der EZB-Rat auf seiner Sitzung vom 3.-4. Juni 2020 die Verhältnismäßigkeit des PSPP behandelt und mit den Beschlüssen Nr. 4 und Nr. 5 im Ergebnis bejaht.

c) Mit Beschluss vom 24. Juni 2020 hat der EZB-Rat aufgrund des Ersuchens der Bundesbank, die Verhältnismäßigkeitsüberlegungen zum PSPP darzulegen (vgl. BTDrucks 19/20621, S. 2), diese ermächtigt, die ihr übersandten Dokumente, aus denen die Erwägungen des EZB-Rates zum PSPP seit dessen Beginn ersichtlich sind, Bundesregierung und Bundestag offenzulegen, damit diese die Handhabung der Verhältnismäßigkeitsprüfung durch den EZB-Rat in eigener Verantwortung prüfen und beurteilen können, wenn und soweit das von der EZB vorgegebene Maß an Vertraulichkeit für die Dokumente gewahrt wird (vgl. BTDrucks 19/20621, S. 2 f.).

d) Bundesregierung und Bundestag sind auf dieser Grundlage zu dem Ergebnis gelangt, dass die EZB den im Urteil vom 5. Mai 2020 festgestellten kompetenzrechtlichen Mangel durch die von ihr durchgeführte Verhältnismäßigkeitsprüfung behoben und damit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Genüge getan habe.

aa) Ausweislich des an den Deutschen Bundestag gerichteten Schreibens vom 26. Juni 2020 hat das Bundesministerium der Finanzen die von der Bundesbank mit dortigem Schreiben vom 26. Juni 2020 übersandten Dokumente der EZB geprüft. Dabei ergab sich nach Überzeugung des Bundesministeriums, dass die im Urteil geforderte nachvollziehbare Darlegung der Verhältnismäßigkeitsprüfung in Ansehung des PSPP erfolgt sei. In den vorgelegten Dokumenten würden insbesondere die zum Zeitpunkt der jeweiligen Beschlussfassung erwarteten faktischen Auswirkungen des PSPP auf die Finanzen der Mitgliedstaaten, die privaten Haushalte, Sparer und Kreditnehmer, den Bankensektor und Unternehmen abgebildet und mit dem Ziel des PSPP, die Inflationsrate auf unter, aber nahe 2 % steigern zu wollen, in Beziehung gesetzt.

bb) Am 26. Juni 2020 wurde den Abgeordneten des Deutschen Bundestages mitgeteilt, dass die EZB-Dokumente ab dem 29. Juni 2020 in der Geheimschutzstelle eingesehen werden könnten. Kurz danach wurde der Zeitpunkt auf das Wochenende des 27./28. Juni 2020 vorverlegt. Am 29. Juni 2020 wurde die Vertraulichkeit mehrerer Dokumente aufgehoben. Am 30. Juni 2020 haben die Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den mit "Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Anleihekaufprogramm PSPP der Europäischen Zentralbank" überschriebenen Antrag gestellt, den der Bundestag in seiner Sitzung am 2. Juli 2020 mit den Stimmen der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei Enthaltung der Fraktion DIE LINKE und gegen die Stimmen der AfD-Fraktion gefasst hat (vgl. Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 19/170, S. 21283).

In dem Beschluss wird festgestellt, dass die vom EZB-Rat durchgeführte Verhältnismäßigkeitsprüfung den sich aus dem Urteil ergebenden Anforderungen genüge und der EZB-Rat mit den nach dem Urteil veröffentlichten Informationen aus EZB-Ratsbeschlüssen, Rechenschaftsberichten gegenüber dem Europäischen Parlament, Monats- und Jahresberichten sowie öffentlichen Äußerungen von Direktoriumsmitgliedern beziehungsweise weiteren Mitgliedern des EZB-Rates dokumentiert habe, dass er bei geldpolitischen Entscheidungen systematisch die Verhältnismäßigkeit mit in Rechnung stelle; die Zusammenfassung der geldpolitischen Sitzung des Rates der EZB vom 3.-4. Juni 2020 mache diese Verhältnismäßigkeitsprüfung nachvollziehbar. Die EZB habe bei ihren Entscheidungen zum PSPP eine Prüfung der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit der geldpolitischen Maßnahmen vorgenommen. Dabei seien die wirtschaftspolitischen Auswirkungen des Programms identifiziert, gewichtet und mit den prognostizierten Vorteilen für die Erreichung des definierten währungspolitischen Ziels in Beziehung gesetzt und nach Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten abgewogen worden.

Daneben gaben die Abgeordneten Schäffler und Sauter (jeweils FDP) sowie Müller (FDP) und Thies (CDU/CSU) persönliche Erklärungen ab (vgl. Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 19/170, S. 21356-21358 - Anlagen 7 und 8), in denen sie darlegten, aus welchem Grund sie sich dem von ihren Fraktionen getragenen Antrag nicht angeschlossen haben.

Die von den Fraktionen DIE LINKE, FDP und AfD jeweils eingebrachten konkurrierenden Beschlussentwürfe wurden schließlich abgelehnt (vgl. Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 19/170, S. 21283).

3. Mit den genannten umfangreichen Maßnahmen sind Bundesregierung und Bundestag im Gefolge des Urteils vom 5. Mai 2020 und in Wahrnehmung ihrer Integrationsverantwortung tätig geworden und haben damit dem Untermaßverbot genügt. Ihr Handeln bleibt jedenfalls nicht so offensichtlich hinter den sich aus der Entscheidung ergebenden Anforderungen zurück, dass dies materiell einer Untätigkeit gleichkommt. Der ihnen bei der Erfüllung der sich aus dem Urteil ergebenden Anforderungen zukommende weite (politische) Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum (vgl. BVerfGE 125, 39 <78>; 142, 123 <210 Rn. 169>; 151, 202 <299 Rn. 148>; 154, 17 <89 f. Rn. 109>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 2. März 2021 - 2 BvE 4/16 -, Rn. 71 f.) umfasst auch die Art und Weise des Vorgehens wie etwa das technische und kommunikative Procedere.

a) Im Ergebnis haben die unterschiedlichen - im Einzelnen zwar nicht belegten, teilweise über die und mit Unterstützung der Bundesbank entfalteten - Aktivitäten von Bundesregierung und Bundestag nach der Verkündung des Urteils am 5. Mai 2020 dazu geführt, dass der EZB-Rat die vom Senat vermisste Verhältnismäßigkeitsprüfung gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 4 EUV in Verbindung mit Art. 119 ff. und Art. 127 ff. AEUV in den Beschlüssen Nr. 4 und Nr. 5 vom 3./4. Juni 2020 und der ihnen vorausgegangenen Diskussion zum Gegenstand gemacht hat. Ob diese Prüfung den materiellen Anforderungen von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 4 EUV in jeder Hinsicht genügt, ist im vorliegenden Zusammenhang nicht entscheidend.

b) Vor diesem Hintergrund stellt das im Schreiben des Bundesministers der Finanzen vom 26. Juni 2020 dargestellte Verfahren zur Prüfung der Verhältnismäßigkeitserwägungen des EZB-Rates keine offensichtliche Untätigkeit dar. Die kurze Zeitspanne zwischen dem Beschluss des EZB-Rates vom 24. Juni 2020 und dem Schreiben vom 26. Juni 2020 besagt, für sich genommen, noch nichts über die inhaltliche Qualität der Prüfung und die effektive Wahrnehmung der Integrationsverantwortung durch die Bundesregierung. Sie hat hierzu mit Schriftsatz vom 30. September 2020 vorgetragen, dass der Abfassung des Schreibens vom 26. Juni 2020 ein längerer, über mehrere Wochen andauernder Prüfungs- und Evaluierungsprozess voranging. Das erscheint plausibel.

Dass sich schließlich auch der Bundestag mit den Beschlüssen des EZB-Rates und der Verhältnismäßigkeit des PSPP inhaltlich ernsthaft befasst hat und den im Urteil vom 5. Mai 2020 ausgesprochenen Verpflichtungen in einer Weise nachgekommen ist, die deutlich über ein Untätigbleiben hinausgeht, ergibt sich aus den aufgeführten umfangreichen Aktivitäten (vgl. Rn. 98 f., 104 ff.), die letztlich in den Beschluss vom 2. Juli 2020 mündeten. Die persönlichen, den Beschluss ablehnenden Erklärungen von vier Abgeordneten sowie die drei konkurrierenden Anträge der (Oppositions-)Fraktionen DIE LINKE, FDP und AfD belegen zudem, dass eine von unterschiedlichen Auffassungen getragene inhaltliche Auseinandersetzung mit den Anforderungen aus dem Urteil vom 5. Mai 2020 stattgefunden hat.

Fundstellen
BVerfGE 158, 89
DÖV 2021, 798
NVwZ 2021, 1056
WM 2021, 1042