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BVerfG - Entscheidung vom 30.06.2021

2 BvL 20/20

Normen:
GG Art. 100 Abs. 1
BVerfGG § 80 Abs. 2 S. 1
BVerfGG § 81a
PsychKG BW § 20 Abs. 1 S. 2
PsychKG BW § 20 Abs. 3
PsychKG BW § 20 Abs. 5
GG Art. 100 Abs. 1
BVerfGG § 80 Abs. 2 S. 1
BVerfGG § 81a
PsychKHG BW § 20 Abs. 1 S. 2
PsychKHG BW § 20 Abs. 3
PsychKHG BW § 20 Abs. 5
PsychKHG § 20 Abs. 1 S. 1-2
GG Art. 100 Abs. 1 S. 1

BVerfG, Beschluss vom 30.06.2021 - Aktenzeichen 2 BvL 20/20

DRsp Nr. 2021/11903

Anordnung der Zwangsbehandlung eines Betroffenen hinsichtlich der Begleiterkrankung neben der Anlassbehandlung

Recht und Pflicht eines Gerichts zur Aussetzung und Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG bestehen nur, soweit die eigene Rechtsauffassung des Gerichts nach den prozessualen Vorschriften im gegebenen Verfahrensabschnitt für die Entscheidung noch maßgebend ist. Entscheidungserheblich in diesem Sinne ist eine Norm nur dann, wenn die Endentscheidung von der Gültigkeit des für verfassungswidrig gehaltenen Gesetzes abhängt. Die Entscheidung der verfassungsrechtlichen Frage muss zur abschließenden Beurteilung des konkreten gerichtlichen Verfahrens unerlässlich sein. Maßgeblich ist dabei nicht der Zeitpunkt der Vorlageentscheidung, sondern der Zeitpunkt der Entscheidung durch das Bundesverfassungsgericht.

Tenor

Die Vorlage ist unzulässig.

Normenkette:

PsychKHG § 20 Abs. 1 S. 1-2; GG Art. 100 Abs. 1 S. 1;

[Gründe]

Das Vorlageverfahren betrifft die landesrechtliche Regelung zur Zwangsbehandlung im baden-württembergischen Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten vom 25. November 2014 (GBl S. 534, Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz, nachfolgend: PsychKHG), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 25. Juni 2019 (GBl S. 230).

I.

1. Die Vorschrift des § 20 PsychKHG regelt die Zwangsbehandlung von auf Grundlage des dieses Gesetzes untergebrachten Personen. Sie hat folgenden Wortlaut:

§ 20

Behandlung

(1) Wer aufgrund dieses Gesetzes in einer anerkannten Einrichtung untergebracht ist, hat Anspruch auf die notwendige Behandlung. Die Behandlung der Anlasserkrankung soll die tatsächlichen Voraussetzungen freier Selbstbestimmung der untergebrachten Person so weit als möglich wieder herstellen, um ihr ein möglichst selbstbestimmtes, in der Gemeinschaft eingegliedertes Leben in Freiheit zu ermöglichen. Die Behandlung umfasst auch Untersuchungsmaßnahmen sowie Maßnahmen, die erforderlich sind, um der untergebrachten Person nach ihrer Entlassung ein eigenverantwortliches Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen.

(2) Die Behandlung bedarf der Einwilligung der untergebrachten Person. Die Einwilligung muss auf dem freien Willen der insoweit einwilligungsfähigen und ärztlich angemessen aufgeklärten untergebrachten Person beruhen.

(3) Die Einwilligung der untergebrachten Person in die Behandlung, die ihrem natürlichen Willen widerspricht (Zwangsbehandlung), ist dann nicht erforderlich, wenn und solange

1. sie krankheitsbedingt zur Einsicht in die Behandlungsbedürftigkeit der Krankheit, wegen derer ihre Unterbringung notwendig ist, oder zum Handeln gemäß solcher Einsicht nicht fähig ist und die Behandlung nachweislich dazu dient,

a) eine Lebensgefahr oder eine gegenwärtige erhebliche Gefahr für die Gesundheit der untergebrachten Person abzuwenden oder

b) die tatsächlichen Voraussetzungen freier Selbstbestimmung der untergebrachten Person so weit als möglich wiederherzustellen, um ihr ein möglichst selbstbestimmtes, in der Gemeinschaft eingegliedertes Leben in Freiheit zu ermöglichen, oder

2. die Behandlung dazu dient, eine Lebensgefahr oder eine gegenwärtige erhebliche Gefahr für die Gesundheit dritter Personen abzuwenden.

Die Behandlung nach Satz 1 muss im Hinblick auf das Behandlungsziel, das ihren Einsatz rechtfertigt, Erfolg versprechen. Sie darf nur als letztes Mittel eingesetzt werden, wenn mildere Mittel, insbesondere eine weniger eingreifende Behandlung, aussichtslos sind. Die Belastungen dürfen nicht außer Verhältnis zu dem erwartbaren Nutzen stehen. Dieser muss mögliche Schäden der Nichtbehandlung deutlich feststellbar überwiegen.

(4) Eine Behandlung nach Absatz 3 darf nur auf ärztliche Anordnung und unter ärztlicher Überwachung durchgeführt werden. Zuvor hat eine Ärztin oder ein Arzt die untergebrachte Person angemessen aufzuklären und zu versuchen, ihre auf Vertrauen gegründete Zustimmung zu erreichen. Die Behandlungsmaßnahmen sind zu dokumentieren einschließlich ihres Zwangscharakters, ihrer Durchsetzungsweise, ihrer maßgeblichen Gründe und der Wirkungsüberwachung. Eine zu dokumentierende Nachbesprechung durch die behandelnde Ärztin oder den behandelnden Arzt muss erfolgen, sobald es der Gesundheitszustand zulässt.

(5) Eine Behandlung nach Absatz 3 ist auf Antrag der behandelnden anerkannten Einrichtung nur mit vorheriger Zustimmung des Amtsgerichts zulässig, in dessen Bezirk die anerkannte Einrichtung oder Maßregelvollzugseinrichtung ihren Sitz hat. Dies gilt nicht in den Fällen von Absatz 3 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a und Nummer 2, wenn hierdurch die Behandlung verzögert würde und sich hieraus Nachteile für das Leben oder die Gesundheit der gefährdeten Person ergeben würden (»Gefahr im Verzug«). Die gerichtliche Entscheidung ist unverzüglich herbeizuführen, sobald die untergebrachte Person nach Absatz 3 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b weiterbehandelt wird. Das gerichtliche Verfahren richtet sich nach dem Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit .

(6) Eine wirksame Patientenverfügung der zu behandelnden Person (§§ 1901a und 1901b BGB ) ist zu beachten. Schließt sie eine Behandlung nach Absatz 3 aus, geht die Patientenverfügung vor, nicht jedoch in Fällen gegenwärtiger erheblicher Fremdgefährdung (Absatz 3 Satz 1 Nummer 2).

2. a) Die im Verfahren vor dem vorlegenden Gericht Betroffene befand sich seit dem 1. November 2020 in stationärer Behandlung in der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und psychosomatische Medizin des Klinikums Ludwigsburg (nachfolgend: die Klinik). Mit einem an das vorlegende Gericht gerichteten Schriftsatz vom 2. November 2020 beantragte die Klinik, die Unterbringung der Betroffenen anzuordnen. Das vorlegende Gericht gab daraufhin mit Beschluss vom selben Tag ein entsprechendes Sachverständigengutachten in Auftrag.

Der Sachverständige erstattete sein Gutachten noch am 2. November 2020. Er führt darin aus, die Betroffene leide an einer paranoiden Schizophrenie mit psychotischer Situationsverkennung. Zudem bestehe bei der Betroffenen eine weitere Erkrankung, nämlich ein Pseudotumor cerebri (nachfolgend: der Pseudotumor).

Das vorlegende Gericht hörte die Betroffene am 3. November 2020 an. In der Anhörung erklärte der behandelnde Arzt, dass es sich bei dem Pseudotumor um einen Bluthochdruck im Gehirn handele, der zur Blindheit führen könne, wenn die Medikamente nicht eingenommen würden. Er glaube nicht, dass die psychische Erkrankung der Betroffenen in einem ursächlichen Zusammenhang zu dem Pseudotumor stehe. Noch im Rahmen des Anhörungstermins ordnete das vorlegende Gericht auf Grundlage von § 15 Abs. 1 PsychKHG in Verbindung mit §§ 1, 13 PsychKHG die Unterbringung der Betroffenen für die Dauer von sechs Wochen an.

b) Mit Schriftsatz vom 5. November 2020 beantragte die Klinik bei dem vorlegenden Gericht, die Zwangsbehandlung hinsichtlich der (psychischen) Anlasserkrankung zu genehmigen. Das vorlegende Gericht erließ einen entsprechenden Beweisbeschluss. Darin heißt es auch, man weise darauf hin, dass "die Zwangsbehandlung nach PsychKHG nur für die psychische Anlasserkrankung möglich ist, nicht für den Pseudotumor (...)."

In ihrem daraufhin erstatteten Gutachten empfahl die zu dieser Frage beauftragte Sachverständige, die Zwangsbehandlung anzuordnen. Außerdem führt sie aus, das Ziel der Behandlung sei es auch, die Einsichtsfähigkeit der Betroffenen hinsichtlich der Behandlung des Pseudotumors herbeizuführen. Das vorlegende Gericht ordnete mit Beschluss vom 6. November 2020 die Zwangsbehandlung hinsichtlich der Anlasserkrankung an.

c) Schließlich beantragte die Klinik mit Schriftsatz vom 19. November 2020, die Zwangsbehandlung auch hinsichtlich der Begleiterkrankung anzuordnen, also hinsichtlich des Pseudotumors. Insoweit seien insbesondere eine Medikation mit Acetazolamid sowie wiederholte Lumbalpunktionen erforderlich. Andernfalls drohe die Erblindung der Betroffenen.

Das vorlegende Gericht führte am 20. November 2020 einen Anhörungstermin durch. In dessen Zuge erklärte der bestellte und im Termin anwesende Verfahrenspfleger, er könne dem Antrag nicht zustimmen, weil nach dem PsychKHG nur die Anlasserkrankung zwangsbehandelt werden könne, nicht aber weitere Erkrankungen. Die anwesende Ärztin erklärte daraufhin, die Einrichtung einer Betreuung sei bei dem Amtsgericht bereits angeregt worden. Außerdem habe sie auch das Gutachten für die Betreuerbestellung bereits versandt. Abschließend heißt es, dass die Betroffene noch im Anhörungstermin insbesondere Acetazolamid eingenommen habe.

Eine Abschrift des von der anwesenden Ärztin erwähnten Sachverständigengutachtens über die Notwendigkeit der Einrichtung einer Eilbetreuung befindet sich in der vom vorlegenden Gericht übersandten Verfahrensakte. Dieses Sachverständigengutachten vom 16. November 2020 ist an das Amtsgericht Besigheim zum dortigen Aktenzeichen eines Betreuungsverfahren ("XVII") gerichtet. Zur Sache führt die Sachverständige aus, die Einrichtung einer Betreuung sei erforderlich. Dies betreffe die Aufgabenkreise "Zustimmung Bedürftigkeit der ärztlichen Betreuung" sowie "gegebenenfalls Klärung der finanziellen Angelegenheiten". Weiter heißt es in dem Sachverständigengutachten, dass aus psychiatrischer Sicht die Einrichtung der Betreuung auch gegen den Willen der Betroffenen erforderlich sei.

II.

1. Mit Beschluss vom 4. Dezember 2020 hat das vorlegende Gericht das Verfahren ausgesetzt, soweit es über die Anordnung der Zwangsbehandlung hinsichtlich der Begleiterkrankung zu entscheiden hat. Es hat dem Bundesverfassungsgericht folgende Frage vorgelegt: "Ist § 20 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 , Abs. 5 [PsychKHG] mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar, soweit er die Zwangsbehandlung von Personen, die aufgrund einer psychischen Störung krank oder behindert sind, über die psychische Anlasserkrankung hinaus, im Hinblick auf interkurrente Erkrankungen/Begleiterkrankungen ausschließt [?]".

Zur Begründung führt das vorlegende Gericht insbesondere aus, das Verfahren sei nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG auszusetzen. Es sei mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar, dass § 20 PsychKHG nur die Zwangsbehandlung der Anlasserkrankung eines Betroffenen vorsehe, nicht aber auch die Zwangsbehandlung von Begleiterkrankungen. Es bestehe eine Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gegenüber jenen psychisch erkrankten Menschen, für die weder eine Betreuung eingerichtet sei noch eine Vollmacht bestehe.

a) Der baden-württembergische Landesgesetzgeber sei davon ausgegangen, dass ihm die Gesetzgebungskompetenz für den Bereich der interkurrenten Erkrankungen fehle. Das sei aber nicht zutreffend, tatsächlich bestehe eine entsprechende Gesetzgebungskompetenz des Landesgesetzgebers. Von dieser Gesetzgebungskompetenz hätten etwa auch die Landesgesetzgeber in Hamburg, Rheinland-Pfalz sowie im Saarland und Sachsen Gebrauch gemacht.

b) Den Staat treffe eine aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgende Schutzpflicht, die ihn dazu verpflichte, hilfsbedürftigen Menschen Schutz durch ärztliche Versorgung zu gewähren. Der Behandlungsanspruch dürfe nicht auf die Anlasserkrankung beschränkt bleiben, sondern müsse auch Begleiterkrankungen umfassen.

Teilweise werde zwar argumentiert, es bestehe keine Notwendigkeit für eine Regelung über interkurrente Erkrankungen im PsychKHG. Mit § 1906a BGB gebe es eine bundesgesetzliche Regelung, die ausreichend sei. Durch die Einrichtung einer Betreuung könne die medizinische Versorgung herbeigeführt werden. In einer "Vielzahl von Fällen" helfe dies aber nicht weiter. So setze die Einrichtung einer Betreuung die Betreuungsbedürftigkeit voraus. Denkbar seien aber Fälle, in denen eine Betreuungsbedürftigkeit nach Rückgang der psychiatrischen Symptome nicht mehr bestehe. Außerdem setze die Einrichtung einer Betreuung (gemeint ist wohl - jedenfalls auch - die betreuungsrechtliche Unterbringung) eine Eigengefährdung voraus, während das PsychKHG eine Unterbringung auch bei ausschließlicher Fremdgefährdung erlaube.

Der Verweis auf das Betreuungsverfahren würde die Behandlung einer interkurrenten Erkrankung zudem so verzögern, dass die konkrete Gefahr eines Gesundheitsschadens oder gar des Todes des Betroffenen drohe. Dabei werde nicht übersehen, dass nach §§ 300 , 301 FamFG auch die Einrichtung einer vorläufigen Betreuung möglich sei. Dennoch würde ein Zeitverzug entstehen, da zumindest ein ärztliches Zeugnis über die Betreuungsbedürftigkeit eingeholt werden müsse. Außerdem sei es erforderlich, dass der Betreuer einen Antrag auf Genehmigung seiner Einwilligung in die Zwangsbehandlung stelle. Ein weiterer Zeitverzug ergebe sich dann, wenn für die Entscheidung über die Einrichtung einer Betreuung einerseits und für die Entscheidung über die Genehmigung einer Zwangsbehandlung andererseits unterschiedliche funktionelle Zuständigkeiten innerhalb des Betreuungsgerichts bestünden. So sei es etwa im Bereich Württembergs. Schließlich dürfe der Staat "die Verantwortung für die Durchführung ärztlicher Maßnahmen [nicht] auf den Betreuer [abschieben]." Andernfalls entziehe sich der Staat seiner Schutzpflicht.

c) Darüber hinaus verletze § 20 PsychKHG auch Art. 3 Abs. 3 GG . Für solche psychisch Erkrankte, die unter Betreuung stünden, sei nach § 1906a BGB die Zwangsbehandlung auch hinsichtlich interkurrenter Erkrankungen möglich. Bei anderen psychisch Erkrankten, für die § 20 PsychKHG gelte, sei diese Möglichkeit gesetzlich nicht vorgesehen. Dies ergebe sich zwar nicht "aus dem Gesetzestext per se". Aus der Gesetzesbegründung sei jedoch eindeutig zu erkennen, dass Regelungen über die psychische Anlasserkrankung hinaus, also Regelungen auch über interkurrente Erkrankungen, nicht gewollt gewesen seien. Dabei sei auch eine verfassungskonforme Auslegung von § 20 PsychKHG nicht möglich. Ein Normverständnis, das die Zwangsbehandlung von interkurrenten Erkrankungen erlaube, würde "gegen den erklärten Willen des [Landesgesetzgebers] verstoßen und ist daher dem Fachgericht untersagt." Der Gesetzgeber sei aus Art. 3 Abs. 1 GG jedoch verpflichtet, "gleiche Sachverhalte auf gleiche Weise zu regeln."

d) Die Verfassungsmäßigkeit von § 20 PsychKHG sei hier auch erheblich. Wäre die Norm verfassungskonform, müsste das vorlegende Gericht den Antrag auf Genehmigung der Zwangsbehandlung zurückweisen. Wäre aber "die Möglichkeit der Genehmigung einer vom Arzt angeordneten Zwangsbehandlung einer interkurrenten Erkrankung [in] § 20 Abs. 1 PsychKHG geregelt", so wären die Voraussetzungen der Genehmigung der Zwangsbehandlung hier im Einzelnen zu prüfen. Aufgrund des vorliegenden Sachverständigengutachtens sei wohl davon auszugehen, dass die Zwangsbehandlung genehmigt werden würde.

2. a) Die Berichterstatterin hat das vorlegende Gericht mit Schreiben vom 13. April 2021 darauf hingewiesen, dass nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nur dann in Betracht komme, wenn es für die vom Fachgericht zu treffende Entscheidung auf die Gültigkeit eines Gesetzes ankomme. Maßgeblich sei insoweit der Zeitpunkt der Entscheidung durch das Bundesverfassungsgericht. Im hiesigen fachgerichtlichen Verfahren bestehe Anlass zur Nachfrage, ob die Entscheidungserheblichkeit noch bestehe. Aus der vorgelegten Akte gehe nämlich hervor, dass bereits im November 2020 bei dem Amtsgericht Besigheim ein Verfahren anhängig gewesen sei, in dem die Notwendigkeit der Einrichtung einer Betreuung geprüft wurde. In der Akte befinde sich insbesondere die Abschrift eines Sachverständigengutachtens, das die Einrichtung einer "Eilbetreuung" für die Betroffene empfehle. Darin heiße es, die Einrichtung der Betreuung sei auch gegen den Willen der Betroffenen erforderlich. Vor diesem Hintergrund sei fraglich, ob die Verfassungsmäßigkeit von § 20 PsychKHG in diesem Verfahren weiterhin entscheidungserheblich sei.

Darüber hinaus hat die Berichterstatterin in dem Schreiben an das vorlegende Gericht bemerkt, dass Zweifel daran bestünden, ob der Aussetzungs- und Vorlagebeschluss vom 4. Dezember 2020 die Entscheidungserheblichkeit hinreichend darlege. Bereits zum Zeitpunkt der Entscheidung am 4. Dezember 2020 sei das Betreuungsverfahren vor dem Amtsgericht Besigheim anhängig gewesen. Dies sei dem vorlegenden Gericht auch jedenfalls seit der Anhörung vom 20. November 2020 bekannt gewesen, denn aus der Niederschrift über die Anhörung gehe hervor, dass der Stand des Betreuungsverfahrens im Rahmen der Anhörung erörtert worden sei. Gleichwohl gehe das vorlegende Gericht in seiner Aussetzungs- und Vorlageentscheidung auf den Stand des Betreuungsverfahrens nicht ein. Ferner gehe aus der Niederschrift über die Anhörung vom 20. November 2020 hervor, dass die Betroffene noch im Anhörungstermin insbesondere das zur Behandlung der Begleiterkrankung geeignete Medikament Acetazolamid freiwillig eingenommen habe. Eine Zwangsmedikation sei daher möglicherweise nicht mehr erforderlich gewesen. Auch mit diesem Umstand befasse sich die Aussetzungs- und Vorlageentscheidung nicht.

b) Das vorlegende Gericht hat mit Schreiben vom 10. Mai 2021 mitgeteilt, dass das Amtsgericht Besigheim mit Beschluss vom 30. November 2020 eine Betreuung für die Betroffene eingerichtet habe. Der Aufgabenkreis umfasse auch die Gesundheitsfürsorge. Die Betroffene sei zwischenzeitlich, nämlich am 8. April 2021, nach Hause entlassen worden. Das Klinikum Ludwigsburg habe angegeben, dass die Betroffene "im weiteren Verlauf ihres Aufenthalts in der Klinik (...) die Medikamente freiwillig eingenommen" habe.

Zu den Konsequenzen dieser Sachlage für das hiesige Normenkontrollverfahren bemerkt das vorlegende Gericht, dass "nach der strengen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die doppelte Entscheidungserheblichkeit vorliegend nicht mehr gegeben" sei. Gleichwohl bitte man darum, zu prüfen, "ob nicht dennoch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in der Vorlagefrage möglich erscheint." Es sei zum Wohl von multipel erkrankten Personen dringend erforderlich, die Verfassungsmäßigkeit von § 20 PsychKHG zu klären. In derartigen Fällen habe das Bundesverfassungsgericht auch in der Vergangenheit schon Ausnahmen vom Erfordernis der Entscheidungserheblichkeit gemacht (Hinweis auf BVerfG, Beschluss vom 31. Januar 1978 - 2 BvL 8/77 -, juris, Beschluss vom 26. Juli 2016 - 1 BvL 8/15 -, juris).

Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erscheine auch deshalb geboten, weil "die Frage der Zwangsbehandlung interkurrenter Erkrankungen bei psychisch kranken Menschen in den jeweiligen Gesetzen der Bundesländer unterschiedlich geregelt" sei. Zu deren Schutz sei es aber erforderlich, eine einheitliche Rechtslage herbeizuführen.

Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass eine im Wege einstweiliger Anordnung genehmigte ärztliche Zwangsmaßnahme nach § 333 Abs. 2 FamFG immer nur für die Dauer von zwei Wochen genehmigt und nur bis zu einer Gesamtdauer von sechs Wochen verlängert werden könne. Bei akuten Erkrankungen sei es immer erforderlich, eine einstweilige Anordnung zu erlassen. Die Einleitung eines konkreten Normenkontrollverfahrens verbiete sich hier, denn dadurch würden "Leib und Leben der Betroffenen akut gefährdet".

Man übersehe "keineswegs den Sinn und Zweck des konkreten Normenkontrollverfahrens". Es zeige sich aber, dass die "dazu Antragsberechtigten" nicht erkennen würden, dass hier "an sich" ein abstraktes Normenkontrollverfahren erforderlich sei.

III.

Die Vorlage ist unzulässig. Die Vorschrift des § 20 PsychKHG ist im fachgerichtlichen Verfahren nicht entscheidungserheblich. Die Unzulässigkeit der Vorlage kann die Kammer durch einstimmigen Beschluss feststellen (§ 81a Satz 1 BVerfGG ).

1. Recht und Pflicht eines Gerichts zur Aussetzung und Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG bestehen nur, soweit die eigene Rechtsauffassung des Gerichts nach den prozessualen Vorschriften im gegebenen Verfahrensabschnitt für die Entscheidung noch maßgebend ist (vgl. BVerfGE 2, 406 <411 ff.>; 65, 132 <140>; 107, 218 <232>). Entscheidungserheblich in diesem Sinne ist eine Norm nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur dann, wenn die Endentscheidung von der Gültigkeit des für verfassungswidrig gehaltenen Gesetzes abhängt. Die Entscheidung der verfassungsrechtlichen Frage muss zur abschließenden Beurteilung des konkreten gerichtlichen Verfahrens unerlässlich sein (vgl. BVerfGE 50, 108 <113>; 76, 100 <104>; 78, 201 <203>; 79, 240 <243>; 131, 1 <15>). Maßgeblich ist dabei nicht der Zeitpunkt der Vorlageentscheidung, sondern der Zeitpunkt der Entscheidung durch das Bundesverfassungsgericht (vgl. BVerfGE 51, 161 <163 f.>; 82, 156 <158>; 85, 191 <203>; 102, 147 <166>; 108, 186 <209>). Insgesamt gilt ein strenger Maßstab. Die Gerichte haben den Rechtsstreit nach Möglichkeit so zu behandeln, dass eine Verzögerung durch die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts vermieden wird (vgl. BVerfGE 78, 165 <171 ff., 178>; 86, 71 <76 f.>).

2. Danach hängt die Entscheidung im vorliegenden Rechtsstreit nicht von der Verfassungsmäßigkeit des § 20 PsychKHG ab. In seiner Antwort auf das Berichterstatterschreiben des Bundesverfassungsgerichts teilt das vorlegende Gericht Umstände mit, die die Entscheidungserheblichkeit ausschließen.

a) Zunächst ist mit Beschluss des Amtsgerichts Besigheim vom 30. November 2020 eine Betreuung für die Betroffene eingerichtet worden. Bereits zum Zeitpunkt der Aussetzungs- und Vorlageentscheidung vom 4. Dezember 2020 bestand damit die Entscheidungserheblichkeit nicht mehr. Eine Zwangsbehandlung hätte mit Einrichtung der Betreuung auf Grundlage des Betreuungsrechts erfolgen können und wohl auch müssen (vgl. zum Vorrang des Betreuungsrechts LG Kassel, Beschluss vom 9. August 2018 - 3 T 400/18 -, juris, Rn. 20; dieser Entscheidung folgend Bienwald, in: Staudinger, BGB , Stand: 2. Mai 2020, § 1906a Rn. 249.1). Die Rechtsgrundlage bildet insoweit § 1906a BGB , nach dessen Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 solche ärztlichen Zwangsmaßnahmen genehmigungsfähig sind, die zum Wohl des Betreuten notwendig sind, um einen drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden abzuwenden (vgl. dazu auch BGH, Beschluss vom 15. Januar 2020 - XII ZB 381/19 -, juris, Rn. 18 ff.).

b) Darüber hinaus ist nicht ersichtlich, dass überhaupt ein Bedürfnis für die gerichtliche Zustimmung zu einer Zwangsmedikation bestanden hätte oder gar noch bestehen würde. Die Betroffene hat bereits im Rahmen der Anhörung durch das vorlegende Gericht am 20. November 2020 das zur Behandlung des Pseudotumors bestimmte Medikament Acetazolamid freiwillig eingenommen. Die Bereitschaft zur freiwilligen Einnahme des Medikaments hat sich verstetigt, denn das vorlegende Gericht hat nunmehr mitgeteilt, nach Angaben der Klinik habe die Betroffene während des gesamten Aufenthalts die notwendigen Medikamente freiwillig eingenommen.

c) Schließlich ist die Betroffene inzwischen aus der Unterbringungsmaßnahme entlassen worden. § 20 Abs. 1 Satz 1 PsychKHG gestattet die Zwangsbehandlung aber nur für solche Personen, die auf Grundlage des PsychKHG untergebracht sind.

3. a) Ein abweichender Entscheidungsmaßstab hinsichtlich der Entscheidungserheblichkeit ergibt sich nicht aus den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, auf die sich das vorlegende Gericht in seiner Antwort auf das Schreiben der Berichterstatterin bezieht.

Gegenstand des Verfahrens 2 BvL 8/77 war die Verfassungsmäßigkeit einer Vorschrift, die die Genehmigung von Atomanlagen regelt. Der in diesem Verfahren ergangene Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Januar 1978 ( 2 BvL 8/77, juris) betraf die Frage, ob ein vorlegendes Gericht verpflichtet ist, aufgrund einer von ihm für verfassungswidrig erachteten Norm zunächst Beweis zu erheben. Dies hat das Bundesverfassungsgericht bejaht (BVerfG, a.a.O., Rn. 29). Zugleich hat es aber eine Ausnahme für den Fall zugelassen, dass die Vorlagefrage von allgemeiner und grundsätzlicher Bedeutung für das Gemeinwohl ist und deshalb ihre Entscheidung dringlich ist (BVerfG, a.a.O., Rn. 30 ff.).

Für die Zulässigkeit der hiesigen Vorlage bietet die Entscheidung keine Grundlage. In dem seinerzeit zu entscheidenden Verfahren war der Rechtsstreit entscheidungsreif, würde das Bundesverfassungsgericht die dort zur Überprüfung gestellte Norm für verfassungswidrig erklären. Ausgehend von der Norm hätte das Fachgericht zunächst eine Beweisaufnahme durchführen müssen. Nach Durchführung der Beweisaufnahme hätte die Verfassungsmäßigkeit der zur Überprüfung gestellten Norm - je nach Ergebnis der Beweisaufnahme - zumindest noch entscheidungserheblich sein können (vgl. BVerfG, a.a.O., Rn. 18 ff.). Demgegenüber ist im vorliegenden Verfahren die Entscheidungserheblichkeit von § 20 PsychKHG aus mehreren Gründen (s. unter III.2.) ausgeschlossen. Bereits zum Zeitpunkt der Aussetzungs- und Vorlageentscheidung kam es auf die Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschrift nicht an.

Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Juli 2016 ( 1 BvL 8/15, juris) betraf die Frage, ob eine Zwangsbehandlung von Betreuten auch außerhalb einer Unterbringungsmaßnahme möglich sein muss. Gegenstand des Verfahrens war eine Vorlageentscheidung des Bundesgerichtshofs. Während des anhängigen Vorlageverfahrens war die Betroffene verstorben. Zu den Auswirkungen des Versterbens der Betroffenen hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, dass ein Ereignis, das zur Erledigung des Ausgangsverfahrens führe, zwar regelmäßig auch die Erledigung des Vorlageverfahrens zur Folge habe (BVerfG, a.a.O., Rn. 61). Allerdings könne es die objektive, auf Rechtsklärung und Befriedung ausgerichtete Funktion der Normenkontrolle rechtfertigen, ausnahmsweise auch nach einem erledigenden Ereignis die vorgelegte Frage nach der Gültigkeit einer Norm zu beantworten, wenn ein hinreichend gewichtiges, grundsätzliches Klärungsbedürfnis fortbesteht (BVerfG, a.a.O., Rn. 63).

Auch diese Entscheidung bietet für die Zulässigkeit der hiesigen Vorlage keine Grundlage. Die zur Überprüfung gestellte Norm war zunächst entscheidungserheblich. Alleine durch den Tod der Betroffenen des Ausgangsverfahrens ist die Entscheidungserheblichkeit entfallen. Im vorliegenden Verfahren bestand die Entscheidungserheblichkeit von § 20 PsychKHG dagegen von vornherein nicht.

b) Auch aus den weiteren Erwägungen des vorlegenden Gerichts ergibt sich die Zulässigkeit der Vorlage nicht. Soweit das vorlegende Gerichte darauf hinweist, dass die Entscheidungserheblichkeit bei Verfahren im Wege der einstweiligen Anordnung wegen der auch prozessual zwingenden Kurzfristigkeit stets entfalle, bevor ein Vorlageverfahren durchgeführt werden könne, bedarf es hier keiner Entscheidung, ob ausnahmsweise weniger strenge Anforderungen an die Entscheidungserheblichkeit zu stellen sind. Denn - wie ausgeführt - bestand die Entscheidungserheblichkeit bereits zum Zeitpunkt der Vorlageentscheidung am 4. Dezember 2020 nicht mehr.

Schließlich meint das vorlegende Gericht, dass die "dazu Antragsberechtigten" nicht erkennen würden, dass hier "an sich" ein abstraktes Normenkontrollverfahren erforderlich sei. Diese - vom vorlegenden Gericht weder belegte noch weiter erläuterte - Behauptung kann indessen ebenfalls nicht zur Zulässigkeit eines Verfahrens nach Art. 100 Abs. 1 GG führen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Vorinstanz: AG Ludwigsburg, vom 04.12.2020 - Vorinstanzaktenzeichen 4 XIV 223/20