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BVerfG - Entscheidung vom 22.07.2021

2 BvC 3/21

Normen:
GG Art. 93 Abs. 1 Nr. 4c
BVerfGG § 13 Nr. 3a
BVerfGG § 23 Abs. 1 S. 2
BVerfGG § 96a Abs. 2
§tG § 2 Abs. 1 S. 1
GG Art. 93 Abs. 1 Nr. 4c
BVerfGG § 13 Nr. 3a
BVerfGG § 23 Abs. 1 S. 2
BVerfGG § 96a Abs. 2
PartG § 2 Abs. 1 S. 1
PartG § 2 Abs. 1 S. 1

BVerfG, Beschluss vom 22.07.2021 - Aktenzeichen 2 BvC 3/21

DRsp Nr. 2021/11809

Ablehnung der Anerkennung als Partei für die Wahl zum 20. Deutschen Bundestag

Im Hinblick auf die Voraussetzungen der Anerkennung einer - wie hier neu gegründeten - Partei für die Bundestagswahl und auf die Einhaltung der Kriterien des verfassungsrechtlichen Parteibegriffs fließt die Mitgliederzahl zwar lediglich als ein, jedoch regelmäßig mit großem Gewicht versehener Faktor in die erforderliche Gesamtbeurteilung der Ernsthaftigkeit der politischen Zielsetzung ein. Bei einer Partei in der Gründungsphase ist insoweit zu verlangen, dass sie in ihrem Bestand von einem Mitgliederwechsel unabhängig ist. Sie muss also eine gefestigte Mitgliederstruktur haben und tatsächlich ausreichend in der Öffentlichkeit hervortreten, um bundesweit auf die politische Willensbildung des Volkes Einfluss nehmen und einen Wahlkampf mit dem Ziel parlamentarischer Vertretung führen zu können. Insbesondere bei einer - hier äußerst - geringen Mitgliederzahl sind bei der Beurteilung der Ernsthaftigkeit der politischen Zielsetzung an das Hervortreten in der Öffentlichkeit erhöhte Anforderungen zu stellen. Eine weitgehend bloße Internetpräsenz reicht dafür jedenfalls nicht aus.

Tenor

Die Nichtanerkennungsbeschwerde wird verworfen.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist unstatthaft.

Normenkette:

PartG § 2 Abs. 1 S. 1;

[Gründe]

I.

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Ablehnung ihrer Anerkennung als Partei für die Wahl zum 20. Deutschen Bundestag.

1. a) Die Beschwerdeführerin zeigte dem Bundeswahlleiter am 21. Juni 2021 ihre Teilnahme an der Wahl zum 20. Deutschen Bundestag an und legte ein Gründungsprotokoll vom 15. Juni 2021, ihre Satzung und ihr Programm vor. Erstmals in der größeren Öffentlichkeit präsent gewesen sei die Allianz Zukunft anlässlich von zwei "Hackathons" vom 19. bis 21. März 2021. Seitdem seien Tausende von Kontakten zu zivilgesellschaftlichen Organisationen des sozial-ökologischen Wandels und engagierten Einzelpersonen geknüpft worden. Deren Interesse schlage sich in vierstelligen Anmeldungen zum Newsletter, in den sozialen Medien und regelmäßigen Videokonferenzen im eigenen Online-Kanal nieder. Der eigene Internetauftritt auf www.allianz-zukunft.org werde ständig entsprechend dem wachsenden Interesse und konkreten Fragen aktualisiert. Mitgliederanträge hätten noch nicht abschließend bearbeitet werden können. Die Gründung aller 16 Landesverbände werde aktuell organisiert, um kurzfristig die Aufstellungsversammlungen zur Bundestagswahl durchzuführen. Bereits vor der offiziellen Gründung hätten Initiatoren und Unterstützer auf zahlreichen Versammlungen von Berufsverbänden, Kongressen zivilgesellschaftlicher Organisationen und anderen Online-Veranstaltungen das Konzept der Allianz Zukunft präsentiert und konkrete Gespräche über Möglichkeiten einer Zusammenarbeit geführt.

b) Mit Schreiben vom 1. Juli 2021 bestätigte der Bundeswahlleiter den Eingang der Beteiligungsanzeige und bat zum Nachweis der Parteieigenschaft um die Übermittlung von Informationen über die Zahl der ausländischen Mitglieder insgesamt und im Vorstand, den Umfang und die Festigkeit der Organisation, insbesondere die Gesamtzahl der Mitglieder und das Hervortreten in der Öffentlichkeit.

c) Die Beschwerdeführerin machte mit E-Mail vom 8. Juli 2021 ergänzende Angaben zur Parteibezeichnung und teilte mit, dass die Mitgliedschaft von Ausländern abgelehnt werden könne. Zum Wirken der Beschwerdeführerin könne noch ergänzt werden, dass bereits mehrfach, zuletzt am 2. Juli 2021, Zukunftsprojekte vorgestellt werden konnten. Ebenso sei zwischenzeitlich die Teilnahme an diversen Online-Konferenzen fokussiert und das Netzwerk vergrößert worden. Derzeitige Aufgabe sei die Zusammenführung interessierter Kandidatinnen und Kandidaten sowie die Gründung von 16 Landesverbänden.

d) Der Bundeswahlausschuss stellte in seiner Sitzung vom 9. Juli 2021, bei der eine Vertreterin der Beschwerdeführerin anwesend war, fest, dass die Beschwerdeführerin nicht als Partei für diese Wahl anerkannt werde. Die Kriterien der Parteieigenschaft gemäß § 2 PartG seien nicht erfüllt, da die Beschwerdeführerin insbesondere lediglich fünf Mitglieder zähle und auch unter Berücksichtigung ihres erst kurzen Bestehens keine hinreichenden Nachweise zu ihrem Hervortreten in der Öffentlichkeit geführt habe.

2. Hiergegen hat die Beschwerdeführerin am 11. Juli 2021 Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und Nichtanerkennungsbeschwerde erhoben, zu deren Begründung sie ihr bisheriges Vorbringen vor dem Bundeswahlausschuss wiederholt und vertieft.

Ergänzend führt sie aus, ein Vorstandsmitglied habe in der Sitzung des Bundeswahlausschusses weitere Unterlagen sowie Screenshots vorgelegt und die intensive Öffentlichkeitsarbeit der Beschwerdeführerin beschrieben. Bedingt durch die Pandemie seien an der Parteigründung am 15. Juni 2021 nur fünf Personen beteiligt gewesen. Die zunächst nur informellen Interessensbekundungen für eine Mitgliedschaft in den 16 Landesverbänden sollten mit deren gerade organisierter Gründung offiziell bestätigt werden. Im Übrigen sei beim Bundeswahlleiter per E-Mail vom 10. Juli 2021 nachgefragt worden, warum die E-Mail der Beschwerdeführerin vom 8. Juli 2021 keine Berücksichtigung beim Impulsbericht des Bundeswahlleiters gefunden habe. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung sei notwendig, da durch die Nichtanerkennungsentscheidung die bereits geplanten Aufstellungsversammlungen hätten abgesagt werden müssen, nun aber unverzüglich stattzufinden hätten, um der Beschwerdeführerin eine Teilnahme an der Bundestagswahl 2021 zu ermöglichen. Hilfsweise beantrage die Beschwerdeführerin, sie von der Pflicht zu entbinden, Unterstützungsunterschriften einzureichen.

3. Dem Bundeswahlausschuss ist Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden. Hiervon hat der Bundeswahlleiter Gebrauch gemacht und ausgeführt, dass die durch die Beschwerdeführerin am 8. Juli 2021 per E-Mail versandten Unterlagen den Mitgliedern des Bundeswahlausschusses in der Sitzung vom 9. Juli 2021 vorgelegen hätten. Die Bundesvorsitzende habe in der Sitzung des Bundeswahlausschusses bestätigt, dass die Beschwerdeführerin immer noch aus lediglich fünf Mitgliedern bestehe. Der Bundeswahlausschuss habe im Hinblick auf die geringe Zahl der Mitglieder und die unzureichenden Nachweise zum Hervortreten in der Öffentlichkeit bei der Beschwerdeführerin die Kriterien der Parteieigenschaft gemäß § 2 PartG nicht als erfüllt angesehen.

Daraufhin hat die Beschwerdeführerin ihr bisheriges Vorbringen vertieft. Insbesondere verkenne der Hinweis auf Mitgliederzahlen, dass gerade bei neuen Parteien die Einflussnahme auf die politische Diskussion nicht durch Mitglieder, sondern Unterstützer, unabhängig von einer formellen Mitgliedschaft, erfolge. Die abschließende Aufnahme als Mitglieder sei technisch noch nicht zu bewältigen gewesen.

II.

Die Nichtanerkennungsbeschwerde ist unzulässig, da sie nicht den Begründungsanforderungen gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2, § 96a Abs. 2 BVerfGG entspricht. Danach hat die Beschwerdeführerin sich mit den Erwägungen des Bundeswahlausschusses auseinanderzusetzen und die "erforderlichen" Beweismittel vorzulegen (vgl. BTDrucks 17/9391, S. 11 und BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 25. Juli 2017 - 2 BvC 5/17 -, Rn. 6). Daran fehlt es.

Das Vorbringen der Beschwerdeführerin ist nicht geeignet, Bedenken gegen die Richtigkeit der Entscheidung des Bundeswahlausschusses zu begründen. Nachdem der Bundeswahlausschuss seine ablehnende Entscheidung maßgeblich darauf gestützt hat, dass die Beschwerdeführerin lediglich fünf Mitglieder zähle und auch unter Berücksichtigung ihres erst kurzen Bestehens keine hinreichenden Nachweise zur ihrem Hervortreten in der Öffentlichkeit gemacht habe, hätte es der Beschwerdeführerin oblegen, sich hiermit substantiiert auseinanderzusetzen und entsprechende Nachweise zu erbringen. Dem wird die Beschwerdeführerin nicht gerecht.

1. In ihrer Beschwerde setzt sich die Beschwerdeführerin schon nicht hinreichend damit auseinander, dass sie über lediglich fünf Mitglieder verfügt und welche Auswirkungen dies auf die Einhaltung der Kriterien des verfassungsrechtlichen Parteibegriffs hat. Die Mitgliederzahl fließt zwar lediglich als ein, jedoch regelmäßig mit großem Gewicht versehener Faktor (vgl. BVerfGE 89, 291 <306>) in die erforderliche Gesamtbeurteilung der Ernsthaftigkeit der politischen Zielsetzung ein. Bei einer Partei in der Gründungsphase - wie der Beschwerdeführerin - kann insoweit lediglich verlangt werden, dass sie in ihrem Bestand von einem Mitgliederwechsel unabhängig ist. Bei fünf Mitgliedern liegt auf der Hand, dass bereits ein Austritt einzelner Mitglieder zugleich zur Auflösung der Beschwerdeführerin führen müsste (vgl. BVerfGE 134, 124 <130 f. Rn. 20> für eine Beschwerdeführerin, die über 42 Mitglieder verfügte). Eine Partei besteht nicht nur aus Gründerinnen und Gründern; sie muss - jedenfalls in einem gewissen Umfang - auch eine gefestigte Mitgliederstruktur haben. Dieses ist bei der Beschwerdeführerin derzeit nicht erkennbar. Es ist nicht ersichtlich, wie sie mit ihrer geringen Zahl an Mitgliedern bundesweit auf die politische Willensbildung des Volkes Einfluss nehmen und einen Wahlkampf mit dem Ziel parlamentarischer Vertretung führen will (vgl. BVerfGE 91, 262 <274>; 134, 131 <134>).

2. Zudem bietet das tatsächliche Hervortreten der Beschwerdeführerin in der Öffentlichkeit ohne weiteren begründeten Vortrag bislang keine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit ihrer politischen Zielsetzung. Zu berücksichtigen ist dabei, dass aufgrund der äußerst geringen Mitgliederzahl bei der Beurteilung der Ernsthaftigkeit der politischen Zielsetzung an das Hervortreten in der Öffentlichkeit erhöhte Anforderungen zu stellen sind (vgl. BVerfGE 91, 262 <271>; 146, 319 <326 Rn. 24>; Morlok, PartG , 2. Aufl. 2013, § 2 Rn. 10). Diesen wird die Beschwerdeführerin nicht gerecht.

a) Die behauptete Teilnahme an zwei "Hackathons" im Zeitraum vom 19. bis 21. März 2021 liegt zeitlich vor der Parteigründung am 15. Juni 2021. Insoweit ist schon fraglich, ob die Beschwerdeführerin damals überhaupt als Partei einer "größeren Öffentlichkeit präsent" war. Zu Art und Weise des Auftretens, der Auseinandersetzung mit politischen Inhalten und der konkreten "Resonanz" in der Öffentlichkeit hätte es näherer Erläuterungen bedurft. Die Angaben der Beschwerdeführerin beschränken sich insoweit auf den bloßen Umstand der Teilnahme. Diese belegt jedoch nicht, dass es sich bei der Beschwerdeführerin um eine ernsthafte politische Vereinigung und nicht um eine bloße Zufallsbildung von kurzer Lebensdauer handelt.

b) Auch der Verweis der Beschwerdeführerin auf ihre Präsenz im Internet ist nicht geeignet, die Ernsthaftigkeit ihrer politischen Zielsetzung zu belegen.

Der Internetauftritt unter www.allianz-zukunft.org beinhaltet vor allem politische Visionen und Zielsetzungen. Kommentare zu diesen Inhalten werden nahezu ausschließlich von einem einzelnen User und einem Gründungsmitglied getätigt. Unter der Rubrik "Aktuelle Beiträge" finden sich insgesamt sechs Beiträge im Zeitraum von Juli 2020 bis Juni 2021, wobei es sich vorwiegend um politische Stellungnahmen und Aufrufe zu politischen Aktionen handelt. Die Beschwerdeführerin bietet zudem regelmäßige virtuelle Meetings an. Sie verfügt nur über eine geringe Zahl von Abonnenten in den sozialen Medien.

Diese Internetaktivitäten vermögen, vor dem Hintergrund der geringen Mitgliederzahl, ein ausreichendes Hervortreten der Beschwerdeführerin in der Öffentlichkeit nicht zu begründen (vgl. dazu BVerfGE 146, 319 <326 f. Rn. 25>). Es ist insbesondere nicht dargelegt, dass die Beschwerdeführerin ständige Aktivitäten entfaltet, die über eine bloße Internetpräsenz hinaus die Öffentlichkeit erreichen und dort wirksam werden. Solches ist jedoch auch von einer Partei in der Gründungsphase zu erwarten, um auf die Ernsthaftigkeit ihrer politischen Zielsetzung schließen zu können (vgl. Schreiber, BWahlG, 11. Aufl. 2021, § 18 Rn. 5). Dies gilt zumal vor einer anstehenden Bundestagswahl. Es ist nicht erkennbar, dass sich die im Internet veröffentlichten Inhalte in einer Weise verbreiten, die darauf schließen ließe, dass die Beschwerdeführerin mit dieser Art der Öffentlichkeitsarbeit einen maßgeblichen Teil der interessierten Öffentlichkeit erreicht.

3. Auch der Vortrag zu Umfang und Festigkeit der Organisation der Beschwerdeführerin genügt nicht, um die Ernsthaftigkeit ihrer Teilnahme am politischen Willensbildungsprozess zu begründen. Über die vorhandenen fünf Mitglieder und die Online-Aktivitäten hinaus verfügt die Beschwerdeführerin über keine weiteren organisatorischen Strukturen, die auf eine hinreichende Verfestigung schließen lassen. Landesverbände und Kreisverbände bestehen derzeit nach den Angaben der Beschwerdeführerin nicht, sondern sind lediglich in Planung. Des Weiteren unterhält die Beschwerdeführerin bislang keine eigene Geschäftsstelle (vgl. zu diesem Kriterium BVerfGE 91, 262 <273 f.>; 91, 276 <291>). Als Kontaktanschrift dient die private Anschrift eines Gründungsmitglieds. Vor diesem Hintergrund kann aufgrund des Beschwerdevorbringens nicht davon ausgegangen werden, dass die Beschwerdeführerin über hinreichende organisatorische Strukturen verfügt, die es ihr erlauben, auf Landes- oder Bundesebene Einfluss auf die politische Willensbildung des Volkes zu nehmen.

III.

§ 32 BVerfGG findet gemäß § 96a Abs. 3 BVerfGG keine Anwendung.