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BSG - Entscheidung vom 19.04.2021

B 11 SF 3/21 S

Normen:
SGG § 58 Abs. 1 Nr. 4

BSG, Beschluss vom 19.04.2021 - Aktenzeichen B 11 SF 3/21 S

DRsp Nr. 2021/11228

Voraussetzungen einer Zuständigkeitsbestimmung Negativer Kompetenzkonflikt Willkürlicher Verweisungsbeschluss

Ein Verweisungsbeschluss ist nicht bindend, wenn er willkürlich und offensichtlich unhaltbar ist – hier im Falle einer groben Missachtung der Begründungspflicht nach § 17a Abs. 4 Satz 2 GVG im Hinblick auf den Wohnsitz eines Antragstellers.

Tenor

Das Sozialgericht Nordhausen wird zum zuständigen Gericht bestimmt.

Normenkette:

SGG § 58 Abs. 1 Nr. 4 ;

Gründe

I

Die Beteiligten streiten über Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II . In seinem am 21.1.2021 zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle beim SG Nordhausen gestellten Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gab der Antragsteller an, dass er ohne festen Wohnsitz sei und reichte einen Bescheid des Jobcenters Nordhausen ein, mit dem ihm für die Zeit vom 19.1.2021 bis 21.1.2021 ein Betrag in Höhe von 44,60 Euro vorläufig bewilligt worden war. Das SG Nordhausen erklärte sich mit Beschluss vom 21.1.2021 für örtlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit an das SG Dresden. Der Antragsteller habe seinen Wohnsitz in Dresden. Zur Begründung wurde auf vorangegangene Verweisungsbeschlüsse aus dem Jahr 2020 verwiesen. Das SG Dresden hat nach weiteren Ermittlungen die Übernahme abgelehnt und den Rechtsstreit dem BSG zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt (Beschluss vom 24.2.2021).

II

Das BSG hat im Streitfall das zuständige Gericht zu bestimmen. Das SG Dresden konnte von einem eigenen Verweisungsbeschluss absehen und von seiner Unzuständigkeit ausgehend unmittelbar das BSG zur Bestimmung des zuständigen Gerichts anrufen (vgl BSG vom 27.5.2004 - B 7 SF 6/04 S - SozR 4-1500 § 57a Nr 2 RdNr 8).

Die Voraussetzungen zur Zuständigkeitsbestimmung nach § 58 Abs 1 Nr 4 SGG ("negativer Kompetenzkonflikt") durch das BSG liegen vor. Zwar sind nach § 98 SGG iVm § 17a Abs 2 Satz 3 GVG rechtskräftige Verweisungsbeschlüsse für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, grundsätzlich bindend. Die Bestimmung des zuständigen Gerichts hat aber zu erfolgen, wenn dies zur Wahrung einer funktionierenden Rechtspflege und der Rechtssicherheit notwendig ist. Dies ist der Fall, wenn es innerhalb eines Verfahrens zu Zweifeln über die Bindungswirkung eines rechtskräftigen Verweisungsbeschlusses kommt und keines der infrage kommenden Gerichte bereit ist, die Sache zu bearbeiten.

Zuständig ist das SG Nordhausen. Die Verweisung an das SG Nordhausen an das SG Dresden ist für dieses nicht bindend, weil der Verweisungsbeschluss willkürlich und offensichtlich unhaltbar ist (vgl BSG vom 8.5.2007 - B 12 SF 3/07 S - SozR 4-1500 § 57 Nr 2). Es fehlt schon an einer Begründung des Verweisungsbeschlusses bezogen auf das konkrete Verfahren (vgl BAG vom 14.5.2018 - 9 AS 2/18 - NJW 2018, 3197 f). Trotz der deutlichen Hinweise in dem Beschluss des SG Dresden vom 4.1.2021 (S 6 AS 3129/20 ER/S 6 AS 3130/20 ER) hat das SG Nordhausen in dem gegenständlichen Verweisungsbeschluss erneut allein auf vorangegangene Verweisungsbeschlüsse Bezug genommen. Die aktuelle Situation des Antragstellers, die ihm bekannten Argumente gegen einen Wohnsitz des Antragstellers in Dresden und für dessen tatsächlichen Aufenthalt im Bezirk des SG Nordhausen zum Zeitpunkt des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz am 21.1.2021 hat das verweisende Gericht nicht gewürdigt. Der Antragsteller hatte selbst angegeben, dass er ohne festen Wohnsitz sei. Wie vom SG Dresden dargelegt, bestehen keinerlei sonstige Anhaltspunkte dafür, dass er - wie vom SG Nordhausen angeführt - dennoch einen Wohnsitz oder tatsächlichen Aufenthalt in Dresden hatte, zumal er seit Mitte 2020 keinen Kontakt mehr zum Jobcenter Dresden hatte. Im Dezember 2020 und auch im Januar 2021 befand sich der Antragsteller mehrfach beim SG Nordhausen sowie - am 19.1.2021 - auch beim Jobcenter Nordhausen.

Da ein Wohnsitz des Antragstellers im Zeitpunkt seines Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz nicht feststellbar ist, war auf seinen Aufenthaltsort, dh den Ort seiner faktischen Anwesenheit (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG , 13. Aufl 2020, § 57 RdNr 7), abzustellen. Der alleinige Verweis des SG Nordhausen auf einen "Wohnsitz in Dresden" erfüllt vor diesem Hintergrund nicht die Mindestanforderungen an eine ordnungsgemäße Begründung und stellt sich als eine grobe Missachtung der nicht zur Disposition des einzelnen Richters stehenden Begründungspflicht nach § 17a Abs 4 Satz 2 GVG dar. Dies führt dazu, dass dem Beschluss vom 24.2.2021 keine Bindungswirkung zukommt.

Vorinstanz: SG Dresden, vom 24.02.2021 - Vorinstanzaktenzeichen 10 AS 151/21