Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BSG - Entscheidung vom 08.03.2021

B 8 SO 71/20 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1
SGB XII § 74

BSG, Beschluss vom 08.03.2021 - Aktenzeichen B 8 SO 71/20 B

DRsp Nr. 2021/5971

Übernahme von Bestattungskosten Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 18. Juni 2020 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 ; SGB XII § 74 ;

Gründe

I

Im Streit ist die Übernahme von Bestattungskosten.

Der Kläger veranlasste im Dezember 2013 die Bestattung seines im November 2013 verstorbenen Vaters und beglich die ihm hierfür in Rechnung gestellten 2338,93 Euro, nach eigenem Vortrag mit einem hierfür aufgenommenen Privatdarlehen. Seinen im Februar 2016 gestellten Antrag auf Übernahme der Bestattungskosten lehnte die Beklagte wegen verspäteter Antragstellung ab (Bescheid vom 18.5.2016; Widerspruchsbescheid vom 25.11.2016). Während die Klage vor dem Sozialgericht ( SG ) Hamburg in Höhe von 1858,41 Euro erfolgreich gewesen ist (Urteil vom 14.11.2018) hat das Landessozialgericht (LSG) Hamburg das SG -Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen (Urteil vom 18.6.2020). Dem Kläger sei es nach seinen wirtschaftlichen Verhältnissen, insbesondere aufgrund seines Erwerbseinkommens, zumutbar gewesen, die Bestattungskosten zu tragen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ( BSG ), der sich das LSG anschließe, sei für die Beurteilung der Unzumutbarkeit der Kostentragung nicht nur die Bedürftigkeit zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Bestattungskosten, sondern auch zum Zeitpunkt der Behördenentscheidung maßgebend. An der Bedürftigkeit zum Zeitpunkt der Behördenentscheidung fehle es aber.

Dagegen wendet sich der Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde. Er macht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, sinngemäß eine Divergenz sowie Verfahrensfehler geltend. Der Rechtsstreit werfe die Fragen auf, "zu welchem Zeitpunkt die Zumutbarkeit gemäß § 74 SGB XII " vorliegen müsse und ob die Zumutbarkeit durch die Aufnahme eines Privatdarlehens zur Tilgung der Bestattungskosten beeinträchtigt werde. Tatsächlich sei das Verständnis des BSG zu einem Anspruch aus § 74 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe - ( SGB XII ) "auch ansonsten von grundsätzlicher Bedeutung". Aufgrund des bisherigen Verständnisses werde das Recht auf eine menschenwürdige Bestattung ausgehöhlt. Das LSG-Urteil stehe zudem im Widerspruch zur Rechtsprechung des BSG , wonach maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Unzumutbarkeit der Kostentragung der Zeitpunkt der Fälligkeit der den Bestattungskosten zugrunde liegenden Forderung sei. Schließlich habe das LSG verfahrensfehlerhaft den Amtsermittlungsgrundsatz oder jedenfalls hinsichtlich seiner vom SG abweichenden Ansichten die Pflicht zur Erteilung von Hinweisen verletzt.

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil weder der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz <SGG>), noch der Divergenz 160 Abs 2 Nr 2 SGG ) noch ein Verfahrensmangel 160 Abs 2 Nr 3 SGG ) in der gebotenen Weise bezeichnet bzw dargelegt worden ist. Der Senat konnte deshalb über die Beschwerde ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter nach § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG entscheiden.

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Um der Darlegungspflicht zu genügen, muss eine konkrete Rechtsfrage formuliert, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihr angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) dargelegt werden (vgl nur BSG vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

Zu der Frage, "zu welchem Zeitpunkt die Zumutbarkeit gemäß § 74 SGB XII " vorliegen müsse, fehlt es schon an einer hinreichenden den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Darlegung der abstrakten Klärungsbedürftigkeit. Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist (vgl nur BSG vom 21.1.1993 - 13 BJ 207/92 - SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17; BSG vom 31.3.1993 - 13 BJ 215/92 - SozR 3-1500 § 146 Nr 2 S 6; BSG vom 30.8.2016 - B 2 U 40/16 B - SozR 4-1500 § 183 Nr 12 RdNr 8; BSG vom 30.7.2019 - B 2 U 239/18 B - juris RdNr 4). Im Hinblick hierauf muss in der Beschwerdebegründung substantiiert vorgetragen werden, dass zu dem angesprochenen Fragenbereich noch keine Entscheidung vorliege oder durch die schon vorliegenden Urteile die aufgeworfene Frage von grundsätzlicher Bedeutung nicht beantwortet werden kann.

Der Kläger hätte sich deshalb mit der Rechtsprechung des BSG auseinandersetzen müssen, wonach maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Bedürftigkeit bzw Unzumutbarkeit nach allgemeinen sozialhilferechtlichen Grundsätzen und dem Sinn und Zweck des § 74 SGB XII die Fälligkeit der Forderungen 271 Bürgerliches Gesetzbuch <BGB>) über die Bestattungskosten ist ( BSG vom 4.4.2019 - B 8 SO 10/18 R - SozR 4-3500 § 74 Nr 3 RdNr 17; BSG vom 29.9.2009 - B 8 SO 23/08 R - BSGE 104, 219 = SozR 4-3500 § 74 Nr 1, RdNr 17; BSG vom 25.8.2011 - B 8 SO 20/10 R - BSGE 109, 61 = SozR 4-3500 § 74 Nr 2, RdNr 25). Er hätte sich weiter mit der vom LSG zitierten Rechtsprechung des BSG auseinandersetzen müssen, dass Bedürftigkeit als Ursache von Unzumutbarkeit auch noch zum Zeitpunkt der Behördenentscheidung vorliegen muss, es sei denn, es wäre dem Hilfesuchenden nicht zuzumuten, diese Entscheidung abzuwarten, und dass erst ein Entfallen der Bedürftigkeit nach der (ablehnenden) Entscheidung des Sozialhilfeträgers (zB im Klageverfahren) unschädlich ist (vgl BSG vom 29.9.2009 - B 8 SO 23/08 R - BSGE 104, 219 = SozR 4-3500 § 74 Nr 1, RdNr 17 mwN). Er hätte darlegen müssen, dass über diese Rechtsprechung hinaus weiterer Klärungsbedarf besteht. Eine Rechtsfrage, über die bereits höchstrichterlich entschieden worden ist, kann wieder klärungsbedürftig werden, wenn der Rechtsprechung in nicht geringfügigem Umfang widersprochen wird und gegen sie nicht von vornherein abwegige Einwendungen vorgebracht werden, was im Rahmen der Beschwerdebegründung darzulegen ist ( BSG vom 28.7.2020 - B 8 SO 30/20 B - juris RdNr 6; BSG vom 19.7.2011 - B 8 SO 19/11 B - juris RdNr 7). Daran fehlt es.

Ebenso verhält es sich mit der Frage der Auswirkungen des Privatdarlehens. Die Verpflichtung des zuständigen Trägers der Sozialhilfe nach § 74 SGB XII setzt nach der Rechtsprechung des BSG nur voraus, dass die (ggf bereits beglichenen) Kosten "erforderlich" sind und es dem Verpflichteten nicht "zugemutet" werden kann, diese Kosten (endgültig) zu tragen ( BSG vom 29.9.2009 - B 8 SO 23/08 R - BSGE 104, 219 = SozR 4-3500 § 74 Nr 1, RdNr 14; vgl zu vorgetragenen Darlehensrückzahlungen im Zusammenhang mit § 74 SGB XII auch BSG vom 4.4.2019 - B 8 SO 10/18 R - SozR 4-3500 § 74 Nr 3 RdNr 25). Zu dieser Frage fehlen im Übrigen hinreichende Ausführungen zur Klärungsfähigkeit. Es ist nicht erkennbar und vom Kläger auch nicht vorgetragen, dass nach der Entscheidung des LSG "die durch ein freundschaftliches Privatdarlehen getilgten Bestattungskosten einen Anspruch des Klägers nach § 74 SGB XII beschädigen".

Damit ist auch die von dem Kläger sinngemäß behauptete Divergenz 160 Abs 2 Nr 2 SGG ) nicht hinreichend bezeichnet, zumal er - was erforderlich gewesen wäre - nicht einmal vorträgt, dass das LSG bewusst einen von der Rechtsprechung des BSG abweichenden Rechtssatz aufgestellt und nicht etwa lediglich fehlerhaft das Recht angewendet hat (sog Subsumtionsfehler; BSG vom 4.3.2020 - B 8 SO 61/19 B - RdNr 7).

Soweit die Grundsatzrüge schließlich darauf gestützt wird, dass das Verständnis des BSG zu einem Anspruch aus § 74 SGB XII "auch ansonsten von grundsätzlicher Bedeutung" sei, ist der Beschwerdebegründung auch im Zusammenhang mit der vermeintlichen Aushöhlung des Rechts auf eine menschenwürdige Bestattung keine (sinngemäße) Rechtsfrage zu entnehmen.

Der Kläger hat auch einen Verfahrensfehler des LSG nicht ordnungsgemäß bezeichnet. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (vgl zB BSG vom 29.9.1975 - 8 BU 64/75 - SozR 1500 § 160a Nr 14; BSG vom 24.3.1976 - 9 BV 214/75 - SozR 1500 § 160a Nr 24; BSG vom 18.2.1980 - 10 BV 109/79 - SozR 1500 § Nr 36).

Wer sich - wie der Kläger - auf eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht nach § 103 SGG stützt, muss ua einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, die Rechtsauffassung des LSG wiedergeben, aufgrund der bestimmte Tatsachen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen und die von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände darlegen, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten (vgl zB BSG vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 mwN). Hierzu gehört nach ständiger Rechtsprechung des BSG die Darlegung, dass ein anwaltlich vertretener Beteiligter - wie hier der Kläger - einen Beweisantrag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt und noch zumindest hilfsweise aufrechterhalten hat (vgl dazu BSG vom 20.9.2013 - B 8 SO 15/13 B - RdNr 10; BSG vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN) oder einen im schriftlichen Verfahren gestellten Beweisantrag aufrechterhalten hat ( BSG vom 18.12.2000 - B 2 U 336/00 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 31 S 52; BSG vom 18.2.2003 - B 11 AL 273/02 B - juris RdNr 3). Hieran fehlt es. Der Kläger bezeichnet schon keinen Beweisantrag, den er gestellt und aufrechterhalten hat. Er trägt - ohne im Übrigen die Entscheidungserheblichkeit hierzu nachvollziehbar aufzuzeigen - nur vor, das LSG habe "die sonstige Unzumutbarkeit wegen dem Fehlverhalten des Verstorbenen weiter zu erforschen" gehabt.

Soweit der Kläger eine Verletzung seines Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs iS von § 62 SGG , Art 103 Abs 1 Grundgesetz ( GG ) durch eine Überraschungsentscheidung rügt, weil das LSG ihm nicht die Möglichkeit gegeben habe, weiter Stellung zu nehmen, wird ein Verfahrensfehler nicht hinreichend bezeichnet. Ein Verstoß gegen § 62 SGG , Art 103 Abs 1 GG liegt ua vor, wenn das Gericht seiner Pflicht, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in seine Erwägungen einzubeziehen, nicht nachgekommen ist oder sein Urteil auf Tatsachen und Beweisergebnisse stützt, zu denen sich die Beteiligten nicht haben äußern können (vgl etwa BSG vom 23.5.1996 - 13 RJ 75/95 - SozR 3-1500 § Nr 12 S 19). Es gibt dagegen keinen allgemeinen Verfahrensgrundsatz, der das Gericht verpflichtet, die Beteiligten vor einer Entscheidung auf eine in Aussicht genommene Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gesichtspunkte zuvor mit den Beteiligten zu erörtern (vgl BSG vom 13.10.1993 - 2 BU 79/93 - SozR 3-1500 § Nr 1 S 1, 3). Eine Hinweispflicht besteht nur ausnahmsweise dann, wenn auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter - selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Auffassungen - nach dem bisherigen Prozessverlauf mit der Auffassung des Gerichts nicht zu rechnen braucht (vgl BVerfG vom 29.5.1991 - 1 BvR 1383/90 - BVerfGE 84, 188 = NJW 1991, 2823 , juris RdNr 7). Warum dies hier unter Berücksichtigung der zwischen den Beteiligten streitigen Punkte der Fall gewesen sein sollte, hat der Kläger nicht vorgetragen.

Die vom Kläger im Übrigen gerügte fehlerhafte Rechtsanwendung des LSG führt nicht zur Zulassung der Revision (vgl BSG vom 9.1.2020 - B 8 SO 55/19 B - juris; BSG vom 26.9.2017 - B 14 AS 177/17 B - mwN, juris).

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG .

Vorinstanz: LSG Hamburg, vom 18.06.2020 - Vorinstanzaktenzeichen L 4 SO 7/19
Vorinstanz: SG Hamburg, vom 14.11.2018 - Vorinstanzaktenzeichen S 7 SO 660/16