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BSG - Entscheidung vom 28.10.2021

B 1 KR 100/20 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3

BSG, Beschluss vom 28.10.2021 - Aktenzeichen B 1 KR 100/20 B

DRsp Nr. 2021/17919

Übernahme der Kosten für eine zukünftige ambulante privatärztliche Apheresebehandlung Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 18. Juli 2019 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 ;

Gründe

I

Die bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte Klägerin ist mit ihrem Begehren auf Übernahme der Kosten für eine zukünftige ambulante privatärztliche Apheresebehandlung im I AG in C nebst Fahr-, Verpflegungs- und Unterkunftskosten sowie auf Erstattung ihr bereits entstandener Kosten im Rahmen einer Konsultation am 24.10.2016 (insgesamt 88 Euro) bei der Beklagten und in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Zur Begründung hat das LSG ua ausgeführt, ein Sachleistungsanspruch auf Gewährung einer Apheresebehandlung bestehe nicht. Diese sei nach Anlage I Nr 1 der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden der vertragsärztlichen Versorgung nur eingeschränkt Gegenstand des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Zur Therapie der bei der Klägerin bestehenden Krankheiten (vornehmlich diagnostiziert: Fibromyalgiesyndrom, Chronisches Erschöpfungssyndrom, Multiple Chemikalienunverträglichkeit, sauerstoffpflichtiges Cor pulmonale, toxische Enzephalopathie, Hepatopathie, Atopie) sei die Apheresebehandlung nicht zugelassen. Die Apherese-Behandlungsmethode des I sei dagegen eine neue, vom GBA noch nicht empfohlene Behandlungsmethode. Ein Systemversagen liege nicht vor. Die Voraussetzungen des § 2 Abs 1a SGB V seien nicht erfüllt, da die Klägerin weder an einer lebensbedrohlichen Erkrankung noch an einer damit wertungsmäßig vergleichbaren Krankheit leide (Urteil vom 18.7.2019).

Die Klägerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.

II

Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 SGG iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung der geltend gemachten Revisionszulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (dazu 1.) und des Verfahrensfehlers (dazu 2.).

1. Wer sich - wie hier die Klägerin - auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; s auch BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN). Die Beschwerdebegründung genügt dem nicht.

Die Klägerin formuliert folgende Rechtsfragen:

Frage 1: "Ist die Vorschrift des § 2 Abs. 1a SGB V dahingehend auszulegen, dass Krankheiten, die mit lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankungen zumindest wertungsmäßig vergleichbar sind, nur Erkrankungen darstellen, die zu einer notstandsähnlichen Situation, die dadurch gekennzeichnet ist, dass sich ohne die streitige Behandlung ein tödlicher Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird oder ein nichtausgleichbarer Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion akut droht, führen, oder liegen derartige wertungsmäßig vergleichbare Erkrankungen auch bei Erkrankungen vor, die ein beständiges Siechtum zur Folge haben?"

Frage 2: "Ist es verfassungsrechtlich (Art. 3 Abs. 2 S. 1 GG ) unzulässig, einer gesetzlich Krankenversicherten bei schweren chronischen Krankheiten, von der Frauen ausschließlich oder wesentlich häufiger als Männer betroffen sind und für die keine allgemein anerkannte Heilmethode zur Verfügung steht, eine experimentelle Therapie, die eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf hat, nicht zur Verfügung zu stellen?"

Frage 3: "Ist es verfassungsrechtlich (Art. 3 Abs. 1 GG , Art. 20 Abs. 1 GG , Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 12 Abs. 1 GG ) unzulässig, einem zwangsweise in die gesetzliche Krankenversicherung eingetretenen Krankenversicherten bei schweren chronischen Krankheiten, für die keine allgemein anerkannte Heilmethode zur Verfügung steht, eine experimentelle Therapie nicht zur Verfügung zu stellen, wenn er diese Therapie als privat Krankenversicherter erhalten würde?"

Frage 4: "Besteht bei Vorliegen einer Erkrankung, für die keine allgemein anerkannte Heilmethode zur Verfügung steht, und die sich durch rechtswidrige Leistungsverweigerung der beklagten Krankenkasse entwickelt oder wesentlich verschlimmert hat, für die Krankenkasse aufgrund des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs die Verpflichtung, eine experimentelle Therapie, die eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf hat, zur Verfügung zu stellen?"

Der erkennende Senat hat im Fall der Klägerin im Verfahren B 1 KR 64/16 B durch Beschluss vom 31.10.2016 über dieselben - wortgleich formulierten - Rechtsfragen mit der nahezu wortgleichen Begründung ihres damaligen und gegenwärtigen Prozessbevollmächtigten zu einem hinsichtlich des Leistungsbegehrens (Behandlungsmethode und Behandler) identischen Sachverhalt bereits entschieden, dass das Vorbringen die Darlegungsvoraussetzungen nicht erfüllt. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der erkennende Senat auf die dortige Begründung Bezug. Auch der Klägerin sind die dortigen Gründe noch gewärtig. Sie selbst hat mit privatschriftlichem Schriftsatz vom 30.7.2019 im vorliegenden Rechtsstreit den Beschluss vom 31.10.2016 im Volltext selbst nochmals übersandt.

2. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG sind die Umstände zu bezeichnen, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (stRspr; vgl zB BSG vom 18.2.1980 - 10 BV 109/79 - SozR 1500 § Nr 36 mwN). Daran fehlt es.

Die Klägerin macht geltend, ihr Anspruch auf rechtliches Gehör 62 SGG , Art 103 Abs 1 GG , Art 6 Abs 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention ) sei dadurch verletzt worden, dass das LSG mit Beschluss vom 15.7.2019 ihr Prozesskostenhilfe (PKH) für das Berufungsverfahren versagt habe. Sie vertritt hierzu die Auffassung, dass sie Anspruch auf anwaltliche Prozessvertretung in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG bereits deshalb gehabt habe, weil sie wegen ihres Gesundheitszustandes auf nicht absehbare Zeit an der Teilnahme an mündlichen Verhandlungen gehindert sei. Sie habe deshalb ohne anwaltliche Prozessvertretung weder in der mündlichen Verhandlung vortragen noch dort Beweisanträge stellen können. Damit legt sie einen Verfahrensfehler nicht schlüssig dar. Sie geht nicht darauf ein, warum ihr PKH ungeachtet der Erfolgsaussicht zu gewähren sei, obwohl § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 ZPO ua den Anspruch auf PKH davon abhängig macht, dass die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.

Soweit die Klägerin mit ihrem Vorbringen sinngemäß auch die Verletzung der Rechtsschutzgleichheit gerügt haben sollte, hat sie auch insoweit einen Verfahrensmangel nicht hinreichend bezeichnet. Die Rüge einer rechtswidrigen Ablehnung von PKH durch das LSG ist ebenso wie andere Rügen, die sich gegen eine unanfechtbare Vorentscheidung richten, grundsätzlich ausgeschlossen 202 SGG iVm § 557 Abs 2 ZPO ). Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn der gerügte Verfahrensmangel zu einem Mangel der angefochtenen Entscheidung selbst führt. Daher kann im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde als Verfahrensmangel nicht die rechtswidrige Ablehnung von PKH als solche geltend gemacht werden, sondern nur eine Ablehnung, die verfassungsrechtlich fundierte prozessuale Gewährleistungen verletzt, weil sie auf Willkür beruht und damit gegen Art 3 Abs 1 GG und das Gebot der Rechtsschutzgleichheit von Bemittelten und Unbemittelten verstößt. Willkürlich ist ein Richterspruch, wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht. Fehlerhafte Rechtsanwendung allein begründet noch keinen Verstoß gegen das aus Art 3 Abs 1 GG folgende Willkürverbot, wenn das Gericht sich mit der Rechtslage eingehend auseinandergesetzt hat und seine Auffassung nicht jedes sachlichen Grundes entbehrt (vgl BSG vom 23.8.2011 - B 14 AS 47/11 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 21 RdNr 9, 10 mwN; BSG vom 1.6.2017 - B 10 ÜG 30/16 B - SozR 4-1500 § 183 Nr 14 RdNr 10). Weder mit ihrem Vorbringen zum Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung noch zu dem des Verfahrensfehlers zeigt die Klägerin Umstände einer willkürlichen Beurteilung der Erfolgsaussicht durch das LSG auf.

3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Nordrhein-Westfalen, vom 18.07.2019 - Vorinstanzaktenzeichen L 16 KR 725/17
Vorinstanz: SG Köln, vom 25.10.2017 - Vorinstanzaktenzeichen S 26 KR 877/17