Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BSG - Entscheidung vom 23.04.2021

B 12 KR 102/20 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1

BSG, Beschluss vom 23.04.2021 - Aktenzeichen B 12 KR 102/20 B

DRsp Nr. 2021/12515

Sozialversicherungsbeitragspflicht für ein Scheinarbeitsverhältnis Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren

Tenor

Der Antrag der Klägerin, ihr für die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Hessischen Landessozialgerichts vom 2. November 2020 Prozesskostenhilfe zu gewähren und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Hessischen Landessozialgerichts vom 2. November 2020 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 ;

Gründe

I

In dem zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten um die Versicherungspflicht der Klägerin als abhängig Beschäftigte in der Zeit vom 1.2.2005 bis zum 30.9.2008 und vom 1.10.2009 bis zum 10.11.2009.

Die Beklagte stellte nach Anhörung der Klägerin und Auskünften seitens des Hauptzollamtes und der Bundesagentur für Arbeit (Beigeladene zu 3.) fest, dass es sich bei einer von der Firma "Club der Zuckerbäcker" gemeldeten Tätigkeit der Klägerin in den oben genannten Zeiträumen nicht um ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis gehandelt habe und daher Sozialversicherungspflicht nicht eingetreten sei. Es habe sich um ein Scheinarbeitsverhältnis gehandelt (Anhörungsschreiben vom 5.8.2011; Bescheid vom 2.2.2012). Mit Bescheid vom 4.5.2012 setzte die Beklagte Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung ab 1.4.2007 fest. Den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 2.2.2012 wies sie zurück (Widerspruchsbescheid vom 7.8.2013).

Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben. Das SG hat die Verwaltungsakten der Beklagten und der Beigeladenen zu 3. sowie die Gerichtsakten aus einem rentenrechtlichen Rechtsstreit beigezogen. Nach deren Auswertung war es davon überzeugt, dass sich die Klägerin im streitigen Zeitraum ganz überwiegend in Griechenland aufgehalten habe und dass die Aussage der Beigeladenen zu 2. zutreffend sei, nach der ein Beschäftigungsverhältnis mit der Klägerin nur zum Schein abgeschlossen worden sei, um eine Absicherung in der Kranken- und Rentenversicherung zu erlangen. Die Klägerin habe in den unterschiedlichen sozialrechtlichen Verfahren in sich widersprüchliche und nicht nachvollziehbare Angaben zu ihrer Tätigkeit gemacht. Sie sei nicht für die Beigeladene zu 2. oder die Beigeladene zu 1. tätig geworden. Der "Club der Zuckerbäcker" sei zudem bereits zum 1.1.2008 gewerberechtlich abgemeldet worden. Der auf die Aufhebung der Beitragsforderung der Beklagten gerichtete Hilfsantrag der Klägerin sei unzulässig, da die Beitragsbescheide bestandskräftig geworden seien (Urteil des SG vom 11.6.2018). Das LSG hat im Wesentlichen auf die Gründe des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen und ergänzend ausgeführt, es fehle auch an einem arbeitgeberseitig unterzeichneten Arbeitsvertrag. Mit den vom "Club der Zuckerbäcker" abgewickelten Verkäufen könne die Klägerin keine weisungsgebundene Tätigkeit nachweisen (Beschluss des LSG vom 2.11.2020).

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des LSG wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde. Sie beantragt für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung eines Rechtsanwalts.

II

1. Der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von PKH ist abzulehnen. Ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Abs 1 Satz 1 ZPO ). Hinreichende Erfolgsaussichten für eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision sind jedoch nicht gegeben.

Das BSG darf nach § 160 Abs 2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur zulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1), die angefochtene Entscheidung von einer Entscheidung des BSG , des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr 2) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (Nr 3). Das Vorbringen der Klägerin und die Durchsicht der Akten haben bei der gebotenen summarischen Prüfung keinen Hinweis auf das Vorliegen eines der vorgenannten Gründe ergeben. Es ist nicht ersichtlich, dass ein beizuordnender Prozessbevollmächtigter einen der genannten Zulassungsgründe im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde geltend machen könnte.

a) Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine abstrakt generelle Rechtsfrage aufwirft, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (stRspr; vgl nur BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN). Eine solche Rechtsfrage ist vorliegend nicht ersichtlich.

Das BSG hat sich bereits in verschiedenen Entscheidungen mit Scheinbeschäftigungen befasst, auf die das SG Bezug genommen hat ( BSG Urteil vom 29.9.1998 - B 1 KR 10/96 R - SozR 3-2500 § 5 Nr 40; BSG Urteil vom 4.12.1997 - 12 RK 3/97 - BSGE 81, 231 , 240 = SozR 3-2500 § 5 Nr 37 S 146). Eine darüber hinaus klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage mit über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung ist im vorliegenden Fall nicht erkennbar. Hier stehen vielmehr die Ermittlungen der Tatsachen des konkreten Einzelfalls im Fokus. Es geht um Nachweise für eine Tätigkeit der Klägerin im streitigen Zeitraum, um die Glaubhaftigkeit von Zeugenaussagen sowie das Gesamtbild unter Auswertung der beigezogenen Akten und der übrigen Ermittlungsergebnisse. Daraus ergibt sich jedoch keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung. Vielmehr ist die Feststellung der Tatsachen, die Grundlage der Entscheidung sind, allein Aufgabe der Tatsachengerichte, nicht des Revisionsgerichts. Dazu gehört vor allem auch die Würdigung der Ermittlungsergebnisse. Denn das jeweilige Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung 128 Abs 1 Satz 1 SGG ). Deshalb kann ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG gestützt 160 Abs 2 Nr 3 SGG ) und eine grundsätzliche Bedeutung wegen der Beweiswürdigung nicht geltend gemacht werden (vgl hierzu Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, 13. Aufl 2020, § 160 RdNr 17c mwN).

b) Eine Divergenz kann nur dann zur Revisionszulassung führen, wenn die mit der Beschwerde angegriffene Entscheidung auf einem abstrakten Rechtssatz beruht, der von einem abstrakten Rechtssatz in einer (anderen) Entscheidung des BSG , des GmSOGB oder des BVerfG abweicht (vgl BSG Beschluss vom 12.5.2005 - B 3 P 13/04 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 6 RdNr 5 und BSG Beschluss vom 16.7.2004 - B 2 U 41/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 4 RdNr 6, jeweils mwN). Auch hierfür ist nichts ersichtlich.

c) Auf das Vorliegen eines Verfahrensmangels kann die Zulassung der Revision nur gestützt werden, wenn die angefochtene Entscheidung darauf beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist 160 Abs 2 Nr 3 SGG ).

Für einen solchen Verfahrensmangel fehlen ebenfalls jegliche Anhaltspunkte. Die Beweiswürdigung durch die Tatsachengerichte kann grundsätzlich nicht als verfahrensfehlerhaft gerügt werden. Hinweise auf eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht nach § 103 SGG liegen nicht vor. Weitere Ermittlungsmöglichkeiten, die sich den Vorinstanzen hätten aufdrängen müssen, sind nicht ersichtlich. Auch die Klägerin zeigt solche nicht auf.

Ein Verfahrensfehler ergibt sich auch nicht daraus, dass das LSG den Hilfsantrag, den das SG den Ausführungen der Klägerin entnommen hat, dem angefochtenen Beschluss nicht als Antrag zugrunde gelegt hat. Hat ein Urteil einen von einem Beteiligten erhobenen Anspruch übergangen, kann nach § 140 Abs 1 SGG nachträglich Ergänzung des Urteils beantragt werden. In das Revisionsverfahren kann ein übergangener Antrag grundsätzlich nicht einbezogen werden, sodass die Zulassung der Revision auch nicht darauf gestützt werden kann (vgl hierzu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG , 13. Aufl 2020, § 140 RdNr 3c mwN).

Schließlich ergeben sich auch aus der Zurückweisung der Berufung durch Beschluss nach § 153 Abs 4 SGG keine Hinweise für das Vorliegen eines Verfahrensmangels oder einen anderen Grund zur Zulassung der Revision.

2. Mit der Ablehnung des Antrags auf Bewilligung von PKH entfällt auch die Beiordnung eines Rechtsanwalts 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 ZPO ).

3. Die von der Klägerin ohne Zuziehung eines zugelassenen Prozessbevollmächtigten bereits selbst erhobene Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision war als unzulässig zu verwerfen. Vor dem BSG müssen sich die Beteiligten nach § 73 Abs 4 SGG , außer in PKH-Verfahren, durch zugelassene Prozessbevollmächtigte vertreten lassen, sodass Rechtsmittel wirksam nur durch diese eingelegt werden können. Die deshalb nicht formgerecht eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde war durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 169 Satz 2 und 3 SGG ).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Hessen, vom 02.11.2020 - Vorinstanzaktenzeichen L 1 KR 604/18
Vorinstanz: SG Darmstadt, vom 11.06.2018 - Vorinstanzaktenzeichen S 8 KR 52/17