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BSG - Entscheidung vom 10.08.2021

B 5 R 154/21 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1

BSG, Beschluss vom 10.08.2021 - Aktenzeichen B 5 R 154/21 B

DRsp Nr. 2021/14240

Rückforderung von Berufsunfähigkeitsrente Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 17. März 2021 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 ;

Gründe

I

Die Klägerin wendet sich gegen die teilweise Aufhebung eines Rentenbescheids und Geltendmachung einer Erstattungsforderung iHv 3038,50 Euro.

Die Klägerin bezog eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufungsunfähigkeit von der Beklagten. Diese berücksichtigte bei Festsetzung des Rentenzahlbetrags zunächst nicht das gleichzeitig von der Klägerin bezogene Arbeitslosengeld. Mit Bescheid vom 4.4.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.9.2018 nahm die Beklagte ihre Bewilligungsentscheidung auch für die Vergangenheit teilweise zurück und forderte die Erstattung des überzahlten Betrags. Das SG hat der dagegen gerichteten Klage stattgegeben (Urteil vom 24.1.2020). Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG mit Urteil vom 17.3.2021 diese Entscheidung aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Beklagte sei gemäß § 45 Abs 1 , Abs 4 Satz 1 iVm Abs 2 Satz 3 SGB X berechtigt gewesen, die Festsetzung des unstreitig überhöhten Zahlbetrags auch für die Vergangenheit zu korrigieren. Auf Vertrauen könne die Klägerin sich nicht berufen, weil sie ihre Mitwirkungspflichten grob fahrlässig verletzt 45 Abs 2 Satz 3 Nr 2 SGB X ) und die Rechtswidrigkeit der Rentenbewilligung im erfolgten Umfang nicht erkannt habe 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 SGB X ). Der Erstattungsanspruch der Beklagten folge aus § 50 Abs 1 Satz 1 SGB X .

Die Klägerin hat gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung Beschwerde zum BSG eingelegt, die sie mit Schriftsatz vom 25.6.2021 begründet hat. Sie macht eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend.

II

1. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig, weil sie nicht in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Form begründet wird. Sie ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG zu verwerfen.

Die Klägerin legt eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht anforderungsgerecht dar. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde mit diesem Zulassungsgrund 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) begründet, muss in der Beschwerdebegründung dargetan werden, dass die Rechtssache eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss zur ordnungsgemäßen Darlegung dieses Revisionszulassungsgrundes daher eine Rechtsfrage benennen und zudem deren (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 4 mwN). Die Beschwerdebegründung vom 25.6.2021 wird diesen Anforderungen nicht gerecht.

Die Klägerin formuliert darin die Frage:

"Ist bei Leistungsempfängern von grober Fahrlässigkeit im Sinne von § 45 Abs. 2 S. 3 Ziff. 2 und 3 SGB X auszugehen, wenn sie sich beim gleichzeitigen Bezug mehrerer Sozialleistungen, die sich gegenseitig beeinflussen können, zur Klärung der Zulässigkeit eines Bezuges dieser Leistungen mit einem Leistungsträger in Verbindung setzen, der in den Bezug involviert ist, nach dessen Vorschrift aber kein Einfluss dieses Mehrfachbezuges auf seine eigene Leistung besteht?"

Sie bringt vor, zunächst rückwirkend ab dem 29.5.2016 Arbeitslosengeld und erst danach rückwirkend ab dem 1.6.2015 Rente bewilligt bekommen zu haben. Nach Erhalt des Rentenbescheids habe sie die für sie zuständige Agentur für Arbeit aufgesucht und dort die Auskunft erhalten, es sei "alles ok". Hierzu sei sie in der mündlichen Verhandlung vor dem SG auch befragt worden. Nach Auffassung der Klägerin habe sie auf die Richtigkeit der Auskunft von Seiten des SGB III -Trägers vertrauen dürfen und stehe dies der Annahme von grober Fahrlässigkeit iS des § 45 Abs 2 Satz 3 SGB X entgegen.

Es sei dahingestellt, ob die Klägerin trotz des starken Einzelfallbezugs eine aus sich heraus verständliche Rechtsfrage zur Auslegung revisibler (Bundes-)Normen formuliert, an der das Beschwerdegericht die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen könnte (vgl dazu BSG Beschluss vom 2.3.2015 - B 12 KR 60/14 B - juris RdNr 15; BSG Beschluss vom 22.4.2020 - B 5 R 266/19 B - juris RdNr 5, jeweils mwN). Sie legt jedenfalls weder die Klärungsbedürftigkeit noch die Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen Frage hinreichend dar.

Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn die Antwort nicht außer Zweifel steht, sich zB nicht unmittelbar und ohne Weiteres aus dem Gesetz beantworten lässt oder nicht bereits höchstrichterlich entschieden ist ( BSG Beschluss vom 21.1.1993 - 13 BJ 207/92 - SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17). In der Beschwerdebegründung muss deshalb unter Auswertung der Rechtsprechung des BSG bzw des BVerfG zu dem Problemkreis substantiiert vorgebracht werden, dass zu diesem Fragenbereich noch keine Entscheidung getroffen wurde oder durch die schon vorliegenden Urteile und Beschlüsse die nunmehr maßgebende Frage von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht beantwortet worden ist (aus jüngerer Zeit zB BSG Beschluss vom 6.4.2021 - B 5 RE 16/20 B - juris RdNr 6 mwN). Den sich daraus ergebenden Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

Die Klägerin setzt sich darin zwar mit der Auslegung des Begriffs der "groben Fahrlässigkeit" in § 45 Abs 2 Satz 3 SGB X auseinander. Sie führt auch verschiedene dazu ergangene höchstrichterliche Urteile an ( BSG Urteil vom 14.6.1984 - 10 RKg 21/83 - juris RdNr 13; BSG Urteil vom 26.5.2020 - B 1 KR 9/18 R - BSGE 130, 200 = SozR 4-2500 § 13 Nr 53, RdNr 25; BSG Urteil vom 12.05.2021 - B 4 AS 66/20 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4 vorgesehen). Die Klägerin legt jedoch nicht dar, inwiefern die von ihr aufgeworfene Frage gleichwohl eine unbeantwortete Rechtsfrage darstelle. Sie bringt vielmehr vor, nach der von ihr genannten Rechtsprechung könne das Vertrauen auf die Sachkenntnis eines Dritten, insbesondere einer als fachkundig anzusehenden Behörde, grobe Fahrlässigkeit ausschließen. Damit macht sie im Kern geltend, das LSG habe zu Unrecht ihre Unkenntnis von der Rechtswidrigkeit des Rentenbescheids als grob fahrlässig angesehen, weil es nicht angemessen gewürdigt habe, dass sie sich nach ihrem Vorbringen an die Agentur für Arbeit gewandt und dort eine möglicherweise falsche oder zumindest missverständliche Auskunft erhalten habe. Die darin liegende Rüge, die angegriffene Entscheidung sei inhaltlich unrichtig, vermag eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache jedoch nicht zu begründen (vgl zuletzt BSG Beschluss vom 4.3.2021 - B 5 R 308/20 B - juris RdNr 7).

Zudem ist die Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage nicht hinreichend dargelegt. Klärungsfähigkeit ist gegeben, wenn das Revisionsgericht nach und aufgrund der Zulassung der Revision in der Lage ist, über die klärungsbedürftige Rechtsfrage auch sachlich entscheiden zu können ( BSG Beschluss vom 14.6.1984 - 1 BJ 72/84 - SozR 1500 § 160 Nr 53, S 55 = juris RdNr 5; BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a V 7/06 B - SozR 4-2600 § 118 Nr 3 RdNr 5; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG , 13. Aufl 2020, § 160 RdNr 9). Hingegen ist Klärungsfähigkeit im Sinne von Entscheidungserheblichkeit zu verneinen, wenn eine klärungsbedürftige Rechtsfrage im konkreten Rechtsstreit nicht notwendigerweise beantwortet werden muss, weil die Entscheidung der Vorinstanz mit anderer rechtlicher Begründung bestätigt werden kann (vgl zB BSG Beschluss vom 13.1.2017 - B 12 R 23/16 B - juris RdNr 20; BSG Beschluss vom 12.8.2020 - B 1 KR 46/19 B - juris RdNr 10). Zur Darlegung der Klärungsfähigkeit ist daher darzutun, dass das BSG im angestrebten Revisionsverfahren überhaupt über die aufgeworfene Frage entscheiden müsste. Das wird in der Beschwerdebegründung nicht hinreichend aufgezeigt.

Die Klägerin bringt vor, bei einer Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage in ihrem Sinne wäre der Beklagten eine Aufhebung der Rentenbescheide für die Vergangenheit und Geltendmachung einer Erstattungsforderung aus Vertrauensschutzgründen verwehrt. Hierzu führt sie aus, das LSG sei tragend davon ausgegangen, dass sie die Rechtswidrigkeit des aufgehobenen Rentenbescheids nur aufgrund grober Fahrlässigkeit nicht erkannt habe. Nach Überzeugung des LSG habe sie den Rentenzahlbetrag als überhöht erkennen müssen, trotz der nach ihren Angaben erhaltenen Auskunft zum gleichzeitigen Bezug von Arbeitslosengeld und Rente. Die Klägerin stellt damit an dieser Stelle allein auf den Ausschluss von Vertrauensschutz nach § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 SGB X ab. Sie versäumt es jedoch, sich damit auseinanderzusetzen, dass das LSG Vertrauensschutz auch mit der selbstständig tragenden Begründung ausgeschlossen hat, dass ein Fall des § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 2 SGB X vorliege. Wie die Klägerin bei Wiedergabe der Entscheidungsgründe des Berufungsurteils selbst darstellt, hat sie nach Überzeugung des LSG im Sinne der letztgenannten Vorschrift grob fahrlässig ihre Mitteilungspflichten verletzt, indem sie der Beklagten weder die Beantragung noch den Bezug von Arbeitslosengeld mitgeteilt habe. Das LSG hat dabei allein auf die Belehrung der Klägerin im Rahmen der Rentenantragstellung abgestellt und nicht auf die geschilderte Auskunft der Agentur für Arbeit. Inwiefern sich das BSG gleichwohl mit der aufgeworfenen Rechtsfrage befassen müsste, legt die Klägerin nicht dar.

Von einer weiteren Begründung wird abgesehen 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ).

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und 4 SGG .

Vorinstanz: LSG Berlin-Brandenburg, vom 17.03.2021 - Vorinstanzaktenzeichen 16 R 218/20