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BSG - Entscheidung vom 27.04.2021

B 13 R 250/20 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3

BSG, Beschluss vom 27.04.2021 - Aktenzeichen B 13 R 250/20 B

DRsp Nr. 2021/8605

Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 17. September 2020 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 ;

Gründe

I

Mit Urteil vom 17.9.2020 hat das Bayerische LSG einen Anspruch des Klägers auf Rente wegen voller Erwerbsminderung anstelle der bereits zuerkannten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit verneint.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 22.12.2020 begründet.

II

Die Beschwerde des Klägers ist als unzulässig zu verwerfen. Der Kläger hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.

Der Kläger macht ausschließlich geltend, die angegriffene Entscheidung des LSG beruhe auf einem Verfahrensmangel (Revisionszulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ), weil das LSG seine Neutralitätspflicht verletzt habe, indem es im Verfahren eine berufskundliche Stellungnahme zum Berufsbild eines Pförtners eingebracht habe, obwohl von der Beklagten eine solche Verweisungstätigkeit bislang zuvor nicht benannt worden sei.

Ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist der Verstoß des Gerichts im Rahmen des prozessualen Vorgehens im unmittelbar vorangehenden Rechtszug (vgl zB BSG Urteil vom 29.11.1955 - 1 RA 15/54 - BSGE 2, 81 - juris RdNr 4; BSG Beschluss vom 30.10.2018 - B 13 R 59/18 B - juris RdNr 7). Neben der Geltendmachung des Vorliegens eines Verstoßes gegen das Verfahrensrecht ist mit der Beschwerdebegründung darzulegen, dass die angefochtene Entscheidung auf diesem Verstoß beruhen kann. Zugrunde zu legen ist die materiell-rechtliche Rechtsauffassung des LSG ( BSG Urteil vom 28.5.1957 - 3 RJ 219/56 - SozR Nr 79 zu § 162 SGG ; BSG Beschluss vom 31.1.1979 - 11 BA 166/78 - SozR 1500 § 160 Nr 33; BSG Beschluss vom 16.11.2000 - B 4 RA 122/99 B - SozR 3-1500 § 160 Nr - juris RdNr ). Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Ein entscheidungserheblicher Mangel des Berufungsverfahrens wird nur dann substantiiert bezeichnet, wenn der Beschwerdeführer diesen hinsichtlich aller ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen darlegt, sodass das Beschwerdegericht allein anhand dieser Begründung darüber befinden kann, ob die angegriffene Entscheidung des LSG möglicherweise auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruht (vgl zB BSG Beschluss vom 16.11.2000 - B 4 RA 122/99 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 33 - juris RdNr 16 mwN; BSG Beschluss vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 16 mwN).

Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung vom 22.12.2020 nicht. Nach der vom Kläger zitierten Rechtsprechung des BSG sind die zur Neutralität verpflichteten Tatsacheninstanzen der Sozialgerichtsbarkeit nicht berechtigt oder verpflichtet, von Amts wegen Beweise zu erheben, wenn sich weder aus dem Beteiligtenvorbringen noch aus der Aktenlage oder aus Gerichts- oder Allgemeinkunde konkrete Anhaltspunkte dafür aufdrängen, ein bestimmter Vergleichsberuf könne dem Versicherten "sozial", fachlich und gesundheitlich zumutbar sein ( BSG Urteil vom 14.5.1996 - 4 RA 60/94 - BSGE 78, 207 = SozR 3-2600 § 43 Nr 13 - juris RdNr 53). In Bezug hierauf hat der erkennende 13. Senat des BSG jedoch bereits klargestellt ( BSG Urteil vom 5.4.2001 - B 13 RJ 23/00 R - SozR 3-2600 § 43 Nr 25 - juris RdNr 27), dass, soweit der 4. Senat in der zitierten Entscheidung auf die dem Versicherungsträger obliegende Darlegungslast und objektive Beweislast für das Vorhandensein eines zumutbaren Verweisungsberufs verwiesen habe, dies nicht verwechselt werden dürfe mit dem im zivilprozessualen Verfahren geltenden Beibringungsgrundsatz, wonach der Beteiligte, der sich auf eine ihm günstige Tatsache beruft, die Beweismittel für das Vorliegen dieser Tatsache beizubringen hat. Auch der 4. Senat gehe in der zitierten Entscheidung grundsätzlich von der Amtsermittlungspflicht der Tatsacheninstanzen aus und habe lediglich einschränkend ausgeführt, dass dieser Grundsatz nicht zu Ermittlungen "ins Blaue hinein" oder zur Erhebung von Ausforschungsbeweisen verpflichtet ( BSG Urteil vom 14.5.1996 - 4 RA 60/94 - BSGE 78, 207 = SozR 3-2600 § 43 Nr 13 - juris RdNr 37). Der Hinweis des 4. Senats auf die Neutralitätspflicht der Tatsacheninstanzen der Sozialgerichtsbarkeit entbinde diese Gerichte aber nicht von der im Gesetz verankerten Pflicht, von Amts wegen Beweise zu erheben, um den Sachverhalt aufzuklären. Insbesondere bestehe die Verpflichtung, von Amts wegen Beweise zu erheben, nur dann nicht (mehr), wenn sich weder aus dem Beteiligtenvorbringen noch aus der Aktenlage oder aus Gerichts- oder Allgemeinkunde konkrete Anhaltspunkte für das Vorhandensein von Vergleichsberufen aufdrängen ( BSG Urteil vom 14.5.1996 - 4 RA 60/94 - BSGE 78, 207 = SozR 3-2600 § 43 Nr 13 - juris RdNr 53). Auch nach dem erwähnten Urteil sei demnach konkreten, sich aufdrängenden Anhaltspunkten im Wege der Amtsermittlung nachzugehen. Im Übrigen habe der 4. Senat in einem anderen Urteil ausdrücklich die Pflicht des Berufungsgerichts betont, nach der Ermittlung des qualitativen Werts des "bisherigen Berufs" und der dementsprechenden Eingruppierung in das Mehrstufenschema nach einer qualitativ und gesundheitlich "zumutbaren" Verweisungstätigkeit zu suchen ( BSG Urteil vom 25.1.1994 - 4 RA 35/93 - SozR 3-2200 § Nr 41 - juris RdNr 30).

Im Einzelfall mag zwar zweifelhaft sein, welches Maß an tatsächlichen Angaben oder Anhaltspunkten vorliegen muss, um die Tatsacheninstanz zu weiteren Ermittlungen zu drängen. Jedoch hätte es dem Kläger oblegen, mit der Beschwerdebegründung schlüssig darzulegen, dass sich weder aus dem Beteiligtenvorbringen noch aus der Aktenlage oder aus Gerichts- oder Allgemeinkunde konkrete Anhaltspunkte dafür ergeben hätten, dass eine Verweisung auf den Beruf des Pförtners in Betracht kommen könne. Angesichts des Vortrags, dass die fragliche, aus einem anderen Gerichtsverfahren stammende berufskundliche Stellungnahme mehrere Monate vor der mündlichen Verhandlung vom LSG übersandt wurde, hätte der Kläger detailliert ausführen müssen, warum sich diese gerichtskundige Verweisungstätigkeit dem LSG nicht aufdrängen durfte. Hieran fehlt es.

Dass der Kläger das Berufungsurteil inhaltlich für unrichtig hält, kann nicht zur Zulassung der Revision führen (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 4; BVerfG Beschluss vom 6.5.2010 - 1 BvR 96/10 - SozR 4-1500 § 178a Nr 11 RdNr 28 mwN).

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ).

Die Verwerfung der unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Bayern, vom 17.09.2020 - Vorinstanzaktenzeichen 13 R 115/19
Vorinstanz: SG München, vom 11.02.2019 - Vorinstanzaktenzeichen S 4 KN 82/17