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BSG - Entscheidung vom 10.05.2021

B 13 R 233/20 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3
SGG § 103

BSG, Beschluss vom 10.05.2021 - Aktenzeichen B 13 R 233/20 B

DRsp Nr. 2021/9373

Rente wegen Erwerbsminderung Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 31. August 2020 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 ; SGG § 103 ;

Gründe

I

Mit Beschluss vom 31.8.2020 hat das LSG Sachsen-Anhalt einen Anspruch der Klägerin auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung verneint.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt, die sie mit Schriftsatz vom 23.9.2020 begründet hat.

II

1. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Form. Die Klägerin hat die als Zulassungsgrund allein geltend gemachten Verfahrensmängel 160 Abs 2 Nr 3 SGG ) nicht anforderungsgerecht bezeichnet.

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass iS von § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels zunächst die ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des Berufungsgerichts ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht (stRspr; zB BSG Beschluss vom 27.10.2010 - B 12 KR 2/10 B - juris RdNr 5; jüngst BSG Beschluss vom 9.12.2019 - B 13 R 259/19 B - juris RdNr ). Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Berufungsgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Den daraus abgeleiteten Darlegungsanforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

a) Die Klägerin rügt einen Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht 103 Abs 1 Halbsatz 1 SGG ). Sie macht geltend, das LSG habe kein Sachverständigengutachten nach ambulanter Untersuchung eingeholt, nachdem ihr Leistungsvermögen schon im erstinstanzlichen Verfahren nicht begutachtet worden sei. Wie sie in der Berufungsbegründung ausgeführt habe, hätten sich ihre krankheitsbedingten Leistungseinschränkungen entscheidungserheblich verstärkt. Für eine solche Sachaufklärungsrüge bestehen spezifische Darlegungsanforderungen. Sie muss folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrags, dem das Berufungsgericht nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen und zu weiterer Sachaufklärung drängen müssen, (3) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (4) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des Berufungsgerichts auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das Berufungsgericht mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigen Ergebnis hätte gelangen können (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 19.11.2007 - B 5a/5 R 382/06 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 5; BSG Beschluss vom 3.12.2012 - B 13 R 351/12 B - juris RdNr 6 mwN; jüngst BSG Beschluss vom 28.11.2019 - B 13 R 169/18 B - juris RdNr 4). Hierzu gehört nach ständiger Rechtsprechung des BSG ferner die Darlegung, dass ein - wie die Klägerin - bereits in der Berufungsinstanz anwaltlich vertretener Beteiligter einen Beweisantrag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nicht nur gestellt, sondern auch zumindest hilfsweise aufrechterhalten hat (vgl zB BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN; BSG Beschluss vom 21.2.2018 - B 13 R 28/17 R, B 13 R 285/17 B - juris RdNr 14 mwN). Der Tatsacheninstanz soll dadurch vor Augen geführt werden, dass der Betroffene die gerichtliche Sachaufklärungspflicht noch nicht als erfüllt ansieht. Der Beweisantrag hat Warnfunktion (vgl aus jüngerer Zeit etwa BSG Beschluss vom 17.12.2020 - B 1 KR 84/19 B - juris RdNr 5 mwN). Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn das Berufungsgericht - wie hier - von der ihm durch § 153 Abs 4 Satz 1 SGG eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen. An die Stelle des Schlusses der mündlichen Verhandlung tritt dann der Zeitpunkt des Zugangs der Anhörungsmitteilung nach § 153 Abs 4 Satz 2 SGG . Dieser muss jedenfalls ein rechtskundig vertretener Beteiligter entnehmen, dass das Berufungsgericht keine weitere Sachaufklärung mehr beabsichtigt und etwaige schriftsätzlich gestellte Beweisanträge lediglich als Beweisanregungen, nicht aber als förmliche Beweisanträge iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ansieht. Nach Zugang der Anhörungsmitteilung muss daher der Beteiligte, der schriftsätzlich gestellte Beweisanträge aufrechterhalten oder neue Beweisanträge stellen will, dem LSG ausdrücklich die Aufrechterhaltung dieser Anträge mitteilen oder neue förmliche Beweisanträge stellen (vgl BSG Beschluss vom 9.3.2016 - B 1 KR 6/16 B - juris RdNr 4 f mwN; BSG Beschluss vom 7.2.2017 - B 13 R 389/16 B - juris RdNr 9). An einer entsprechenden Darlegung fehlt es in der Beschwerdebegründung.

Die Klägerin macht schon nicht geltend, in der Berufungsinstanz einen Beweisantrag iS des § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 403 ZPO gestellt zu haben. Ihre Ausführungen in der Berufungsbegründung zu dem aus ihrer Sicht bestehenden Ermittlungsbedarf bezeichnet sie selbst als bloße Beweisanregung. Sie behauptet auch nicht, anlässlich der Anhörung zur Entscheidung im Beschlusswege einen förmlichen Beweisantrag gestellt zu haben. Dass sie die Anhörungsmitteilung erhalten und das LSG darin auf die voraussichtliche Erfolglosigkeit der Berufung hingewiesen habe, lässt sich ihrem Gesamtvorbringen entnehmen. Soweit die Klägerin vorbringt, das LSG habe die von ihr geltend gemachte Verschlimmerung ihrer Leiden und ein damit verbundenes weiteres Absinken ihres Leistungsvermögens nicht angemessen berücksichtigt, wendet sie sich letztlich gegen die Würdigung des Ermittlungsergebnisses durch das LSG. Der darin liegende Vorhalt, die Berufungsentscheidung sei inhaltlich unrichtig, kann jedoch nicht zur Revisionszulassung führen (stRspr; vgl zuletzt etwa BSG Beschluss vom 24.3.2021 - B 13 R 14/20 B - juris RdNr 13 mwN).

b) Die Klägerin rügt ferner eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG , § 62 SGG ). Sie macht geltend, gegen ihren Willen habe das LSG ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss nach § 153 Abs 4 Satz 1 SGG über ihre Berufung entschieden. Ein Verfahrensmangel wird aber auch insoweit nicht anforderungsgemäß bezeichnet. In der Beschwerdebegründung werden keine Umstände dargetan, aus denen sich eine Gehörsverletzung ergeben könnte.

Das Vorbringen der Klägerin, sie habe nach Erhalt der Anhörungsmitteilung die Durchführung einer mündlichen Verhandlung gegenüber dem LSG beantragt, reicht insoweit nicht aus. Eine Zurückweisung der Berufung durch Beschluss nach § 153 Abs 4 Satz 1 SGG bedarf nicht der Zustimmung der Beteiligten. Die Beteiligten sind lediglich vorher zu hören 153 Abs 4 Satz 2 SGG ). Dass die erforderliche Anhörung erfolgt ist, führt die Klägerin selbst an.

Es sind auch keine Umstände dargetan, die das Vorgehen des LSG gemäß § 153 Abs 4 Satz 1 SGG als fehlerhaft in Betracht kommen lassen. Nach dieser Vorschrift kann das Berufungsgericht, außer in den Fällen, in denen erstinstanzlich durch Gerichtsbescheid entschieden worden ist, die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die vom Berufungsgericht danach zu treffende Ermessensentscheidung für ein Vorgehen nach § 153 Abs 4 Satz 1 SGG wird vom Revisionsgericht lediglich darauf geprüft, ob das Berufungsgericht von seinem Ermessen unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe erkennbar fehlerhaften Gebrauch gemacht hat, etwa wenn der Beurteilung sachfremde Erwägungen oder eine grobe Fehleinschätzung zugrunde liegen (vgl zB BSG Beschluss vom 6.8.2019 - B 13 R 233/18 B - juris RdNr 10 mwN). Eine solche Ermessensüberschreitung durch das LSG legt die Klägerin nicht dar. Sie formuliert im Kern lediglich ihre Erwartung, nach einem langen Arbeitsleben und angesichts ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigungen vom LSG persönlich angehört zu werden.

Ebenso wenig ist dargetan, dass das LSG gehalten gewesen sein könnte, die Klägerin nach ihrer Äußerung erneut gemäß § 153 Abs 4 Satz 2 SGG anzuhören. Die dort geregelte Anhörungspflicht ist Ausdruck des verfassungsrechtlichen Gebots des rechtlichen Gehörs, das bei Anwendung des vereinfachten Verfahrens im Berufungsrechtszug nicht verkürzt werden darf. Eine erneute Anhörung gemäß § 153 Abs 4 Satz 2 SGG ist daher erforderlich, wenn sich nach der ersten Anhörungsmitteilung die Prozesssituation entscheidungserheblich ändert (stRspr; zB BSG Beschluss vom 20.10.2010 - B 13 R 63/10 B - SozR 4-1500 § 153 Nr 11 RdNr 13 mwN; BSG Beschluss vom 25.5.2011 - B 12 KR 81/10 B - juris RdNr 8 mwN). Eine solche Änderung der Prozesssituation legt die Klägerin nicht dar. Das gilt auch, soweit sie - allerdings im Zusammenhang mit der erhobenen Sachaufklärungsrüge - ein weiteres Absinken ihres Leistungsvermögens anführt. Damit ist gerade keine erhebliche Änderung der Prozesssituation seit Erhalt der Anhörungsmitteilung des LSG schlüssig dargetan. Ausgehend von den Ausführungen der Klägerin hat sie bereits mit der Berufungsbegründung auf die behauptete Verschlechterung ihres Gesundheitszustands hingewiesen, sodass diese bereits vor Erhalt der (ersten) Anhörungsmitteilung zentrales Vorbringen der Klägerin gewesen ist. Eine neue Anhörungsmitteilung mit der Möglichkeit zur Äußerung in einer angemessenen Frist muss aber ua dann nicht ergehen, wenn ein Beteiligter auf die Anhörungsmitteilung hin einen früheren Vortrag lediglich wiederholt ( BSG Beschluss vom 25.5.2011 - B 12 KR 81/10 B - juris RdNr 8 mwN).

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ).

2. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 und 4 SGG .

Vorinstanz: LSG Sachsen-Anhalt, vom 31.08.2020 - Vorinstanzaktenzeichen 3 R 35/20
Vorinstanz: SG Magdeburg, vom 28.11.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 10 R 904/18