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BSG - Entscheidung vom 08.07.2021

B 5 R 48/21 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3
SGG § 128 Abs. 1 S. 2
SGG § 136 Abs. 1 Nr. 6

BSG, Beschluss vom 08.07.2021 - Aktenzeichen B 5 R 48/21 B

DRsp Nr. 2021/12121

Rente wegen Erwerbsminderung Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren Rüge der mangelhaften Begründung einer Entscheidung

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 16. Dezember 2020 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 ; SGG § 128 Abs. 1 S. 2; SGG § 136 Abs. 1 Nr. 6 ;

Gründe

I

Zwischen den Beteiligten ist streitig ein Anspruch der Klägerin auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 1.4.2016 bis zum 31.3.2019.

Nach einem früheren erfolglosen Rentenverfahren beantragte die Klägerin am 30.9.2015 erneut eine Rente wegen Erwerbsminderung. Anhand der medizinischen Unterlagen und nach einer fachorthopädischen Begutachtung lehnte die Beklagte eine Rentengewährung abermals ab (Bescheid vom 20.1.2016; Widerspruchsbescheid vom 25.5.2016). In dem sich anschließenden Klageverfahren hat das SG Nordhausen mehrere Sachverständigengutachten eingeholt. Die Klägerin ist jeweils ambulant untersucht worden auf orthopädischem Fachgebiet durch Herrn A (Gutachten vom 7.12.2016), auf internistisch-rheumatologischem Fachgebiet durch L (Gutachten vom 29.1.2017) sowie durch den Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie B (Gutachten vom 15.2.2017). Auf Antrag der Klägerin wurde zudem der Internist und Rheumatologe S gutachtlich gehört (Gutachten vom 8.6.2017). Das SG hat daraufhin die Verwaltungsentscheidung aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, eine Rente wegen voller Erwerbsminderung befristet für den Zeitraum vom 1.4.2016 bis 31.3.2019 zu gewähren. Das SG ist dabei der Einschätzung der internistischen Sachverständigen gefolgt und hat eine eingeschränkte Leistungsfähigkeit der Klägerin von nur noch weniger als sechs Stunden, aber mehr als drei Stunden täglich angenommen (Urteil vom 12.4.2018). Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG ein weiteres Gutachten eingeholt. H hat nach ambulanter Untersuchung der Klägerin in einem orthopädischrheumatologischen Sachverständigengutachten vom 1.7.2019 ein Leistungsvermögen von mehr als sechs Stunden täglich festgestellt. Daraufhin hat das LSG die Klage insgesamt abgewiesen (Urteil vom 16.12.2020).

Gegen die Nichtzulassung der Revision hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt. Sie macht als Zulassungsgrund Verfahrensmängel geltend 160 Abs 2 Nr 3 SGG ).

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist. Die geltend gemachten Gründe für die Zulassung einer Revision wurden nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde damit begründet, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne 160 Abs 2 Nr 3 SGG ), so müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels 160a Abs 2 Satz 3 SGG ) zunächst die den Verfahrensfehler (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist es erforderlich darzulegen, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

Die Klägerin rügt, das Urteil des LSG beruhe auf einer mangelhaften Begründung 128 Abs 1 Satz 2, § 136 Abs 1 Nr 6 SGG ), und macht geltend, das Berufungsgericht habe nicht alle für die richterliche Überzeugungsbildung leitenden Gründe und wesentlichen Gesichtspunkte dargestellt. Es folge rechtsfehlerhaft dem Sachverständigengutachten von H, ohne ihren Rügen Beachtung zu schenken. Das Urteil lasse überhaupt nicht erkennen, warum keinerlei Zweifel an dem Gutachter und seinem Gutachten bestünden. Jedenfalls sei die Argumentation des LSG "in so hohem Maße mangelhaft", dass die zugrunde liegenden Erwägungen nicht zu erkennen seien.

Die Klägerin hat damit einen Verfahrensmangel nicht hinreichend bezeichnet. § 128 Abs 1 Satz 2 SGG konkretisiert die Vorschrift des § 136 Abs 1 Nr 6 SGG und regelt den Umfang des in der Entscheidung zu erörternden Streitstoffs (vgl hierzu BSG Beschluss vom 5.4.2006 - B 12 KR 9/05 B - juris RdNr 9). Wie auch die Klägerin selbst in ihrer Beschwerdebegründung ausführt, muss ein Urteil nicht jeden rechtserheblichen Gesichtspunkt enthalten, der die Gründe des Urteils trägt. Eine Verpflichtung des Tatsachengerichts, sich mit jedem Vorbringen der Beteiligten in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen, besteht nicht. Das Gericht muss alle wesentlichen Fragen abhandeln, dabei aber nicht notwendig auf alle Einzelheiten eingehen, sondern nur die Leitgedanken wiedergeben (vgl BSG Beschluss vom 17.2.2016 - B 6 KA 50/15 B - juris RdNr 9 mwN). Vor diesem Hintergrund lässt sich der Beschwerdebegründung insbesondere weder entnehmen, dass die im Einzelfall erforderliche Beweiswürdigung völlig fehlte noch dass einzelne Ansprüche, Angriffs- oder Verteidigungsmittel überhaupt nicht behandelt wurden (vgl dazu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG , 13. Aufl 2020, § 136 RdNr 7f mwN). Die Klägerin zitiert wörtlich aus den Entscheidungsgründen, wonach ihre gegen das Gutachten von H vorgebrachten Einwände "zu keinem anderen Ergebnis führen" und das LSG "keinerlei Zweifel an der Verwertbarkeit dieses Gutachtens" habe. Inwiefern damit "ohne den von der Klägerin vorgebrachten Rügen Beachtung zu schenken" den Anforderungen des § 136 Abs 1 Nr 6 SGG nicht genügt sein könnte, lässt sich der Beschwerdebegründung nicht entnehmen.

Soweit die Klägerin geltend macht, das LSG sei rechtsfehlerhaft dem Gutachten von H gefolgt, ohne ihren Rügen, insbesondere zu dessen fachlicher Qualifikation als Sachverständiger, Beachtung zu schenken, rügt sie sinngemäß auch eine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör 62 SGG , Art 103 Abs 1 GG ). Die Klägerin nimmt dazu zwar Bezug auf ihre Schriftsätze aus dem Berufungsverfahren vom 9.8.2019 und vom 28.10.2019, in denen sie Angaben in dem vom Sachverständigen verwandten Briefkopf und auf seiner Homepage in Frage gestellt habe. Auch gibt sie ihre frühere Rüge betreffend die fachliche Darstellung im Gutachten wieder und verweist auf eine geringe Anzahl von Literaturzitaten älteren Datums. Es fehlen allerdings weitere Ausführungen dazu, inwiefern das Urteil darauf beruhen kann (vgl zB BSG Beschluss vom 18.2.1980 - 10 BV 109/79 - SozR 1500 § Nr 36). Allein die Behauptung, wäre das Berufungsgericht auf ihre Einwände eingegangen, "hätte sich erwiesen", dass das Gutachten "keine Entscheidungsgrundlage" hätte sein können und es wäre von einer "zumindest teilweisen Erwerbsunfähigkeit auszugehen gewesen", genügt dafür nicht.

Auch mit ihrem Vortrag, es sei die Einholung eines Obergutachtens oder weiterer Gutachten "vorgeschlagen" und das LSG aufgefordert worden, zumindest ergänzende Stellungnahmen der Vorgutachter einzuholen, genügt die Klägerin nicht den Anforderungen an eine hinreichende Bezeichnung von Verfahrensmängeln 160a Abs 2 Satz 3 SGG ). Es fehlt schon an weiteren Ausführungen dazu, wann und mit welchem konkreten Inhalt die Klägerin entsprechende Anträge gestellt hat. Auch ist ein Tatsachengericht nur ausnahmsweise zu einer weiteren Beweiserhebung verpflichtet, wenn bereits mehrere, sich teilweise widersprechende Gutachten vorliegen. Es besteht kein allgemeiner Anspruch auf Überprüfung eines oder mehrerer Sachverständigengutachten durch ein sog Obergutachten. Ausnahmen davon sind hier nicht dargelegt (vgl dazu BSG Beschluss vom 27.4.2021 - B 13 R 125/20 B - juris RdNr 7 mwN). Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des Gutachters lassen sich weder dem Vortrag zu den "nicht nachgewiesenen" Qualifikationen des Gutachters noch dem Hinweis auf "diverse Stempel" in seinem Briefkopf entnehmen, deren Autorisierung nicht nachvollziehbar sei. Auch erschließen sich solche Zweifel nicht aus dem Vorbringen der Klägerin, der Gutachter könne seine Tätigkeit an "diversen Standorten" nicht bewältigen.

Mit ihrem Vorbringen, das LSG habe sich trotz der nicht nachgewiesenen Qualifikation des Gutachters und der fehlenden fachlichen Verwertbarkeit seines Gutachtens das Ergebnis der Begutachtung von H "zu eigen" gemacht, wendet sich die Klägerin schließlich in der Sache gegen eine unzutreffende Beweiswürdigung durch das LSG. Auf eine Verletzung des Grundsatzes der freien richterlichen Beweiswürdigung (vgl § 128 Abs 1 Satz 1 SGG ) kann ein Verfahrensmangel indes von vornherein nicht gestützt werden.

Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Thüringen, vom 16.12.2020 - Vorinstanzaktenzeichen 12 R 969/18
Vorinstanz: SG Nordhausen, vom 12.04.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 20 R 987/16