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BSG - Entscheidung vom 28.05.2021

B 13 R 295/20 B

Normen:
SGB VI § 240
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1

BSG, Beschluss vom 28.05.2021 - Aktenzeichen B 13 R 295/20 B

DRsp Nr. 2021/10841

Rente wegen Erwerbsminderung Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 21. Januar 2020 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGB VI § 240 ; SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 ;

Gründe

I

Das Sächsische LSG hat mit Urteil vom 21.1.2020 einen Anspruch des 1974 geborenen Klägers auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung verneint. Die Revision gegen seine Entscheidung hat es nicht zugelassen.

Auf Antrag des Klägers hat das BSG ihm Prozesskostenhilfe für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde unter Beiordnung seines jetzigen Bevollmächtigten bewilligt (Beschluss vom 18.11.2020 - B 13 R 5/20 BH). Der nunmehr anwaltlich vertretene Kläger hat Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der Entscheidung des LSG erhoben, die er mit Schriftsatz vom 1.3.2021 begründet hat, und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.

II

1. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig verwerfen. Sie ist nicht formgerecht begründet, sodass es einer Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag nicht mehr bedarf. Der Kläger hat weder den geltend gemachten Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) noch denjenigen der Divergenz 160 Abs 2 Nr 2 SGG ) in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Weise dargelegt.

a) Wird mit der Nichtzulassungsbeschwerde die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG geltend gemacht, muss der Beschwerdeführer in der Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten ist (Klärungsfähigkeit). In der Beschwerdebegründung ist deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und der Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (stRspr; zB BSG Beschluss vom 19.10.2011 - B 13 R 241/11 B - SozR 4-4200 § 25 Nr 1 RdNr 9 mwN; jüngst BSG Beschluss vom 8.8.2019 - B 13 R 289/18 B - juris RdNr 9; vgl auch BVerfG <Kammer> Beschluss vom 18.12.1991 - 1 BvR 1411/91 - SozR 3-1500 § 160a Nr 7 S 14; ferner Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG , 13. Aufl 2020, § 160a RdNr 14 ff mwN). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung vom 1.3.2021 nicht.

Der Kläger formuliert als Rechtsfrage,

"Ist die Regelung des § 240 SGB VI über die Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit auf Versicherte, die nach dem 02.01.1961 geboren sind, anwendbar?"

Er bringt vor, nach dem Wortlaut des § 240 Abs 1 SGB VI hätten Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auch Versicherte, die vor dem 2.1.1961 geboren und berufsunfähig seien. Aus der Verwendung des Wortes "auch" ergebe sich aber, dass anspruchsberechtigt auch die nach dem Stichtag geborenen, berufsunfähigen Versicherten seien. Zudem liege eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung darin, Personen wegen ihres Geburtsdatums von einem Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit auszuschließen. Damit hat der Kläger jedenfalls die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Frage nicht hinreichend dargelegt.

Denn eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Das ist nicht nur dann der Fall, wenn die Antwort aus dem Wortlaut der betroffenen Vorschrift abgelesen werden kann. Insoweit genügt es nicht, wenn der Kläger hier eine eigene Wortlautinterpretation des § 240 Abs 1 SGB VI vornimmt. Vielmehr bedarf es insoweit auch einer Auseinandersetzung mit dem systematischen Zusammenhang, in dem die Vorschrift steht, und dem sich aus den Gesetzesmaterialien ergebenden Sinn und Zweck der darin enthaltenden Regelung. Dies hätte hier bereits deswegen nahegelegen, weil sich aus der Entwurfsbegründung zum Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000 (BGBl I 1827) ergibt, dass § 240 SGB VI als Vertrauensschutzregelung gedacht ist. Es sollte der Berufsschutz für Versicherte sichergestellt (beibehalten) bleiben, die bei Inkrafttreten der Reform das 40. Lebensjahr vollendet hatten (BT-Drucks 14/4230). Hieran anknüpfend hätte es ferner Ausführungen dazu bedurft, wieso das in Bezug genommene Wort "auch" sich nach dem Dafürhalten des Klägers auf den altersmäßig abgegrenzten Kreis der Versicherten in § 240 Abs 1 Nr 1 SGB VI bezieht anstatt auf die Regelung in § 43 Abs 1 Satz 1 SGB VI . Dort sind die Voraussetzungen für eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung geregelt, die durch die Regelung in § 240 Abs 1 SGB VI erweitert werden.

Zudem hätte es dem Kläger oblegen, die höchstrichterliche Rechtsprechung zu den gesetzlichen Voraussetzungen einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufungsunfähigkeit zu untersuchen und darzulegen, warum sich seiner Meinung nach die unterstellte Rechtsfrage damit nicht genügend beantworten lässt. Insbesondere hätte er sich damit auseinandersetzen müssen, dass das BSG etwa in der vom ihm an anderer Stelle sogar genannten Entscheidung vom 11.12.2019 befunden hat, mit der zum 1.1.2001 bewirkten Reform der Erwerbsminderungsrenten sei ein lediglich zweistufiges System der vollen und teilweisen Erwerbsminderungsrenten geschaffen worden und bei § 240 SGB VI handele es sich nach der Konzeption des Gesetzgebers um eine bloße Übergangsvorschrift ( BSG Urteil vom 11.12.2019 - B 13 R 7/18 R - BSGE 129, 274 = SozR 4-2600 § 43 Nr 22, RdNr 24). Denn als höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann anzusehen, wenn das Revisionsgericht bzw das BVerfG diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben ( BSG Beschluss vom 21.1.1993 - 13 BJ 207/92 - SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17; BSG Beschluss vom 24.1.2018 - B 13 R 450/14 B - juris RdNr 9). Hinsichtlich des geltend gemachten Verfassungsverstoßes hätte der Kläger zudem unter Berücksichtigung und Auswertung der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG zu der als verletzt erachteten Verfassungsnorm in substanzieller Argumentation darlegen müssen, welche gesetzlichen Regelungen welche Auswirkungen hätten und woraus sich im konkreten Fall die behauptete Verfassungswidrigkeit ergebe ( BSG Beschluss vom 22.8.1975 - 11 BA 8/75 - BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11; ferner zB BSG Beschluss vom 24.7.2018 - B 13 R 23/18 B - juris RdNr 8 mwN). An all dem fehlt es. Der Kläger stellt lediglich seine eigene Interpretation des § 240 Abs 1 SGB VI vor und setzt sich in keiner Weise mit der BSG -Rechtsprechung zu der Vorschrift auseinander. Ebenso wenig geht er zumindest skizzenhaft auf die (verfassungsrechtliche) Rechtsprechung zu dem vermeintlich verletzten Art 3 Abs 1 GG ein.

b) Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG bedeutet Widerspruch im Rechtssatz, nämlich das Nicht-Übereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze, die zwei Urteilen zugrunde gelegt sind. Zur ordnungsgemäßen Darlegung einer Divergenz sind ein entscheidungstragender Rechtssatz oder mehrere derartige Rechtssätze aus dem Berufungsurteil und zu demselben Gegenstand gemachte und fortbestehende aktuelle abstrakte Aussagen aus einer Entscheidung des BSG , des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG einander gegenüberzustellen; zudem ist näher zu begründen, weshalb diese nicht miteinander vereinbar sind und inwiefern die Entscheidung des LSG auf der Abweichung beruht (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 17; BSG Beschluss vom 19.7.2012 - B 1 KR 65/11 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 32 RdNr 21; ferner Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG , 13. Aufl 2020, § 160a RdNr 15 ff mwN). Nicht ausreichend ist es hingegen, wenn die fehlerhafte Anwendung eines als solchen nicht infrage gestellten höchstrichterlichen Rechtssatzes durch das Berufungsgericht geltend gemacht wird (bloße Subsumtionsrüge), denn nicht die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall, sondern nur eine Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen ermöglicht die Zulassung der Revision wegen Divergenz (vgl BSG Beschluss vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72 f; BSG Beschluss vom 24.4.2015 - B 13 R 37/15 B - juris RdNr 6). Diesen Darlegungsanforderungen entspricht die Beschwerdebegründung nicht.

Der Kläger macht darin eine Abweichung von der Entscheidungen des BSG vom 11.12.2019 (B 13 R 7/18 R) geltend. Er bringt vor, danach könne ein Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente auch dann bestehen, wenn aufgrund mehrerer gewöhnlicher Leistungseinschränkungen für den Betroffenen faktisch keine Tätigkeit mehr in Betracht komme. Dieser Rechtsprechung sei das LSG nicht gefolgt, denn es habe nicht weiter geprüft, ob er die als zumutbar erachteten leichten körperlichen Tätigkeiten noch ausführen könne. Damit arbeitet der Kläger keinen entscheidungstragenden Rechtssatz des LSG heraus, der von dem umschriebenen Rechtssatz des BSG abweiche. Mit seinem Vorbringen dazu, dass und warum ihm nach seinem Dafürhalten eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr möglich sei, wendet sich der Kläger im Kern gegen die Richtigkeit der LSG-Entscheidung. Derartiges Vorbringen reicht wie erwähnt zur Darlegung des Zulassungsgrundes der Divergenz nicht aus.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ).

2. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 und 4 SGG .

Vorinstanz: LSG Sachsen, vom 21.01.2020 - Vorinstanzaktenzeichen 4 R 427/18
Vorinstanz: SG Leipzig, vom 16.05.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 13 R 977/14