Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BSG - Entscheidung vom 26.04.2021

B 12 R 43/20 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1
SGB IV § 28p Abs. 1

BSG, Beschluss vom 26.04.2021 - Aktenzeichen B 12 R 43/20 B

DRsp Nr. 2021/10837

Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren

Tenor

Der Antrag der Klägerin, ihr für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 18. November 2020 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Rechtsanwalt zu bewilligen, wird abgelehnt.

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem genannten Urteil wird als unzulässig verworfen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 14.935,58 Euro festgesetzt.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 ; SGB IV § 28p Abs. 1 ;

Gründe

I

In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten noch über eine Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen in Höhe von 14.935,58 Euro für die Tätigkeit der Beigeladenen zu 1. bis 6. in der Zeit vom 14.3.2006 bis 14.2.2009.

Die Klägerin betrieb eine Detektei, in der die Beigeladenen zu 1. bis 6. als (Kaufhaus-)Detektive oder sog Doormen tätig waren. Nach einer Betriebsprüfung betreffend den Zeitraum 1.6.2006 bis 31.12.2010 setzte die beklagte D eine Nachforderung von 47,99 Euro betreffend den geringfügig beschäftigten M für März 2010 fest (Bescheid vom 17.3.2011). In der Folge von Ermittlungen des Hauptzollamts setzte die Beklagte nach Anhörung im Januar 2011 Beiträge zur gesetzlichen Kranken- (GKV), Renten- (GRV) und sozialen Pflegeversicherung (sPV), nach dem Recht der Arbeitsförderung, Umlagen und Säumniszuschläge in Höhe von 18.832,86 Euro für die Zeit vom 14.3.2006 bis 14.2.2009 betreffend die Beigeladenen zu 1. bis 6. fest (Bescheid vom 25.5.2011, Widerspruchsbescheid vom 28.2.2012).

Das SG hat die zuletzt genannten Bescheide mit der Begründung aufgehoben, die Beklagte sei an den Bescheid vom 17.3.2011 gebunden. Die Klägerin habe wegen des zeitlichen Ablaufs davon ausgehen dürfen, dass dieser Bescheid abschließend sei. Sie genieße Vertrauensschutz, denn im Bescheid vom 17.3.2011 sei nicht kenntlich gemacht worden, dass er nicht abschließend sei (Urteil des SG Trier vom 4.11.2013). Das LSG hat das Urteil - Teilanerkenntnissen der Beklagten entsprechend - teilweise aufgehoben und die über die Teilanerkenntnisse hinausgehende Klage abgewiesen (Teilanerkenntnis- und Endurteil vom 18.11.2020). Dem Bescheid vom 17.3.2011 komme keine umfassende, sondern eine auf den dort umschriebenen Sachverhalt und die genannte Personen beschränkte Regelungswirkung zu. Diese stehe den angefochtenen Bescheiden nicht entgegen. Nach Abgabe der Teilanerkenntnisse sei die Höhe der Forderung nicht zu beanstanden, die Beklagte habe die vorliegenden Unterlagen und Angaben zutreffend ausgewertet.

Gegen die Nichtzulassung der Revision wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde. Sie beantragt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung ihres bevollmächtigten Rechtsanwalts.

II

1. Der Antrag auf Bewilligung von PKH der Klägerin ist abzulehnen. Nach § 73a SGG iVm § 114 ZPO kann einer Beteiligten für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt und ein Rechtsanwalt beigeordnet werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Hieran fehlt es.

2. Revisionszulassungsgründe sind in der bereits vorliegenden Beschwerdebegründung vom 19.1.2021, auf die sich der PKH-Antrag bezieht und mit der das Urteil des LSG angegriffen werden soll, nicht in der gebotenen Weise dargelegt worden. Die Beschwerde ist als unzulässig zu verwerfen 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG ). Die Klägerin hat die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache 160 Abs 2 Nr 1 SGG ), der Divergenz 160 Abs 2 Nr 2 SGG ) und eines Verfahrensmangels 160 Abs 2 Nr 3 SGG ) nicht hinreichend dargelegt oder bezeichnet.

1. Bei Geltendmachung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (stRspr; vgl nur BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17; Beschluss vom 28.1.2019 - B 12 KR 94/18 B - juris RdNr 6 mwN). Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (vgl BSG Beschluss vom 25.10.1978 - 8/3 BK 28/77 - SozR 1500 § Nr 31 S 48; Beschluss vom 28.1.2019 - B 12 KR 94/18 B - juris RdNr 6). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.

Die Klägerin wirft auf Seite 6 der Beschwerdebegründung folgende Frage auf:

"ob nach dem Ergehen einer Entscheidung gem. § 28p Abs. 1 SGB IV , der Adressat berechtigt davon ausgehen darf, dass eventuelle Forderungen für den im Streit stehenden Zeitraum abschließend geregelt sind, zumal bei der Verwendung eines identischen Aktenzeichens".

Die Klägerin legt die Klärungsbedürftigkeit dieser Frage nicht hinreichend dar. Eine Rechtsfrage ist dann höchstrichterlich geklärt und damit als nicht (mehr) klärungsbedürftig anzusehen, wenn diese bereits beantwortet ist. Ist sie noch nicht ausdrücklich entschieden, genügt es, dass schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beantwortung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben ( BSG Beschluss vom 30.8.2016 - B 2 U 40/16 B - SozR 4-1500 § 183 Nr 12 RdNr 7 mwN).

Eine hinreichende Auseinandersetzung mit der umfangreichen Rechtsprechung des BSG zum Umfang der materiellen Bindungswirkung von Betriebsprüfungsbescheiden ( BSG Urteil vom 18.11.2015 - B 12 R 7/14 R - juris; BSG Urteil vom 30.10.2013 - B 12 AL 2/11 R - BSGE 115, 1 = SozR 4-2400 § 27 Nr 5; BSG Urteil vom 29.7.2003 - B 12 AL 1/02 R - SozR 4-2400 § 27 Nr 1 RdNr 19 f) fehlt. Danach kann sich eine materielle Bindungswirkung nur insoweit ergeben, als Versicherungs- und Beitragspflicht im Rahmen der Prüfung personenbezogen für bestimmte Zeiträume durch Verwaltungsakt festgestellt worden ist (zuletzt BSG Urteil vom 19.9.2019 - B 12 R 25/18 R - BSGE 129, 95 = SozR 4-2400 § 7 Nr 43, RdNr 32). Die Klägerin zitiert diese Rechtsprechung zwar teilweise, setzt sich aber nicht damit auseinander. Allein der Hinweis auf einen anderslautenden Sachverhalt genügt nicht, um die grundsätzliche Bedeutung darzulegen. Inwieweit sich die aufgeworfene Frage nicht anhand dieser Rechtsprechung beantworten lassen soll, geht aus der Beschwerdebegründung nicht hinreichend deutlich hervor.

2. Der Zulassungsgrund der Divergenz setzt voraus, dass das angefochtene Urteil des LSG von einer Entscheidung des BSG , des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Eine solche Abweichung ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn aufgezeigt wird, mit welcher genau bestimmten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage zum Bundesrecht die angegriffene Entscheidung des LSG von welcher ebenfalls genau bezeichneten rechtlichen Aussage des BSG , des GmSOGB oder des BVerfG abweicht. Insoweit genügt es nicht, darauf hinzuweisen, dass das LSG seiner Entscheidung nicht die höchstrichterliche Rechtsprechung zugrunde gelegt hätte. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Divergenz. Sie liegt daher nicht schon dann vor, wenn das angefochtene Urteil nicht den Kriterien entsprechen sollte, die das BSG , der GmSOGB oder das BVerfG entwickelt hat, sondern erst dann, wenn das LSG diesen Kriterien auch widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe bei seiner Entscheidung herangezogen hat (vgl BSG Beschluss vom 12.5.2005 - B 3 P 13/04 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 6 RdNr 5 und BSG Beschluss vom 16.7.2004 - B 2 U 41/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 4 RdNr 6, jeweils mwN).

Daran fehlt es. Weder zeigt die Klägerin auf, welche genau bezeichnete rechtlich erhebliche Aussage des LSG sie angreift, noch, welcher grundsätzlichen Aussage des BSG es widersprochen haben soll. Der Vortrag der Klägerin beschränkt sich auf den Hinweis auf die Rechtsprechung des Senats vom 19.9.2019 (B 12 R 25/18 R - BSGE 129, 95 = SozR 4-2400 § 7 Nr 43) und die Behauptung, das LSG habe sie nicht richtig angewendet. Damit rügt sie nicht die Abweichung im Grundsätzlichen, sondern die unrichtige Entscheidung des Einzelfalls.

3. Auch einen Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG hat die Klägerin nicht bezeichnet (zu den Anforderungen an die Bezeichnung eines solchen Verfahrensmangels s exemplarisch BSG Beschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 4; BSG Beschluss vom 19.11.2007 - B 5a/5 R 382/06 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 4 - jeweils mwN; Krasney/Udsching/Groth, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, Kap IX, RdNr 202 ff). Sie hat lediglich den Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes und eine Entscheidung des BVerfG (stattgebender Kammerbeschluss vom 25.8.2010 - 1 BvR 331/10 - juris) bemüht, ohne die weiteren Voraussetzungen eines Verfahrensmangels darzulegen. Eine Verletzung des Rechts auf ein zügiges Verfahren kann nur dann mit der Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemacht werden, wenn der Verfahrensmangel die Entscheidung des LSG beeinflusst hat, diese also auf dem Mangel beruht ( BSG Beschluss vom 20.10.2010 - B 6 KA 26/10 B - juris RdNr 6). Darlegungen dazu, dass die Dauer des Verfahrens den Inhalt der Entscheidung des LSG beeinflusst haben könnte, sind der Beschwerdebegründung nicht zu entnehmen.

4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ).

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 2 und 3 , § 162 Abs 3 VwGO .

6. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 52 Abs 1 und Abs 3 Satz 1, § 47 Abs 1 Satz 1 und Abs 3 sowie § 63 Abs 2 Satz 1 GKG .

Vorinstanz: LSG Rheinland-Pfalz, vom 18.11.2020 - Vorinstanzaktenzeichen 6 R 163/16
Vorinstanz: SG Trier, vom 04.11.2013 - Vorinstanzaktenzeichen 2 R 92/12