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BSG - Entscheidung vom 17.02.2021

B 14 AS 207/20 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1

BSG, Beschluss vom 17.02.2021 - Aktenzeichen B 14 AS 207/20 B

DRsp Nr. 2021/5264

Leistungen nach dem SGB II Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 24. Januar 2020 wird als unzulässig verworfen.

Der Antrag des Klägers, ihm für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt H. beizuordnen, wird abgelehnt.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 ;

Gründe

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der bezeichneten Entscheidung des LSG ist als unzulässig zu verwerfen 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 Satz 2 SGG ).

Nach § 160 Abs 2 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1), die Entscheidung des LSG von einer Entscheidung des BSG , des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr 2) oder wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (Nr 3).

Die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung und der Divergenz hat der Kläger in der Begründung der Beschwerde nicht schlüssig dargelegt oder bezeichnet 160a Abs 2 Satz 3 SGG ).

Die Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) erfordert die Formulierung einer bestimmten abstrakten Rechtsfrage, der in dem Rechtsstreit eine grundsätzliche, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung beigemessen wird (vgl BSG vom 16.11.1987 - 5b BJ 118/87 - SozR 1500 § Nr 60). Die abstrakte Rechtsfrage ist klar zu formulieren, um an ihr die weiteren Voraussetzungen für die Revisionszulassung prüfen zu können (vgl Krasney in Krasney/Udsching, Hdb SGG , 7. Aufl 2016, IX. Kap RdNr 181). Es ist aufzuzeigen, dass die Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse erforderlich (klärungsbedürftig) und die Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (klärungsfähig) ist (vgl BSG vom 16.12.1993 - 7 BAr 126/93 - SozR 3-1500 § Nr 16). Soweit sich dies nicht bereits aus der Darlegung der Klärungsbedürftigkeit ergibt, ist darzutun, dass die angestrebte Entscheidung Bedeutung über den Einzelfall hinaus (sog Breitenwirkung) entfaltet (vgl BSG vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34). Die Klärungsbedürftigkeit ist zu verneinen, wenn die Antwort unmittelbar aus dem Gesetz zu ersehen oder so gut wie unbestritten ist, wenn sie praktisch außer Zweifel steht, wenn die Rechtsfrage bereits höchstrichterlich beantwortet ist oder wenn sich für die Antwort in vorliegenden höchstrichterlichen Entscheidungen bereits ausreichende Anhaltspunkte ergeben (zusammenfassend BSG vom 2.10.2015 - B 10 LW 2/15 B - RdNr 6 mwN), weshalb sich die Beschwerdebegründung mit diesen Punkten substantiiert auseinandersetzen muss. Schließlich hat ein Beschwerdeführer zur Darlegung der Entscheidungserheblichkeit den nach seiner Auffassung vom Revisionsgericht einzuschlagenden Weg der Nachprüfung des angefochtenen Urteils und dabei insbesondere den Schritt darzustellen, der die Entscheidung der als grundsätzlich bezeichneten Rechtsfrage notwendig macht (vgl BSG vom 25.10.1978 - 8/3 BK 28/77 - SozR 1500 § Nr 31).

Der Kläger formuliert folgende Fragen:

"a) Kann von einem Künstler, der laufende Leistungen nach dem SGB II bezieht, verlangt werden, dass er zur Sicherstellung seines notwendigen Lebensunterhalts einen Geldbetrag verwertet, welcher der Realisierung eines Kunstprojektes dienen soll, das der Künstler plant, und der von ihm zu diesem Zwecke, getrennt von seinen übrigen finanziellen Mitteln, auf einem eigens dafür eingerichteten Sparkonto aufbewahrt wird?

b) Kann von einem Leistungsempfänger verlangt werden, dass er Barvermögen, welches er unter Beachtung der bis zum 31.07.2006 geltenden Vermögensfreibeträge, die einen Grundfreibetrag von 200,- € je vollendetem Lebensjahr zzgl. 750,- € für notwendige Anschaffungen vorsahen, angespart hat, aufgrund der zum 01.08.2006 inkraftgetretenen Neuregelung von § 12 SGB II , die nur noch einen Grundfreibetrag von 150,- € je vollendetem Lebensjahr zzgl. 750,- € vorsieht, ab diesem Datum zur Bestreitung seines notwendigen Lebensunterhalts einsetzen muss oder ist in einem derartigen Fall davon auszugehen, dass die Verwertung des vormals geschützten Vermögens für den Leistungsempfänger eine besondere Härte bedeuten würde?

c) Führt die Neuregelung des Gesetzes in dem unter b) beschriebenen Falle zum Erlöschen des Leistungsanspruchs ab dem 01.08.2006 oder ist dem Leistungsempfänger zumindest eine Übergangsfrist zu gewähren?

d) Entsteht ein neuer Leistungsanspruch in dem unter b) beschriebenen Falle erst, wenn der Leistungsempfänger das Vermögen, welches den neuen, ab dem 01.08.2006 geltenden Vermögensfreibetrag übersteigt, aber nicht den alten, bis zum 31.07.2006 geltenden Vermögensfreibetrag, vollständig aufgebraucht ist?

e) Überschreitet ein Sozialgericht die Grenzen rechtsfehlerfreien tatrichterlichen Ermessens, wenn es in Kenntnis eines psychiatrischen Gutachten, das im Rahmen eines Betreuungsverfahrens eingeholt worden ist und zu dem Ergebnis gelangt ist, dass bei einem Leistungsempfänger bereits seit längerem eine Somatisierungsstörung sowie eine wahnhafte Störung vorliegen, was dann ebenfalls gerichtsbekannt die Beauftragung eines Betreuers durch das zuständige Amtsgericht für die Aufgabenkreise Vermögenssorge, Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern sowie Wohnungsangelegenheiten geführt hat, ohne Heranziehung der Betreuungsakte, ohne Beauftragung eines ärztlichen Sachverständigengutachten und ohne sich mit den Feststellungen des psychiatrischen Gutachters inhaltlich auseinanderzusetzen, davon ausgeht, dass der Leistungsempfänger Angaben zu seinen Vermögensverhältnissen schuldhaft, d.h. mindestens grob fahrlässig, unzureichend oder unrichtig gemacht hat?"

Zu der unter a) formulierten Frage ist die Entscheidungserheblichkeit nicht hinreichend dargelegt. Soweit der Kläger in der Beschwerdebegründung Bezug nimmt auf § 4 Abs 1 Alg II-V in der bis zum 31.12.2007 geltenden Fassung bzw die seit dem 1.1.2008 geltende wortlautgleiche Vorschrift des § 7 Abs 1 Alg II-V , nach der außer dem in § 12 Abs 3 SGB II genannten Vermögen Vermögensgegenstände nicht als Vermögen zu berücksichtigen sind, die zur Aufnahme oder Fortsetzung der Berufsausbildung oder der Erwerbstätigkeit unentbehrlich sind, fehlen Ausführungen dazu, dass die künstlerische Tätigkeit des Klägers Erwerbstätigkeit im Sinne dieser Vorschrift ist, was - unabhängig von der Bezeichnung der Tätigkeit als Beruf - einen nennenswerten wirtschaftlichen Erfolg voraussetzt (vgl Lange in Eicher/Luik, SGB II , 4. Aufl 2017, § 12 RdNr 101; Hannes, HK- Alg II-V , § 7 RdNr 7; zur Förderung künstlerischer Tätigkeiten mit Eingliederungsleistungen nur bei Aussicht auf einen entsprechenden wirtschaftlichen Erfolg BSG vom 23.11.2006 - B 11b AS 3/05 R - SozR 4-4200 § 16 Nr 1). Erst in einem weiteren Schritt kann es, was der Kläger für klärungsbedürftig hält, darauf ankommen, ob nur sächliches Betriebsvermögen geschützt ist oder auch solches in Form eines Sparguthabens.

Wegen der vom Kläger formulierten Rechtsfragen b) bis d) ist die Klärungsbedürftigkeit nicht ausreichend dargetan. Soweit der Kläger zu den Fragen c) und d) geltend macht, der Gesetzgeber gehe in der Gesetzesbegründung auf (fortdauernden) Vermögensschutz nicht ein und habe anscheinend eine Übergangs- bzw Anpassungsregelung vergessen oder die Klärung den Gerichten überlassen, übersieht er, dass der Gesetzgeber zum 1.8.2006 die von ihm typisierend für schützenswert gehaltene Personengruppe weiterhin dem Schutz des § 65 Abs 5 SGB II unterstellt und mit der Absenkung des Grundfreibetrags für jedes vollendete Lebensjahr um 50 Euro in § 12 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB II zum 1.8.2006 zugleich den Altersvorsorgevermögensfreibetrag nach § 12 Abs 2 Satz 1 Nr 3 SGB II um diesen Wert erhöht hat, weshalb es näherer Ausführungen zu einer ausfüllungsbedürftigen gesetzlichen Regelungslücke bedurft hätte. Dass im SGB II vorhandenes, zu verwertendes und verwertbares Vermögen so lange zu berücksichtigen ist, wie es tatsächlich vorhanden ist, entspricht bestehender Rechtsprechung des BSG (vgl nur BSG vom 25.4.2018 - B 14 AS 15/17 R - BSGE 125, 301 = SozR 4-4200 § 40 Nr 14, RdNr 20 mwN). Ob der Einsatz von Vermögen eine besondere Härte iS von § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 SGB II bedeutet, was der Kläger zum Gegenstand der Frage b) macht, ist in ständiger Rechtsprechung des BSG geklärt, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls und erfordert außergewöhnliche Umstände (vgl BSG vom 16.5.2007 - B 11b AS 37/06 R - BSGE 98, 243 = SozR 4-4200 § 12 Nr 4; BSG vom 12.10.2017 - B 4 AS 19/16 R - SozR 4-4200 § 12 Nr 29). Wegen dieser Vorgaben und angesichts der seit dem 1.8.2006 verstrichenen Zeit hätte es außerdem Ausführungen dazu bedurft, dass einer Revisionsentscheidung Breitenwirkung zukommen könnte.

Unter e) formuliert der Kläger Angriffe gegen die Sachaufklärung und die Beweiswürdigung des LSG, weil er mit der Beurteilung seiner persönlichen Einsichtsfähigkeit nicht einverstanden ist. Seine auf die behauptete Verletzung von Verfahrensvorschriften zielende Frage ist nicht geeignet, die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache zu begründen. Zielt eine Fragestellung auf die Bewertung von Tatsachen ab und beinhaltet sie damit im Kern letztlich eine Frage der Beweiswürdigung, kann ein Beschwerdeführer die gesetzlichen Beschränkungen der Verfahrensrüge in § 160 Abs 2 Nr 3 SGG - soweit sie reichen - nicht dadurch erfolgreich umgehen, dass er die Rüge in eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung zu kleiden sucht (stRspr, vgl zuletzt BSG vom 16.1.2020 - B 10 ÜG 15/19 B). Gleiches gilt für die Rüge des Unterlassens weiterer Sachaufklärung (vgl BSG vom 25.6.2013 - B 12 KR 83/11 B). Daher sind ein Verstoß gegen die freie richterliche Beweiswürdigung 128 Abs 1 Satz 1 SGG ) und eine mangelnde Sachverhaltsaufklärung von Amts wegen 103 SGG ) über § 160 Abs 2 Nr 1 SGG nicht rügefähig.

Wegen des Zulassungsgrunds der Divergenz bezeichnet der Kläger nicht hinreichend substantiiert einen die Entscheidung tragenden Rechtssatz des LSG, der von einer Entscheidung der in § 160 Abs 2 Nr 2 SGG genannten Gerichte abweichen könnte. Soweit er darauf abstellt, das LSG habe ihn darauf verwiesen, dass er seinen notwendigen Lebensunterhalt aus dem vorhandenen Betriebsvermögen hätte bestreiten können, ergibt sich aus der Beschwerdebegründung nicht, dass das LSG das Sparguthaben des Klägers als Betriebsvermögen bewertet hat.

Dem PKH-Antrag ist schon nicht stattzugeben, weil der Kläger keine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse in der für diese gesetzlich vorgeschriebenen Form 73a Abs 1 SGG , § 117 Abs 2 und 4 ZPO ), dh mit dem durch die PKH-Formularverordnung vom 6.1.2014 (BGBl I 34) eingeführten Formular vorgelegt hat. Im Übrigen kann nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 ZPO einem Beteiligten für das Verfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet; das ist hier nicht der Fall. Da der Kläger keinen Anspruch auf Bewilligung von PKH hat, ist auch sein Antrag auf Beiordnung von Rechtsanwalt H. abzulehnen 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 ZPO ).

Die Verwerfung der Nichtzulassungsbeschwerde erfolgt in entsprechender Anwendung des § 169 Satz 3 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183 , 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Baden-Württemberg, vom 24.01.2020 - Vorinstanzaktenzeichen 12 AS 3652/18
Vorinstanz: SG Karlsruhe, vom 24.09.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 6 AS 1772/17