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BSG - Entscheidung vom 25.03.2021

B 1 KR 87/19 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3
SGG § 103

BSG, Beschluss vom 25.03.2021 - Aktenzeichen B 1 KR 87/19 B

DRsp Nr. 2021/7628

Kostenübernahme für ärztlich verordnete Lichtschutzmittel Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren Verletzung der Amtsermittlungspflicht

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 18. November 2019 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 ; SGG § 103 ;

Gründe

I

Die bei der beklagten Krankenkasse gesetzlich versicherte Klägerin leidet an einer genetisch bedingten Hauterkrankung. Sie ist mit ihrem Begehren auf Kostenübernahme für ärztlich verordnete Lichtschutzmittel und die Hautcreme "Daylong Night" - jetzt "Daylong After Sun Repair" bei der Beklagten und in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das LSG hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt: Die von der Klägerin benötigten Lichtschutzmittel sowie die "Daylong After Sun Repair Creme" gehörten nicht zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung. Daher habe die Klägerin weder einen Anspruch auf Erstattung bereits verauslagter Kosten, noch auf Versorgung für die Zukunft. Es handele sich weder um zugelassene apothekenpflichtige Arzneimittel, die § 31 Abs 1 Satz 1 SGB V allein erfasse, noch um Heil- oder Hilfsmittel. Ein Anspruch bestehe auch nicht aus einer grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungsrechts bzw nach § 2 Abs 1a SGB V . Es bestünden schon erhebliche Zweifel am Vorliegen einer lebensbedrohlichen Situation bei der Klägerin. Diese Frage könne jedoch dahinstehen, weil die streitige Versorgung jedenfalls keine Krankenbehandlung iS des § 27 SGB V darstelle und entsprechend auch § 2 Abs 1a SGB V den Leistungskatalog nicht erweitere. Es sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die gesetzliche Krankenversicherung - wie hier - bestimmte Leistungen der Eigenverantwortung der Versicherten zuweise (Urteil vom 18.11.2019).

Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.

II

Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung der geltend gemachten Revisionszulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung 160 Abs 2 Nr 1 SGG ; dazu 1.) und des Verfahrensfehlers 160 Abs 2 Nr 3 SGG ; dazu 2.).

1. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN; zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieses Maßstabs BVerfG vom 14.4.2010 - 1 BvR 2856/07 - SozR 4-1500 § 160a Nr 24 RdNr 5 ff mwN). Dem wird das Beschwerdevorbringen nicht gerecht.

Die Klägerin formuliert bereits keine Rechtsfrage. Sie wendet sich mit ihrem Vortrag vielmehr nur gegen die Richtigkeit der Entscheidung des LSG. Die Behauptung, die Berufungsentscheidung sei inhaltlich unrichtig, kann aber nicht zur Zulassung der Revision führen (stRspr; vgl zB BSG vom 19.6.2018 - B 1 KR 87/17 B - juris RdNr 7; BSG vom 26.6.1975 - 12 BJ 12/75 - SozR 1500 § Nr 7 S 10).

Soweit die Klägerin - sinngemäß - Rechtsfragen im Zusammenhang mit den Maßstäben einer wertungsmäßig mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung vergleichbaren Erkrankung bzw mit den Maßstäben eines Seltenheitsfalls aufwerfen möchte, legt sie jedenfalls deren Klärungsbedürftigkeit nicht dar. Mit der dazu ergangenen umfangreichen Rechtsprechung des Senats setzt sie sich nicht auseinander (vgl zB BSG vom 19.3.2020 - B 1 KR 22/18 R - juris RdNr 20 ff; speziell für Hautpflegemittel vgl BSG vom 6.3.2012 - B 1 KR 24/10 R - BSGE 110, 183 = SozR 4-2500 § 34 Nr 9, insbesondere RdNr 32 ff).

Soweit die Klägerin sinngemäß die weitere Frage aufwirft, ob Versicherte, die an Xeroderma Pigmentosum (XP) leiden, gegen ihre Krankenkasse einen Anspruch auf Übernahme der Kosten von Lichtschutzpräparaten haben, berücksichtigt sie nicht, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Senats die Frage nach den Therapiemöglichkeiten für ein einzelnes Leiden und dem darauf bezogenen krankenversicherungsrechtlichen Behandlungsanspruch regelmäßig keine Rechtsfrage von "grundsätzlicher" Bedeutung ist (vgl BSG vom 7.10.2005 - B 1 KR 107/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 9 RdNr 9; BSG vom 12.2.2014 - B 1 KR 30/13 B - juris RdNr 7; BSG vom 24.1.2017 - B 1 KR 92/16 B - juris RdNr 9, jeweils mwN).

2. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (vgl zB BSG vom 14.7.2017 - B 1 KR 95/16 B - juris RdNr 4 mwN).

a) Wer sich auf eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht nach § 103 SGG stützt, muss 1. einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, dem das LSG nicht gefolgt ist, 2. die Rechtsauffassung des LSG wiedergeben, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen und zu weiterer Sachaufklärung drängen müssen, 3. das voraussichtliche Ergebnis der unterbliebenen Beweisaufnahme darlegen und 4. schildern, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG also bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen müssen ( BSG vom 13.2.2020 - B 1 KR 98/18 B - juris RdNr 10; BSG vom 2.10.2019 - B 12 KR 42/19 B - juris RdNr 3; vgl zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieses Maßstabs BVerfG vom 12.9.1991 - 1 BvR 765/91 - juris RdNr 5). Hierzu gehört nach ständiger Rechtsprechung des BSG die Darlegung, dass ein anwaltlich vertretener Beteiligter einen Beweisantrag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt und noch zumindest hilfsweise aufrechterhalten hat (vgl BSG vom 14.6.2005 - B 1 KR 38/04 B - juris RdNr 5; BSG vom 10.7.2019 - B 1 KR 52/18 B - juris RdNr 8 mwN). Wird ein Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung entschieden, tritt an die Stelle des Schlusses der mündlichen Verhandlung der Zeitpunkt der Zustimmung zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs 2 SGG (vgl zB BSG vom 1.9.1999 - B 9 V 42/99 B - SozR 3-1500 § 124 Nr 3 S 4 f). Mit der Zustimmung zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung muss daher der Beteiligte, der schriftsätzlich gestellte Beweisanträge aufrechterhalten oder neue Beweisanträge stellen will, die Aufrechterhaltung dieser Anträge ausdrücklich mitteilen oder neue förmliche Beweisanträge stellen (vgl BSG vom 18.12.2000 - B 2 U 336/00 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 31 S 52; BSG vom 6.6.2001 - B 2 U 117/01 B - juris RdNr 2; BSG vom 27.12.2011 - B 13 R 253/11 B - juris RdNr 7). Der Tatsacheninstanz soll dadurch vor Augen geführt werden, dass der Betroffene die gerichtliche Sachaufklärungspflicht noch nicht als erfüllt ansieht. Der Beweisantrag hat Warnfunktion (vgl BSG vom 17.12.2020 - B 1 KR 84/19 B - juris RdNr 5 mwN). Die Klägerin richtet ihr Vorbringen daran nicht aus.

Sie trägt nicht vor, den mit Schriftsatz vom 7.2.2019 gestellten Beweisantrag mit der Zustimmung zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung aufrechterhalten zu haben, sondern behauptet dies lediglich für den (mit Schriftsatz vom 9.4.2019 gestellten) Antrag nach § 109 SGG . Zudem erfüllt sie auch nicht die übrigen Darlegungsanforderungen. Sie gibt weder eine Rechtsauffassung des LSG wieder, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen und zu weiterer Sachaufklärung drängen müssen, noch legt sie das voraussichtliche Ergebnis der unterbliebenen Beweisaufnahme dar. Dazu hätte schon deshalb besonderer Anlass bestanden, weil das LSG das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung ausdrücklich hat dahinstehenlassen, weil die begehrte Versorgung jedenfalls keine Krankenbehandlung iS des § 27 SGB V darstelle und § 2 Abs 1a SGB V den Leistungskatalog insoweit nicht erweitere.

b) Soweit die Klägerin dem LSG vorwirft, ihrem Antrag nach § 109 SGG nicht gefolgt zu sein und trotz ihrer mehrmaligen Darlegungen keine weitere Sachaufklärung betrieben zu haben und darin eine Verletzung des rechtlichen Gehörs 62 SGG , Art 103 Abs 1 GG ) sieht, führt dies nicht zur Zulassung der Revision. Denn die Klägerin kann die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Sachaufklärungsrüge und den Ausschluss einer Rüge des § 109 SGG nicht dadurch umgehen, dass sie den Vorhalt unzureichender Sachaufklärung in der Gestalt einer Gehörsrüge geltend macht (stRspr; vgl zB BSG vom 25.4.2006 - B 1 KR 97/05 B - juris RdNr 6 mwN; BSG vom 16.11.2017 - B 1 KR 11/17 B - juris RdNr 8).

c) Auch soweit die Klägerin dem LSG vorwirft, es habe die Frage, ob die vorliegende Erkrankung wertungsmäßig mit einer lebendbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen vergleichbar sei, nicht ausreichend geprüft und gewürdigt, führt dies nicht zur Zulassung der Revision. Soweit sie damit eine Verletzung rechtlichen Gehörs geltend machen will 62 SGG , Art 103 Abs 1 GG , Art 47 Abs 2 Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art 6 Abs 1 Europäische Menschenrechtskonvention ), trägt die Klägerin selbst vor, das LSG habe eine lebensbedrohliche Erkrankung verneint. Welche Bedeutung dann ihr Hinweis hat, dass "XP" eine zumindest wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung sei, zeigt sie nicht auf. Die Gerichte werden durch Art 103 Abs 1 GG nicht dazu verpflichtet, einer konkreten Rechtsansicht zu folgen (vgl zB BSG vom 21.4.2020 - B 1 KR 73/19 B - juris RdNr 12 mwN). Im Übrigen setzt sie sich auch insofern nicht damit auseinander, dass das LSG die Frage nach dem Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung ausdrücklich hat dahinstehenlassen.

Soweit sie auf eine fehlende Auseinandersetzung des LSG mit der Frage nach dem Vorliegen eines Seltenheitsfalls verweist, zeigt die Klägerin schon nicht auf, welchen konkreten Vortrag das LSG insoweit übergangen haben soll.

Auch eine Verletzung des § 136 Abs 1 Nr 6 SGG (Fehlen von Entscheidungsgründen) ist damit nicht ausreichend dargelegt. Die Klägerin legt nicht dar, dass das Urteil keine Entscheidungsgründe iS des § 136 Abs 1 Nr 6 SGG enthalte. Denn dies ist nicht schon dann der Fall, wenn die Gründe sachlich unvollständig, unzureichend, unrichtig oder sonst rechtsfehlerhaft sind (vgl BSG vom 8.2.2006 - B 1 KR 65/05 B - juris RdNr 15; BSG vom 8.8.2002 - B 11 AL 120/02 B - juris RdNr 5). Im Kern rügt die Klägerin auch hier nicht das Fehlen von Entscheidungsgründen, sondern die Richtigkeit der Entscheidung des LSG. Das genügt aber nicht, um die Revision zuzulassen (vgl unter II 1.).

3. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Nordrhein-Westfalen, vom 18.11.2019 - Vorinstanzaktenzeichen L 10 KR 258/16
Vorinstanz: SG Münster, vom 02.03.2016 - Vorinstanzaktenzeichen S 13 KR 196/13