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BSG - Entscheidung vom 28.07.2021

B 8 SO 98/20 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1

BSG, Beschluss vom 28.07.2021 - Aktenzeichen B 8 SO 98/20 B

DRsp Nr. 2021/15557

Höhe von Unterkunftskosten im Rahmen von Grundsicherungsleistungen Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren

Tenor

Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 5. November 2020 wird als unzulässig verworfen.

Die Beklagte trägt im Beschwerdeverfahren die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 ;

Gründe

I

Im Streit ist die Höhe der Unterkunftskosten im Rahmen der Gewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Grundsicherungsleistungen) nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - ( SGB XII ) im Zeitraum von November 2016 bis Juli 2017.

Die an einer chronifizierten psychischen Erkrankung (Panikstörung, bipolare Störung, schwere depressive Episode, kombinierte Persönlichkeitsstörung) leidende Klägerin zog im Mai 2015 mit Zustimmung der Beklagten in eine Mietwohnung, deren monatliche Gesamtkosten mit 726,54 Euro über der in einer Fachanweisung der Beklagten anerkannten Angemessenheitsgrenze lag, aber in vollem Umfang von der Beklagten übernommen wurden (zuletzt bis 31.1.2017, Bescheid vom 7.7.2016). Die Klägerin teilte der Beklagen Ende Juli 2016 zwar mit, sie plane aus gesundheitlichen Gründen einen Umzug, unterschrieb den Mietvertrag für eine neue Wohnung aber ohne vorherige Unterrichtung und Zusicherung der Beklagten und beantragte danach, aber noch vor dem Umzug, die Kostenzusage zur Anmietung der neuen Wohnung (monatliche Gesamtkosten 860 Euro), was die Beklagte ablehnte. Die Beklagte hob die Bewilligung von Grundsicherungsleistungen ab 1.11.2016 teilweise auf und bewilligte von November 2016 bis Januar 2017 nur noch monatliche Unterkunftskosten in Höhe von insgesamt 633,50 Euro, entsprechend des in ihrer Fachanweisung vorgesehenen Höchstbetrags (Bescheide vom 13.10.2016, 11.11.2016, 7.12.2016, 24.11.2016, 23.12.2016; Widerspruchsbescheid vom 7.2.2017), ebenso in der Zeit von Februar bis Juli 2017 (Bescheid vom 19.1.2017). Während das Sozialgericht ( SG ) Hamburg die Klage abgewiesen hat (Urteil vom 29.10.2018), hat das Landessozialgericht (LSG) Hamburg die Beklagte unter Aufhebung bzw Abänderung der angefochtenen Bescheide verurteilt, der Klägerin Grundsicherungsleistungen unter Berücksichtigung von Unterkunftskosten in Höhe von monatlich 726,54 Euro vom 1.11.2016 bis 31.7.2017 zu gewähren (Urteil vom 5.11.2020). Zur Begründung hat das LSG ua ausgeführt, zwar sei nicht nachgewiesen, dass der Umzug in die neue Wohnung erforderlich gewesen sei; der Beklagte hätte dem auch nicht zustimmen müssen. Gründe für eine Absenkung der bislang als angemessen anerkannten und übernommenen Unterkunftskosten lägen angesichts des unveränderten gesundheitlichen Zustands der Klägerin aber nicht vor. Die sich aus der Fachanweisung der Beklagten ergebenen abstrakten Beträge seien im konkreten Einzelfall nicht ausreichend, um den sozialhilferechtlichen Bedarf der Klägerin, der zuvor von der Beklagten auch anerkannt worden sei, zu decken.

Dagegen wendet sich die Beklagte mit der Nichtzulassungsbeschwerde und macht die grundsätzliche Bedeutung der Sache geltend, wozu sie die Fragen aufwirft, ob die für eine bestimmte Wohnung erteilte Zusicherung, Unterkunftskosten in unangemessener Höhe zu übernehmen, auch einen Anspruch für eine andere Wohnung begründe und ob die frühere Zusicherung bei unveränderten Lebensumständen in die Bestimmung der konkreten Angemessenheitsgrenzen einzubeziehen sei sowie, ob das Gericht angesichts einer bestehenden Fachanweisung überhaupt dazu befugt sei, die konkrete Angemessenheitsgrenze frei zu bestimmen. Außerdem liege eine Divergenz vor, da das LSG bezüglich der Einbeziehung der Fachanweisung der Beklagten in die Fallprüfung von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abgewichen sei, da es nur die Ermessensausübung der Beklagten hätte prüfen dürfen, anstatt selbst eine Angemessenheitsgrenze zu bestimmen.

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil weder der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz <SGG>) dargelegt noch die geltend gemachte Divergenz 160 Abs 2 Nr 2 SGG ) in der gebotenen Weise bezeichnet worden ist. Der Senat konnte deshalb über die Beschwerde ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter nach § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG entscheiden.

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Um der Darlegungspflicht zu genügen, muss eine konkrete Rechtsfrage formuliert, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihr angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) dargelegt werden (vgl nur Bundessozialgericht <BSG> vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Hierfür ist eine substantielle Auseinandersetzung mit den einschlägigen oberstgerichtlichen Entscheidungen ebenso erforderlich wie die Darlegung, dass sich aus diesen keine ausreichenden Anhaltspunkte für die Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage ergeben (vgl BSG vom 21.1.1993 - 13 BJ 207/92 - SozR 3-1500 § Nr 8). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

Soweit die Beklagte unter verschiedenen Blickwinkeln die Frage nach der sog konkreten Angemessenheit der Unterkunftskosten nach einem nicht erforderlichen Umzug aufwirft, fehlt es bereits an der Darlegung der abstrakten Klärungsbedürftigkeit, denn die Beklagte weist selbst auf die ständige Rechtsprechung des BSG im Rechtskreis des Sozialgesetzbuchs Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - ( SGB II ) hin. Danach ist ein Mehrkostenvergleich vorzunehmen und bilden beim nicht erforderlichen Umzug die bisherigen angemessenen Kosten eine individuelle Angemessenheitsgrenze (vgl BSG vom 1.6.2010 - B 4 AS 60/09 R - BSGE 106, 147 = SozR 4-4200 § 22 Nr 35 RdNr 21; BSG vom 24.11.2011 - B 14 AS 107/10 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 52 RdNr 13). Angesichts der Entscheidung des LSG, nur die bisher von der Beklagten als angemessen anerkannten Kosten weiter zu gewähren, wird auch die Entscheidungserheblichkeit nicht deutlich.

Soweit die Beklagte in diesem Zusammenhang weiter die Frage aufwirft, ob ihre "Fachanweisung" es ausschließe, dass die Gerichte eine konkrete Angemessenheitsgrenze bestimmen, weist sie zum Einen selbst darauf hin, dass der unbestimmte Rechtsbegriff der Angemessenheit gerichtlich voll überprüfbar ist (vgl BSG vom 30.1.2019 - B 14 AS 24/18 R - BSGE 127, 214 = SozR 4-4200 § 22 Nr 101 mwN) und bringt selbst vor, dass ihre Fachanweisung im Außenverhältnis gegenüber den Gerichten keine Bindungswirkung entfalte. Es fehlt außerdem eine Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des BSG , wonach Verwaltungsvorschriften dann nicht zur Bemessung der angemessenen Unterkunftskosten herangezogen werden können, wenn ihnen kein schlüssiges Konzept im Sinne der Rechtsprechung des BSG zugrunde liegt (vgl BSG vom 13.4.2011 - B 14 AS 32/09 R - juris RdNr 22); die Beklagte hätte dazu im Einzelnen aufzeigen müssen, dass ihre interne Fachanweisung diese Voraussetzungen (zu Mindestvoraussetzungen BSG vom 3.9.2020 - B 14 AS 34/19 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 110 RdNr 19, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen) überhaupt erfüllt; sie behauptet es nicht einmal.

Auch den Zulassungsgrund der Divergenz hat die Beklagte nach dem Vorstehenden in der Begründung ihrer Beschwerde ebenfalls nicht schlüssig dargelegt 160a Abs 2 Satz 3 SGG ). Für die Bezeichnung einer Abweichung (Divergenz) ist aufzuzeigen, mit welcher genau bezeichneten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage die angefochtene Entscheidung des LSG von welcher ebenfalls genau bezeichneten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage des BSG abweicht. Eine Abweichung liegt nicht schon vor, wenn die angefochtene Entscheidung nicht den Kriterien entsprechen sollte, die das BSG aufgestellt hat, weil die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall nicht die Zulassung einer Revision wegen Abweichung rechtfertigt. Erforderlich ist vielmehr, dass das LSG diesen Kriterien widersprochen und über den Einzelfall hinausgehende andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die - behauptete - Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die fehlende Übereinstimmung im Grundsätzlichen vermag die Zulassung der Revision wegen Abweichung zu begründen. Die Beschwerdebegründung muss deshalb erkennen lassen, dass das LSG dem BSG widersprochen und von den bezeichneten rechtlichen Aussagen des BSG abweichende, dh mit diesen unvereinbare eigene rechtliche Maßstäbe entwickelt hat (vgl BSG vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34; Krasney/ Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, IX. Kap, RdNr 196 mwN). Diese Voraussetzungen erfüllt die Beschwerdebegründung nicht. Die Beklagte zitiert lediglich eine größere Passage aus dem Urteil des LSG zur Bestimmung der konkreten Angemessenheit der Unterkunft der Klägerin und stellt dem eine Aussage des BSG aus dem Jahr 1978 zur Ermessensüberprüfung gegenüber, ohne dass der Widerspruch im Grundsätzlichen nachvollziehbar wird. Soweit die Beklagte vorträgt, das LSG berücksichtige nicht die durch die Fachanweisungen bestimmte Angemessenheit, übersieht sie, dass eine Divergenz nicht schon dann vorliegt, wenn das Berufungsgericht einen höchstrichterlichen Rechtssatz missverstanden oder übersehen und deshalb das Recht fehlerhaft angewendet hat (vgl BSG vom 3.4.2020 - B 12 KR 95/19 B - juris RdNr 6; BSG vom 25.10.2019 - B 9 SB 40/19 B - juris RdNr 8 mwN).

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG .

Vorinstanz: LSG Hamburg, vom 05.11.2020 - Vorinstanzaktenzeichen L 4 SO 96/18
Vorinstanz: SG Hamburg, vom 29.10.2018 - Vorinstanzaktenzeichen S 52 SO 243/17