Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BSG - Entscheidung vom 30.03.2021

B 8 SO 37/20 BH

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1
SGB XII § 33 Abs. 2

BSG, Beschluss vom 30.03.2021 - Aktenzeichen B 8 SO 37/20 BH

DRsp Nr. 2021/7637

Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren Aufwendungen zur Erlangung eines Anspruchs auf ein angemessenes Sterbegeld vor Beginn der Leistungsberechtigung

Tenor

Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 14. Oktober 2020 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 ; SGB XII § 33 Abs. 2 ;

Gründe

I

Im Streit sind die Höhe der Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Grundsicherungsleistungen) nach dem Vierten Kapitel des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch - Sozialhilfe - ( SGB XII ) und hierbei, ob die monatlichen Beiträge des Klägers für eine Sterbegeldversicherung für die Zeit ab 1.1.2019 als Bedarf zu berücksichtigen sind.

Der Kläger bezieht seit 1.8.2003 Grundsicherungsleistungen. Mit Bescheid vom 14.5.2019 lehnte die Beklagte die Übernahme der Beiträge für eine seitens des Klägers am 22.11.2018 abgeschlossene Sterbegeldversicherung ab. Widerspruch und Klage blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 25.9.2019, Gerichtsbescheid vom 20.3.2020). Das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 14.10.2020). Auf Berücksichtigung der Beiträge zur Sterbegeldversicherung bestehe nach § 33 Abs 2 SGB XII in der seit 1.7.2017 geltenden Fassung, die auf den Kläger Anwendung finde, kein Anspruch. Der Kläger habe diese Sterbegeldversicherung am 22.11.2018 abgeschlossen. Die Anwendung einer früheren Gesetzesfassung komme daher nicht in Betracht. Die vom Kläger geltend gemachten Aufwendungen für seine Sterbegeldversicherung bestünde nicht vor Beginn seiner Leistungsberechtigung, die seit 1.8.2003 bestehe. Die Ansicht des Klägers, dass der Gesetzgeber einen Ausschluss solcher Personen, die bereits vor dem 1.7.2017 leistungsberechtigt gewesen seien, nicht gewollt habe, sei unzutreffend. Auch liege die vom Kläger behauptete Ungleichbehandlung von Leistungsempfängern nicht vor, da der Ausschluss der Beitragsübernahme ab 1.7.2017 für alle Leistungsempfänger gelte, wenn der Versicherungsvertrag erst nach Eintritt der Hilfebedürftigkeit abgeschlossen wurde. Auch läge der vom Kläger geltend gemachte Beratungsfehler der Beklagten nicht vor.

Der Kläger hat bei dem Bundessozialgericht ( BSG ) die Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) für die Durchführung des Verfahrens der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG und die Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragt. Er macht einen Verstoß insbesondere gegen das Gleichbehandlungsgebot geltend.

II

Der Antrag auf Bewilligung von PKH ist nicht begründet. PKH ist nur zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint 73a Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz <SGG> iVm § 114 Zivilprozessordnung <ZPO>); daran fehlt es hier. Hinreichende Aussicht auf Erfolg wäre zu bejahen, wenn einer der drei in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe durch einen zugelassenen Prozessbevollmächtigten 73 Abs 4 SGG ) mit Erfolg geltend gemacht werden könnte; denn nur diese Gründe können zur Zulassung der Revision führen. Dies ist nicht der Fall.

Der Rechtssache kommt nach Aktenlage keine grundsätzliche Bedeutung zu 160 Abs 2 Nr 1 SGG ). Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist.

Im Zusammenhang mit dem Begehren des Klägers auf Berücksichtigung seiner Beiträge zu seiner abgeschlossenen Sterbegeldversicherung ist nicht ersichtlich, dass eine grundsätzliche Bedeutung mit Aussicht auf Erfolg geltend gemacht werden könnte. Der Gesetzgeber hat mit Änderung des § 33 Abs 2 SGB XII durch das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen sowie zur Änderung des Zweiten und des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 22.12.2016 mit Wirkung zum 1.7.2017 (BGBl I 3159) klargestellt, dass ein Anspruch auf die Berücksichtigung erforderlicher Aufwendungen als Bedarf lediglich in den Fällen eingreift, in denen Leistungsberechtigte Aufwendungen zur Erlangung eines Anspruchs auf ein angemessenes Sterbegeld vor Beginn der Leistungsberechtigung nachweisen und damit eine heute für Zeiten vor der Neuregelung bestehende Unsicherheit geklärt (vgl Bundesverwaltungsgericht <BVerwG> vom 27.6.2002 - 5 C 43/01 - BVerwGE 116, 342 bis 346 RdNr 15; BT-Drucks 18/9984 S 91). Sowohl zur Frage einer etwaigen Ungleichbehandlung von Personengruppen ab Geltungsbeginn eines neuen Gesetzes als auch zu dem Bestehen etwaiger Rückwirkungsverbote liegt gefestigte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vor. An der Änderung bloß einfachgesetzlich geschützter subjektiver Rechte durch eine lex posterior ist die gesetzgebende Gewalt nur gehindert, wenn sie dabei gegen die verfassungsmäßige Ordnung iS von Art 20 Abs 3 Grundgesetz ( GG ), insbesondere gegen die Kerngarantien des "Rechtsstaats" (Willkürverbot, Rückwirkungsverbot, Vertrauensschutz, Verhältnismäßigkeitsgebot) verstößt oder wenn sie, gemessen an den Schrankenregelungen der Grundrechte, rechtswidrig in Grundrechte eingreift (Art 1 Abs 3 GG ). Vorliegend ist nicht erkennbar, dass durch die Änderung des § 33 SGB XII durch Art 3a Nr 2 des Gesetzes vom 22.12.2016 mit Wirkung zum 1.7.2017 in subjektive Rechte des Klägers eingegriffen wurde. Auch ist nicht erkennbar, inwieweit das Vertrauen des im laufenden Sozialhilfebezug stehenden Klägers geschützt sein könnte, dass trotz Gesetzesänderung mit Wirkung zum 1.7.2017 Beiträge für eine im November 2018 abgeschlossene Sterbegeldversicherung Berücksichtigung finden könnten. Darin kann weder eine echte (retroaktive) Rückwirkung bzw "Rückbewirkung von Rechtsfolgen" , noch eine - grundsätzlich zulässige - "unechte Rückwirkung" oder "tatbestandliche Rückanknüpfung" gesehen werden (s dazu BVerfG vom 10.2.2021 - 2 BvL 8/19 - juris RdNr 131 ff; BVerfG vom 14.5.1986 - 2 BvL 2/83 - BVerfGE 72, 200 , 241; BVerfG vom 3.12.1997 - 2 BvR 882/97 - BVerfGE 97, 67 , 79 RdNr 40; BVerfG vom 17.12.2013 - 1 BvL 5/08 - BVerfGE 135, 1 -48; BVerfG vom 14.5.1986 - 2 BvL 2/83 - BStBl II 1986, 628 ; BVerfGE 30, 367 , 387).

Nach dem Vorstehenden ist auch nicht erkennbar, dass eine Divergenzrüge 160 Abs 2 Nr 2 SGG ) mit Aussicht auf Erfolg geltend gemacht werden könnte.

Es ist schließlich auch nicht erkennbar, dass ein Verfahrensmangel 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG ) mit Aussicht auf Erfolg geltend gemacht werden könnte. Insbesondere musste sich das LSG nicht mit dem Vortrag des Klägers auseinandersetzen 62 SGG ), die Sterbegeldversicherung habe eine Risikoversicherung abgelöst, weil die Sterbegeldversicherung faktisch einen Sparvertrag darstellt, was bei der Risikolebensversicherung gerade nicht der Fall ist.

Vorinstanz: LSG Rheinland-Pfalz, vom 14.10.2020 - Vorinstanzaktenzeichen L 4 SO 46/20
Vorinstanz: SG Speyer, vom 20.03.2020 - Vorinstanzaktenzeichen S 15 SO 193/19