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BSG - Entscheidung vom 10.05.2021

B 14 AS 392/20 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1

BSG, Beschluss vom 10.05.2021 - Aktenzeichen B 14 AS 392/20 B

DRsp Nr. 2021/10464

Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren Formulierung einer bestimmten abstrakten Rechtsfrage

Tenor

Dem Kläger wird wegen der Versäumung der Frist zur Einlegung und Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 26. März 2019 wird als unzulässig verworfen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 ;

Gründe

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der bezeichneten Entscheidung des LSG ist als unzulässig zu verwerfen 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 Satz 2 SGG ). Ungeachtet des Umstands, dass dem Kläger wegen der versäumten Frist zur Einlegung und Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde durch einen zugelassenen Prozessbevollmächtigten 73 Abs 4 SGG ) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren war, ist die Nichtzulassungsbeschwerde unzulässig, weil der Kläger zur Begründung seiner Beschwerde keinen der in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe iS des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG schlüssig dargelegt oder bezeichnet hat.

Nach § 160 Abs 2 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1), die Entscheidung des LSG von einer Entscheidung des BSG , des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr 2) oder wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (Nr 3). Eine allgemeine Überprüfung des Rechtsstreits in dem Sinne, ob das LSG in der Sache richtig entschieden hat, ist nicht zulässig. Der Kläger hat Grundsatz- und Divergenzrügen erhoben, ohne deren Vorliegen hinreichend darzulegen.

Die Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) erfordert die Formulierung einer bestimmten abstrakten Rechtsfrage, der in dem Rechtsstreit eine grundsätzliche, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung beigemessen wird (vgl BSG vom 22.8.1975 - 11 BA 8/75 - BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11). Die abstrakte Rechtsfrage ist klar zu formulieren, um an ihr die weiteren Voraussetzungen für die Revisionszulassung nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG prüfen zu können (Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, IX. Kap RdNr 181). Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist gegeben, wenn zu erwarten ist, dass die Revisionsentscheidung die Rechtseinheit in ihrem Bestand erhalten oder die Weiterentwicklung des Rechts fördern wird. Daher ist aufzuzeigen, ob und inwieweit zu der aufgeworfenen Frage bereits Rechtsgrundsätze herausgearbeitet sind und in welchem Rahmen noch eine weitere Ausgestaltung, Erweiterung oder Änderung derselben durch das Revisionsgericht zur Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits erforderlich erscheint (vgl Krasney/Udsching, aaO, IX. Kap RdNr 65 f). Es ist aufzuzeigen, dass die Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und die Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (vgl BSG vom 16.12.1993 - 7 BAr 126/93 - SozR 3-1500 § Nr 16 S 27). Hierfür ist eine Auseinandersetzung mit den einschlägigen oberstgerichtlichen Entscheidungen ebenso erforderlich wie die Darlegung, dass sich aus diesen keine ausreichenden Anhaltspunkte für die Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage ergeben (vgl BSG vom 21.1.1993 - 13 BJ 207/92 - SozR 3-1500 § Nr 8). Betrifft die Rechtsfrage ausgelaufenes Recht, ist auszuführen, dass entweder noch eine große Zahl offener Verfahren zu entscheiden ist oder sich nach neuer Rechtslage vergleichbar stellt (vgl nur BSG vom 7.10.2020 - B 14 AS 418/19 B - RdNr 4; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG , 13. Aufl 2020, § 160a RdNr 14 f mwN).

Diesen Darlegungsanforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Die in ihr unter 1 a) bis k) und m) formulierten Rechtsfragen beziehen sich sämtlich auf § 27 SGB II in der bis zum 1.8.2016 geltenden Fassung, der durch das Neunte Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Rechtsvereinfachung - sowie zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht vom 26.7.2016 (BGBl I 1824) umfassend geändert worden ist (vgl hierzu BT-Drucks 18/8041, 30 ff, 44). Diese Neuregelung hat, worauf die Beschwerde selbst hinweist, Auswirkungen auf die zwischen den Beteiligten bestehenden Streitfragen. Vor diesem Hintergrund hätte es näherer Ausführungen bedurft, warum die von der Beschwerde formulierten Rechtsfragen weiterhin klärungsbedürftig sind. Allein der Hinweis darauf, dass von diesen Fragen "ein sehr großer Kreis an Personen deutschlandweit" betroffen gewesen sein "dürfte" und von der Beantwortung der Fragen zu erwarten sei, "dass sie zu einem besseren allgemeinen Verständnis des Verhältnisses der regulären Ansprüche nach dem SGB II einerseits und den Ansprüchen nach § 27 SGB II andererseits beitragen" werde, genügt insoweit nicht.

Soweit der Kläger unter 1 l) eine Rechtsfrage zu der Bindung des Berufungsgerichts an eine Änderung des Streitgegenstands durch rügelose Einlassung formuliert hat, ist weder hinreichend dargelegt, dass eine Klageänderung überhaupt vorlag und diese Frage deshalb klärungsfähig wäre, noch, dass diese Frage klärungsbedürftig ist. Eine Klärungsbedürftigkeit folgt entgegen der Beschwerde insbesondere nicht aus dem Umstand, dass das LSG keine Rechtsprechung zitiert hat.

Eine Divergenzrüge ist ebenfalls nicht zulässig erhoben. Für die Bezeichnung einer Abweichung (Divergenz) ist aufzuzeigen, mit welcher genau bezeichneten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage die angefochtene Entscheidung des LSG von welcher ebenfalls genau bezeichneten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage des BSG abweicht. Eine Abweichung liegt nicht schon vor, wenn die angefochtene Entscheidung nicht den Kriterien entsprechen sollte, die das BSG aufgestellt hat, weil die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall nicht die Zulassung einer Revision wegen Abweichung rechtfertigt. Erforderlich ist vielmehr, dass das LSG diesen Kriterien widersprochen und über den Einzelfall hinausgehende andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die - behauptete - Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die fehlende Übereinstimmung im Grundsätzlichen vermag die Zulassung der Revision wegen Abweichung zu begründen. Die Beschwerdebegründung muss deshalb erkennen lassen, dass das LSG dem BSG widersprochen und von den bezeichneten rechtlichen Aussagen des BSG abweichende, dh mit diesen unvereinbare eigene rechtliche Maßstäbe entwickelt hat (vgl BSG vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, IX. Kap, RdNr 196 mwN).

Diese Voraussetzungen erfüllt die Beschwerdebegründung nicht, weil sich aus ihr nur ergibt, dass das LSG sich auf die konkrete Auslegung von Bescheiden gestützt hat und nicht ersichtlich ist, dass es von der Rechtsprechung des BSG abweichende rechtliche Maßstäbe entwickelt hat.

Die Verwerfung der Beschwerde erfolgt in entsprechender Anwendung des § 169 Satz 3 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183 , 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Nordrhein-Westfalen, vom 26.03.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 2 AS 2080/16
Vorinstanz: SG Düsseldorf, vom 14.09.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 12 AS 1659/14