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BSG - Entscheidung vom 23.03.2021

B 3 P 2/21 BH

Normen:
SGB XI § 39
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3

BSG, Beschluss vom 23.03.2021 - Aktenzeichen B 3 P 2/21 BH

DRsp Nr. 2021/7625

Erstattung von Aufwendungen für Verhinderungspflege Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren

Tenor

Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 23. September 2020 vor dem Bundessozialgericht Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Rechtsanwältin S T, N, zu gewähren, wird abgelehnt.

Normenkette:

SGB XI § 39 ; SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 ;

Gründe

I

Der bei der beklagten Pflegekasse bis zum 30.9.2018 versicherte Kläger ist mit seinem Begehren auf Erstattung von Aufwendungen für Verhinderungspflege erfolglos geblieben.

Der Kläger hat mit einem von ihm unterzeichneten - am 11.1.2021 beim BSG eingegangenen - Schreiben die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung der genannten Rechtsanwältin zur Durchführung des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens gegen das Urteil des LSG vom 23.9.2020 beantragt.

II

Der Antrag auf PKH ist abzulehnen. Gemäß § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Abs 1 Satz 1 ZPO kann einem Beteiligten, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, für das Verfahren vor dem BSG PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Es fehlt jedoch bereits an der hinreichenden Aussicht auf Erfolg. Es ist nicht zu erkennen, dass ein zugelassener Prozessbevollmächtigter 73 Abs 4 SGG ) in der Lage wäre, die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in der Entscheidung des LSG erfolgreich zu begründen. Es kann daher offenbleiben, ob der Kläger die persönlichen bzw wirtschaftlichen Voraussetzungen für eine PKH-Bewilligung erfüllt.

Gemäß § 160 Abs 2 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1), die Entscheidung des LSG von einer Entscheidung des BSG , des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr 2) oder wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (Nr ); auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG kann der Verfahrensmangel nicht gestützt werden und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungspflicht) nur, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (Nr 3 Halbsatz 2). Ein solcher Zulassungsgrund ist nach Prüfung des Streitstoffs im Rahmen der gebotenen summarischen Prüfung durch den Senat nicht ersichtlich.

1. Es ist nicht erkennbar, dass eine Zulassung der Revision gegen das vom Kläger angegriffene Urteil des LSG mit Erfolg auf § 160 Abs 2 Nr 1 SGG gestützt werden könnte. Grundsätzliche Bedeutung iS dieser Vorschrift hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besitzt, von der angestrebten Entscheidung der Rechtssache im Revisionsverfahren somit erwartet werden kann, dass diese in einer bisher nicht geschehenen, jedoch das Interesse der Allgemeinheit berührenden Weise die Rechtseinheit herstellen, wahren oder sichern oder die Weiterentwicklung des Rechts fördern wird (vgl nur BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 30 S 57 f). Rechtsfragen, die in diesem Sinne noch grundsätzliche Bedeutung haben könnten, sind im Rahmen des PKH-Verfahrens nicht ersichtlich. Dies gilt auch für die vom Kläger formulierten Rechtsfragen:

"Beinhalten die Kosten für die Verhinderungspflege gemäß § 39 Abs 1 - 3 SGB XI auch die erstattungspflichtigen Aufwendungen für Flug- und Bahnreisen einer Ersatzpflegeperson aus dem Ausland, wenn nur durch sie die fortlaufende häusliche Pflege sichergestellt werden kann und gleichzeitig das Wirtschaftlichkeitsgebot gemäß § 29 SGB IX sowie § 4 Abs 3 SGB XI beachtet werden.

Beinhalten die Kosten für die Verhinderungspflege gemäß § 39 Abs 1 - 3 SGB XI auch die erstattungspflichtigen Aufwendungen für Flug- und Bahnreisen nebst Unterkunftskosten und Kosten der Eheschließung sowohl für die Pflegekraft als auch für die pflegebedürftige Person selbst, wenn sich letztere vorübergehend im Ausland zwecks Akquise dieser Pflegekraft befindet, weil nur auf diese Weise die in Übrigen allein ausreichende häusliche Pflege sichergestellt werden kann und sonst die dauerhafte stationäre Einweisung ins Altenpflegeheim droht."

Diesen Fragen kommt grundsätzliche Bedeutung nicht zu. Bezogen auf die damit im Zusammenhang stehenden allgemeinen Fragen hat der Senat bereits entschieden, dass Versicherte bei einem bis zu sechswöchigen Auslandsaufenthalt auch dort Leistungen der Verhinderungspflege in Anspruch nehmen können ( BSG Urteil vom 20.4.2016 - B 3 P 4/14 R - BSGE 121, 108 -119 = SozR 4-3300 § 34 Nr 3). Dass die von dem Kläger angestrebte Revision zu einer weiteren grundsätzlichen Klärung beitragen könnte, ist nicht ersichtlich. Soweit die von ihm bezeichneten Fragen nicht ohnehin von nicht verallgemeinerbaren Besonderheiten des Einzelfalls geprägt sind ("Akquise" einer Pflegekraft in Thailand und Eheschließung), fehlt es jedenfalls an ihrer Klärungsfähigkeit, nachdem die streitbefangenen Aufwendungen zur Überzeugung des LSG nicht wesentlich durch den Ausfall der zusätzlich zum Pflegedienst der Caritas Sozialstation mit Betreuungsaufgaben (Nachmittagsbetreuung, Einkaufen, Wäsche) betrauten Pflegeperson des Klägers bedingt waren.

2. Es ist auch nicht erkennbar, dass die Entscheidung des LSG von einer Entscheidung des BSG , des GmSOGB oder des BVerfG abweicht, weshalb eine Divergenzrüge keine Aussicht auf Erfolg verspricht 160 Abs 2 Nr 2 SGG ). Insbesondere hat das LSG zu der von ihm in seinem Urteil zitierten Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 20.4.2016 - B 3 P 4/14 R - aaO) keinen im Gegensatz stehenden abstrakten Rechtssatz formuliert und weicht folglich nicht von den dort aufgestellten Rechtssätzen ab.

3. Schließlich ist nicht erkennbar, dass der Kläger einen Verfahrensmangel geltend machen könnte, auf dem die angefochtene Entscheidung des LSG beruhen kann 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG ). Insbesondere ist kein Verstoß des Anspruch auf rechtliches Gehör oder des Rechts auf ein faires Verfahren ersichtlich. Der Anspruch auf rechtliches Gehör gemäß § 62 SGG , der einfachrechtlich das durch Art 103 Abs 1 GG garantierte prozessuale Grundrecht wiederholt, sowie das aus Art 2 Abs 1 GG und dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete allgemeine Prozessgrundrecht auf ein faires Verfahren gebieten, den an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt vor Erlass der Entscheidung zu äußern, um mit ihren Ausführungen und Anträgen Einfluss auf das Verfahren nehmen zu können (BVerfG Beschluss vom 30.4.2003 - 1 PBvU 1/02 - SozR 4-1100 Art 103 Nr 1 - juris RdNr 42). Dabei ist dem Anspruch auf rechtliches Gehör in der Regel dadurch genügt, dass das Gericht die mündliche Verhandlung anberaumt, der Beteiligte ordnungsgemäß geladen und die mündliche Verhandlung zu dem festgesetzten Zeitpunkt eröffnet wird. Vorliegend hat das LSG in Anwesenheit des Klägers mündlich verhandelt und ihm damit Gelegenheit gegeben, sich zu dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt vor Erlass der Entscheidung zu äußern 110 Abs 1 Satz 1 SGG ). Die Gerichte werden durch Art 103 Abs 1 GG allerdings nicht dazu verpflichtet, der geäußerten Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör gewährleistet nur, dass der Kläger mit seinem Vortrag "gehört", nicht jedoch "erhört" wird ( BSG Beschluss vom 10.10.2017 - B 13 R 234/17 B - juris RdNr 6 mwN).

Dem Antrag des Klägers auf Vertagung hat das Berufungsgericht zu Recht abgelehnt, weil eine Verhandlungsunfähigkeit nach den Feststellungen des LSG nicht hinreichend glaubhaft gemacht worden ist und es daher nicht gehalten war, dem Antrag auf Terminvertagung zu entsprechen (vgl § 202 Satz 1 SGG iVm § 227 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 ZPO ). Für eine Vertagung sind erhebliche Gründe glaubhaft zu machen, damit das Gericht über einen Vertagungsantrag entscheiden kann 227 Abs 4 Satz 1 Halbsatz 1 ZPO iVm § 202 Satz 1 SGG ). Ein ordnungsgemäß gestellter Antrag auf Vertagung begründet in Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs "erheblicher Grund" nur dann eine entsprechende Pflicht des Gerichts, einer Vertagung nachzukommen, wenn diese hinreichend substantiiert dargelegt ist. Ein erheblicher Grund iS von § 227 Abs 1 Satz 1 ZPO kann ua darin liegen, dass ein Beteiligter erkrankungsbedingt der Verhandlung nicht folgen kann. Jedoch ist nicht jegliche Erkrankung oder Erschöpfung ein ausreichender Grund für eine Vertagung des Termins; eine solche ist vielmehr nur dann geboten, wenn die Erkrankung so schwer ist, dass die Wahrnehmung oder Fortführung des Termins nicht erwartet werden kann. Wird ein Vertagungsantrag erst unmittelbar in der anberaumten mündlichen Verhandlung beantragt und mit einer psychischen Erschöpfung begründet, so muss der Verhinderungsgrund so dargelegt und untermauert sein, dass das Gericht ohne weitere Nachforschungen selbst beurteilen kann, ob Verhandlungsfähigkeit besteht (vgl zu den Anforderungen bei einem Terminverlegungsantrag am Vortag der mündlichen Verhandlungen etwa BSG Beschluss vom 13.10.2010 - B 6 KA 2/10 B - SozR 4-1500 § 110 Nr 1 RdNr 12 mwN). Für solche Fälle sind besonders hohe Anforderungen an die Glaubhaftmachung der Verhandlungsunfähigkeit zu stellen (vgl nur BSG Beschluss vom 16.4.2018 - B 9 V 66/17 B - juris RdNr 5). Dass das LSG den Kläger unter Verkennung dieser Maßstäbe zu Unrecht als noch fähig angesehen hat, dem Abschluss der mündlichen Verhandlung zu folgen, ist nicht ersichtlich und wird vom Kläger auch nicht substantiiert aufgezeigt.

Schließlich bot auch der Befangenheitsantrag des Klägers gegen Ende der Verhandlung - unabhängig davon, ob vor oder nach der Verkündung des Urteils gestellt - keinen hinreichenden Grund für eine Vertagung. Das Ablehnungsgesuch war vielmehr offensichtlich unzulässig, weil der Kläger es pauschal und ohne konkrete Anhaltspunkte angebracht hat (vgl BSG vom 19.7.2018 - B 8 SO 6/18 B - WzS 2018, 264 - juris RdNr 7; BSG vom 29.3.2007 - B 9a SB 18/06 B - SozR 4-1500 § 60 Nr 4 RdNr 8; BVerfG vom 20.7.2007 - 1 BvR 2228/06 - NJW 2007, 3771 ).

4. Mangels Anspruch auf Bewilligung von PKH, war der Antrag auf Beiordnung eines Rechtsanwaltes für das Beschwerdeverfahren abzulehnen 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 ZPO ).

Vorinstanz: LSG Bayern, vom 23.09.2020 - Vorinstanzaktenzeichen L 4 P 33/19
Vorinstanz: SG Nürnberg, vom 15.02.2019 - Vorinstanzaktenzeichen S 21 P 144/18