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BSG - Entscheidung vom 19.08.2021

B 9 SB 14/21 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3

BSG, Beschluss vom 19.08.2021 - Aktenzeichen B 9 SB 14/21 B

DRsp Nr. 2021/16185

Entziehung eines Merkzeichens H Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren Rüge der fehlerhaften Sachaufklärung

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 4. Januar 2021 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 ;

Gründe

I

Die im Juli 1997 geborene Klägerin wendet sich in der Hauptsache gegen die Entziehung des Merkzeichens H ab dem 26.5.2015. Wie bereits zuvor das SG hat auch das LSG die Entscheidung des Beklagten bestätigt. Im Vergleich der Verhältnisse im Februar 2003 und Mai 2015 sei eine wesentliche Änderung eingetreten. Die Klägerin sei nicht mehr hilflos. Die wesentliche Änderung liege zum einen darin, dass die Klägerin bei Erlass des Bescheids vom 6.2.2003 fünf Jahre alt und der Hilfebedarf aufgrund des erst später einsetzenden natürlichen Reifungsprozesses noch deutlich höher als im Zeitpunkt des angefochtenen Bescheids vom 22.5.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.10.2015 gewesen sei. Zum anderen führe das Erreichen der Volljährigkeit dazu, dass die in Teil A Nr 5 der in Anlage 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung geregelten "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" (VMG) enthaltenen "Besonderheiten der Beurteilung der Hilflosigkeit von Kindern und Jugendlichen" nicht mehr zu berücksichtigen seien. Nach den danach geltenden allgemeinen Vorschriften - insbesondere § 33b Abs 6 Satz 3 und 4 Einkommensteuergesetz und Teil A Nr 4 der VMG - zum Merkzeichen H habe sie keinen Anspruch mehr auf die Zuerkennung dieses Merkzeichens. Einen Hilfebedarf von täglich mehr als einer Stunde in den hiernach maßgeblichen Bereichen erreiche sie nicht. Dies ergebe sich aus ihren eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem SG (Urteil vom 4.1.2021).

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem ohne mündliche Verhandlung ergangenen Urteil hat die Klägerin beim BSG Beschwerde eingelegt. Sie rügt eine unzureichende Sachaufklärung durch das LSG.

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen. Die Klägerin hat den von ihr allein geltend gemachten Verfahrensmangel 160 Abs 2 Nr 3 SGG ) der fehlerhaften Sachaufklärung 103 SGG ) nicht ordnungsgemäß bezeichnet 160a Abs 2 Satz 3 SGG ).

Ihr diesbezügliches Vorbringen erfüllt nicht die besonderen Anforderungen an eine Sachaufklärungsrüge. Hierzu muss die Beschwerdebegründung folgende Punkte enthalten: (1.) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren und bis zuletzt aufrechterhaltenen Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2.) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen und zur weiteren Sachaufklärung drängen müssen, (3.) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (4.) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf einer angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme von seinem Standpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (stRspr; zB Senatsbeschluss vom 11.9.2019 - B 9 SB 50/19 B - juris RdNr 6 mwN). Diese besonderen Darlegungsanforderungen an eine Sachaufklärungsrüge erfüllt der Beschwerdevortrag der Klägerin nicht.

Ein - wie hier - in der Berufungsinstanz rechtsanwaltlich vertretener Beteiligter kann nur dann mit der Rüge des Übergehens eines Beweisantrags gehört werden, wenn er diesen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung durch entsprechenden Hinweis zu Protokoll aufrechterhalten hat oder das Gericht den Beweisantrag in seinem Urteil wiedergibt (stRspr; zB BSG Beschluss vom 5.2.2015 - B 13 R 372/14 B - juris RdNr ). Denn nur dann hätte nach Sinn und Zweck des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ein Beweisantrag die Warnfunktion dahingehend erfüllt, dass ein Beteiligter die Sachaufklärungspflicht des Gerichts 103 SGG ) noch nicht als erfüllt ansieht ( BSG Beschluss vom 5.2.2015, aaO). Wird ein Rechtsstreit - wie vorliegend - ohne mündliche Verhandlung entschieden, tritt an die Stelle des Schlusses der mündlichen Verhandlung der Zeitpunkt der Zustimmung zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs 2 SGG (stRspr; zB Senatsbeschluss vom 11.9.2019 - B 9 SB 50/19 B - juris RdNr 7; Senatsbeschluss vom 1.9.1999 - B 9 V 42/99 B - SozR 3-1500 § 124 Nr 3 S 4 f; BSG Beschluss vom 7.2.2017 - B 13 R 379/16 B - juris RdNr 7).

In der Beschwerdebegründung wird von der Klägerin jedoch schon nicht aufgezeigt, dass sie trotz Erklärung des Einverständnisses gemäß § 124 Abs 2 SGG mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 6.10.2020 auf die mit Schriftsatz vom 31.8.2020 beantragte Einholung eines diabetologischen Sachverständigengutachtens (weiter) bestanden habe. Denn nur dann gelten zuvor schriftsätzlich gestellte Beweisanträge als nicht erledigt. Jedenfalls einem in der Berufungsinstanz durch einen Rechtsanwalt vertretenen Beteiligten, der sein Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil erklärt, muss klar sein, dass das Gericht ohne weitere Sachaufklärung entscheiden kann (vgl stRspr; zB BSG Beschluss vom 5.2.2015 - B 13 R 372/14 B - juris RdNr 14; BSG Beschluss vom 25.11.2013 - B 13 R 339/13 B - juris RdNr 10). Die Klägerin behauptet zwar, ihren Antrag auf Einholung eines diabetologischen Sachverständigengutachtens aufrechterhalten zu haben; sie zeigt dies jedoch nicht auf. Vielmehr trägt der Beklagte in seiner Beschwerdeerwiderung zu Recht vor, dass das LSG unter ausdrücklicher Bezugnahme auf den vorgenannten Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 31.8.2020 mit Schreiben vom 9.9.2020 zu den Voraussetzungen für die Annahme der Hilflosigkeit ausgeführt und darauf hingewiesen hat, dass ein solcher Hilfebedarf aufgrund der Schilderung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem SG "auch nicht annähernd ersichtlich" sei, weshalb das Gericht weiterhin beabsichtige, die Berufung durch Beschluss zurückzuweisen. Aus diesem Hinweisschreiben des LSG ist klar erkennbar, dass es eine weitere Sachaufklärung nicht mehr beabsichtigt habe. Wenn der Prozessbevollmächtigte der Klägerin aber dennoch mit Schriftsatz vom 6.10.2020 nach "erfolgte(r) Akteneinsicht" und "nochmaliger Rücksprache" mitteilt, dass einer Entscheidung "ohne mündliche Verhandlung (…) namens und in Vollmacht der Klägerin nunmehr zugestimmt" werde, erschließt sich nicht, aus welchem Grund der Prozessbevollmächtigte meint, dass er den mit Schrittsatz vom 31.8.2020 gestellten Antrag auf Einholung eines diabetologischen Sachverständigengutachtens weiter aufrechterhalten habe. Entsprechenden Vortrag enthält die Beschwerdebegründung nicht.

Auch im Übrigen erfüllt das Beschwerdevorbringen der Klägerin nicht die oben genannten Anforderungen an eine Sachaufklärungsrüge. Selbst wenn sie ihren Antrag auf Einholung eines diabetologischen Sachverständigengutachtens bis zuletzt aufrechterhalten hätte, hätte sie keinen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag iS des § 160 Abs 2 Nr 3 , § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 403 ZPO bezeichnet. Dafür muss nicht nur die Stellung des Antrags, sondern auch aufgezeigt werden, über welche im Einzelnen bezeichneten Punkte Beweis erhoben werden sollte. Merkmal eines substantiierten Beweisantrags ist eine bestimmte Tatsachenbehauptung und die Angabe des Beweismittels für diese Tatsache. Dafür ist die behauptete Tatsache möglichst präzise und bestimmt zu behaupten sowie zumindest hypothetisch zu umreißen, was die Beweisaufnahme ergeben hätte. Nur dies versetzt die Vorinstanz in die Lage, die Entscheidungserheblichkeit eines Beweisantrags zu prüfen und ggf seine Ablehnung iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ausreichend zu begründen ( Senatsbeschluss vom 6.4.2017 - B 9 V 89/16 B - juris RdNr 7 mwN). Um in der aktuellen Prozesssituation ein Beweisthema für das LSG hinreichend genau zu bezeichnen, hätte die Klägerin daher substantiiert und präzise in einem bis zuletzt aufrechterhaltenen Antrag angeben müssen, welche konkreten (entscheidungserheblichen) Punkte - ausgehend von der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts - durch die Einholung eines diabetologischen Sachverständigengutachtens noch hätten geklärt werden können. Auch dies ist jedoch nicht erfolgt. Die genannten Darlegungsanforderungen lassen sich auch nicht durch eine Gehörsrüge umgehen ( BSG Beschluss vom 26.5.2021 - B 13 R 219/20 B - juris RdNr 11 mwN).

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ).

Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 169 Satz 2 und 3 SGG ).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Berlin-Brandenburg, vom 04.01.2021 - Vorinstanzaktenzeichen L 11 SB 34/19
Vorinstanz: SG Potsdam, vom 15.01.2019 - Vorinstanzaktenzeichen S 5 SB 373/15