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BSG - Entscheidung vom 31.08.2021

B 8 SO 15/21 BH

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1

BSG, Beschluss vom 31.08.2021 - Aktenzeichen B 8 SO 15/21 BH

DRsp Nr. 2021/15559

Anspruch auf Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren

Tenor

Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 10. Februar 2021 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 ;

Gründe

I

Im Streit ist ein Anspruch auf einen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung.

Der Kläger bezieht von der Beklagten Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Grundsicherungsleistungen) nach dem Vierten Kapitel des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch - Sozialhilfe - ( SGB XII ). Neben dem Regelsatz in Höhe der Regelbedarfsstufe 1 erhält er seit dem 1.4.2011 einen Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung iHv 10 Prozent der Regelbedarfsstufe 1 (erstmals bewilligt mit Bescheid vom 19.12.2013). Widerspruch und Klage gerichtet auf einen höheren Mehrbedarf für Ernährung iHv 120 Euro monatlich haben keinen Erfolg gehabt (Widerspruchsbescheid vom 12.4.2017; Urteil des Sozialgerichts <SG> Dortmund vom 25.6.2020; Beschluss des Landessozialgerichts <LSG> vom 10.2.2021). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG unter Bezugnahme auf die Feststellungen des SG ausgeführt, es bestehe zwar eine (psychische) Erkrankung beim Kläger; es sei aber keine somatische Ursache für Beschwerden bei der Nahrungsaufnahme diagnostiziert. Insbesondere bestehe neben einer Refluxerkrankung allenfalls ein leichtes Untergewicht. Infolge der psychischen Erkrankung und deren Behandlung mit Psychopharmaka sei keine besondere, kostenaufwändige Ernährungsweise erforderlich. Das objektive Erfordernis einer bestimmten Kostform sei zu unterscheiden von einem bestimmten Ernährungsverhalten, für das der Kläger subjektiv zwar ein Erfordernis sehe, das einen Anspruch auf Mehrbedarf aber nicht auslöse.

Der Kläger beantragt beim Bundessozialgericht ( BSG ) die Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) für die Durchführung des Verfahrens der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im bezeichneten Beschluss des LSG und die Beiordnung eines Rechtsanwalts.

II

Der Antrag auf Bewilligung von PKH ist nicht begründet. PKH ist nur zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint 73a Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz <SGG> iVm § 114 Zivilprozessordnung <ZPO>); daran fehlt es hier. Hinreichende Aussicht auf Erfolg wäre nur zu bejahen, wenn einer der drei in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe durch einen zugelassenen Prozessbevollmächtigten 73 Abs 4 SGG ) mit Erfolg geltend gemacht werden könnte; denn nur diese Gründe können zur Zulassung der Revision führen. Dies ist vorliegend nicht der Fall.

Dem Rechtsstreit kommt nach Aktenlage keine grundsätzliche Bedeutung zu 160 Abs 2 Nr 1 SGG ). Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Nach der gefestigten Rechtsprechung des BSG ist das Vorliegen der Voraussetzungen für einen Anspruch auf einen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung (vgl § 42 Nr 2 SGB XII iVm § 30 Abs 5 SGB XII wie § 21 Abs 5 Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - <SGB II>) im Einzelfall im Wege der Amtsermittlung zu klären (vgl nur BSG vom 9.6.2011 - B 8 SO 11/10 R - FEVS 63, 294; BSG vom 27.2.2008 - B 14/7b AS 64/06 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 2 RdNr 24). In der Rechtsprechung ist dabei bereits geklärt, dass generelle Schlüsse aus bestimmten Krankheitsbildern nicht abzuleiten sind, sondern sich im Einzelfall das objektive Erfordernis einer besonderen Kostform aus physiologischen Gründen ergeben muss (vgl zuletzt BSG vom 20.1.2016 - B 14 AS 8/15 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 25). Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, die noch vom BSG zu klären wären, folgen damit nicht aus der beim Kläger vorliegenden Erkrankung, wie dieser aber meint. Ebenso wenig stellen sich vorliegend grundsätzliche Fragen zum Anwendungsbereich des § 73 SGB XII . Auch insoweit ist in der Rechtsprechung geklärt, dass Bedarfe, die - wie der Bedarf für Ernährung - über den Regelbedarf und ergänzende Mehrbedarfe abzudecken sind, keine atypischen Bedarfe in sonstige Lebenslagen iS des § 73 SGB XII begründen können (vgl zuletzt BSG vom 29.5.2019 - B 8 SO 8/17 R - SozR 4-4200 § 24 Nr 8 RdNr mwN). Anhaltspunkte dafür, dass eine Divergenzrüge 160 Abs 2 Nr 2 SGG ) Aussicht auf Erfolg versprechen könnte, bestehen nach dem Vorstehenden ebenso wenig. Die Frage, ob ein der in Streit stehende Mehrbedarf für Ernährung objektivierbar ist oder nicht, ist eine Frage der Richtigkeit der Entscheidung von SG und LSG im Einzelfall, die einem Revisionsverfahren nicht zugänglich ist.

Es ist auch nicht erkennbar, dass ein zugelassener Rechtsanwalt mit Erfolg einen Verfahrensmangel 160 Abs 2 Nr 3 SGG ) geltend machen könnte. Ein absoluter Revisionsgrund (vgl § 202 SGG iVm § 547 Nr 4 ZPO ) liegt hier nicht deshalb vor, weil der Kläger zwar geschäfts- und prozessfähig ist, aber - was das LSG unberücksichtigt gelassen hat - bis zum 21.7.2021 unter Betreuung stand und im Berufungsverfahren (anders als im Klageverfahren) nicht von seiner früheren Betreuerin vertreten worden ist. Der Kläger und die frühere Betreuerin (eine Rechtsanwältin) haben übereinstimmend vorgetragen, dass die Betreuerin von ihrem Recht, den Rechtsstreit auch im Berufungsverfahren fortzuführen (vgl § 71 Abs 6 SGG iVm § 53 ZPO ) in Absprache mit dem Kläger keinen Gebrauch gemacht hat. Da ein Dissens darüber, wer berechtigt ist, das Verfahren zu führen, zwischen Betreuerin und Betreutem tatsächlich nicht bestand (vgl dazu BSG vom 10.7.2013 - B 5 R 185/13 B - FamRZ 2013, 1801 ), war der Kläger im Berufungsverfahren nicht als prozessunfähig anzusehen.

Ebenso wenig ist erkennbar, dass der Beschluss des LSG wegen der Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe des SG nicht mit Gründen versehen ist und sich hieraus ein absoluter Revisionsgrund (vgl § 202 SGG iVm § 547 Nr 6 ZPO ) ergeben könnte, wie der Kläger meint. Die Pflicht zur Begründung eines Urteils oder eines urteilsersetzenden Beschlusses ergibt sich aus § 136 Abs 1 Nr 6 iVm § 153 Abs 1 SGG . Ein Verstoß gegen § 136 Abs 1 Nr 6 SGG liegt aber nicht vor, wenn das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei gemäß § 153 Abs 2 SGG in den Entscheidungsgründen auf das Urteil des erstinstanzlichen Gerichts verweist und jenes Urteil ausreichende Entscheidungsgründe iS des § 136 Abs 1 Nr 6 SGG enthält. Nur wenn ein Beteiligter im Berufungsverfahren neue rechtserhebliche Tatsachen oder substantiierte Einwendungen gegen die erstinstanzlichen Entscheidungsgründe vorgebracht oder entsprechende Beweisanträge gestellt hat, muss sich das LSG in jedem dieser Fälle damit auseinandersetzen (vgl BSG vom 14.11.1996 - 2 RU 15/96 - SozR 3-1500 § 153 Nr ). In solchen Fällen genügt eine bloße Bezugnahme gemäß § 153 Abs 2 SGG nicht. Sie würde neues rechtserhebliches Vorbringen übergehen und damit das rechtliche Gehör 62 SGG , Art 103 Abs 1 Grundgesetz <GG>) des betreffenden Beteiligten verletzen. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor; denn das LSG hat nicht allein auf die Gründe des SG Bezug genommen, sondern sich mit dem klägerischen Vorbringen im Einzelnen auseinandergesetzt, das keine neuen rechtserheblichen Tatsachen enthalten hat. Soweit der Kläger (mit Schreiben vom 1.6.2021) vorträgt, dass sich bei einer Kontrolle eine (weitere) Änderung seines Gesundheitszustands ergeben habe, ist entsprechender Vortrag zur Sache im Berufungsverfahren nicht erfolgt. Für ein Revisionsverfahren wäre der neue Sachvortrag von vornherein unerheblich, weil das BSG an die Tatsachenfeststellungen des LSG gebunden ist (vgl § 163 SGG ). Dass sowohl SG als auch LSG unter Zugrundelegung der von ihnen angelegten rechtlichen Maßstäbe zum selben Ergebnis kommen und der Kläger dieses Ergebnis für falsch hält, kann unter keinem Gesichtspunkt zur Revisionszulassung führen (stRspr; vgl etwa BSG vom 28.7.2020 - B 8 SO 1/19 B - juris RdNr 11; BSG vom 4.3.2020 - B 8 SO 61/19 B - juris RdNr 6; BSG vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 4).

Schließlich ist auch ein Verstoß gegen § 153 Abs 4 SGG nicht ersichtlich. Nach § 153 Abs 4 Satz 1 SGG kann das LSG, außer in den Fällen, in denen das SG durch Gerichtsbescheid 105 Abs 2 Satz 1 SGG ) entschieden hat, die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind gemäß § 153 Abs 4 Satz 2 SGG vorher zu hören, wie dies hier geschehen ist. Die Entscheidung, die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss gemäß § 153 Abs 4 Satz 1 SGG zurückzuweisen, steht in pflichtgemäßem Ermessen des Berufungsgerichts und kann nur auf fehlerhaften Gebrauch, dh sachfremde Erwägungen und grobe Fehleinschätzung, überprüft werden ( BSG vom 2.5.2001 - B 2 U 29/00 R - SozR 3-1500 § 153 Nr 13; BSG vom 12.2.2009 - B 5 R 386/07 B - SozR 4-1500 § 153 Nr 7). Für einen Ermessensfehlgebrauch ist hier nach Lage der Akten aber nichts erkennbar.

Vorinstanz: LSG Nordrhein-Westfalen, vom 10.02.2021 - Vorinstanzaktenzeichen L 9 SO 268/20
Vorinstanz: SG Dortmund, vom 25.06.2020 - Vorinstanzaktenzeichen S 43 SO 304/17