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BSG - Entscheidung vom 03.11.2021

B 9 V 23/21 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1

BSG, Beschluss vom 03.11.2021 - Aktenzeichen B 9 V 23/21 B

DRsp Nr. 2021/18619

Anspruch auf Gewährung einer Beschädigtenrente Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 22. April 2021 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 ;

Gründe

I

Mit Beschluss vom 22.4.2021 hat das LSG einen Anspruch der Klägerin auf Gewährung einer Beschädigtenrente ab dem 7.3.2014 verneint. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz ( OEG ) wegen der von ihr behaupteten Vorgänge im Zeitraum von 1978 bis 1983. Der geltend gemachte Anspruch könne bereits deshalb nicht bestehen, weil sie nicht im Sinne des hier anwendbaren § 10a Abs 1 Satz 1 Nr 1 , Satz 2 OEG allein infolge einer Schädigung schwerbeschädigt sei. Denn eine Schwerbeschädigung liege nach dem über § 1 Abs 1 Satz 1 OEG anwendbaren § 31 Abs 2 Bundesversorgungsgesetz ( BVG ) vor, wenn ein Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von mindestens 50 festgestellt sei. Ein GdS von 50 könne hier aber nicht vorliegen, weil das im Zusammenhang mit möglichen Schädigungsfolgen allein in den Blick zu nehmende psychische Leiden der Klägerin mit einem Grad der Behinderung (GdB) von unter 50 zu bewerten sei und der GdS nicht höher sein könne als der GdB.

Gegen die Nichtzulassung der Revision dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt und diese mit einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache begründet.

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig. Die Beschwerdebegründung genügt nicht der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Form. Die Klägerin hat darin den ausschließlich geltend gemachten Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) nicht in der hierfür erforderlichen Weise dargelegt (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 SGG ).

1. Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Fall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist. Die Beschwerdebegründung hat deshalb anhand des anwendbaren Rechts auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Schrifttum nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (stRspr; zB BSG Beschluss vom 16.7.2019 - B 12 KR 20/19 B - Juris RdNr 5; BSG Beschluss vom 29.1.2018 - B 9 V 39/17 B - juris RdNr 5; BSG Beschluss vom 19.10.2011 - B 13 R 241/11 B - SozR 4-4200 § 25 Nr 1 RdNr 9, jeweils mwN).

Die Klägerin hält sinngemäß folgende Fragen für grundsätzlich bedeutsam:

Durfte das LSG ohne Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens davon ausgehen, dass keine wesentlichen Änderungen der Schädigungsfolgen bei der Klägerin eingetreten sind, die einen Anspruch auf Beschädigtenversorgung rechtfertigen?

Wann dürften Gerichte in Bezug auf medizinische Sachverhalte im sozialen Entschädigungsrecht auf Grundlage eigener Sachkenntnis einen Sachverhalt bewerten und wann ist die Einholung eines Sachverständigenrats erforderlich?

Wann müssen sich Gerichte hinsichtlich ihrer Entscheidung am Einzelfall orientieren und jedes Verfahren für sich bewerten?

Zur Erläuterung führt sie aus, das LSG habe bei seiner Entscheidung keine eigenständige Argumentation bzw Begründung hinsichtlich des Sachverhalts vorgenommen, sondern sich überwiegend auf die Ausführungen des erstinstanzlichen Urteils gestützt. Eine eigene Bewertung habe nicht stattgefunden. Die schwere gesundheitliche Schädigung der Klägerin sei durch Einreichung ärztlicher Befunde bestätigt worden.

Damit hat die Klägerin bereits keine hinreichend konkreten Rechtsfragen zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer bestimmten revisiblen Norm des Bundesrechts (vgl § 162 SGG ) mit höherrangigem Recht aufgeworfen. Vielmehr zielen die Fragestellungen auf die Klärung und Bewertung von Tatsachen ab und beinhalten im Kern letztlich Fragen der Beweiswürdigung und der Sachaufklärung. Die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann aber nicht mit der Behauptung verlangt werden, das LSG habe gegen den Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung verstoßen. Das gilt nicht nur für den Fall, dass die Beschwerde ausdrücklich eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG geltend macht, sondern auch dann, wenn sie ihre Angriffe gegen die Beweiswürdigung des LSG in das Gewand einer Grundsatzrüge zu kleiden versucht. Ein Beschwerdeführer kann diese gesetzlichen Beschränkungen der Verfahrensrüge in § 160 Abs 2 Nr 3 SGG - soweit sie reichen - nicht erfolgreich dadurch umgehen, dass er die Rügen in Fragen von grundsätzlicher Bedeutung kleidet (vgl BSG Beschluss vom 14.2.2020 - B 9 V 41/19 B - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 28.2.2018 - B 1 KR 65/17 B - juris RdNr 5). Die Klägerin zeigt nicht auf, dass es hier um Fragen von grundsätzlicher Bedeutung geht, bei denen die gesetzlichen Beschränkungen der Verfahrensrüge nicht greifen.

Selbst wenn man die von der Klägerin formulierten Fragen in Rechtsfragen "umdeuten" könnte und wollte, hat sie es unterlassen, die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Fragestellungen darzulegen. Sie geht nicht darauf ein, inwieweit die Fragen bereits durch Gesetz oder höchstrichterliche Rechtsprechung insbesondere zu § 103 SGG geklärt sind. Denn das Bedürfnis für die Klärung einer Rechtfrage in einem Revisionsverfahren fehlt, wenn ihre Beantwortung nach der dazu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung keinem vernünftigen Zweifel unterliegt, die Frage also bereits geklärt ist (vgl zB BSG Beschluss vom 7.3.2019 - B 9 V 40/18 B - juris RdNr 7 mwN).

2. Dass die Klägerin die Berufungsentscheidung inhaltlich für unrichtig hält, kann als solches nicht zur Zulassung der Revision führen (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 11.8.2021 - B 9 V 64/20 B - juris RdNr 14; BSG Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 4).

3. Der Senat war nicht verpflichtet, den Prozessbevollmächtigten der Klägerin entsprechend seiner Bitte in der Beschwerdebegründung um einen rechtlichen Hinweis "soweit weitere Ausführungen als nötig erachtet werden", vorab auf die Unzulänglichkeit des Beschwerdevortrags aufmerksam zu machen. Das Gesetz unterstellt, dass ein Rechtsanwalt in der Lage ist, Formerfordernisse einzuhalten; gerade dies ist ein Grund für den Vertretungszwang vor dem BSG gemäß § 73 Abs 4 SGG . § 106 Abs 1 SGG gilt insoweit nicht. Ein Rechtsanwalt muss in der Lage sein, ohne Hilfe durch das Gericht eine Nichtzulassungsbeschwerde ordnungsgemäß zu begründen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 29.5.2019 - B 9 V 15/19 B - juris RdNr 15 mwN).

4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ).

5. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 169 Satz 2 und 3 SGG ).

6. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Berlin-Brandenburg, vom 22.04.2021 - Vorinstanzaktenzeichen L 11 VE 26/19
Vorinstanz: SG Cottbus, vom 26.06.2019 - Vorinstanzaktenzeichen S 17 VE 192/17