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BSG - Entscheidung vom 12.08.2021

B 3 P 25/20 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3
SGG § 116 S. 2

BSG, Beschluss vom 12.08.2021 - Aktenzeichen B 3 P 25/20 B

DRsp Nr. 2021/14677

Anspruch auf Erstattung von Kosten einer Grundpflege aus der sozialen Pflegeversicherung Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren Verletzung eines Fragerechts

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 21. Juli 2020 wird zurückgewiesen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 ; SGG § 116 S. 2;

Gründe

I

Das LSG hat mit Urteil vom 21.7.2020 einen Anspruch des Klägers auf Erstattung von Kosten der Grundpflege, der hauswirtschaftlichen Versorgung und der allgemeinen Beaufsichtigung aus der sozialen Pflegeversicherung in der Zeit vom 1.11.2012 bis 31.12.2016 verneint.

Der 1949 geborene Kläger beantragte im November 2012 bei der beklagten Pflegekasse Pflegeleistungen in Form von Sachleistungen (ambulanter Pflegedienst). Der Antrag blieb erfolglos, weil der Kläger in der Grundpflege keinen Hilfebedarf benötige (Bescheid vom 10.12.2012, Widerspruchsbescheid vom 30.9.2013). Die Beklagte lehnte auch den Antrag auf Gewährung von Leistungen zur Betreuung ab, da die Alltagskompetenz nicht erheblich eingeschränkt sei (Bescheid vom 21.5.2014, Widerspruchsbescheid vom 30.4.2015). Ebenso blieben das Klageverfahren (Gerichtsbescheid SG Würzburg vom 23.6.2016) und die Berufung des Klägers ohne Erfolg . Im Berufungsverfahren hat das LSG ein Gutachten nach Aktenlage eingeholt (M vom 1.2.2020). Gegen die Beauftragung der Sachverständigen hatte der Kläger Einwände erhoben, weil er eine persönliche Untersuchung in häuslicher Umgebung durch einen männlichen Sachverständigen wünschte. Nach Erhebung von Einwänden gegen das Gutachten hat der Kläger beantragt, die Sachverständige zur Anhörung und Erläuterung ihres Gutachtens zu laden. In der mündlichen Verhandlung, zu der die Sachverständige nicht geladen war und der Kläger nicht erschienen ist, hat das LSG seine Berufung zurückgewiesen: Der Kläger habe sein Begehren auf Gewährung von ambulanten Pflegeleistungen ab 1.1.2017 nicht mehr aufrechterhalten. Ein Anspruch auf Kostenerstattung für Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung (iH von 973,40 Euro) in Zeiträumen von Ende 2012 bis 2016 bestehe nicht. Dies ergebe sich aus den zutreffenden Ausführungen der erstinstanzlichen Entscheidung, denen sich der Senat nach eigener Prüfung anschließe. Die vom Senat durchgeführte Beweisaufnahme habe dieses Ergebnis auf der Grundlage des Gutachtens der M bestätigt. Dem Wunsch des Klägers auf eine aktuelle, persönliche Begutachtung zuhause sei nicht zu entsprechen gewesen, weil es um Kostenerstattungsansprüche für einen zurückliegenden Zeitraum gegangen sei. Die geltend gemachten Internetbewertungen über die Sachverständige seien von keiner Relevanz gewesen. Der Senat habe sich nicht gedrängt gesehen, den Sachverhalt weiter medizinisch zu ermitteln.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil richtet sich die Beschwerde des Klägers. Er beruft sich auf Verfahrensmängel 160 Abs 2 Nr 3 SGG ).

II

Die Beschwerde des Klägers ist unbegründet. Soweit der Kläger Verfahrensmängel formgerecht bezeichnet hat 160a Abs 2 Satz 3 SGG ), liegen keine Verfahrensfehler vor, die zu einer Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache nach § 160a Abs 5 SGG führen könnten. Die Beschwerde des Klägers war daher zurückzuweisen. Die Entscheidung ergeht unter Zuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss (vgl § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 SGG ).

1. Wenn der Kläger geltend macht, das LSG habe es verfahrensfehlerhaft unterlassen, seinen Ablehnungsantrag gegen die Bestellung der Sachverständigen M förmlich zu bescheiden, liegt darin kein Verfahrensmangel. Nach § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 60 SGG bzw § 406 Abs 1 bis 4 ZPO , § 42 ZPO kann ein gerichtlich bestellter Sachverständiger wegen Besorgnis der Befangenheit auf Antrag eines Beteiligten abgelehnt werden. Bereits aus dem Vorbringen des Klägers ergibt sich, dass er keinen solchen Ablehnungsantrag gestellt hat, den das LSG vor seiner abschließenden Entscheidung durch Beschluss hätte bescheiden müssen (stRspr; vgl nur BSG SozR 3-1500 § 170 Nr 5 und § Nr 13; BSGE 84, 281 ). Den Schriftsätzen des Klägers ist nicht zu entnehmen, dass er sich gegen die Unvoreingenommenheit der Sachverständigen gewendet hat oder er dort andere Umstände vorgetragen hat, aus denen sich Anlass zur Besorgnis ihrer Befangenheit hätten ergeben können (zu solchen Ablehnungsgründen vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller ua, 13. Aufl 2020, SGG , § 118 RdNr 12j mwN zur Rspr). Dazu reicht es nicht aus nur zu behaupten, dass sich negative Bewertungen über die Sachverständige im Internet finden ließen. Vielmehr durfte das LSG aus dem im späteren Schriftsatz des Klägers gestellten Antrag, die Sachverständige persönlich zur Erörterung ihres Gutachtens zur mündlichen Verhandlung zu laden, den Schluss ziehen, dass der Kläger nunmehr seine Einwendungen auf die gerichtliche Anordnung der schriftlichen Begutachtung und auf den Inhalt dieses Gutachtens konzentriert hatte.

2. Soweit der Kläger eine Verletzung seines Fragerechts nach § 116 Satz 2 SGG rügt, liegt auch hierin kein zur Aufhebung des angefochtenen Urteils führender Verfahrensmangel. Wenn das LSG die Sachverständige nicht zur mündlichen Verhandlung geladen hat, hat es das Frage- und Anhörungsrecht des Klägers nicht verletzt. Zwar sind Beteiligte nach § 116 Satz 2 SGG , § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm §§ 397 , 402 und 411 Abs 3 und 4 ZPO berechtigt, dem Sachverständigen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die sie zur Aufklärung der Sache für dienlich erachten (stRspr; vgl nur BSG SozR 4-1500 § 116 Nr 1). Da die Rüge der Verletzung des Rechts auf Befragung eines Sachverständigen letztlich eine Gehörsrüge darstellt, müssen deren Voraussetzungen erfüllt sein. Insbesondere muss der Beschwerdeführer alles getan haben, um eine Anhörung des Sachverständigen zu erreichen (BSGE 68, 205 , 210 = SozR 3-2200 § 667 Nr 1 S 6; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 22; BSG SozR 4-1500 § 116 Nr 1 RdNr 7). Dieser Obliegenheit ist ein Beteiligter jedenfalls dann nachgekommen, wenn er rechtzeitig den Antrag gestellt hat, einen Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens anzuhören und er Fragen im oben dargestellten Sinne angekündigt hat, die objektiv sachdienlich sind; liegen diese Voraussetzungen vor, muss das Gericht dem Antrag folgen, soweit er aufrechterhalten bleibt (vgl BSG SozR 4-1500 § 62 Nr 4 RdNr 5; BSG SozR 4-1500 § 116 Nr 1 RdNr 7). Ein solcher Antrag muss bei anwaltlich vertretenen Klägern regelmäßig bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung aufrechterhalten bleiben, dh zu Protokoll erklärt werden (vgl BSG SozR 4-1500 § 62 Nr 4 RdNr 3 ff; BSG SozR 4-1500 § 116 Nr 1 RdNr 7, vgl auch Keller, aaO § 118 RdNr 12e).

Bei - wie hier - nicht anwaltlich vertretenen Beteiligten sind zwar weniger strenge formale Anforderungen zu stellen, doch muss auch ein nicht anwaltlich vertretener Kläger dem Gericht gegenüber klar signalisieren und deutlich machen, dass er noch Aufklärungsbedarf sieht (vgl BSG Beschluss vom 24.7.2012 - B 2 U 103/12 B - juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 22.7.2010 - B 13 R 585/09 B - juris RdNr 11; BSG Beschluss vom 27.7.2016 - B 1 KR 38/16 B - BeckRS 2016, 71397 RdNr 4). Ob eine solche Prozesslage hier bestand, wenn die zunächst anberaumte mündliche Verhandlung auf Antrag des Klägers verlegt wurde, die Neuterminierung ohne Ladung der Sachverständigen erfolgte und der Kläger trotz ordnungsgemäßer Benachrichtigung vom Termin der mündlichen Verhandlung ohne Angaben von Gründen zu diesem nicht erschienen ist, kann offenbleiben. Aus diesem Geschehen konnte das LSG nach den Gesamtumständen des Einzelfalls den Schluss ziehen, dass das Interesse des Klägers, die Sachverständige hören zu wollen, nicht mehr bestand. Gründe, weshalb der Kläger zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen ist, hat er auch in der Beschwerdebegründung nicht dargelegt.

Ungeachtet dessen fehlt es jedenfalls für eine Verletzung des Fragerechts iS von § 116 Satz 2 SGG iVm dem Anspruch auf rechtliches Gehör 62 SGG iVm Art 103 Abs 1 GG ) an der Darlegung einer objektiv sachdienlichen Fragestellung. Denn wie dem Kläger bereits mit gerichtlichem Schreiben vom 4.5.2020 zutreffend mitgeteilt worden ist, bezogen sich seine Einwendungen wegen der unterbliebenen Berücksichtigung von medizinischen Befunden nur auf aktuelle Zeiträume ab 2020 und auf ältere Zeiträume aus 2008/2009, die für den streitigen Zeitraum (November 2012 bis Ende 2016) nicht von Relevanz für das Berufungsverfahren waren. Die Sachverständige hat die Beurteilung der gesundheitlichen Einschränkungen des Klägers auftragsgemäß auf den streitigen Zeitraum bezogen. Daher hielten sich die Einwendungen des Klägers schon nicht im Rahmen des Beweisthemas.

3. Das LSG hätte sich daher auch nicht gedrängt sehen müssen, den Sachverhalt weiter zu aufzuklären (stRspr; zB BSG Beschluss vom 7.4.2011 - B 9 SB 47/10 B - juris RdNr 4; BSG Beschluss vom 13.2.2019 - B 6 KA 14/18 B - juris RdNr 8). Wenn der Kläger mit der Rüge der gerichtlichen Anordnung eines Gutachtens nach Aktenlage sinngemäß auch die Rüge fehlender weiterer Sachverhaltsermittlung 103 SGG ) mangels persönlicher Begutachtung durch einen Sachverständigen erhebt, liegt ein Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht nach § 103 SGG gleichwohl nicht vor. Selbst wenn hier ein prozessordnungsgemäßer Beweisantrag gestellt worden wäre, hat das LSG keine entscheidungserheblichen Fragen übergangen und es musste einem solchen Antrag auch nicht weiter nachgehen. Das LSG hat in seinen Entscheidungsgründen zutreffend ausgeführt, dass von einer weiteren Begutachtung des aktuellen Gesundheitszustandes des Klägers keine zusätzlichen Erkenntnisse für Kostenerstattungsansprüche im zurückliegenden Zeitraum von Ende 2012 bis 2016 aus der sozialen Pflegeversicherung zu erwarten gewesen wären.

4. Soweit der Kläger das Fehlen von Entscheidungsgründen nach § 136 Abs 1 Nr 6 SGG rügt, liegt auch deshalb kein Verfahrensfehler vor. Die hier erfolgte Bezugnahme des LSG auf die Entscheidungsgründe des SG hält sich im zulässigen Rahmen von § 153 Abs 2 SGG . Das Urteil entspricht ganz offensichtlich den Anforderungen an die Entscheidungsgründe nach § 136 Abs 1 Nr 6 SGG . Ein Urteil ist nur dann nicht mit ausreichenden Entscheidungsgründen versehen, wenn ihm hinreichende Gründe objektiv nicht entnommen werden können, etwa weil die angeführten Gründe unverständlich oder verworren sind (vgl im Einzelnen BSG SozR Nr 9 zu § 136 SGG und BSG SozR 1500 § 136 Nr 8). Das ist hier ganz offensichtlich nicht der Fall, da sich aus den Entscheidungsgründen hinlänglich ergibt, auf welchen Erwägungen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht die Entscheidung beruht.

Bei der gerügten Formulierung auf Seite 8 (s zu 2.a., dass der Kläger "diese Voraussetzungen erfüllt") handelt es sich im Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ganz offensichtlich um einen Schreibfehler, der durch das Fehlen des Wortes "nicht" entstanden ist. Der Kläger hätte die Berichtigung des Urteils jederzeit beim LSG nach § 138 SGG beantragen können. Von dieser Heilungsmöglichkeit hat der Kläger aber keinen Gebrauch gemacht. Ein zur Zulassung der Revision führender Verfahrensmangel liegt aber nicht vor, wenn der Mangel auch auf andere (einfachere) Weise behoben werden kann, zB durch Urteilsberichtigung oder -ergänzung (vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 4 Leitsatz und RdNr 4; BSG vom 13.4.2000 - B 7 AL 222/99 B - juris). In einem solchen Fall fehlt es - wie hier - an dem für eine Nichtzulassungsbeschwerde erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis (vgl BSG Beschluss vom 6.2.2018 - B 3 KR 40/17 B - juris RdNr 11 ).

5. Soweit der Kläger darüber hinaus die Beweiswürdigung des LSG rügt, sind solche Mängel bereits nach § 128 Abs 1 Satz 1 SGG nicht Gegenstand des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde. Auch die vermeintlich inhaltliche Unrichtigkeit des Urteils des LSG stellt keinen gesetzlichen Zulassungsgrund der Revision dar (vgl § 160 Abs 2 Nr 1 bis 3 SGG ).

6. Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Bayern, vom 21.07.2020 - Vorinstanzaktenzeichen L 5 P 44/16
Vorinstanz: SG Würzburg, vom 23.06.2016 - Vorinstanzaktenzeichen S 9 P 52/15