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BSG - Entscheidung vom 25.10.2021

B 9 V 27/21 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1

BSG, Beschluss vom 25.10.2021 - Aktenzeichen B 9 V 27/21 B

DRsp Nr. 2022/604

Anspruch auf Beschädigtenversorgung Mehrjährige rechtsstaatswidrige Haft in der DDR Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren

Tenor

Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 15. April 2021 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt M K aus A beizuordnen, wird abgelehnt.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im vorgenannten Urteil wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 ;

Gründe

I

In dem der Beschwerde und dem Antrag auf Prozesskostenhilfe (PKH) zugrunde liegenden Rechtsstreit macht der Kläger einen Anspruch auf Beschädigtenversorgung nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz geltend. Insbesondere wurde vor dem LSG über die Frage gestritten, ob bei ihm Schädigungsfolgen in Form vor allem psychiatrischer Erkrankungen bestehen, die auf Zeiten anerkannter rechtsstaatswidriger Inhaftierungen in der DDR zurückzuführen sind. Das LSG hat einen Versorgungsanspruch verneint (Urteil vom 15.4.2021).

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt, mit der er die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend macht und eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht durch das LSG rügt. Zugleich hat er für die Durchführung des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens PKH unter Beiordnung von Rechtsanwalt M K aus A beantragt.

II

1. Der Antrag des Klägers auf PKH ist abzulehnen.

Gemäß § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Abs 1 Satz 1 ZPO kann einem bedürftigen Beteiligten für das Verfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, weil die vom Kläger eingelegte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angegriffenen Entscheidung des LSG nicht erfolgreich sein kann. Der Kläger hat PKH für eine von einem beim BSG zugelassenen Prozessbevollmächtigten bereits eingelegte und bis zum Ablauf der Begründungsfrist bereits begründete Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision beantragt. Die Revision wäre daher nur zuzulassen, wenn mit dieser Beschwerde einer der in § 160 Abs 2 Nr 1 bis 3 SGG genannten Zulassungsgründe in der gemäß § 160a Abs 2 Satz 3 SGG vorgeschriebenen Form dargelegt oder bezeichnet wäre. Das ist hier nicht der Fall (hierzu sogleich unter 2.).

Mit der Ablehnung des Antrags auf PKH entfällt zugleich die Möglichkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der PKH 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO ).

2. Die unabhängig vom Antrag auf PKH eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Beschwerdebegründung genügt nicht der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Form. Der Kläger hat die von ihm geltend gemachten Zulassungsgründe, die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) sowie eines Verfahrensmangels 160 Abs 2 Nr 3 SGG ) in Form einer Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes 103 SGG ), nicht in der danach vorgeschriebenen Weise dargetan.

a) Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG , wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sogenannte Breitenwirkung) darlegen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 8.3.2021 - B 9 BL 3/20 B - juris RdNr 14; BSG Beschluss vom 2.5.2017 - B 5 R 401/16 B - juris RdNr 6).

Der Kläger misst folgenden Fragen grundsätzliche Bedeutung zu:

"1. Ist eine mehrjährige rechtsstaatswidrige Haft in der DDR typischerweise geeignet, eine tiefgreifende Persönlichkeitsstörung nach ICD 10: F 43.1 bzw. ICD 10: F 62.0 hervorzurufen, wenn der Betroffene nicht tatsächlich einer Todesgefahr ausgesetzt oder gefoltert wurde?

2. Ist eine mehrjährige rechtsstaatswidrige Haft in der DDR, in welcher der Betroffene über eine Zeitdauer von mehreren Monaten in Isolations- und Einzelhaft einsaß, typischerweise geeignet, eine Extremsituation i.S. der ICD 10 F43.1 bzw. F62.0 dar(zu)stellen, die einen ursächlichen Zusammenhang mit einer Persönlichkeitsveränderung als grundsätzlich wahrscheinlich ansehen lässt?"

Damit und mit den folgenden Ausführungen in der Beschwerdebegründung hat der Kläger schon keine hinreichend konkrete Rechtsfragen zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer bestimmten revisiblen Norm des Bundesrechts (vgl § 162 SGG ) mit höherrangigem Recht aufgeworfen und den vom Revisionsgericht erwarteten klärenden Schritt für deren Beantwortung ausreichend konkret dargelegt. Vielmehr zielen seine Fragen auf abstrakte Aussagen zu den möglichen Ursachen bestimmter in der ICD-10 gelisteter Krankheitsbilder. Hierbei handelt es sich jedoch um medizinische Sachverhalte, zu deren Aufklärung, zB mittels Sachverständigenbeweises 118 Abs 1 Satz 1 SGG , § 403 ZPO ), die Tatsachengerichte ( SG und LSG) berufen sind. Dass die von ihm formulierten Fragen zugleich die Auslegung revisiblen Rechts berühren könnten, hat der Kläger nicht dargelegt. Ebenso wenig hat er aufgezeigt, dass es sich bei den von ihm angesprochenen medizinischen Fragestellungen um generelle Tatsachen (vgl BSG Urteil vom 15.12.2016 - B 9 V 3/15 R - BSGE 122, 218 = SozR 4-3800 § 1 Nr 23, RdNr 43 mwN) handelt, die das BSG ausnahmsweise selbst ermitteln und bewerten könnte.

b) Darüber hinaus genügt die Beschwerdebegründung nicht den Anforderungen aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG , soweit sich der Kläger auf einen Verfahrensmangel beruft.

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, müssen für die Bezeichnung des Verfahrensmangels die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Diese Darlegungsanforderungen erfüllt die Beschwerdebegründung nicht.

Als Verfahrensmangel rügt der Kläger ausschließlich eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsprinzip). Dieses sieht er insbesondere dadurch verletzt, dass das LSG seiner Anregung nichtmedizinische Tatsachen, ua zu seiner Biografie, in einem Erörterungstermin aufzuklären, nicht nachgekommen ist. Das Gutachten des Sachverständigen U, dem das LSG letztendlich gefolgt sei, habe anders als das Gutachten des Sachverständigen V eine falsche Darstellung seines Lebenslaufs enthalten. Die Widersprüche auch zu seinem eigenen Vortrag hätte das LSG aufklären müssen. Zugleich hätte es darlegen müssen, warum der Tatsachendarstellung des U mehr zu glauben gewesen sei, als seiner (des Klägers) und der des V.

Die Geltendmachung eines Verfahrensmangels wegen Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsprinzip) kann - wie bereits ausgeführt - gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG nur darauf gestützt werden, dass das LSG einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Zudem kann ein - wie hier - in der Berufungsinstanz rechtsanwaltlich vertretener Beteiligter nur dann mit der Rüge des Übergehens eines Beweisantrags gehört werden, wenn er diesen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung durch entsprechenden Hinweis zu Protokoll aufrechterhalten hat oder das Gericht den Beweisantrag in seiner Entscheidung wiedergibt (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 25.9.2017 - B 9 SB 51/17 B - juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN). Dies wird mit der Beschwerdebegründung nicht dargetan. Vielmehr spricht der Kläger selbst davon, mit Schriftsatz vom 23.10.2018 lediglich eine "Anregung" zur Durchführung eines Erörterungstermins mit dem Ziel der Aufklärung nichtmedizinischer Tatsachen gegeben zu haben. Dass er in Bezug auf die von ihm für ungenügend aufgeklärt angesehenen Tatsachen - wie erforderlich - einen prozessordnungsgerechten Beweisantrag 118 Abs 1 Satz 1 SGG ) gestellt und bis zum Ende der mündlichen Verhandlung aufrechterhalten habe, wird mit der Beschwerdebegründung entgegen § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG nicht vorgetragen.

Ebenfalls nicht formgerecht begründet ist die Beschwerde, soweit der Kläger zumindest sinngemäß eine fehlerhafte Beweis- bzw Sachverhaltswürdigung durch das LSG rügt, weil dieses dem auf falschen Tatsachen beruhenden Gutachten des U gefolgt sei und dies zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht habe. Dies gilt zugleich für die Rüge, das LSG sei seinem Hinweis nicht gefolgt, wonach die Diagnose ICD-10 F 94.1 ausschließlich Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern unter 15 Jahren betreffe. Auf solche Rügen der Verletzung der Grundsätze über die freie Beweiswürdigung 128 Abs 1 Satz 1 SGG ) kann die Beschwerde nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG - wie oben ebenfalls bereits ausgeführt - von vornherein nicht gestützt werden.

c) Dass der Kläger das Berufungsurteil inhaltlich für unrichtig hält, kann als solches nicht zur Zulassung der Revision führen (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 28.10.2020 - B 10 EG 1/20 BH - juris RdNr 11; BSG Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 4).

d) Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ).

3. Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Thüringen, vom 15.04.2021 - Vorinstanzaktenzeichen L 5 VE 208/18
Vorinstanz: SG Nordhausen, vom 07.09.2017 - Vorinstanzaktenzeichen S 25 VE 3207/13