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BGH - Entscheidung vom 21.04.2021

VII ZB 40/20

Normen:
ZPO § 770
ZPO § 1084 Abs. 2 S. 2

Fundstellen:
BauR 2021, 1504

BGH, Beschluss vom 21.04.2021 - Aktenzeichen VII ZB 40/20

DRsp Nr. 2021/9397

Zwangsvollstreckung auf Grundlage eines in Spanien erlassenen Gerichtsbeschlusse

Die Beschwerdekammer ist außer in Fällen, in denen die originäre Zuständigkeit des Einzelrichters zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde zweifelhaft ist (§ 348 Abs. 2 ZPO analog), nicht befugt, selbst über die Übertragung eines in die originäre Zuständigkeit des Einzelrichters fallenden Beschwerdeverfahrens zu entscheiden. Insoweit ist unerheblich, ob der Einzelrichter an einem solchen Kammerbeschluss mitwirkt, weil es nach § 568 Satz 2 ZPO alleinige Entscheidungskompetenz des Einzelrichters ist, ob die Voraussetzungen für eine Übertragung auf die Kammer vorliegen; auch die - wie hier - von der Einzelrichterin verfügte Vorlage der Sache an die Kammer kann - selbst in Verbindung mit dem späteren, ebenfalls von der Einzelrichterin mitunterzeichneten Übernahmebeschluss des Kammerkollegiums - die insoweit gebotene eigene Entscheidung der Einzelrichterin in Form eines Übertragungsbeschlusses nicht ersetzen.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Schuldnerin wird der Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Paderborn vom 10. Dezember 2020 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Die Zwangsvollstreckung aus dem Certificado de Título Ejecutivo Europeo - Resolución Judicial vom 23. Juni 2020 zur Entscheidung des Arbeits- und Sozialgerichts Nr. 2 Palma de Mallorca vom 13. Februar 2013 (Verfahrensnummer: ) in das Vermögen der Schuldnerin bleibt gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 54.000 € bis zur erneuten Entscheidung des Beschwerdegerichts eingestellt (§ 1084 Abs. 2 Satz 2, § 770 ZPO ).

Normenkette:

ZPO § 770 ; ZPO § 1084 Abs. 2 S. 2;

Gründe

I.

Der Gläubiger betreibt gegen die Schuldnerin die Zwangsvollstreckung auf Grundlage eines in Spanien erlassenen Gerichtsbeschlusses ("auto"), welchen das spanische Gericht auf Antrag des Gläubigers als Europäischen Vollstreckungstitel nach der Verordnung (EG) Nr. 805/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen ( EuVTVO ) bestätigt hatte.

Nach Ankündigung der Zwangsvollstreckung durch den Gerichtsvollzieher hat die Schuldnerin "Erinnerung nach § 766 ZPO " eingelegt. Gegen den die Erinnerung zurückweisenden Beschluss des Amtsgerichts hat die Schuldnerin sofortige Beschwerde eingelegt.

Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens hat die zuständige Einzelrichterin der Beschwerdekammer am 9. Dezember 2020 verfügt, dass der Rechtsstreit "der Kammer zur Entscheidung über eine Übernahme vorgelegt wird, weil die Sache besondere Schwierigkeiten tatsächlicher und rechtlicher Art aufweist." Mit Beschluss vom selben Tag hat die mit drei Mitgliedern - unter Einbeziehung der Einzelrichterin - vollbesetzte Beschwerdekammer beschlossen, den Rechtsstreit wegen besonderer Schwierigkeiten tatsächlicher und rechtlicher Art zu übernehmen.

Die Beschwerdekammer hat die sofortige Beschwerde der Schuldnerin zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt die Schuldnerin ihren Antrag auf Unzulässigerklärung der Zwangsvollstreckung weiter.

II.

Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.

1. Die Rechtsbeschwerde ist aufgrund ihrer wirksamen Zulassung durch die Kammer gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 , Abs. 3 Satz 2 ZPO statthaft und, da sie gemäß den Erfordernissen des § 575 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden ist, im Übrigen ebenfalls zulässig.

2. In der Sache hat die Rechtsbeschwerde schon deshalb Erfolg, weil die Schuldnerin zu Recht rügt, dass das Beschwerdegericht entgegen § 568 Satz 1 ZPO nicht durch den Einzelrichter, sondern durch die Kammer entschieden hat.

a) Nach § 568 Satz 1 ZPO entscheidet das Beschwerdegericht durch eines seiner Mitglieder als Einzelrichter, wenn die angefochtene Entscheidung von einem Einzelrichter oder einem Rechtspfleger erlassen worden ist. Hier hat über die Erinnerung der Schuldnerin die Amtsrichterin entschieden. In einem solchen Fall ist die vollbesetzte Kammer (§§ 70 , 75 GVG ) gemäß § 568 Satz 2 ZPO nur dann zur Entscheidung über die Beschwerde berufen, wenn der Einzelrichter durch eine gesonderte Entscheidung das Verfahren dem Beschwerdegericht zur Entscheidung in der im Gerichtsverfassungsgesetz vorgeschriebenen Besetzung übertragen hat. Dies setzt einen entsprechenden Beschluss des Einzelrichters voraus (BGH, Beschluss vom 21. September 2017 - IX ZB 84/16 Rn. 10, MDR 2017, 1447 ; Beschluss vom 30. April 2020 - I ZB 61/19 Rn. 23, BGHZ 225, 252 ).

b) An einem solchen Beschluss fehlt es im Streitfall. Die Kammer hat die Sache mit Beschluss vom 9. Dezember 2020 selbst übernommen. Dies war verfahrensfehlerhaft. Die Beschwerdekammer ist außer in Fällen, in denen die originäre Zuständigkeit des Einzelrichters zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde zweifelhaft ist (§ 348 Abs. 2 ZPO analog; vgl. BGH, Beschluss vom 16. September 2003 - X ARZ 175/03, BGHZ 156, 147 , juris Rn. 15), nicht befugt, selbst über die Übertragung eines in die originäre Zuständigkeit des Einzelrichters fallenden Beschwerdeverfahrens zu entscheiden. Insoweit ist unerheblich, ob der Einzelrichter an einem solchen Kammerbeschluss mitwirkt, weil es nach § 568 Satz 2 ZPO alleinige Entscheidungskompetenz des Einzelrichters ist, ob die Voraussetzungen für eine Übertragung auf die Kammer vorliegen (BGH, Beschluss vom 21. September 2017 - IX ZB 84/16 Rn. 11, MDR 2017, 1447 ; Beschluss vom 30. April 2020 - I ZB 61/19 Rn. 24, BGHZ 225, 252 ). Die im Streitfall von der Einzelrichterin verfügte Vorlage der Sache an die Kammer kann - auch in Verbindung mit dem späteren, ebenfalls von der Einzelrichterin mitunterzeichneten Übernahmebeschluss des Kammerkollegiums - die insoweit gebotene eigene Entscheidung der Einzelrichterin in Form eines Übertragungsbeschlusses nicht ersetzen.

c) Die Bestimmung des § 568 Satz 3 ZPO , wonach auf eine erfolgte oder unterlassene Übertragung ein Rechtsmittel nicht gestützt werden kann, steht der Erheblichkeit des Verfahrensfehlers nicht entgegen. Es besteht kein Streit darüber, ob die Einzelrichterin das Verfahren zu Recht nach § 568 Satz 2 ZPO der Kammer übertragen hat. Vielmehr hat die Einzelrichterin insoweit keine Entscheidung getroffen. Dieser Fall wird von § 568 Satz 3 ZPO nicht erfasst (BGH, Beschluss vom 21. September 2017 - IX ZB 84/16 Rn. 12, MDR 2017, 1447 ; Beschluss vom 30. April 2020 - I ZB 61/19 Rn. 25, BGHZ 225, 252 ).

d) Da das Beschwerdegericht nach alledem zu Unrecht entgegen § 568 Satz 1 ZPO nicht durch die Einzelrichterin, sondern durch die Beschwerdekammer entschieden hat, war es nicht vorschriftsmäßig besetzt (§ 576 Abs. 3 , § 547 Nr. 1 ZPO ). Angesichts dieses absoluten Rechtsbeschwerdegrunds ist es unerheblich, ob sich der angefochtene Beschluss aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 577 Abs. 3 ZPO ). Vielmehr sind gemäß § 577 Abs. 4 ZPO der fehlerhaft ergangene Beschluss aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen (BGH, Beschluss vom 21. September 2017 - IX ZB 84/16 Rn. 13, MDR 2017, 1447 ; Beschluss vom 30. April 2020 - I ZB 61/19 Rn. 26, BGHZ 225, 252 ). Bei dem Beschwerdegericht ist nach § 75 GVG , § 568 Satz 1 ZPO der Einzelrichter - vorbehaltlich einer Übertragung des Verfahrens auf die vollbesetzte Kammer - zur Entscheidung berufen.

Vorinstanz: AG Paderborn, vom 18.10.2020 - Vorinstanzaktenzeichen 13 M 633/20
Vorinstanz: LG Paderborn, vom 10.12.2020 - Vorinstanzaktenzeichen 5 T 265/20
Fundstellen
BauR 2021, 1504