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BGH - Entscheidung vom 13.04.2021

VI ZB 50/19

Normen:
ZPO § 520 Abs. 3 S. 2
ZPO § 577 Abs. 4
ZPO § 520 Abs. 3 S. 2
ZPO § 577 Abs. 4
ZPO § 520 Abs. 3
ZPO § 577

Fundstellen:
NJW-RR 2021, 789
VersR 2022, 976

BGH, Beschluss vom 13.04.2021 - Aktenzeichen VI ZB 50/19

DRsp Nr. 2021/8344

Zurückverweisung eines Verfahrens wegen der Geltendmachung eines Anspruchs auf Schadensersatz wegen des Einbaus einer Abschaltvorrichtung in ein KfZ an das Berufungsgericht; Voraussetzungen einer ausreichenden Berufungsbegründung

Zu den Voraussetzungen einer ausreichenden Berufungsbegründung.

Im Hinblick auf die Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO an eine Berufungsbegründung ist die Mitteilung der Umstände, die aus der Sicht des Berufungsklägers den Bestand des angefochtenen Urteils gefährden, grundsätzlich erforderlich aber auch ausreichend; die Vorschrift stellt keine besonderen formalen Anforderungen hierfür auf. Dabei genügt es auch, wenn der Berufungsbegründung - wie hier - durch im Vergleich zur ersten Instanz geänderte Klageanträge in (noch) ausreichender Weise entnommen werden kann, wie der Kläger das erstinstanzliche Urteil bekämpft. Ohne Bedeutung für die Zulässigkeit der Berufung ist, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 13. Juni 2019 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt bis 40.000 €.

Normenkette:

ZPO § 520 Abs. 3 ; ZPO § 577 ;

Gründe

I.

Der Kläger erwarb im August 2016 von einem Dritten einen gebrauchten BMW 520d zu einem Kaufpreis von 20.500 €. Unter anderem mit der Behauptung, das Fahrzeug sei mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung hinsichtlich der Abgasreinigung ausgerüstet, die erkenne, ob sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand befinde, und dafür sorge, dass die NOX-Grenzwerte (nur) auf dem Prüfstand eingehalten würden, nimmt er die Beklagte als Herstellerin des Fahrzeugs auf Schadensersatz in Anspruch.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe bereits nicht hinreichend vorgetragen, dass sein Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüstet sei. Daneben habe er auch einen ihm entstandenen Schaden nicht dargelegt.

Das Oberlandesgericht hat die dagegen gerichtete Berufung des Klägers mit dem angefochtenen Beschluss gemäß § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Berufung sei nicht in der gesetzlichen Form des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO begründet. Das Landgericht habe die Abweisung der Klage auf zwei voneinander unabhängige rechtliche Gründe gestützt, von denen jeder für sich die Entscheidung trage. Eine ausreichende Berufungsbegründung liege vor diesem Hintergrund nur vor, wenn beide Gründe in für sich ausreichender Weise angegriffen würden; stelle der Rechtsmittelführer nur einen Grund in Frage, so sei sein Rechtsmittel unzulässig. So liege der Fall hier. Denn das Landgericht habe seine klageabweisende Entscheidung sowohl auf die unzureichende Substantiierung des Vortrags zum Haftungsgrund als auch auf die fehlende Darlegung eines Schadens gestützt. Mit dem zweiten der beiden tragenden Gründe, dem Fehlen eines Schadens, setze sich die Berufungsbegründungsschrift nicht auseinander.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 1 , § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ). Das Berufungsgericht hat im angefochtenen Beschuss die an den Inhalt einer Berufungsbegründung nach § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO zu stellenden Anforderungen überspannt. Es hat damit - wie die Rechtsbeschwerde zu Recht rügt - dem Kläger den Zugang zu den in den Verfahrensordnungen eingerichteten Instanzen in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert und ihn dadurch in seinem aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes verletzt. Die Rechtsbeschwerde ist damit auch begründet.

1. Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben. Dazu gehört eine aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetzt. Erforderlich und ausreichend ist die Mitteilung der Umstände, die aus der Sicht des Berufungsklägers den Bestand des angefochtenen Urteils gefährden; die Vorschrift stellt keine besonderen formalen Anforderungen hierfür auf. Für die Zulässigkeit der Berufung ist auch ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind. Die Berufungsbegründung muss aber auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein. Es reicht nicht aus, die Auffassung des Erstgerichts mit formularmäßigen Sätzen oder allgemeinen Redewendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen in erster Instanz zu verweisen. Dabei ist aber stets zu beachten, dass formelle Anforderungen an die Einlegung eines Rechtsmittels im Zivilprozess nicht weitergehen dürfen, als es durch ihren Zweck geboten ist (zum Ganzen vgl. Senatsbeschluss vom 27. Oktober 2020 - VI ZB 81/19, juris Rn. 7, mwN). Hat das Erstgericht die Abweisung der Klage auf mehrere voneinander unabhängige, selbständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, so muss die Berufungsbegründung jede tragende Erwägung in dieser Weise angreifen (vgl. Senatsbeschluss vom 27. Oktober 2020 - VI ZB 6/20, WM 2020, 2290 Rn. 8).

2. Der erkennende Senat teilt die Auffassung der Rechtsbeschwerde, dass die Berufungsbegründung des Klägers diesen Anforderungen gerecht wird.

a) Das Berufungsgericht zieht zu Recht nicht in Zweifel, dass der in der Berufungsbegründung enthaltene Angriff des Klägers gegen die Würdigung des Landgerichts, der Kläger habe bereits nicht hinreichend vorgetragen, dass sein Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüstet sei, bei isolierter Betrachtung den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO genügt. Der Kläger hat in seiner Berufungsbegründung (insbesondere Seite 4) dargelegt, warum er seinen diesbezüglichen Vortrag anders als das Landgericht für ausreichend hält. Dies genügt.

b) Anders als das Berufungsgericht meint, genügt die Berufungsbegründung des Klägers aber auch in Bezug auf die zweite, das landgerichtliche Urteil selbständig tragende Begründung den Voraussetzungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO .

aa) Das Landgericht hat seine klageabweisende Entscheidung selbständig tragend auch auf die Erwägung gestützt, der Kläger habe keinen ihm entstandenen Schaden dargelegt. Denn - so das Berufungsgericht - seine Behauptung, Dieselfahrzeuge seien mittlerweile unverkäuflich, sei offensichtlich falsch. Einen Vermögensschaden durch "Rückabwicklung" könne er nicht geltend machen, weil er einen entsprechenden Schaden nicht beziffert habe und zudem beabsichtige, sein Fahrzeug zu behalten. Schließlich habe er auch keinen Anspruch auf Ersatz des Nutzungsausfallschadens, denn er sei in seiner Möglichkeit, das Fahrzeug zu benutzen, nicht eingeschränkt.

bb) Insoweit hat der Kläger im Rahmen seiner Berufungsbegründung dargelegt, sein Schaden bestehe unter anderem darin, dass er ein Geschäft abgeschlossen habe, das er bei Kenntnis der Sachlage nicht abgeschlossen hätte (vgl. Seiten 9 und 11 der Berufungsbegründung). Den vom Landgericht insoweit in Bezug auf eine "Rückabwicklung" geäußerten Bedenken - fehlende Bezifferung sowie Absicht, das Fahrzeug zu behalten - ist der Kläger in der Berufungsbegründung bereits durch seine im Vergleich zur ersten Instanz geänderten Klageanträge entgegengetreten. Durch seine Anträge, die Beklagte zur Zahlung von 38.170 € nebst Zinsen Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des von ihm erworbenen BMW zu verurteilen und den Annahmeverzug der Beklagten hinsichtlich der Rücknahme des Fahrzeugs festzustellen, hat er noch ausreichend zum Ausdruck gebracht, einen - nunmehr bezifferten - "Rückabwicklungsschaden" von 38.170 € unter Einschluss des unstreitigen Kaufpreises von 20.500 € zu verlangen und das Fahrzeug nicht (mehr) behalten zu wollen. Auch insoweit ist der Berufungsbegründung mithin in noch ausreichender Weise zu entnehmen, wie der Kläger das landgerichtliche Urteil bekämpft. Ob der Angriff unter prozessualen und materiell-rechtlichen Gesichtspunkten in der Sache greift, ist - wie gezeigt - im Rahmen des § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO ohne Bedeutung.

cc) Dass die in der Berufungsbegründung ebenfalls enthaltenen Ausführungen zur Aktivlegitimation des Klägers am Inhalt des angegriffenen Urteils völlig vorbeigehen, ändert an der Zulässigkeit der Berufung nichts. Die - wie gezeigt - hinreichenden Angriffe auf beide das landgerichtliche Urteil selbständig tragenden Erwägungen werden nicht dadurch entwertet, dass ein weiterer, davon unabhängiger Angriff mit dem Inhalt des angefochtenen Urteils (offensichtlich) nichts zu tun hat.

3. Das Berufungsgericht hat die Berufung daher rechtsfehlerhaft als unzulässig verworfen. Auf die hilfsweise angestellten Überlegungen zur Begründetheit von Berufung und Klage im Hinweisbeschluss kommt es schon deshalb nicht an, weil das Berufungsgericht seine Entscheidung im angefochtenen Beschluss nicht - auch nicht hilfsweise - auf diese Ausführungen stützt. Im Übrigen gelten, wenn eine Berufung als unzulässig verworfen wird, (hilfsweise) Ausführungen des Berufungsgerichts zur Sache für die Revisionsinstanz grundsätzlich als nicht geschrieben (vgl. BGH, Urteil vom 23. Oktober 1998 - LwZR 3/98, NJW 1999, 794 , 795, mwN). Ein Fall, in dem das Rechtsbeschwerdegericht ausnahmsweise auch bei einer von der Vorinstanz als unzulässig verworfenen Berufung auf die Begründetheit der Berufung eingehen und die Rechtsbeschwerde gegen den Verwerfungsbeschluss des Berufungsgerichts mit der Begründung zurückweisen kann, die Berufung sei entgegen der Annahme des Berufungsgerichts zwar zulässig, aber nicht begründet (vgl. BGH, Urteile vom 19. November 1998 - IX ZR 152/98, NJW 1999, 724 , 725; vom 23. Oktober 1998 - LwZR 3/98, NJW 1999, 794 , 795; jeweils mwN), liegt nicht vor. Die Sache ist deshalb zur Entscheidung über die Begründetheit der Berufung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO .

Vorinstanz: LG Koblenz, vom 11.03.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 4 O 165/18
Vorinstanz: OLG Koblenz, vom 13.06.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 3 U 520/19
Fundstellen
NJW-RR 2021, 789
VersR 2022, 976