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BGH - Entscheidung vom 05.05.2021

AnwZ (Brfg) 63/18

Normen:
BRAO § 14 Abs. 2 Nr. 7 Hs. 2
BRAO § 112c Abs. 1 S. 1

BGH, Beschluss vom 05.05.2021 - Aktenzeichen AnwZ (Brfg) 63/18

DRsp Nr. 2021/9164

Widerruf der Zulassung eines Rechtsanwalts zur Rechtsanwaltschaft wegen Vermögensverfalls hinsichtlich der abstrakten Gefährdung der Interessen der rechtsuchenden Mandanten; Anordnung der sofortigen Vollziehung des Widerrufsbescheids als Ausnahmefall

1. Für einen Fortsetzungsfeststellungsantrag entsprechend § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO , § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO ist jedenfalls dann kein Raum, wenn - wie hier - bereits zuvor übereinstimmende Erledigungserklärungen abgegeben wurden. Haben die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt, kommt eine Streitentscheidung in der Sache - mit welchem Inhalt auch immer - nicht mehr in Betracht.2. Im Hinblick auf die Zuständigkeit des Berichterstatters für die gemäß § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO , § 161 Abs. 2 VwGO zu treffende Entscheidung über die Kosten des Verfahrens ergibt sich aus der Beschränkung des § 87a VwGO auf das vorbereitende Verfahren zwar, dass die dort genannten Entscheidungen von dem gesamten Spruchkörper zu treffen sind, soweit sie in oder aufgrund einer mündlichen Verhandlung oder im Zusammenhang mit einer von dem gesamten Spruchkörper erlassenen Sachentscheidung ergehen. Das ist jedoch nicht der Fall, wenn - wie hier - die Entscheidung des Senats das Klageverfahren in der Hauptsache betrifft, die hiesige Kostenentscheidung dagegen das prozessual selbständige und nach besonderen Kriterien zu beurteilende Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes.3. Die sofortige Vollziehung des Widerrufsbescheids nach § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO , § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO darf - als Ausnahmefall - nur angeordnet werden, wenn sie im überwiegenden öffentlichen Interesse zu einer schon vor Bestandskraft der Widerrufsverfügung notwendigen Abwehr konkreter Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter geboten ist. Erste Voraussetzung für eine solche Anordnung ist die hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Widerrufsverfügung Bestandskraft erlangen wird. Wegen des mit der Anordnung verbundenen Eingriffs in die Freiheit der Berufswahl (Art. 12 Abs. 1 GG ) ist jedoch des Weiteren zu verlangen, dass die sofortige Vollziehung als Präventivmaßnahme im überwiegenden öffentlichen Interesse zur Abwehr konkreter Gefahren für die Rechtsuchenden oder die Rechtspflege erforderlich ist. Die aus einem Vermögensverfall des Rechtsanwalts resultierende abstrakte Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden - als Voraussetzung eines Widerrufs nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO - reicht dafür als solche nicht aus.

Tenor

Das Antragsverfahren wird eingestellt. Der Antrag des Klägers vom 5. Mai 2021 auf Feststellung, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Widerrufs seiner Zulassung zur Rechtsanwaltschaft rechtswidrig war, wird als unzulässig verworfen.

Die Kosten des Antragsverfahrens werden der Beklagten auferlegt.

Der Gegenstandswert des Antragsverfahrens wird auf 10.000 € festgesetzt.

Normenkette:

BRAO § 14 Abs. 2 Nr. 7 Hs. 2; BRAO § 112c Abs. 1 S. 1;

Gründe

I.

Der Kläger hat gegen den Widerruf seiner Zulassung zur Rechtsanwaltschaft wegen Vermögensverfalls durch Bescheid der Beklagten vom 28. Juni 2017 Anfechtungsklage erhoben, die durch Urteil des Anwaltsgerichtshofs abgewiesen worden ist. Dagegen hat der Kläger am 10. September 2018 die Zulassung der Berufung beantragt.

Mit Bescheid vom 23. Januar 2020 hat die Beklagte nachträglich gemäß § 14 Abs. 4 , § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO , § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung des Widerrufsbescheids vom 28. Juni 2017 angeordnet, worauf der Kläger - entsprechend der Rechtsbehelfsbelehrung in der Vollziehungsanordnung - am 24. Februar 2020 beim Anwaltsgerichtshof die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Anfechtungsklage gemäß § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO , § 80 Abs. 5 VwGO beantragt hat. Der Anwaltsgerichtshof hat sich mit Beschluss vom 12. März 2020 für sachlich unzuständig erklärt und das Verfahren gemäß § 112 Abs. 1 Satz 1 BRAO , § 83 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17 Abs. 2 GVG an den Senat verwiesen. Mit Bescheid vom 16. März 2020 hat die Beklagte die Anordnung der sofortigen Vollziehung wieder aufgehoben. Daraufhin haben die Parteien - der Kläger mit Schriftsatz seiner damaligen Verfahrensbevollmächtigten vom 20. April 2020, die Beklagte mit Schriftsatz vom 7. Mai 2020 - das Antragsverfahren übereinstimmend für erledigt erklärt und wechselseitige Kostenanträge gestellt.

In der Hauptsache hat der Senat die Berufung des Klägers nach Zulassung mit Beschluss vom 18. Mai 2020 durch Urteil vom 3. Mai 2021 zurückgewiesen.

Mit Schriftsatz vom 5. Mai 2021 hat der Kläger, dessen Verfahrensbevollmächtigte unter dem 30. April 2021 im Hauptsacheverfahren angezeigt hatten, dass sie den Kläger in diesem Verfahren nicht mehr anwaltlich vertreten, persönlich (nochmals) seine "Klage gegen die Anordnung des Sofortvollzugs" des Widerrufs seiner Zulassung für erledigt erklärt und zugleich beantragt, "im Wege der Fortsetzungsfeststellungsklage festzustellen, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Zulassungswiderrufs rechtswidrig war".

II.

Das Antragsverfahren war nach übereinstimmender Erledigungserklärung der Parteien entsprechend § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO , § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen. Des Weiteren war entsprechend § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO , § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Danach sind die Kosten des Antragsverfahrens der Beklagten aufzuerlegen, da der Antrag des Klägers voraussichtlich Erfolg gehabt hätte.

1. Das Antragsverfahren ist nach den übereinstimmenden Erledigungserklärungen des Klägers vom 20. April 2020 (vertreten durch seine damaligen Verfahrensbevollmächtigten) und der Beklagten vom 7. Mai 2020 erledigt und entsprechend § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO , § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen. Der nachträgliche Antrag des Klägers auf Feststellung, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Widerrufs seiner Zulassung zur Rechtsanwaltschaft rechtswidrig war, ist als unzulässig zu verwerfen.

Soweit der Kläger nach den übereinstimmenden Erledigungserklärungen vom 20. April/7. Mai 2020 mit Schriftsatz vom 5. Mai 2021 persönlich (nochmals) die Erledigung des Antragsverfahrens erklärt und zugleich beantragt hat, die Rechtswidrigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung festzustellen, führt dies nicht zu einer Fortsetzung des Verfahrens, weil dieser Antrag unzulässig ist. Zum Einen ist für einen solchen Fortsetzungsfeststellungsantrag entsprechend § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO , § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO jedenfalls dann kein Raum, wenn - wie hier - bereits zuvor übereinstimmende Erledigungserklärungen abgegeben wurden. Haben die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt, kommt eine Streitentscheidung in der Sache - mit welchem Inhalt auch immer - nicht mehr in Betracht (vgl. BVerwG, Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 121; NVwZ 1982, 560 , 561; Eyermann/Schübel-Pfister, VwGO , 15. Aufl., § 113 Rn. 93; Riese in Schoch/Schneider, VwGO , Stand: Juli 2020, § 113 Rn. 108). Zum Anderen kommt eine analoge Anwendung von § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO in Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes, d.h. auch im vorliegenden Verfahren nach § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO , § 80 Abs. 5 VwGO , bereits grundsätzlich nicht in Betracht, da das vorläufige Rechtsschutzverfahren lediglich auf Erlass einer vorläufigen Regelung gerichtet ist. Ein Fortsetzungsfeststellungsantrag, gerichtet auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Anordnung der sofortigen Vollziehung entsprechend § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO , ist in diesen Verfahren daher unzulässig (vgl. BVerwG, NVwZ 1995, 586 , 587 zu § 123 VwGO ; VGH Kassel, NVwZ-RR 1989, 518 ; VGH Baden-Württemberg, VBlBW 1990, 135 , 136; VGH München, BayVBl 2013, 607 Rn. 19; OVG Lüneburg, ZfB 2013, 318 ; Eyermann/Schübel-Pfister, VwGO , 15. Aufl., § 113 Rn. 139; W.-R. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO , 26. Aufl., § 80 Rn. 131; W.-R. Schenke/R. P. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO , 26. Aufl., § 113 Rn. 113; Riese in Schoch/Schneider, VwGO , Stand: Juli 2020, § 113 Rn. 104 mwN).

2. Für die gemäß § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO , § 161 Abs. 2 VwGO zu treffende Entscheidung über die Kosten des Verfahrens ist nach § 112e Satz 2 BRAO , § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO , § 87a Abs. 1 Nr. 3 bis 5 , Abs. 3 VwGO analog die Berichterstatterin zuständig.

§ 87a VwGO ist in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach §§ 80 , 80a , 123 VwGO entsprechend anwendbar (vgl. VGH Mannheim, NVwZ 1991, 274 und NVwZ 1991, 593 ; VGH München, NVwZ 1991, 896 f.; BeckOK VwGO/Fertig, Stand: 1. Oktober 2020, § 87a Rn. 2; Eyermann/Schübel-Pfister, VwGO , 15. Aufl., § 87a Rn. 2; Riese in Schoch/Schneider, VwGO , Stand: Juli 2020, § 87a Rn. 15, 17; Peters in Sodan/Ziekow, VwGO , 5. Aufl., § 87a Rn. 3; Stuhlfauth in Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, 7. Aufl., § 87a Rn. 3; a.A. VGH Mannheim, NVwZ 1991, 275 ; Goerlich, NVwZ 1991, 541 , 543). Dass § 87a VwGO unmittelbar nur eine Regelung für das vorbereitende Verfahren im Hauptsacheverfahren enthält und in der Verweisung des § 122 Abs. 1 VwGO für selbständige Beschlussverfahren nicht erwähnt wird, steht dem nicht entgegen, da § 122 Abs. 1 VwGO nicht abschließend und insoweit eine planwidrige Regelungslücke hinsichtlich der Anwendbarkeit von § 87a VwGO in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes anzunehmen ist (vgl. VGH München, NVwZ 1991, 896 ; BeckOK VwGO/Fertig, Stand: 1. Oktober 2020, § 87a Rn. 2). Zwar gibt es in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes - anders als im Hauptsacheverfahren (vgl. § 86 Abs. 4 , 87 , 87b VwGO ) - keine formale Unterscheidung zwischen vorbereitendem Verfahren und mündlicher Verhandlung. Der Wortlaut des § 87a VwGO stellt indes nicht darauf ab, ob in dem betreffenden Verfahren nach entscheidungsvorbereitenden Maßnahmen auch eine mündliche Verhandlung stattfindet; zudem geht auch der Entscheidung in Eilverfahren eine Vorbereitungsphase voraus, in der die Sache spruchreif zu machen ist (vgl. Eyermann/Schübel-Pfister, VwGO , 15. Aufl., § 87a Rn. 2; Peters in Sodan/Zielkow, VwGO , 5. Aufl., § 87a Rn. 3 mwN). Des Weiteren sprechen Sinn und Zweck des § 87a VwGO , das Verfahren zu beschleunigen und den Spruchkörper zu entlasten (RegE zum Vierten Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung [4. VwGOÄndG], BT-Drucks. 11/7030, S. 27) gerade auch in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes für eine entsprechende Anwendung der Vorschrift.

Die Zuständigkeit der Berichterstatterin ist auch nicht dadurch entfallen, dass der Senat zwischenzeitlich in der Hauptsache über die Berufung des Klägers entschieden hat. Aus der Beschränkung des § 87a VwGO auf das vorbereitende Verfahren ergibt sich zwar, dass die dort genannten Entscheidungen von dem gesamten Spruchkörper zu treffen sind, soweit sie in oder aufgrund einer mündlichen Verhandlung oder im Zusammenhang mit einer von dem gesamten Spruchkörper erlassenen Sachentscheidung ergehen (vgl. RegE zum 4. VwGOÄndG, BT-Drucks. 11/7030, S. 28; VG Frankfurt, NJW 1992, 647 ; Schoch/Schneider, VwGO , Stand: Juli 2020, § 87a Rn. 17). Das ist hier aber nicht der Fall, da die Entscheidung des Senats das Klageverfahren in der Hauptsache betrifft, die hiesige Kostenentscheidung dagegen das prozessual selbständige und nach besonderen Kriterien zu beurteilende Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes.

3. Es entspricht der Billigkeit unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands, die Kosten des Antragsverfahrens der Beklagten aufzuerlegen, da der Antrag des Klägers voraussichtlich Erfolg gehabt hätte.

a) Die sofortige Vollziehung des Widerrufsbescheids nach § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO , § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO darf - als Ausnahmefall - nur angeordnet werden, wenn sie im überwiegenden öffentlichen Interesse zu einer schon vor Bestandskraft der Widerrufsverfügung notwendigen Abwehr konkreter Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter geboten ist. Erste Voraussetzung für eine solche Anordnung ist die hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Widerrufsverfügung Bestandskraft erlangen wird. Wegen des mit der Anordnung verbundenen Eingriffs in die Freiheit der Berufswahl (Art. 12 Abs. 1 GG ) ist jedoch des Weiteren zu verlangen, dass die sofortige Vollziehung als Präventivmaßnahme im überwiegenden öffentlichen Interesse zur Abwehr konkreter Gefahren für die Rechtsuchenden oder die Rechtspflege erforderlich ist. Die aus einem Vermögensverfall des Rechtsanwalts resultierende abstrakte Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden - als Voraussetzung eines Widerrufs nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO - reicht dafür als solche nicht aus (vgl. BGH, Beschluss vom 24. September 2001 - AnwZ (B) 34/01, NJW-RR 2002, 1718 zur Vorgängerregelung in § 16 Abs. 6 Satz 2 BRAO in der bis zum 31. August 2009 geltenden Fassung; Schmidt-Räntsch in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 3. Aufl., § 112c BRAO Rn. 184 f.; Weyland/Vossebürger, BRAO , 10. Aufl., § 14 Rn. 108a f.; jeweils mwN).

b) Diese Voraussetzungen lagen hier nicht vor.

Auch wenn - in Anbetracht der gesetzlichen Vermutung des Vermögensverfalls des Klägers aufgrund seiner vier Eintragungen im Schuldnerverzeichnis gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 7 Halbsatz 2 BRAO und der für einen Vermögensverfall sprechenden weiteren Beweisanzeichen in Form der damaligen zahlreichen weiteren Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen den Kläger sowie des Umstands, dass der Kläger kein vollständiges und detailliertes Verzeichnis seiner Gläubiger und seiner Verbindlichkeiten, aus dem sich eine nachhaltige Ordnung seiner Vermögensverhältnisse zum damaligen Zeitpunkt ergab, zur Widerlegung bzw. Entkräftung vorgelegt hatte (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 15. Oktober 2019 - AnwZ (Brfg) 6/19, ZInsO 2020, 1127 Rn. 16 mwN) - eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür sprach, dass der Zulassungswiderruf bestandskräftig werden würde, fehlt es an einer über die abstrakte Gefährdung hinausgehenden, zur Rechtfertigung des Sofortvollzugs erforderlichen konkreten Gefährdung der Rechtsuchenden.

Diese konkrete Gefährdung lässt sich nicht mit den von der Beklagten in ihrer Vollziehungsanordnung angeführten Strafverfahren und steuerstrafrechtlichen Ermittlungen gegen den Kläger begründen. Zwar ist eine konkrete Gefährdung Rechtsuchender in der Regel zu bejahen, wenn der Rechtsanwalt in jüngerer Zeit wegen eines Vermögensdelikts, insbesondere wegen Veruntreuung von Mandantengeldern strafrechtlich verurteilt worden ist, oder die Ermittlungen der Rechtsanwaltskammer ergeben, dass der Rechtsanwalt sich in dem Bemühen, seine Schulden zu begleichen, auch an bei ihm eingegangenen Mandantengeldern vergriffen hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 16. Juli 2001 - AnwZ (B) 61/00, BeckRS 2001, 6486; vom 17. Juli 2006 - AnwZ (B) 8/06, juris Rn. 6; vom 18. Oktober 2006 - AnwZ (B) 29/06, juris Rn. 10 und vom 4. März 2009 - AnwZ (B) 78/08, juris Rn. 16 f.; Schmidt-Räntsch in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 3. Aufl., § 112c BRAO Rn. 185; Weyland/Vossebürger, BRAO , 10. Aufl., § 14 BRAO Rn. 108b; Henssler in Henssler/Prütting, BRAO , 5. Aufl., § 14 Rn. 70). Die von der Beklagten insoweit angeführten Verfahren gegen den Kläger reichen für die Annahme einer besonderen Eilbedürftigkeit der Untersagung der weiteren Berufsausübung durch den Kläger jedoch nicht aus.

aa) Soweit die Beklagte sich bei ihrer Anordnung vorrangig auf eine Verurteilung des Klägers durch Urteil des Amtsgerichts O. vom 23. September 2019 ( XXX ) wegen Veruntreuung von Mandantengeldern in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 20 € gestützt hat, ist diese Verurteilung durch Beschluss des Landgerichts O. vom 5. Februar 2020 wieder aufgehoben und das Verfahren gemäß § 153 Abs. 2 StPO eingestellt worden ( XXX ). Auch wenn dies erst nach Anordnung der sofortigen Vollziehung durch die Beklagte am 23. Januar 2020 erfolgt ist, vermag die erstinstanzliche Verurteilung des Klägers jedenfalls keine besondere Dringlichkeit einer Vollziehung seines Zulassungswiderrufs mehr zu begründen. Dass dem Kläger trotz der Verfahrenseinstellung nach § 153 Abs. 2 StPO ein maßgeblicher berufsrechtlicher Fremdgeldverstoß anzulasten wäre, der ggfls. die Anordnung des Sofortvollzugs rechtfertigen könnte, ist nicht ersichtlich. Aus dem vom Kläger vorgelegten Vermerk der Staatsanwaltschaft zur Verfahrenseinstellung vom 24. Januar 2020 ergibt sich, dass das Verfahren Vorgänge im Jahr 2013 betraf und nach dem Ergebnis der Berufungsverhandlung davon auszugehen war, dass der Kläger die verfahrensgegenständlichen Mandantengelder in Höhe von 1.500 € teils an die Mandanten ausgezahlt, teils als Vorschuss verrechnet hatte. Gegenteiliges wird auch von der Beklagten nicht dargetan.

Dass der Kläger der Beklagten - wie von ihr geltend gemacht - in seiner Anhörung vor der Anordnung des Sofortvollzugs nicht mitgeteilt hat, dass in der Strafsache eine Berufungsverhandlung stattgefunden hatte und sich danach ein für ihn günstiger Verlauf abzeichne, und die Beklagte erst am 2. März 2020 durch die Übersendung des Antrags des Klägers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung von der Einstellung des Strafverfahrens erfahren hat, gibt keinen Anlass zu einer anderen Beurteilung. Zwar ist auch im Rahmen der Ermessensentscheidung nach § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO , § 161 Abs. 2 VwGO zu berücksichtigen, ob einem Verfahrensbeteiligten gemäß § 155 Abs. 4 VwGO durch sein Verhalten verschuldete (Mehr-)Kosten aufzuerlegen sind (vgl. Eyermann/Rennert, VwGO , 15. Aufl., § 155 Rn. 10). Hier ist aber nicht nur der Kläger seiner Mitwirkungspflicht nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BRAO , § 26 Abs. 2 VwVfG im Verwaltungsverfahren nicht gerecht geworden, sondern hat auch die Beklagte der ihr nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BRAO , § 24 Abs. 1 , § 26 Abs. 1 VwVfG obliegenden Ermittlungspflicht nicht genügt, da es ihr unschwer möglich- und in Anbetracht des Gewichts der Vollziehungsanordnung auch geboten - gewesen wäre, selbst beim Landgericht wegen des Stands des Rechtsmittelverfahrens nachzufragen.

bb) Das gegen den Kläger geführte Strafverfahren beim Amtsgericht O. wegen Urkundenunterdrückung und Verwahrungsbruch ( XXX ), begründet ebenfalls kein besonderes Vollzugsinteresse. So hat nicht nur das Bundesverfassungsgericht bereits das strafrechtliche vorläufige Berufsverbot, das der Ermittlungsrichter in diesem Verfahren nach § 132a StPO angeordnet hat, mit Beschluss vom 19. Juli 2019 wieder vorläufig ausgesetzt. Unabhängig davon vermögen die dem Kläger in diesem Verfahren zur Last gelegten Vorwürfe (Nichtherausgabe einer von ihm verwahrten Prozessbürgschaft, unterlassene Rücksendung zur Einsicht überlassener Gerichtsakten) eine konkrete, im Zusammenhang mit dem Vermögensverfall des Klägers stehende Gefährdung von Mandanteninteressen nicht zu begründen. Dementsprechend hat auch die Beklagte, die spätestens seit Mai 2019 Kenntnis von diesem Strafverfahren hatte, offenbar bis Ende Januar 2020 keinen Anlass gesehen, deswegen eine besondere Dringlichkeit für den Vollzug des Zulassungswiderrufs anzunehmen.

cc) Letzteres gilt auch für das Strafverfahren gegen den Kläger bei dem Amtsgericht O. wegen Veruntreuung von Mandantengeldern ( XXX ) und das gegen ihn geführte steuerstrafrechtliche Ermittlungsverfahren. Beide Verfahren waren der Beklagten bereits bei Erlass ihrer Widerrufsverfügung am 28. Juni 2017 bekannt und es sind keine Gründe dafür ersichtlich oder von der Beklagten dargetan, warum sich daraus nach mehreren Jahren eine von ihr selbst bis dahin offenbar noch nicht gewärtigte konkrete Gefährdung Rechtsuchender ergeben sollte.

Aus diesem Grund kann eine die Vollziehungsanordnung am 23. Januar 2020 rechtfertigende konkrete Gefährdung auch nicht auf die bereits im Widerrufsbescheid der Beklagten vom 28. Juni 2017 aufgeführten vier Vollstreckungsverfahren begründet werden, in denen mittels Pfändungs- und Überweisungsbeschlüssen auf Konten des Klägers zugegriffen worden war.

c) Die Kostenpflicht der Beklagten erstreckt sich nach § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO , § 155 Abs. 4 VwGO auch auf etwaige Mehrkosten, die durch die Anrufung des unzuständigen Anwaltsgerichtshofs durch den Kläger entstanden sind, da die Beklagte diese Mehrkosten durch ihre unrichtige Rechtsmittelbelehrung bei Anordnung der sofortigen Vollziehung verursacht hat (vgl. BVerwGE 73, 126 , 137; BVerwG, Urteil vom 28. Oktober 2015 - 2 C 23/14, juris Rn. 23 [insoweit in NVwZ-RR 2016, 108 nicht abgedruckt]; Bader in Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO , 7. Aufl., § 155 Rn. 13; Olbertz in Schoch/Schneider, VwGO , Stand: Juli 2020, § 155 Rn. 26). § 155 Abs. 4 VwGO ist auch bei einer Kostenentscheidung im Fall der Verweisung nach § 83 VwGO , § 17b Abs. 2 Satz 2 GVG zu berücksichtigen (vgl. Eyermann/Rennert, VwGO , 15. Aufl., § 155 Rn. 10). Dass der Kläger selbst Rechtsanwalt ist und zudem durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten war, gibt keinen Anlass zu einer anderen Beurteilung. Auch ein Rechtsanwalt darf sich grundsätzlich auf die Richtigkeit behördlicher Rechtsbehelfsbelehrungen verlassen (vgl. Bay VGH , BayVBl. 1974, 537 ; Olbertz in Schoch/Schneider, VwGO , Stand: Juli 2020, § 155 Rn. 26).

d) Das Unterliegen des Klägers hinsichtlich seines unzulässigen Antrags auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung des Widerrufs seiner Zulassung zur Rechtsanwaltschaft ist geringfügig und gibt daher keinen Anlass, ihm deswegen teilweise die Kosten des Antragsverfahrens aufzuerlegen.

III.

Der Gegenstandswert für das Antragsverfahren wird gemäß § 194 Abs. 2 Satz 2 BRAO auf 10.000 € (1/5 des Hauptsachestreitwerts nach § 194 Abs. 2 Satz 1 BRAO ) festgesetzt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 26. November 2009 - AnwZ (B) 27/09, juris und vom 3. August 2010 - AnwZ (B) 100/09, juris insoweit in NJW 2011, 457 nicht abgedruckt).

Vorinstanz: AnwGH Niedersachsen, vom 10.08.2018 - Vorinstanzaktenzeichen AGH 18/17 (II 16/1)