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BGH - Entscheidung vom 18.05.2021

XIII ZB 46/19

Normen:
AufenthG § 15 Abs. 5
AufenthG § 15 Abs. 6

BGH, Beschluss vom 18.05.2021 - Aktenzeichen XIII ZB 46/19

DRsp Nr. 2021/9396

Voraussetzungen für eine Verlängerung des Transitaufenthalts eines kongolesischen Asylsuchenden bis zur Beschlussaufhebung

1. Soweit der Grundsatz des fairen Verfahrens jedem Betroffenen das Recht garantiert, sich in einem Freiheitsentziehungsverfahren von einem Bevollmächtigten seiner Wahl vertreten zu lassen und diesen zu der Anhörung hinzuzuziehen, führt es ohne Weiteres zur Rechtswidrigkeit der Haft, wenn das Gericht durch seine Verfahrensgestaltung eine Teilnahme des Bevollmächtigten an der Anhörung vereitelt; es kommt in diesem Fall nicht darauf an, ob die Anordnung der Haft auf diesem Fehler beruht.2. Insbesondere dann, wenn der Rechtsanwalt keine ausreichende Möglichkeit hatte, seine Verhinderung anzuzeigen und einen Verlegungsantrag zu stellen - hier erfolgte die Unterrichtung nur etwas weniger als zwei Stunden vor dem Termin -, darf aus dem Fehlen entsprechender Erklärungen gegenüber dem Amtsgericht nicht auf eine verfahrensfehlerfreie Anhörung geschlossen werden.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde wird der Beschluss der 29. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 10. September 2018 aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 6. Juli 2018 den Betroffenen bis zu seiner Aufhebung am 12. Juli 2018 in seinen Rechten verletzt hat.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden der Bundesrepublik Deutschland auferlegt.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Normenkette:

AufenthG § 15 Abs. 5 ; AufenthG § 15 Abs. 6 ;

Gründe

I. Der Betroffene, ein kongolesischer Staatsangehöriger, traf am 29. April 2018 mit einem Flug aus Kapstadt am Frankfurter Flughafen ein und äußerte bei der Einreisekontrolle ein Schutzersuchen. Sein Asylantrag wurde vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 7. Mai 2018 abgelehnt. Noch am selben Tag verweigerte die Bundespolizei dem Betroffenen die Einreise. Sein Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wurde vom Verwaltungsgericht am 15. Mai 2018 zurückgewiesen.

Auf Antrag der beteiligten Behörde ordnete das Amtsgericht Frankfurt am Main im Wege der einstweiligen Anordnung am 15. Mai 2018 zur Sicherung der Abreise den Aufenthalt des Betroffenen in der Asylbewerberunterkunft des Frankfurter Flughafens zunächst bis 25. Mai 2018 an.

Aufgrund verschiedener Schwierigkeiten wurde die Aufenthaltsanordnung für den Frankfurter Flughafen - teilweise nach § 427 FamFG - mehrmals verlängert. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist der Beschluss vom 6. Juli 2018, mit dem das Amtsgericht zur Sicherung der Abreise den Aufenthalt des Betroffenen in der Asylbewerberunterkunft des Frankfurter Flughafens bis einschließlich 26. Juli 2018 verlängert hat. Nachdem der Betroffene nicht mehr nach Südafrika, sondern mit seiner Zustimmung in sein Heimatland abgeschoben werden sollte und diese Abschiebung bereits am 19. Juli 2018 möglich war, hat das Amtsgericht diesen Beschluss am 12. Juli 2018 aufgehoben und zur Sicherung der Abreise den Aufenthalt des Betroffenen in der Asylbewerberunterkunft des Frankfurter Flughafens bis zum 20. Juli 2018 angeordnet.

Die auf Feststellung einer Rechtsverletzung durch den Beschluss vom 6. Juli 2018 gerichtete Beschwerde des Betroffenen hatte keinen Erfolg. Dagegen wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde, mit der er den Feststellungsantrag weiterverfolgt.

II. Die zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

1. Das Beschwerdegericht hält die Voraussetzungen für eine Verlängerung des Transitaufenthalts gemäß § 15 Abs. 6 , Abs. 5 AufenthG bis zur Aufhebung des Beschlusses für gegeben. Der Grundsatz des fairen Verfahrens und der Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör sei nicht dadurch verletzt worden, dass das Amtsgericht seinen Verfahrensbevollmächtigten erst um 9.12 Uhr mit Telefax zum Anhörungstermin am selben Tag um 11.00 Uhr geladen habe. Der Anwalt habe dem Amtsgericht weder seine Verhinderung angezeigt noch einen Verlegungsantrag gestellt oder Umstände vorgetragen, aus denen das Amtsgericht einen Verlegungsantrag hätte ableiten müssen. Der Betroffene habe im Übrigen auch nicht gerügt, dass sein Verfahrensbevollmächtigter nicht anwesend gewesen sei. Auch ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot liege nicht vor.

2. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Dem Feststellungsantrag ist bereits deshalb stattzugeben, weil das Amtsgericht bei der Anhörung des Betroffenen gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens verstoßen hat.

a) Der Grundsatz des fairen Verfahrens garantiert jedem Betroffenen das Recht, sich in einem Freiheitsentziehungsverfahren von einem Bevollmächtigten seiner Wahl vertreten zu lassen und diesen zu der Anhörung hinzuzuziehen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. Juli 2014 - V ZB 32/14, InfAuslR 2014, 442 Rn. 8; vom 12. November 2019 - XIII ZB 34/19, juris Rn. 7, und vom 10. November 2020 - XIII ZB 129/19, juris Rn. 8). Erfährt oder weiß das Gericht, dass der Betroffene einen Rechtsanwalt hat, muss es dafür Sorge tragen, dass dieser von dem Termin in Kenntnis gesetzt und ihm die Teilnahme an der Anhörung ermöglicht wird, gegebenenfalls ist unter einstweiliger Anordnung einer nur kurzen Haft nach § 427 FamFG oder entsprechender Fortdauer einer bereits erlassenen einstweiligen Anordnung ein neuer Termin zu bestimmen (BGH, Beschlüsse vom 25. Oktober 2018 - V ZB 69/18, InfAuslR 2019, 152 Rn. 5; vom 7. April 2020 - XIII ZB 84/19, juris Rn. 9 f., und vom 10. November 2020 - XIII ZB 129/19, juris Rn. 8). Vereitelt das Gericht durch seine Verfahrensgestaltung eine Teilnahme des Bevollmächtigten an der Anhörung, führt dies ohne Weiteres zur Rechtswidrigkeit der Haft; es kommt in diesem Fall nicht darauf an, ob die Anordnung der Haft auf diesem Fehler beruht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. April 2007 - V ZB 59/16, InfAuslR 2017, 292 Rn. 7; vom 12. November 2019 - XIII ZB 34/19, juris Rn. 7, und vom 10. November 2020 - XIII ZB 129/19, juris Rn. 8).

b) Bei der Bestimmung des Anhörungstermins war dem Amtsgericht bekannt, dass der Betroffene im Zusammenhang mit der gegen ihn ergangenen Anordnung des Aufenthalts am Flughafen von Rechtsanwalt F. vertreten wurde. Es hat dessen Unterrichtung über den Anhörungstermin deshalb zu Recht für erforderlich gehalten. Indem es Rechtsanwalt F. mit einem um 9.12 Uhr übermittelten Telefax zu einem Anhörungstermin um 11.00 Uhr am selben Tag geladen hat, hat es ihm jedoch keine realistische Möglichkeit eingeräumt, an dem Termin teilnehmen zu können oder eine Terminverlegung zu beantragen. Eine Reaktion des Anwalts auf das Telefax binnen lediglich etwas weniger als zwei Stunden war nicht zu erwarten. Das Amtsgericht musste vielmehr die naheliegende Möglichkeit in Betracht ziehen, dass sich der Rechtsanwalt während der üblichen Dienststunden zur Wahrnehmung von Terminen bei Gerichten aufhalten konnte, und zwar auch außerhalb seines Kanzleisitzes. Zwar ist ein Rechtsanwalt gehalten, eilige Eingänge nach Möglichkeit, etwa über Mittag - was hier zu spät gewesen wäre - und/oder vor Dienstschluss seiner Mitarbeiter, in seiner Kanzlei abzufragen, oder dafür Sorge zu tragen, dass er in geeigneter Weise von seiner Kanzlei über eilige Eingänge unterrichtet wird. Wird eine angemessene Reaktionszeit für die Prüfung berücksichtigt, ob ein Verlegungsantrag gestellt werden soll und welche Möglichkeiten dafür gegebenenfalls im Hinblick auf eine Eilbedürftigkeit der Sache oder den Terminkalender des Anwalts bestehen, war eine Unterrichtung nur etwas weniger als zwei Stunden vor dem Termin aber unzureichend (vgl. BGH, Beschluss vom 10. November 2020 - XIII ZB 129/19, juris Rn. 8).

Aus der vom Beschwerdegericht angeführten Entscheidung des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 25. Februar 2010 - V ZA 2/10, juris) folgt schon deshalb nichts Abweichendes, weil - was allerdings erst aus der Beschwerdeentscheidung des Landgerichts und nicht aus der veröffentlichten Entscheidung des Bundesgerichtshofs deutlich wird - dort ein in Frankfurt am Main ansässiger Rechtsanwalt am Nachmittag des Vortags zu einer Anhörung im nahe gelegenen Darmstadt am folgenden Tag geladen wurde, so dass er jedenfalls noch hätte anreisen oder einen Verlegungsantrag stellen können (BGH, Beschluss vom 10. November 2020 - XIII ZB 129/19, juris Rn. 10).

Hatte der Rechtsanwalt demnach keine ausreichende Möglichkeit, seine Verhinderung anzuzeigen und einen Verlegungsantrag zu stellen, durfte das Beschwerdegericht aus dem Fehlen entsprechender Erklärungen gegenüber dem Amtsgericht nicht auf eine verfahrensfehlerfreie Anhörung schließen.

c) Damit hat das Amtsgericht entgegen der Beurteilung des Beschwerdegerichts durch seine Verfahrensgestaltung eine Teilnahme des Bevollmächtigten an der Anhörung vereitelt. Dies führt ohne Weiteres zur Rechtswidrigkeit der Haft, so dass nicht mehr zu prüfen ist, ob die Anordnung der Haft auf diesem Fehler beruht (BGH, Beschluss vom 10. November 2020 - XIII ZB 129/19, juris Rn. 13).

3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen.

Vorinstanz: AG Frankfurt/Main, vom 06.07.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 934 XIV 985/18
Vorinstanz: LG Frankfurt/Main, vom 10.09.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 29 T 249/18