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BGH - Entscheidung vom 25.03.2021

AK 19/21

Normen:
StPO § 121 Abs. 1
StPO § 122 Abs. 4 S. 2
StGB § 129a Abs. 1 Nr. 1
StGB § 129a Abs. 4

BGH, Beschluss vom 25.03.2021 - Aktenzeichen AK 19/21

DRsp Nr. 2021/5487

Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft und deren Fortdauer auch über zwölf Monate hinaus in einem Verfahren wegen Mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung und der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung

Im Falle eines Verfahrens gegen zehn Angeklagte, die unter Verdacht stehen, sich an einer terroristischen Vereinigung zum Zweck der Ausübung von Mord oder Totschlag beteiligt zu haben, rechtfertigen die Bedeutung, der Umfang und die im Fall einer Verurteilung zu erwartenden Strafen die Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft über zwölf Monate hinaus.

Tenor

Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.

Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem Oberlandesgericht Stuttgart übertragen.

Normenkette:

StPO § 121 Abs. 1 ; StPO § 122 Abs. 4 S. 2; StGB § 129a Abs. 1 Nr. 1 ; StGB § 129a Abs. 4 ;

Gründe

I.

Die zehn Angeklagten wurden am 14. Februar 2020 vorläufig festgenommen und befinden sich seit dem 15. Februar 2020 ununterbrochen in Untersuchungshaft aufgrund der Haftbefehle des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom selben Tag. Gegenstand der Haftbefehle sind die Vorwürfe, die Angeklagten hätten die "Gruppe " gebildet oder gefördert, die eine Vereinigung darstelle, deren Zwecke oder Tätigkeit darauf gerichtet seien, jedenfalls Mord (§ 211 StGB ) oder Totschlag (§ 212 StGB ) zu begehen, und zwar wie folgt:

-

Der Angeklagte S. habe sich an dieser Vereinigung als Rädelsführer mitgliedschaftlich beteiligt (§ 129a Abs. 1 Nr. 1 , Abs. 4 StGB ).

-

Die Angeklagten B. , E. und N. hätten sich an ihr mitgliedschaftlich beteiligt; N. habe sie darüber hinaus gegründet (§ 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB ).

-

Die Angeklagten H. , K. , Kr. , W. , Wi. und Wo. hätten die Vereinigung unterstützt (§ 129a Abs. 1 Nr. 1 , Abs. 5 Satz 1 StGB ).

Mit Beschlüssen vom 3. September 2020 ( AK 21-30/20) hat der Senat die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus angeordnet. Er hat das dem Angeklagten S. im Sinne eines dringenden Tatverdachts angelastete Verhalten abweichend vom Haftbefehl als tateinheitliche Gründung einer terroristischen Vereinigung und mitgliedschaftliche Beteiligung an ihr, jeweils als Rädelsführer, beurteilt. Das Verhalten, dessen der Angeklagte N. dringend verdächtig ist, hat der Senat jedenfalls als mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung gewertet und im Hinblick auf die Frage der Haftfortdauer offengelassen, ob darin auch die Gründung einer solchen zu sehen ist. Im Übrigen ist er der jeweiligen rechtlichen Beurteilung im Haftbefehl beigetreten, wobei er für die Angeklagten B. , E. , H. , K. , Kr. , W. und Wi. hat dahinstehen lassen, inwieweit nach den Ermittlungsergebnissen der dringende Verdacht schwererer oder weiterer Tathandlungsvarianten des § 129a StGB besteht.

Nachdem der Generalbundesanwalt am 4. November 2020 wegen der Taten, die Gegenstand der Haftbefehle sind, Anklage zum Oberlandesgericht Stuttgart erhoben hatte, hat der Senat mit Beschlüssen vom 15. Dezember 2020 ( AK 40-49/20) gegen die Angeklagten die Fortdauer der Untersuchungshaft über neun Monate hinaus angeordnet. Unter dem 22. Februar 2021 hat das Oberlandesgericht die Eröffnung des Hauptverfahrens und die Haftfortdauer beschlossen. Ausweislich der Vorsitzendenverfügung vom 3. März 2021 hält das Oberlandesgericht die weitere Untersuchungshaft für geboten.

II.

Die Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft und deren Fortdauer auch über zwölf Monate hinaus liegen für die Angeklagten vor.

1. Hinsichtlich des jeweiligen dringenden Tatverdachts, des Haftgrundes bzw. der Haftgründe und der Versagung einer Haftverschonung wird auf die Senatsbeschlüsse vom 3. September und vom 15. Dezember 2020 sowie das dort in Bezug genommene wesentliche Ergebnis der Ermittlungen verwiesen, wie es in der Anklageschrift des Generalbundesanwalts vom 2. November 2020 dargestellt ist.

2. Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über zwölf Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 , § 122 Abs. 4 Satz 2 StPO ) sind gegeben. Die besondere Schwierigkeit und der besondere Umfang des Verfahrens haben ein Urteil bislang noch nicht zugelassen und rechtfertigen nach wie vor den Vollzug der Untersuchungshaft. Entgegen dem Vorbringen des Verteidigers des Angeklagten S. , beim Oberlandesgericht Stuttgart sei die Sache seit dem 4. November 2020 - mit Ausnahme der Eröffnung des Hauptverfahrens - unbearbeitet geblieben und es seien nur "Schiebeverfügungen" getroffen worden, ist das Verfahren nach den Senatsbeschlüssen vom 15. Dezember 2020 weiterhin hinreichend gefördert worden. Im Einzelnen:

a) Nachdem am 16. Dezember 2020 die - der Dauer nach angemessene Erklärungsfrist auf die Anklage des Generalbundesanwalts (§ 201 Abs. 1 Satz 1 StPO ) abgelaufen war, hat sich der Strafsenat des Oberlandesgerichts weiter in die Sache eingearbeitet. Schon zuvor hatte der Vorsitzende die Verteidiger über die von ihm in Betracht gezogenen Verhandlungstermine ab dem 16. März 2021 informiert und angefragt, inwieweit Verhinderungen vorliegen. In der Folgezeit sind sämtlichen Angeklagten - mit einer Ausnahme - mindestens zwei Verteidiger bestellt worden. Nachdem die Rückmeldungen zur Terminplanung eingegangen waren, hat der Vorsitzende den Verteidigern im Januar 2021 mitgeteilt, der Strafsenat sei nunmehr in der Lage, den Verfahrensstoff kursorisch zu überblicken, voraussichtlich im Februar könne über die Eröffnung des Hauptverfahrens entschieden werden; zugleich hat er in Aussicht gestellt, im Fall der Eröffnung des Hauptverfahrens solle ein Vorgespräch (§ 213 Abs. 2 StPO ) am 23. März 2021 und die Hauptverhandlung ab dem 13. April 2021 stattfinden. Mit Beschluss vom 22. Februar 2021 hat der Strafsenat das Hauptverfahren eröffnet. Noch am selben Tag hat der Vorsitzende die avisierten Termine bestimmt, wobei für die Hauptverhandlung regelmäßig zwei Fortsetzungstermine pro Woche zunächst bis zum 5. Juli 2022 vorgesehen sind. Am Folgetag hat er zwei Ergänzungsrichter zugezogen.

b) Hiernach ist das Strafverfahren auch nach der letzten Haftprüfung mit der in Haftsachen gebotenen besonderen Zügigkeit betrieben worden:

Dass der Strafsenat nicht vor dem 22. Februar 2021 über die Eröffnung des Hauptverfahrens entschieden hat, ist insbesondere in dem außergewöhnlichen Umfang des Verfahrens begründet. Es richtet sich gegen die zehn Angeklagten sowie zwei weitere Mitangeklagte. Der zu prüfende Aktenbestand umfasst vier Bände Gerichtsakten, 175 Stehordner Sachakten, 58 Bände Haftsachakten und 31 Bände Beiakten.

Dass der Beginn der Hauptverhandlung auf den 13. April 2021 bestimmt ist, stellt unter diesen Umständen ebenso eine den Anforderungen des Beschleunigungsgrundsatzes genügende Verfahrensführung dar. Zu berücksichtigen ist zunächst, dass neben den Abstimmungen mit den Verteidigern technische und organisatorische Vorbereitungen für die Hauptverhandlung erforderlich sind. Sie ist mit einer Vielzahl von Verfahrensbeteiligten, darunter allein sieben Richter, zwölf Angeklagte und 30 Verteidiger, unter den derzeitigen Bedingungen der Covid-19-Pandemie durchzuführen. Nach der Verfügung des Vorsitzenden vom 3. März 2021 sollen die Vorbereitungen Anfang April 2021 abgeschlossen sein.

Hinzu kommt, dass das mit den Verfahrensbeteiligten abgestimmte Vorgespräch im Sinne des § 213 Abs. 2 StPO auf den 23. März 2021 terminiert ist. Im Fall eines besonders umfangreichen erstinstanzlichen Verfahrens - wie hier - dient ein gemeinsamer Erörterungstermin im Vorfeld der Hauptverhandlung über deren Ablauf gerade dazu, dass sie - mit Blick auf das Recht des Beschuldigten auf ein Urteil innerhalb angemessener Frist (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 MRK ) - effizient durchgeführt werden kann und spätere Verzögerungen vermieden werden können (s. Regierungsentwurf eines Gesetzes zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens, BT-Drucks. 18/11277 S. 32 f.).

3. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht weiterhin nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der jeweiligen Sache und der im Fall einer Verurteilung zu erwartenden Strafen (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO ).