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BGH - Entscheidung vom 21.01.2021

I ZR 128/20

Normen:
MarkenG § 26 Abs. 3
MarkenG § 49 Abs. 1
GG Art. 103 Abs. 1

BGH, Beschluss vom 21.01.2021 - Aktenzeichen I ZR 128/20

DRsp Nr. 2021/6142

Verletzung des rechtlichen Gehörs der Klägerin bei der Prüfung der markenmäßigen Benutzung, es entspreche den Kennzeichnungsgewohnheiten auf dem Markt der Nahrungsergänzungsmittel, Marken auf der Vorderseite der Verpackung anzubringen

1. Stellt ein bestimmter Vortrag einer Partei den Kern des Parteivorbringens dar und ist für den Prozessausgang von entscheidender Bedeutung, besteht für das Gericht eine Pflicht, die vorgebrachten Argumente zu erwägen. Schweigt es dennoch dazu, lässt dies den Schluss zu, dass der Vortrag der Prozesspartei nicht oder zumindest nicht hinreichend beachtet wurde.2. Bei der Frage einer rechtserhaltenden Benutzung kommt es darauf an, ob die angesprochenen Verkehrskreise in dem jeweiligen Gebrauch der Marke einen Hinweis auf die Herkunft einer Ware aus einem bestimmten Unternehmen sehen können. Dabei sind die jeweils branchenüblichen Gegebenheiten und die Art der verwendeten Marke - hier hinsichtlich der Gepflogenheiten zur Anbringung der Marke auf Verpackungen auf dem Markt der Nahrungsergänzungsmittel - zu berücksichtigen.

Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 2. Juli 2020 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Klägerin erkannt worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert der Nichtzulassungsbeschwerde wird auf 26.666,67 € festgesetzt.

Normenkette:

MarkenG § 26 Abs. 3 ; MarkenG § 49 Abs. 1 ; GG Art. 103 Abs. 1 ;

Gründe

I. Der Beklagte ist Geschäftsführer der V. C. GmbH und Inha1 ber der deutschen Wortmarke "VEGAS", die am 27. Oktober 2011 angemeldet und am 2. April 2012 in das Register des Deutschen Patent- und Markenamts für Waren und Dienstleistungen der Klassen 5, 29, 30, 32, 35 und 44 (insbesondere Nahrungsergänzungsmittel) eingetragen wurde. Die Marke ist zur Nutzung an die Firma V. C. GmbH lizenziert. Die Klägerin behauptet, die Marke "VEGAS" sei nicht rechtserhaltend benutzt worden, und hat Löschungsklage erhoben.

Der Beklagte hat Produktmuster vorgelegt, die auf der Vorderseite die Bezeichnung "Vegas Vital" unter einer stilisierten Blüte mit einem "V" in der Mitte zeigen. Ein Teil der Produktaufmachungen weist auf dem Deckel die Bezeichnung "VEGAS" auf. Bei weiteren Produkten findet sich die Bezeichnung "VEGAS" auf der Rückseite neben dem Strichcode. Die Klägerin meint, hierin liege keine rechtserhaltende Benutzung der Marke "VEGAS". Es entspreche den Kennzeichnungsgewohnheiten auf dem Markt der Nahrungsergänzungsmittel, dass Marken auf der Vorderseite der Verpackung angebracht würden. Dafür hat sie auf Produktaufmachungen und damit korrespondierende Marken für die Produkte "vitasprint", "orthomol Vitamin D3 Plus", "Doppelherz", "Abtei", "Centrum" und "Meritene" verwiesen.

Das Landgericht hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt, in die Löschung der Marke "VEGAS" für die Klassen 5, 29, 30, 32, 35 und 44 einzuwilligen. Auf die Berufung des Beklagten hat das Berufungsgericht das landgerichtliche Urteil unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung hinsichtlich der Klassen 5 und 29 sowie betreffend die Klasse 32 für die Waren alkoholfreie Getränke und Aloe-Vera-Säfte abgeändert und die Klage insoweit abgewiesen.

II. Das Berufungsgericht hat - soweit für das Beschwerdeverfahren relevant - angenommen, der Beklagte habe die Marke durch Lizenzierung an die Firma V. C. GmbH hinsichtlich der Klasse 5 durch die Produkte "Vitamin Plus" (Anlage B 14) und "CISTUS INCANUS TEA" (Anlage B 15) vor Ablauf der Benutzungsschonfrist rechtserhaltend benutzt. Für die Klasse 29 sei die Marke durch den Vertrieb von "Q10 & OMEGA 3" (Anlage B 10) rechtserhaltend benutzt. Die rechtserhaltende Benutzung in der Warenklasse 32 für alkoholfreie Getränke und Aloe-Vera-Säfte sei durch den Vertrieb des Produkts "ALOE DRINK GRAVIOLA" (Anlage B 13) belegt. Die Voraussetzungen einer rechtserhaltenden Benutzung seien durch das Aufbringen der Marke "VEGAS" auf dem Deckel beziehungsweise neben dem Strichcode der Waren erfüllt. Für die kennzeichenmäßige Verwendung seien die in der betreffenden Branche bestehenden Verkehrsgepflogenheiten sowie die Kennzeichnungsgewohnheiten und die tatsächliche Wahrnehmung der angesprochenen Verkehrsteilnehmer zu berücksichtigen. Im Streitfall gehe es um die Anbringung einer originär unterscheidungskräftigen Marke auf der Verpackung eines Erzeugnisses und damit einen klassischen Fall kennzeichenmäßiger Verwendung. Eine Gepflogenheit auf dem Markt der Nahrungsergänzungsmittel, Marken nur auf der Vorderseite der Verpackung anzubringen, nicht aber auf der Rückseite oder auf dem Deckel, existiere nach der Erfahrung der Mitglieder des erkennenden Senats nicht. Umstände dafür, dass dem doch so sein könne, seien von der insoweit darlegungs- und beweisbelasteten Klägerin nicht vorgetragen worden. Dass sich auf den Etiketten auch die Marke "Vegas Vital" sowie eine Bildmarke befinde, stehe der Annahme eines kennzeichenmäßigen Gebrauchs der Marke "VEGAS" nicht entgegen. Es sei auf dem Markt der in Rede stehenden Art durchaus üblich, neben einer Dachmarke (hier: "Vegas") eine Zweitmarke (hier: Vegas Vital in Verbindung mit der Bildmarke) zu verwenden.

Das Berufungsgericht hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen wendet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin, mit der sie die Zulassung der Revision im Umfang ihrer Beschwer durch das Berufungsurteil erstrebt. Der Beklagte beantragt, die Nichtzulassungsbeschwerde zurückzuweisen.

III. Die zulässige Nichtzulassungsbeschwerde hat in der Sache Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht, soweit es zum Nachteil der Klägerin erkannt hat. Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt mit Recht, das Berufungsgericht habe das Verfahrensgrundrecht der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG in entscheidungserheblicher Weise verletzt.

1. Die Garantie rechtlichen Gehörs verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Sie brauchen dabei zwar nicht jedes Vorbringen ausdrücklich zu bescheiden. Es müssen in den Gründen aber die wesentlichen Tatsachen- und Rechtsausführungen verarbeitet werden. Wenn ein bestimmter Vortrag einer Partei den Kern des Parteivorbringens darstellt und für den Prozessausgang von entscheidender Bedeutung ist, besteht für das Gericht eine Pflicht, die vorgebrachten Argumente zu erwägen. Ein Schweigen lässt hier den Schluss zu, dass der Vortrag der Prozesspartei nicht oder zumindest nicht hinreichend beachtet wurde (vgl. BVerfG, NJW-RR 2018, 694 Rn. 18 mwN).

2. Nach diesen Maßstäben liegt eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG vor. Die Begründung des Berufungsurteils lässt nur den Schluss zu, dass das Berufungsgericht den Vortrag der Klägerin, es entspreche den Kennzeichnungsgewohnheiten auf dem Markt der Nahrungsergänzungsmittel, Marken auf der Vorderseite der Verpackung anzubringen, bei der Prüfung der markenmäßigen Benutzung übergangen hat.

a) Das Berufungsgericht hat den Vortrag der Klägerin zu den Kennzeichnungsgewohnheiten auf dem Markt der Nahrungsergänzungsmittel im Tatbestand zwar wiedergegeben. In den Entscheidungsgründen hat es eine Gepflogenheit auf dem Markt der Nahrungsergänzungsmittel, Marken nur auf der Vorderseite der Verpackung anzubringen, nicht aber auf der Rückseite oder dem Deckel, dann jedoch unter Verweis auf die Erfahrung der Senatsmitglieder abgelehnt, ohne auf den Vortrag der Klägerin einzugehen. Vielmehr hat es ausgeführt, Umstände dafür, dass dem doch so sein könnte, seien von der insoweit darlegungs- und beweisbelasteten Klägerin nicht vorgetragen worden.

b) Damit hat das Berufungsgericht wesentlichen Vortrag der Klägerin übergangen. Diese hat in erster und zweiter Instanz umfangreich zu von der Auffassung der Senatsmitglieder abweichenden Kennzeichnungsgepflogenheiten bei Nahrungsergänzungsmitteln vorgetragen. Insbesondere hat sie mit Schriftsatz vom 1. Dezember 2017 in der Anlage K 4 Kopien von Produktaufmachungen von Nahrungsergänzungsmitteln vorgelegt, auf denen die Marke jeweils groß (nur) auf der Schauseite der Verpackung abgebildet ist. Im Schriftsatz vom 26. Februar 2018 hat die Klägerin erneut Vortrag dazu gehalten und in der Berufungsinstanz hat sie im Schriftsatz vom 5. November 2019 auf die vorgelegten Kopien von Produktaufmachungen und ihren dazu gehaltenen Vortrag Bezug genommen. im Schriftsatz vom 1. Dezember 2017 unter Bezugnahme auf die Anlage K 4, mit dem sich das Berufungsgericht auch in diesem Zusammenhang nicht auseinandergesetzt hat.

c) Zu diesem Vortrag der Klägerin, der durch die Anlage K 4 hinreichend substantiiert war, hätte sich das Berufungsgericht verhalten müssen, statt ihn zu negieren. Auch wenn es bei der Frage der markenmäßigen Benutzung grundsätzlich auf die Sachkunde der Mitglieder des Senats abstellen durfte (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Mai 2020 - I ZR 190/19, juris Rn. 12 mwN), hätte es erläutern müssen, warum diese trotz der Produktaufmachungen gemäß Anlage K 4 nicht von einer Gepflogenheit auf dem Markt der Nahrungsergänzungsmittel ausgegangen sind, Marken nur auf der Vorderseite der Verpackung, nicht aber auf der Rückseite oder dem Deckel anzubringen. Soweit das Berufungsgericht stattdessen ausgeführt hat, die Klägerin habe dazu nichts vorgetragen, kann daraus nur der Schluss gezogen werden, dass es deren Vortrag zu den Kennzeichnungsgewohnheiten bei Nahrungsergänzungsmitteln vollständig übergangen hat.

3. Die Annahme des Berufungsgerichts, es sei auf dem Markt der in Rede stehenden Art durchaus üblich, neben einer Dachmarke eine Zweitmarke zu verwenden, verletzt die Klägerin ebenfalls in ihrem Recht auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG . Die Nichtzulassungsbeschwerde verweist in diesem Zusammenhang zutreffend auf den gegenteiligen erstinstanzlichen Vortrag der Klägerin

4. Diese Gehörsverletzungen sind entscheidungserheblich. Entgegen den Ausführungen der Beschwerdeerwiderung kommt es bei der Frage der rechtserhaltenden Benutzung darauf an, ob die angesprochenen Verkehrskreise in dem jeweiligen Gebrauch der Marke einen Hinweis auf die Herkunft einer Ware aus einem bestimmten Unternehmen sehen können. Dies muss unter Berücksichtigung der jeweils branchenüblichen Gegebenheiten und der Art der verwendeten Marke festgestellt werden (vgl. Ströbele in Ströbele/Hacker/Thiering, MarkenG , 13. Aufl., § 26 Rn. 45; zur Berücksichtigung der Kennzeichnungspraxis im Rahmen von § 26 Abs. 3 MarkenG vgl. auch BGH, Urteil vom 8. Februar 2007 - I ZR 71/04, GRUR 2007, 592 Rn. 14 = WRP 2007, 958 - bodo Blue Night; zum Verletzungsverfahren vgl. BGH, Urteil vom 7. März 2019 - I ZR 195/17, GRUR 2019, 522 Rn. 42 = WRP 2019, 749 - SAM, mwN). Hätte das Berufungsgericht, das im Grundsatz von diesem Maßstab ausgegangen ist, den klägerischen Vortrag zur Branchenübung berücksichtigt, ist nicht ausgeschlossen, dass es eine rechtserhaltende Benutzung insgesamt abgelehnt hätte.

IV. Für die vom Berufungsgericht im wiedereröffneten Berufungsverfahren vorzunehmende Prüfung der rechtserhaltenden Benutzung der Streitmarke für die Klassen 5 und 29 sowie hinsichtlich der Klasse 32 für die Waren alkoholfreie Getränke und Aloe-Vera-Säfte unter Berücksichtigung des Vortrags der Klägerin weist der Senat vorsorglich auf sein Urteil vom 14. Januar 2021 hin, in dem er seine Rechtsprechung zur Darlegungs- und Beweislast im Verfallsverfahren aufgegeben hat, weil sie einer unionsrechtskonformen Auslegung von § 49 Abs. 1 MarkenG nicht mehr entspricht ( I ZR 40/20, juris Rn. 22 - STELLA). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union obliegt es im Rahmen von Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 2008/95/EG grundsätzlich dem Inhaber der streitigen Marke, die Gegenstand eines Antrags auf Erklärung des Verfalls ist, die ernsthafte Benutzung dieser Marke nachzuweisen. Dieser ist am besten in der Lage, den Beweis für die konkreten Handlungen zu erbringen, die das Vorbringen zu stützen vermögen, dass seine Marke ernsthaft benutzt worden sei (vgl. EuGH, Urteil vom 26. September 2013 - C-610/11, GRUR Int. 2013, 1047 Rn. 63 - Centrotherm Systemtechnik/HABM und centrotherm Clean Solutions [CENTROTHERM]; Urteil vom 19. Juni 2014 - C-217/13, C-218/13, GRUR 2014, 776 Rn. 70 = WRP 2014, 940 - Oberbank u.a.; Urteil vom 22. Oktober 2020 - C-720/18, C-721/18, GRUR 2020, 1301 Rn. 79 bis 81 = WRP 2021, 37 - Ferrari [testarossa]).

Vorinstanz: LG Frankfurt/Main, vom 17.07.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 06 O 99/17
Vorinstanz: OLG Frankfurt/Main, vom 02.07.2020 - Vorinstanzaktenzeichen 6 U 132/18